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Special | Türkei | LkSG | Umsetzungshilfe Risikoanalyse

Missachtung von Arbeitsschutz und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren

Der Länderbericht Umsetzungshilfe Risikoanalyse Türkei unterstützt bei der Ermittlung und Vermeidung menschenrechtlicher Risiken gemäß dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.

(Vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 5 LkSG)

Kurzbeschreibung: Maßgeblich ist das Recht des Beschäftigtenortes. Verstöße gegen das national anwendbare Arbeitsschutzrecht sind verboten, wenn dadurch die Gefahr von Unfällen bei der Arbeit oder arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren entstehen. Dies kann durch ungenügende Sicherheitsstandards, Fehlen geeigneter Schutzmaßnahmen und ungenügende Ausbildung und Unterweisung verursacht werden.

Gesetzliche Grundlagen

Die Türkei ist Mitglied der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization; ILO) und hat alle zehn Kernübereinkommen ratifiziert. Dazu gehören die hier relevanten Kernübereinkommen über Arbeitsschutz und Arbeitsumwelt (ILO-Übereinkommen Nr. 155) und über den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz (ILO-Übereinkommen Nr. 187). Darüber hinaus hat die Türkei das Übereinkommen über den Arbeitsschutz im Bauwesen (ILO-Übereinkommen Nr. 167) und das Übereinkommen über den Arbeitsschutz in Berkwerken (ILO-Übereinkommen Nr. 176) ratifiziert.

Bereits die türkische Verfassung enthält eine Vorschrift, die auch dem Arbeitsschutz dient. Danach darf niemand zu einer Arbeit gezwungen werden, die seinem Alter, seinem Geschlecht und seiner Leistungsfähigkeit nicht angemessen ist. Minderjährige, Frauen sowie körperlich und geistig behinderte Menschen genießen einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz in Bezug auf die Arbeitsbedingungen. Alle Arbeitnehmer haben zudem das in der Verfassung verankerte Recht auf ausreichend Erholung und Freizeit.

Mit dem Occupational Health and Safety Law (türkische Originalfassung, Stand: 20. Juni 2012, englische Übersetzung) hat die Türkei seit 2012 ein eigenes Arbeitsschutzgesetz. Dieses Gesetz ergänzt und konkretisiert die Vorschriften zum Arbeitsschutz aus dem Arbeitsgesetz von 2003 (Labour Act, türkische Originalfassung, Stand: 22. Mai 2003, englische Übersetzung). Sowohl das Arbeitsschutzgesetz als auch das Arbeitsgesetz regeln die Aufgaben und Befugnisse sowie die Rechte und Pflichten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern rund um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Das Arbeitsschutzgesetz gilt ausdrücklich für alle Werke und Arbeitsstätten sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor. In den Anwendungsbereich fallen die Arbeitgeber dieser Arbeitsstätten und ihre Vertreter, alle Arbeitnehmer, einschließlich der Auszubildenden und Praktikanten.

Beide Gesetze verpflichten Arbeitgeber dazu, die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Arbeit zu gewährleisten (zum Beispiel Brandbekämpfung oder Erste Hilfe). Dazu sollen sie jederzeit die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer erforderlichen Maßnahmen treffen. Dies schließt ebenfalls die Bereitstellung der dafür erforderlichen Organisation und Mittel ein. Den Arbeitgeber trifft auch eine gesetzliche Pflicht, die Einhaltung der am Arbeitsplatz getroffenen Maßnahmen zum Arbeitsschutz zu überwachen. Dieser Pflicht zur Überwachung kommt der Arbeitgeber dadurch nach, dass er die Maßnahmen zum Arbeitsschutz beispielsweise regelmäßig an den technischen Fortschritt anpasst oder eine kohärente allgemeine Präventionspolitik betreibt, die die Technologie, die Arbeitsorganisation sowie spezifische Arbeitsbedingungen berücksichtigt.

Das Arbeitsgesetz schreibt ebenfalls vor, dass in Betrieben ab 50 Arbeitnehmern, in denen mehr als 6 Monate lang ständig gearbeitet wird, ein Arbeitsschutzausschuss einzurichten ist. Ebenso müssen in diesem Fall ein oder mehrere Betriebsärzte im Betrieb beschäftigt sein sowie eine Gesundheitsabteilung eingerichtet werden.

Arbeitnehmer, die einer ernsten und unmittelbaren Gefahr ausgesetzt sind, können sowohl nach dem Arbeitsschutzgesetz als auch nach dem Arbeitsgesetz einen Antrag auf Feststellung einer bestehenden Gefahr am Arbeitsplatz und auf den Erlass von Sofortmaßnahmen stellen. Bei ernster, unmittelbar drohender und unvermeidbarer Gefahr hat wiederum der Arbeitnehmer die Pflicht, seinen Arbeitsplatz oder den Gefahrenbereich zu verlassen und sich an einen sicheren Ort zu begeben. Werden die erforderlichen Maßnahmen trotz Aufforderung durch den Arbeitnehmer nicht getroffen, so kann er seinen Arbeitsvertrag gemäß den geltenden gesetzlichen Bestimmungen kündigen. Zudem hat aber auch jeder Arbeitnehmer die Verantwortung, so weit wie möglich für seine eigene Sicherheit und Gesundheit sowie für die Sicherheit und Gesundheit anderer Personen in seinem Arbeitsumfeld zu sorgen. Die Überwachung und Kontrolle der Umsetzung dieser Gesetze erfolgt durch Inspektoren des türkischen Arbeitsministeriums, Verstöße können mit Bußgeldern geahndet werden. Informationen zu einschlägigen nationalen Policies und zum anwendbaren nationalen Recht sind in der Datenbank NATLEX (Database on national labour, social security and related human rights legislation) der ILO verfügbar: Browse by country.

