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Special | Tschechische Republik | Klimawandel lokal

Klimaschutz lässt Fotovoltaik in Tschechien boomen

Frische Fördermittel und Europas Green Deal befeuern Investitionen in die Dekarbonisierung. Die neue Priorität Energiesicherheit verleiht erneuerbaren Energien Rückenwind.

Von Miriam Neubert | Prag

Tschechien spürt den Klimawandel immer stärker. Im Zuge von Dürrephasen und der Borkenkäferplage mussten große Forstflächen abgeholzt werden. Dadurch fallen die Wälder als Kohlenstoffsenken aus und stoßen aktuell mehr Kohlestoffdioxid (CO2) aus, als sie binden. Im Sommer 2021 forderte ein bislang untypischer Tornado in Südmähren Menschenleben und zog eine Spur der Verwüstung. Sechs extreme Trockenjahre in Folge bis 2020 hatten die Bevölkerung bereits zuvor stärker für das Thema Klimawandel sensibilisiert.

Anpassungsmaßnahmen bei Wasser

Schon vor einigen Jahren hat der Staat den Kampf gegen die Dürre ausgerufen. Aus eigenen Quellen und mit frischen Geldern der Europäischen Union (EU) fördert Tschechien ab 2022 Tausende von neuen Maßnahmen, um Regenwasser besser zu nutzen, Boden- und Hydromeliorationsmaßnahmen durchzuführen sowie Teiche und Weiher zu anzulegen. Das Umweltministerium wird im Rahmen der europäischen Kohäsionspolitik 2021 bis 2027 dafür umgerechnet rund 400 Millionen Euro an Förderung einsetzen. Für Kanalisation und Kläranlagen sind weitere 560 Millionen Euro eingeplant. Bei der Erreichung der Nachhaltigkeitsziele Wasser und Biodiversität steht Tschechien gut da.

Anders ist es beim Ziel Klimaschutz. Tschechiens Wirtschaft gehört trotz sinkender Werte zu den energie- und kohlenstoffintensivsten in der EU. Der Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung ist mit 30 Prozent der zweithöchste in der EU. Auch deckt Kohle mit 30 Prozent noch einen erheblichen Teil des Gesamtenergiebedarfs. Europas Green Deal und seine verschärfte Gangart Fit for 55 sind eine enorme Herausforderung und in Politik und Unternehmerschaft umstritten.  

Entwicklung energiebezogener Klimaschutzindikatoren in Tschechien

Indikatoren

2010

2015

2020

EU-Durchschnitt 2020

Energieproduktivität in Euro pro Kilogramm Rohöleinheit (KGRÖE)

3,47

4,08

4,61

8,57

Energieintensität des BIP in Kilogramm Rohöleinheit (KGRÖE) pro 1.000 Euro

271,4

244,8

216,8

116,7

Treibhausgasemissionen in Tonnen pro Kopf und Jahr

12,8

11,6

12,9*

7,8*

Treibhausgasemissionen im Vergleich zum Basisjahr 1990; Index (1990=100)

69,7

63,5

71,8*

74,1*

Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch (in Prozent)

10,5

15,1

17,3

22,1

Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung (in Prozent)

7,5

14,1

14,8

37,5

*) letztverfügbare Werte 2019Quelle: Eurostat 2022

"Rehabilitierung" der erneuerbaren Energien

Die neue liberal-konservative Regierungskoalition aber hat den Green Deal bereits bei ihrem Amtsantritt Ende Dezember 2021 als Chance bezeichnet. Sie versprach "eine Rehabilitierung der Fotovoltaik" und "mindestens 100.000 Solardächer bis 2025". Grüne Energiequellen hatten lange keinen guten Stand in Tschechien. Zum einen, weil eine kurzfristige Überförderung vor über zehn Jahren die Energiepreise in die Höhe trieb. Zum anderen, weil die Politik sich in negativen Aussagen zu dem Thema festfuhr. Über Jahre gab es kaum Bewegung bei neuen Kapazitäten. Doch hat der strikte grüne Transformationskurs der EU, der massiv von frischen Fördermitteln begleitet wird, diese Lähmung Anfang 2022 beendet. Rückenwind kommt durch die stark gestiegenen Energiepreise und die Entschlossenheit, von Energieimporten aus Russland loszukommen.

