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Überblick zu den Stärken und Perspektiven ausgewählter Länder in der Digitalisierung
Große wie kleine Wirtschaftsnationen weltweit haben sich ehrgeizige Ziele für die Digitalisierung und die künstliche Intelligenz (KI) gesteckt. In manchen Ländern stellen die Regierungen umfangreiche Programme auf und investieren kräftig in Forschung & Entwicklung (F&E) oder die digitale Infrastruktur. Anderswo ist es vor allem die Privatwirtschaft, die das Thema vorantreibt - sowohl etablierte Großkonzerne als auch Start-ups. Wie technikaffin Gesellschaften sind und wie experimentierfreudig sie mit neuen Technologien umgehen, wirkt sich ebenfalls auf die Geschwindigkeit aus, mit der der Wandel vonstattengeht.
Die zahlreichen internationalen Rankings zu Digitalisierungsthemen machen deutlich, wie groß die Unterschiede in Kategorien wie digitale Infrastruktur, Forschung, Anwendung digitaler Technologien etc. zwischen den Ländern sind. Viele müssen rasch an ihren individuellen Schwachstellen arbeiten, um international den Anschluss nicht zu verlieren. Andererseits können sie bei der Digitalisierung ihrer Wirtschaft und Gesellschaft auf ganz unterschiedlichen Stärken aufbauen. Während manche über riesige Datenmengen verfügen und diese beispielsweise für die Entwicklung von KI nutzen, profitieren andere von ihrer gut aufgestellten Industrie und können so etwa bei der smarten Produktion punkten.
USA: Große Technologiekonzerne treiben Entwicklung voran
Google, Amazon, Facebook, Apple – allein der Blick auf die großen Player zeigt das Gewicht der USA beim Thema Digitalisierung. Marktuntersuchungen bestätigen das: Im Ranking der Schweizer Wirtschaftshochschule IMD zur digitalen Wettbewerbsfähigkeit stehen die USA auf dem Spitzenplatz.
Die digitalen Geschäftsmodelle der US-Unternehmen, die ganze Märkte umkrempeln können, kommen häufig aus dem Silicon Valley. Viele etablierte Firmen gründen in der Hoffnung auf neue Ideen In-House Innovation Labs, vor allem in der San Francisco Bay Area. Auf die Region entfallen rund 40 Prozent der gesamten US-Wagniskapitalinvestitionen. Nach einer Analyse des Trendforschungsunternehmens CB Insights kommt der größte Teil der 100 vielversprechendsten Start-ups in der KI aus den USA.
Die Stärke der US-Unternehmen zeigt sich auch darin, wie das Land sich bei Digitalthemen wie der KI aufstellt. Eine umfassende Strategie für das Thema gibt es bisher nicht - stattdessen bleibt das Feld weitgehend den Technologiekonzernen überlassen. Allerdings hatte US-Präsident Donald Trump Anfang 2019 die Bundesbehörden angewiesen, die KI-Forschung bei der Mittelvergabe zu priorisieren.
Auch ohne grundlegende Strategie belegen die USA in der KI-Forschung einen Spitzenplatz. Ein Grund sind die etablierten Kooperationen zwischen Regierung, Privatsektor und Hochschulen. Ein anderer Wettbewerbsvorteil des Landes ist die Datengrundlage: Personenbezogene Daten unterliegen bundesweit nicht den gleichen strengen Regulierungen wie in der Europäischen Union - auch wenn der Trend klar in Richtung mehr Datenschutz geht. Bei der 5G-Kommunikationsinfrastruktur wollen die USA Weltmarktführer werden. Auf dieser Basis räumen Marktbeobachter dem Land großes Potenzial in der KI ein.
China: Hohe Investitionen in KI
In China treiben neben den Unternehmen vor allem digitalaffine Konsumenten sowie die ambitionierte Regierung das Thema voran. Mit zahlreichen Entwicklungs- und Aktionsprogrammen schafft der Staat attraktive Rahmenbedingungen und finanzielle Anreize mit regionalen Schwerpunkten. So setzt die Inlandsprovinz Guizhou beispielsweise vor allem auf Big Data und baut große Kapazitäten bei Rechenzentren auf. Die Provinz Guangdong wiederum fördert vor allem intelligente Fertigung und Robotik.
