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Special | Schweiz | Klimaschutz im Dialog

"Mit der Neufassung des CO2-Gesetzes sind wir auf einem guten Weg"

Die Schweiz hat ihre Klimaziele für 2020 knapp verfehlt. Einzig die Industrie ist auf Kurs. Gibt es eine Patentlösung?     

Von Kirsten Grieß | Berlin

Wir sprechen mit Alexander Keberle, Mitglied der Geschäftsleitung von economiesuisse, dem Dachverband der Schweizer Wirtschaft. Er verantwortet den Bereich Infrastruktur, Energie & Umwelt. economiesuisse fordert einen international abgestimmten Ansatz in der Klimapolitik. Für den Wirtschaftsverband ist das revidierte CO2-Gesetz ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum Netto-Null-Ziel 2050.   

Alexander_Keberle_RZ Alexander_Keberle_RZ | © economiesuisse

Herr Keberle, wo steht die schweizerische Klimapolitik zurzeit?

Die Dynamik ist groß – in der Schweiz, aber auch weltweit. Mit der Neufassung des CO2-Gesetzes sind wir auf einem guten Weg. In dieser Form sollte das Gesetz mehrheitsfähig sein. Wichtige Klimamaßnahmen werden damit forciert. Gleichzeitig dürfen wir nicht blauäugig sein. Ob wir das Netto-Null-Ziel bis 2050 erreichen, hängt davon ab, dass wirklich große Anstrengungen unternommen werden. Wir brauchen gute Rahmenbedingungen, die immer wieder kritisch geprüft und nachjustiert werden müssen. Klar ist, dass der letzte Schritt zu Netto-Null extrem schwierig und teuer wird. Ohne neue Technologien wird das nicht klappen.

Die Schweiz hat die selbst gesteckten Klimaziele für 2020 nicht ganz erreicht. Wo muss nachgesteuert werden?

Das ist richtig. Wir haben die Ziele knapp verfehlt. Die Industrie ist aber als einziger Sektor auf Kurs. Geholfen hat das im CO2-Gesetz verankerte System der Rückvergütung. Aktuell können sich größere Betriebe zur Reduktion von Treibhausausstößen verpflichten und bekommen die CO2-Abgabe rückvergütet. Das hat wichtige Anreize gesetzt, in Effizienzmaßnahmen zu investieren und Emissionen zu verringern. Diese Möglichkeit muss auf alle Unternehmen ausgeweitet werden. Das steht auch so im Entwurf zum neuen CO2-Gesetz, das sich gerade im Gesetzgebungsprozess befindet.

Wo hakt es sonst noch?

Eine große Baustelle sind die nachgelagerten Emissionen aus internationalen Lieferketten. Das ist aber nicht nur ein Problem der Schweiz. Besonders wichtig ist für uns jetzt die Sicherheit der Stromversorgung. Wir brauchen eine weitgehende Elektrifizierung, um unsere Klimaziele zu erreichen. Es geht um Wärmepumpen im Gebäudebereich, aber auch um Elektromobilität. Dafür braucht es klimaneutralen Strom. Den haben wir im Moment in der Schweiz, allerdings wird für 2025 eine Winterstromlücke prognostiziert. Bei der Stromversorgung muss unbedingt etwas passieren, damit wir auf Netto-Null kommen.

Das Anreizsystem hat bei der Industrie offensichtlich gezogen. Gibt es bestimmte Technologien oder Geschäftsmodelle mit Wachstumspotenzial?

Die Umwandlung von Solarenergie in Zwischenträger ist definitiv eine Zukunftstechnologie. Das Spinoff der ETH Zürich Synhelion arbeitet an synthetischem Treibstoff und kooperiert eng mit Swiss Airlines. Bei Solar- oder Windstrom ist aber vor allem die Speicherung eine Herausforderung. Die ist momentan extrem teuer und aufwändig. Power-to-Gas ist eine Technologie, mit der man etwa überschüssige Solarenergie in synthetische Treibstoffe und Wasserstoff umwandeln kann. Wenn dann weniger Strom produziert wird, kann beides zurück in Strom verwandelt werden.

