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Wirtschaftsumfeld | Tschechische Republik | Standortpolitik

Eine Vision für Tschechiens Zukunft

Ein schlanker Staat, logistisches Drehkreuz, mehr KI – das sind die Inhalte einer Zukunftsvision für Tschechien, die der Premierminister jüngst vorstellte. Was sagt die Wirtschaft?

Von Gerit Schulze | Prag

Tschechiens Regierung wird seit langem vorgeworfen, zu wenig Ideen für die Zukunft des Landes zu entwickeln. Nun hat sich Premierminister Petr Fiala mit einer programmatischen Rede aus der Deckung gewagt, und wichtige Eckpunkte einer Wirtschaftsstrategie erläutert.

Vor der Wirtschaftskammer der Tschechischen Republik (HK ČR) kündigte Fiala am 1. September 2023 einen "Neustart" an: "Wir sollten uns als modernes Industrieland präsentieren, das Spitzenprodukte herstellt, über eine hervorragende Verkehrsinfrastruktur und gut ausgebildete Menschen verfügt."

Das Land habe es seit einem Jahrzehnt versäumt, neue Autobahnen und Kraftwerke zu bauen und sich aus der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu befreien. Die Subventionen hätten Überhand genommen, neue Technologietrends seien nicht gefördert worden, heißt es in der Rede des Premiers.

Zentrale Lage in Europa besser ausspielen

Fiala will die geografische Lage nutzen, um Tschechien wieder zu einem wichtigen Drehkreuz in Europa zu machen. Dafür seien strategische Investitionen nötig, die zugleich die Wirtschaft ankurbelten. In der laufenden Legislaturperiode will die Regierung 200 Kilometer neue Autobahnen bauen. Seit Jahren kommen wichtige Bauprojekte kaum voran, etwa die Verbindungen von Brno nach Wien oder von Prag nach Linz. "Das Potenzial der Regionen Karlovy Vary oder Südböhmen wäre viel größer, wenn sie an moderne Verkehrsinfrastruktur angeschlossen wären", räumt Fiala ein.

Das gilt auch für Schienenverbindungen. Tschechien müsse endlich Hochgeschwindigkeitsstrecken bauen und sich mit dem europäischen Netz verbinden, fordert der Regierungschef. Es könne nicht sein, dass der Zug von Berlin nach Wien über Nürnberg fährt und nicht über Prag.

Stärkerer Energieverbund mit Deutschland

Als weiteres wichtiges Investitionsziel nennt Fiala den Energiesektor. Mittelfristig fehlten dem Land 10 Terawattstunden Strom jährlich. Deshalb seien massive Investitionen in den Ausbau der erneuerbaren Energiequellen und der beiden Atomkraftwerke Dukovany und Temelín nötig. Fiala will die Wärmeversorgung von Kohle auf Gas umstellen, die Energienetze stärken und mehr Speichermöglichkeiten errichten. Der Energieverbund mit Deutschland soll höhere Kapazitäten erreichen.

Tschechiens Premier will außerdem die Lithiumvorkommen schneller erschließen. Bei Cínovec im Erzgebirge gibt es eine große Lagerstätte, die bis zu 5 Prozent der Weltreserven enthalten soll. "Das ist ein Schlüsselrohstoff für die Elektromobilität", sagte Fiala. Der Abbau sollte idealerweise bis 2026 beginnen.

Gleichzeitig versucht Tschechien, Investoren für eine Gigafactory zur Herstellung von Batterien zu gewinnen. Das würde der einheimischen Automobilindustrie helfen, den Technologiewandel zu bewältigen. Bei Mikrochips habe das Land die Chance, ein bedeutender Teil der europäischen Wertschöpfungskette zu werden, erklärte Fiala bei seiner Rede. Die Regierung arbeite daran, eine Großinvestition der Onsemi-Gruppe nach Nordmähren zu holen.

Als ein möglicher Wachstumstreiber wird die künstliche Intelligenz (KI) gesehen. Tschechien sei auf diesem Forschungsgebiet nach Einschätzung des Regierungschefs "extrem stark" mit vielen Start-ups. Allerdings müssten die Forschungsergebnisse besser mit der traditionellen Industrie verbunden werden.

Was sagt Tschechiens Wirtschaft zu den Plänen?