Mit dem schnellen Ausbau der 5G-Kommunikationsinfrastruktur und hohen Forschungsinvestitionen schafft China wichtige Voraussetzungen für die technologische Entwicklung. Ihr soll auch der rechtliche Rahmen nicht im Wege stehen - er wird so flexibel wie möglich gestaltet, um Innovationen nicht auszubremsen. Auch der Datenschutz wird bislang nicht hochgehalten. Die Möglichkeit, große Datenmengen zu sammeln und zu nutzen, kommt einem immensen Startkapital für chinesische Firmen gleich.
Was Nutzerdaten, aber auch Umsatz angeht, spielt der chinesische E-Commerce in einer eigenen Liga. Internetgiganten wie Alibaba oder Tencent profitieren kräftig. Auch der Staat selbst nutzt die ihm zur Verfügung stehenden Daten für E-Governance und Smart City-Konzepte. Ab 2020 möchte er ein umfassendes Social-Credit-System - ein Kontrollsystem sowohl für Bürger als auch für Unternehmen - landesweit ausrollen. Dieses bewertet etwa die Kreditwürdigkeit, die Einhaltung der Verkehrsordnung und von Umweltbestimmungen sowie die Abgabe von Steuererklärungen.
Auf Grundlage der großen Datenmengen will China künftig vor allem KI vorantreiben. Über Fonds, Forschungs- und Pilotprojekte stellt die Regierung gewaltige Summen bereit. Der Großteil der lokalen KI-Unternehmen beschäftigt sich mit Computer Vision, Spracherkennung und Natural Language Processing. Wichtige Start-ups wie Face++ oder SenseTime erhalten die meisten Aufträge bislang vom Staat. Die Qualität der Algorithmen scheint umstritten. Bei den internationalen Patentanmeldungen im Bereich KI liegt China laut World Intellectual Property Organization (WIPO) aber ganz weit vorn - nur die USA können mehr Anmeldungen vorweisen.
In der Industrie hingegen zählt China bei der Digitalisierung bislang nicht zur Weltspitze. Für Industrie 4.0-Lösungen sind viele Unternehmen schlecht vorbereitet. Intelligente Fertigung gibt es bislang vor allem in exportorientierten Hochtechnologiefirmen oder teilweise ausländisch investierten Unternehmen. In der Robotikproduktion konnte China trotz großer Bemühungen bislang ebenfalls nicht zur Spitze aufschließen.
Japan: Auf dem Weg zur Society 5.0
Japan hingegen gehört in der Robotertechnologie sowohl bei der Produktion als auch beim Einsatz zur Weltspitze. Das starke, breit aufgestellte verarbeitende Gewerbe bietet hervorragende Voraussetzungen für Industrie 4.0. Das Land hat sich früh mit dem Thema Digitalisierung beschäftigt: In den 90er Jahren wurde es zum erfolgreichen Computerhardware- und Elektronikhersteller, und seither hat die Regierung zahlreiche Strategien formuliert sowie eine sehr gute IKT-Infrastruktur aufgebaut. Beim Networked Readiness Index 2016 des Weltwirtschaftsforums liegt Japan auf dem zweiten Platz hinter Singapur.
Mit seiner Society 5.0-Strategie hat Japan das weltweit wohl umfassendste Digitalisierungskonzept vorgelegt. Die komplette Gesellschaft soll dank aller erdenklichen Digitalisierungsprozesse supersmart werden - angefangen bei Robotern, die den Haushalt effizient organisieren, bis hin zu ausgefeiltem Verkehrs- oder Katastrophenschutzmanagement. So will Japan seine Wirtschaft wettbewerbsfähig halten, aber auch soziale Herausforderungen wie den demografischen Wandel meistern.
