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Wettbewerbssituation und Geschäftspraxis
Die türkischen Bauunternehmen sind im In- und Ausland gut aufgestellt. Ausländische Firmen erbringen nur knapp 20 Prozent der Bauleistungen in der Türkei.
04.06.2024
Von Katrin Pasvantis | Istanbul
Türkische Bauunternehmen dominieren den lokalen Markt. Eine aktuelle Angabe zum Marktvolumen für Bauausrüstungen und -leistungen in der Türkei liegt nicht vor. Die Branche machte im Jahr 2023 ganze 5,6 Prozent in der Entstehung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) des Landes aus. Damit konnte die Baubranche einen Anstieg im Vergleich zum Vorjahr (2022: 4,3 Prozent des BIP) verzeichnen.
Groß im Auslandsbau...
Die Stärke der türkischen Bauunternehmen zeigt sich auch an ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Sie haben sich zu einer festen Größe im weltweiten Baugeschäft entwickelt. Heute setzen sie das meiste Projektvolumen in den GUS und im europäischen Raum um. Ihr Schwerpunkt liegt traditionell im Infrastrukturbau, einschließlich Verkehrsprojekten wie Schiene und Flughäfen sowie in der Energiebranche. Sie realisieren auch bedeutende Wohnungsbauprojekte.
Ganze 40 türkische Baukonzerne sind auf der Top-250-Liste des US-Fachmagazins Engineering News Record, die Ende August 2023 veröffentlicht wurde. Dabei orientiert sich das Ranking an den Auslandsumsätzen im Jahr 2022. Die Türkei belegt damit, wie im Vorjahr, den zweiten Platz hinter der Volksrepublik China (81) und vor den USA (39). Die 40 türkischen Unternehmen setzten insgesamt rund 19 Milliarden US-Dollar (US$) im Jahr 2022 im Ausland um. Die zehn bestplatzierten türkischen Baukonzerne im Ranking waren Rönesans, Limak, Enka, Yapi Merkezi, Ant Yapi, Esta Insaat, Tekfen, Calik Enerji, Cengiz und TAV.
Im Jahr 2023 konnten die türkischen Bauunternehmen das Auslandsgeschäft deutlich ausbauen. Dem türkischen Verband der Bauunternehmer TMB zufolge setzen sie neue Projekte mit einem Gesamtwert von 27 Milliarden US$ um. Das größte neue Projektvolumen wurde in Russland umgesetzt, gefolgt von Rumänien, Turkmenistan, Saudi-Arabien und Irak.
...auch bei technischen Beratungsdienstleistungen
Türkische Unternehmen führten laut TMB im Jahr 2023 technische Consulting-Dienste für Projekte im Ausland im Wert von 233 Millionen US$ aus (2022: 263 Millionen US$). Traditionell sind die GUS sowie der Mittlere und Nahe Osten wichtige Auslandsmärkte für technische Beratungsdienstleister, ähnlich wie bei den Baukonzernen. In den kommenden Jahren sieht TMB besonders hohes Wachstumspotenzial in Saudi-Arabien.
Ende August 2023 wurden sieben türkische Ingenieurbüros in die von ENR erstellte Liste „Top 225 International Design Firms“ für ihre Leistungen im Auslandsgeschäft im Jahr 2022 aufgenommen. Diese Unternehmen sind NKY Architecture Engineering (Platz 91), Proyapi Engineering (138), Temelsu International Engineering (161), Yüksel Proje (162), Euro Consult for Engineering Consultancy (180), Dolsar Engineering (185) und Tekfen Engineering (205).
Große staatliche Bauprojekte werden international ausgeschrieben
Die Gesetze Nr. 4734 und Nr. 4735 aus dem Jahr 2003 sowie die entsprechenden Durchführungsverordnungen bilden die rechtlichen Grundlagen im öffentlichen Auftragsvergabewesen in der Türkei. In einem Regierungsrundschreiben 2020 hat die Regierung Covid-19 als höhere Gewalteinwirkung bei öffentlichen Aufträgen im Rahmen des Vergabegesetzes Nr. 4734 definiert.
Staatliche Bauprojekte ab einer bestimmten Größenordnung werden gewöhnlich international ausgeschrieben. Diese Ausschreibungen werden im Staatsanzeiger Resmi Gazete und teilweise auch in anderen Presseorganen veröffentlicht. Bei Großprojekten kann vorher ein Präqualifizierungsverfahren durchgeführt werden. Oberste Aufsichtsbehörde ist die Anstalt für öffentliche Ausschreibungen KIK (Kamu Ihale Kurumu).
Elektronisches Vergabeportal für öffentliche Projekte
Seit dem 19. Juni 2018 müssen alle staatlichen Vergaben und Ausschreibungen für die Beschaffung von Waren und Dienstleistungen gemäß Gesetz Nr. 4734 durch das neue elektronische Vergabeportal EKAP abgewickelt werden.
Die Angebotsabgabe und öffentliche Mitteilungen erfolgen über das EKAP-Portal. Zur Nutzung des elektronischen Systems bedarf es einer vorherigen Registrierung. Juristische und natürliche Personen, die bei EKAP registriert sind, können Unterlagen für Ausschreibungen und Vergaben mit einer E-Signatur herunterladen. In Verbindung mit dieser Regelung veröffentlichte die Aufsichtsbehörde KIK im Staatsanzeiger Nr. 39716 vom 16. März 2019 eine detaillierte Durchführungsverordnung für Vertragsunternehmen im Bauwesen, die am 1. Juni 2019 in Kraft trat.
Für eine erfolgreiche Teilnahme an einem Bieterverfahren ist eine frühzeitige Beschaffung von Informationen vor der offiziellen Ausschreibung ratsam. Die Vergabe von Beratungsaufträgen und Machbarkeitsstudien können erste Hinweise geben, ob eine Teilnahme sinnvoll ist. Die Auftragsvergabe verläuft nicht immer transparent. Oft entscheiden die richtigen Kontakte über den Erhalt des Zuschlags. Die Kooperation mit lokalen Partnern kann in vielen Fällen hilfreich sein.
Preisvorteil für einheimische Bieter
Nach einem Regierungsrundschreiben wird einheimischen Bietern bei öffentlichen Ausschreibungen gewöhnlich ein Preisvorteil von 15 Prozent gewährt, unter der Bedingung, dass die in der Ausschreibung verlangten technischen Voraussetzungen erfüllt werden. Die Wertschöpfungskette von der Entwicklung, Planung, dem Bau bis hin zum Vertrieb wird daher von türkischen Unternehmen dominiert.