Tschechiens Wirtschaftskammer (HK ČR) begrüßt das Interesse des Premierministers, sich mit den langfristigen Perspektiven des Landes zu befassen. Denn die einheimische Volkswirtschaft habe alle Wachstumsfaktoren ausgeschöpft, die Löhne wüchsen nur noch langsam und der Lebensstandard stagniere, teilte Präsident Zdeněk Zajíček auf Anfrage mit. 


Nach Einschätzung des Verbands habe die Angleichung an den EU-Durchschnitt deutlich an Schwung verloren. Wenn das Niveau der westlichen Länder erreicht werden soll, dann müsse Tschechien Produkte mit höherer Wertschöpfung entwickeln. So könne es auch mit relativ teuren Arbeitskräften wettbewerbsfähig bleiben. Dafür seien aber ein attraktiveres Geschäftsumfeld und strategische Investitionen in Energie-, Verkehrs- und Dateninfrastruktur nötig. "Der Staat muss die Unternehmen zur Innovation motivieren", fordert die Wirtschaftskammer.

Verwaltung künftig digitaler

Die Basis für eine erfolgreiche Zukunft sieht Fiala in einem effizienteren Staat. Die Verwaltung sei verknöchert und müsse schlanker werden. "Im Jahr 2030 möchte ich, dass Sie in Ihrem Leben nur noch einen einzigen Beamten getroffen haben", erklärte Fiala seinen Zuhörern. Dieser Beamte stellt am 15. Geburtstag die Identität des Bürgers fest, und alle weiteren Behördenvorgänge können elektronisch erledigt werden: Von der Zahlung der Steuern, über die Anmeldung des Autos bis zur Gründung eines Unternehmens.

Im Bildungssektor strebt Fiala mehr Praxisorientierung an. Die Universitäten müssten attraktiver für ausländische Studierende werden und in internationalen Rankings nach oben rücken. Fiala verweist auf das renommierte QS World University Ranking 2024. Als beste Hochschule des Landes liegt die Prager Karlsuniversität nur auf Rang 248. "Unser Ziel sollte es jedoch sein, die tschechischen Universitäten weiter nach oben zu bringen", sagte der Premier.

Der Regierungschef will außerdem Wissenschaft und Forschung stärker mit den Bedürfnissen der Realwirtschaft verzahnen. Bei Nanotechnologie und künstlicher Intelligenz gebe es "echtes Potenzial, um Innovationen in unsere Wirtschaft zu bringen." Tschechien hat 2021 laut Eurostat 2 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgegeben. Es gehört mit Slowenien zu den führenden Ländern in Mittelosteuropa, liegt aber unter dem EU-Durchschnitt von 2,3 Prozent.

Erfolgreiche Transformation gerät ins Stocken

Nach drei Jahrzehnten erfolgreicher Transformation gerät Tschechiens Wirtschaftsmotor derzeit ins Stocken. Die Konjunktur entwickelt sich 2023 so schwach wie in keinem anderem Land der Region. Tschechiens Finanzministerium erwartet einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 0,2 Prozent.

Vor allem die hohe Inflation dämpft die Kauflust der Verbraucher. Laut aktuellen Umfragen des Prager Meinungsforschungsinstituts CVVM vertrauen nur noch 25 Prozent der Bevölkerung ihrer Regierung. Das ist so wenig wie seit zehn Jahren nicht mehr.

Reaktion der deutschen Auslandshandelskammer

Die Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer (DTIHK) teilt die Diagnose des Premierministers. "Der Verweis auf die strukturellen Probleme des Landes ist aus unserer Sicht absolut korrekt", sagt Geschäftsführer Bernard Bauer. In wichtigen Punkten spiegele sich darin auch die Problemlage in Deutschland wider.


Die Auslandshandelskammer sieht in den von Fiala genannten Bereichen für strategische Investitionen, wie Infrastruktur, erneuerbare Energien und Chip-Industrie, großes Potenzial. "Es muss aber klar sein: Nährboden für innovative Produkte mit höherem Mehrwert bleibt die Industrie", so Bauer. "Sie schafft Arbeitsplätze und hohe Produktionskompetenz und ist für Forschung und Entwicklung das Inhouse-Testbed für Innovation."

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