Eine zentrale Rolle wird dabei KI spielen. Bei den Patentanmeldungen liegt Japan laut WIPO international auf dem dritten Platz. Die Regierung fördert die Forschung, den Großteil der KI-Investitionen stemmt jedoch die Privatwirtschaft. Kleine und mittelständische Unternehmen halten sich noch zurück; es sind die japanischen Großunternehmen, die die Entwicklung beherzt vorantreiben, zunehmend auch in Kooperation mit Start-ups und ausländischen Partnern. Der Transfer von F&E-Ergebnissen in konkrete Anwendungen erfolgt allerdings oft noch zögerlich.
Tschechien: Starke industrielle Basis
Auf seine starke Industrie baut auch Tschechien auf. Das Land steht bei der Digitalisierung zwar nicht in der ersten Reihe, hat aber seine eigenen Stärken. Im tschechischen verarbeitenden Gewerbe kamen 2017 laut der International Federation of Robotics 119 Roboter auf 10.000 Beschäftigte - der EU-Durchschnitt liegt bei 106 Stück. Hier zeigt sich Tschechiens starke Automotive- und Maschinenbauindustrie mit ihrem wachsenden Bedarf an Automatisierung und Robotik.
Städte wie Prag oder Brno profitieren von ihrer regen Start-up Szene. So hat Brno den Ruf eines Silicon Valley Mitteleuropas. Es sind vor allem junge KMU, die in Tschechien KI-basierte Produkte und Dienstleistungen anbieten. Einige dieser Firmen sind in ihren Segmenten durchaus erfolgreich, auch wenn ihre Produkte für den Endkunden nicht immer erkennbar sind. So nutzt zum Beispiel die Lufthansa InTouch für Personalgewinnung und Kundendialog das Chatbot-Programm des jungen tschechischen Unternehmens Feedyou.
Im öffentlichen Sektor dagegen hinkt Tschechien hinterher. Gerade einmal ein Drittel der Internetnutzer im Land verwendet laut DESI die angebotenen E-Government-Funktionen, während der EU-Durchschnitt bei 59 Prozent liegt. Beobachter kritisieren die Angebote als wenig nutzerfreundlich. Hier will die Regierung nachbessern. In ihrem Strategiepapier zur Digitalisierung von 2018 sieht sie ein E-Government-Konzept sowie eine bessere Ausstattung der staatlichen Behörden mit IKT vor.
Ein weiteres Problem teilt Tschechien mit vielen anderen Ländern: den Mangel an (IT-) Fachkräften. Allerdings könnte dieser gemeinsam mit den steigenden Lohnkosten wiederum die Nachfrage nach robotergesteuerter Prozessautomatisierung antreiben.
Südkorea: Technikaffine Bevölkerung und hochautomatisierte Produktion
Südkorea spielt beim Thema Digitalisierung zwar nicht in einer Liga mit den USA oder China. Das Land steht in mehreren internationalen Digitalisierungsrankings dennoch ganz weit oben: In der Kategorie ICT Adoption des Global Competitiveness Index 2018 des Weltwirtschaftsforums belegt es den Spitzenplatz. Die IKT-Infrastruktur ist hervorragend, als wohl erstes Land der Welt hat Südkorea im April 2019 flächendeckende 5G-Netze in Betrieb genommen. Im E-Government Development Index 2018 der Vereinten Nationen erreichte Südkorea Rang 3.
Die technikaffine und experimentierfreudige Bevölkerung nimmt neue digitale Produkte und Dienstleistungen begeistert auf. Gleichzeitig gestaltet die Regierung den rechtlichen Rahmen möglichst flexibel, um Neuerungen Raum zum Testen zu geben. Die starke Elektronik- und Automobilindustrie hat ähnlich wie in Tschechien zumindest für die Digitalisierung der eigenen Produktion beste Voraussetzungen: Die Robotikdichte Südkoreas war 2017 mit 710 Industrierobotern pro 10.000 Mitarbeitern in der verarbeitenden Industrie die weltweit höchste.