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Aufbauplan und Modernisierungsfonds finanzieren erste Projekte

Das Ministerium für Industrie und Handel hat umgerechnet 160 Millionen Euro für Solarsysteme samt Speicher ausgeschrieben. Unternehmen jeder Größenordnung können sich bis Mitte 2022 bewerben. Die Gelder kommen aus dem nationalen Aufbauplan, der sich aus dem europäischen Fonds NextGenerationEU speist. Weitere Runden werden folgen. Tschechiens Aufbauplan sieht bis 2023 für grüne Transformationsvorhaben 3,2 Milliarden Euro vor, davon mindestens die Hälfte für energiebezogene Projekte.

Noch wichtiger für die Abkehr von fossilen Brennstoffen ist der Modernisierungsfonds. Er basiert auf CO2-Emissionszertifikaten und umfasst in Tschechien bis 2030 mindestens 6 Milliarden Euro. Die Mittel fließen in alles, was Treibhausgasemissionen senkt: erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Speicher, Netze. Dabei finanziert das Programm HEAT umfangreich die Modernisierung des Heizkraftsektors; ENERG unterstützt Industriebetriebe bei effizienteren Produktionsprozessen; RES ist ein Motor für erneuerbare Energien. Es geht um große Solarkraftwerke, die vorwiegend auf Brownfields entstehen, aber auch um dezentralisierte Quellen bis 1 Megawatt Peak (MWp), mit denen Unternehmen oder Kommunen ihren eigenen Bedarf decken. Erste 120 Projektanträge wurden im April 2022 bewilligt.

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Run auf Wärmepumpen und Perspektiven bei Biomethan

Der abrupte Nachfrageanstieg führt zu langen Bestellzeiten nicht nur bei Solarpaneelen. Durch die hohen Energiepreise setzen Haushalte und Bauherren auch auf Wärmepumpen. Verstärkt wird der Trend, da das Umweltministerium die Förderung für Wärmepumpen bei Familien mit niedrigen Einkommen erheblich angehoben hat und gleichzeitig die für Gaskessel abbaut. Das gilt auch für das seit vielen Jahren etablierte Gebäudeeffizienzprogramm Nová zelená úsporám.

Tschechien bezieht 97 Prozent seines Gasbedarfs aus Russland. Als mögliche heimische Alternative für einen gewissen Teil dieser Einfuhren gilt Biomethan. Es gibt aber erst zwei Projekte. Bislang fehlten die Anreize. Erst ab 1. Januar 2023 führt die Novelle des Gesetzes über geförderte Energiequellen einen grünen Bonus für Biomethananlagen ein. Im Land bieten 450 Biogasanlagen reichlich Potenzial für die Aufbereitung von Biogas zu Biomethan. Mit EU-Geldern wird die energetische Nutzung von Abfall und die Erzeugung von grünem Wasserstoff gefördert.

Kernkraft zur Erreichung der Klimaschutzziele

Klimaneutralität kann aus tschechischer Sicht nur mit dem Ausbau der Atomkraft gelingen. Im Frühjahr startete die Ausschreibung eines neuen Reaktorblocks für das Atomkraftwerk Dukovany. Doch selbst wenn bei diesem größten Investitionsprojekt des Landes alles nach Plan laufen sollte, wird der neue Block frühestens 2036 ans Netz gehen. Ob die energiepolitischen Zwänge den von der Regierung für 2033 geplanten Kohleausstieg zur Disposition stellen, bleibt abzuwarten.

Chancen für deutsche Technologieanbieter

Die massive Investitionswelle rund um die Dekarbonisierung eröffnet Geschäftsfelder für deutsche Anbieter von Hocheffizienztechnologien. Das Spektrum reicht von Kraft-Wärme-Kopplung, Stromspeichern, Fernwärmetechnik, Elektrolyseuren über Industriewasseraufbereitung, Waste-to-Energy-Lösungen, Rückhaltetechnik bis hin zu best verfügbaren Lösungen (BAT) für die Industrie.

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