Welche Chance sehen Sie in der Schweiz für Negativemissionen und entsprechende Technologien?

Das schweizerische Startup Climeworks ist hier ein Vorreiter. Simpel erklärt geht es darum, dass man CO2 aus der Luft entnimmt und entweder zwischenspeichert oder in andere Produkte weiterverarbeitet, beispielsweise in das Aufsprudeln von Mineralwasser. Das ist eine Riesentechnologie. Der Haken ist, dass sie momentan viel zu teuer ist. Allerdings gibt es Schätzungen, dass die Preise bis 2050 aufgrund der enormen Nachfrage und gezielter Investitionen deutlich sinken werden. Aus meiner Sicht sind das Leuchtturmtechnologien, die wir weltweit in großem Maße brauchen werden.

Solche Technologien sind energieintensiv, der Ausbau erneuerbarer Energien muss massiv vorangetrieben werden. Worauf setzt die Schweiz?

Großes Potenzial sehe ich in der Solarenergie. Um unser Klimaziel zu erreichen, müssen wir je nach Rechnung den Ausbau der Solarflächen um den Faktor 3 bis 12 erhöhen. Dazu braucht es gigantische Kapazitäten und es fehlt wirklich an allen Ecken und Enden. Das sind an erster Stelle Solarpanels, die im Moment zu über 90 Prozent aus China importiert werden. Wir benötigen Installateurkapazitäten. Aber es geht auch um Aluminiumgerüste, auf denen die Solarpanels liegen, auch die sind knapp. Das ist ein Riesenmarkt.

Wo stehen die anderen Erneuerbaren? Können deutsche Unternehmen helfen?

Wasserkraft ist sehr wichtig für unsere Stromversorgung. Für ausländische KMU sehe ich hier aber wenig Chancen. Sicher werden ein paar neue Kraftwerke gebaut, das sind dann aber Großprojekte. Dort zum Zug zu kommen, wird schwierig. Bei der Windenergie sind die Potenziale momentan sicher auch kleiner als beispielsweise in Deutschland.

Es gibt eben nicht die eine Patentlösung. In jedem Bereich haben wir Länder, die etwas sehr, sehr gut machen, von denen wir uns etwas abschauen können. Deshalb ist der Erfahrungsaustausch in Europa so wichtig, auch auf institutioneller Ebene.

Wie geht es jetzt weiter? Wie sieht die Zukunft der Klimapolitik der Schweiz aus?

Man wird jeden einzelnen Sektor betrachten, jeweils nach Lösungen suchen und notfalls nachsteuern müssen. Im Stromsektor beispielsweise ist die Energiewende zentral. Es ist extrem wichtig, die Erneuerbaren und grüne Technologien zu fördern und nicht wieder auf Gas oder Öl umzusteigen. Das wäre dramatisch für die Klimapolitik der Schweiz.

Um wirklich voranzukommen, ist es aber auch politisch wichtig, mit Maximalforderungen aufzuhören. Alle müssen sich ein bisschen bewegen. Ein Beispiel sind die Umweltschutzvoraussetzungen bei der Stromproduktion. Wenn wir weiterhin 15 Jahre brauchen, um ein Windkraftwerk zu bauen, haben wir keine Chance. Wenn etwas passieren soll, müssen wir priorisieren und schnell handeln – das gilt für die Wirtschaft genauso wie für Umweltorganisationen. Da ist die Politik als Erstes gefordert.

Weitere Informationen:
  • economiesuisse ist der Dachverband der schweizerischen Wirtschaft.
  • Mit der Technologie "Direct Air Capture" entfernt das Startup Climeworks Kohlendioxid aus der Luft.
  • Synhelion verwandelt Sonnenenergie in Treibstoff.
  • Mehr Informationen zum Klimaschutz in der Schweiz finden Sie in unserer Rubrik Klimawandel lokal.


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