Auch bei den Investitionen in F&E liegt Südkorea mit einem Wert von über 4 Prozent der Wirtschaftsleistung ganz weit vorn. Vor allem die Großunternehmen, die „Chaebols“, treiben die Entwicklung neuer Produkte voran, allerdings wird in erster Linie angewandte und wenig Grundlagenforschung betrieben. Während Südkoreas Firmen es verstehen, bestehende Technologien aufzugreifen und zu perfektionieren, stehen weiche Faktoren wie das Bildungssystem, starre Hierarchien und die Wirtschaftsstruktur echten Innovationen im Weg. Die Regierung erhofft sich von der Digitalisierung wichtige Impulse, um den ambitionierten Schwenk vom Fast Follower zum First Mover zu schaffen. Insbesondere bei intelligenter Elektronik und Smart-City-Lösungen ist mit den Südkoreanern künftig zu rechnen.
Kanada: Hohe Investitionen in Forschung
Einen Namen in der Forschung hat sich Kanada gemacht, vor allem in den Bereichen Deep Learning und maschinelles Lernen. Diese Stärke will das Land ausbauen. Mit der Pan-Canadian Artificial Intelligence Strategy aus dem Jahr 2017 entstehen national vernetzte Exzellenzzentren in den bestehenden KI-Hubs Edmonton, Montreal und Toronto. Als Rückgrat seiner künftigen Forschung will Kanada mehr KI-Spitzenforscher und -Universitätsabsolventen ins Land holen.
Das gut ausgebaute Umfeld führt dazu, dass immer häufiger Unternehmen in großem Stil in kanadische Forschungszentren investieren - darunter Google (DeepMind - University of Alberta, Edmonton), Facebook (FAIR lab, Montreal), Microsoft (MS Research, Montreal) oder NVIDIA (KI Forschungslabor, Toronto).
Das gute Forschungsumfeld begünstig die Start-up-Szene - der große Pool an Tech-Talenten zieht hohe Wagniskapitalinvestitionen an. Eigene digitale Weltmarktführer dagegen hat Kanada nicht, und ein Großteil der patentierten KI-Forschungsergebnisse ist im Besitz globaler Firmen wie IBM, Alphabet, Uber, Dell oder Microsoft, kritisieren kanadische Experten für Intellectual Property. Den kommerziellen Nutzen der in Kanada entwickelten Ideen haben oft ausländische Investoren.
Finnland: Stark in der digitalen öffentlichen Verwaltung
In Finnland hat die Regierung in den vergangenen Jahren weniger für F&E ausgegeben. Insgesamt ist die Forschungsintensität daher gesunken. Einer der Gründe dafür ist die Umstrukturierung Nokias. Das finnische Vorzeigeunternehmen hatte deutliches Gewicht in der Forschung, der Niedergang der Nokia-Handysparte zog die F&E-Ausgaben herunter. Andererseits sorgte die Nokia-Umstrukturierung für eine Gründungswelle im finnischen IT-Sektor - ehemalige Nokia-Mitarbeiter wurden zu Gründern und brachten Schwung in den Sektor.
Insgesamt liegt Finnland in der Digitalisierung im europäischen Vergleich weit vorne - laut dem EU-Digitalranking DESI auf Platz 3. Das schnelle mobile Breitbandinternet, eine Bevölkerung mit hoher Digitalkompetenz, die für Rechenzentren ideal kühlen Temperaturen und günstige Strompreise sind einige der Vorteile Finnlands. Besonders punktet das nordische Land in der digitalen öffentlichen Verwaltung und bei E-Health. Rund 28 Millionen Rezepte wurden 2018 in Finnland bereits elektronisch ausgestellt, und die digitale Patientenakte nutzt etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung.
Genau diese Bereiche wird Finnland ausbauen. Dabei werden Lösungen über die eigenen Landesgrenzen hinaus wichtiger. Bereits jetzt können Finnen ihre digitalen Rezepte nicht nur zuhause, sondern dank einer Kooperation auch im benachbarten Estland einlösen.
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