Weiterführende Informationen zu Definition und rechtlichen Instrumenten bezüglich Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz bietet der Praxislotse Wirtschaft & Menschenrechte.

Risiken

Die Anzahl der Arbeitsunfälle in der Türkei ist hoch. Berichten zufolge gab es allein in den ersten sechs Monaten 2022 über 800 tödliche Arbeitsunfälle. Dies und nicht zuletzt das jüngste Grubenunglück in Amasra im Oktober 2022 zeigen, dass der betriebliche Arbeits- und Gesundheitsschutz einen Problembereich darstellt. Beobachtern zufolge gibt es zu wenig Kontrollen zur Einhaltung der gesetzlichen Regelungen zum Arbeitsschutz, insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen und zu wenig unangekündigte Kontrollen. Zudem sei die personelle Ausstattung und Qualifikation der Inspektoren angesichts der großen Anzahl an Unternehmen nicht ausreichend. Als besonders gefährdet für die Missachtung von Arbeitsschutz und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren gelten unter anderem der Berg- und Schiffsbau, die Metallindustrie, die Lederverarbeitung und Textilindustrie sowie die Baubranche. Vor allem auch in Bereichen, in denen ein großer Teil der Arbeitnehmer informell beschäftigt und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren ausgesetzt ist, weil die informelle Beschäftigung durch die Gesetze nicht ausreichend geschützt ist.

In der Landwirtschaft sind schlechte Unterbringungsbedingungen für Erntehelfer, Unterbezahlung und Lohnabzüge einige der Vorwürfe, die häufiger erhoben werden. In der türkischen Industrie wird beispielsweise Stahlschrott eingesetzt. Dieser wird importiert (vor allem aus den USA, Niederlanden, dem Vereinigten Königreich) oder lokal in Abwrackwerften gewonnen. Aliağa in der Provinz Izmir ist der wichtigste Standort der türkischen Abwrackwerften. Schlagzeilen machte die Abwrackung in der Vergangenheit schon wegen mangelnder Arbeitssicherheit, schlechter Arbeitsbedingungen und umweltschädlicher Recyclingprozesse. Insbesondere bei nicht EU-zertifizierten Werften scheint Vorsicht geboten. Aber auch in den für europäische Schiffe anerkannten Werften kam es schon zu Unfällen.

Angesichts komplexer Lieferketten ist auch nicht auszuschließen, dass Unternehmen beispielsweise über Importe ihrer Zulieferbetriebe von Rohstoffen oder Vorprodukten aus risikobehafteten Ländern mittelbar für die Missachtung von Arbeitsschutz und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren verantwortlich sind beziehungsweise darauf Einfluss nehmen könnten. Die Türkei importiert beispielsweise einen erheblichen Anteil der in der lokalen Industrie verwendeten Metalle. Bedeutende Lieferländer von Eisen und Stahl (SITC 67) waren 2022 gemessen am Wert Russland, China und Indien. NE-Metalle (SITC 68) lieferten insbesondere Russland, Kasachstan und Iran. Größter Lieferant von Metallwaren (SITC 69) war China. In der türkischen Textilindustrie werden ebenfalls importierte Rohstoffe und Vorprodukte eingesetzt. Große Lieferländer für textile Produkte (SITC 65) waren China, Indien, Usbekistan, Ägypten, Malaysia und Pakistan.

Um mögliche Risiken bei der Missachtung von Arbeitsschutz und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren in der Türkei zu ermitteln, können Unternehmen auf den CSR Risiko-Check zurückgreifen.

Präventions- und Abhilfemaßnahmen 

Die Deutsch-Türkische Auslandshandelskammer (AHK) bietet seit Sommer 2021 für lokale Zulieferer regelmäßig Informationsveranstaltungen zum LkSG an. Außerdem hat die AHK gemeinsam mit der Anwaltskanzlei Köksal & Partners eine türkische Veröffentlichung über das LkSG herausgebracht, in der es neben Informationen zur Gesetzeslage in Deutschland, auch eine Liste mit konkreten Umsetzungsempfehlungen für türkische Unternehmen gibt. Zudem plant die AHK deutsche Unternehmen und türkische Lieferanten gemeinsam mit dem TÜV Süd bei der Durchführung unabhängiger, lokaler Audits zu unterstützen. Die AHK hat bereits ein Pilotaudit zusammen mit der Kanzlei Köksal & Partners und dem TÜV Süd durchgeführt. Dabei hat die Kanzlei die rechtlichen Fragestellungen erarbeitet und überprüft und TÜV Süd unter anderem die Maßnahmen mit Bezug zu umweltbezogenen Risiken und Arbeitssicherheit.

Der Vision Zero Fund ist eine Multi-Stakeholder-Plattform, die gemeinsam mit Experten Trainings für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit in verschiedenen Lieferketten anbietet. Weiterführende Informationen zu Präventions- und Abhilfemaßnahmen hinsichtlich des Verbots der Missachtung des Arbeitsschutzes können über den Praxislotsen Wirtschaft & Menschenrechte unter Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz eingesehen werden.

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