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Ukraine bereitet sich auf Heizsaison vor

Mit Hochdruck versucht die ukrainische Regierung, die Energiewirtschaft des Landes winterfest zu machen. Doch die Gasspeicher füllen sich nur langsam.

Von Gerit Schulze | Berlin

Die nahende kalte Jahreszeit stellt die ukrainische Regierung vor große Herausforderungen bei der Energieversorgung. In der vergangenen Wintersaison verbrauchte die Ukraine 19,4 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Daher sollen die Speicher bis 1. Oktober 2022 mit 19 Milliarden Kubikmeter gefüllt sein. Doch das Ziel ist wegen der hohen Einkaufspreise in weite Ferne gerückt: Ende August 2022 lagerten 13 Milliarden Kubikmeter des Brennstoffs in den ukrainischen Kavernen.

Doch selbst bei vollen Speichern ist die Versorgung im Winter nicht garantiert. Kraftwerke, Pipelines und die eigenen Förderstätten könnten immer wieder unter russischen Beschuss geraten. Mitte September 2022 brachten russische Raketen die Energieversorgung in Charkiw zum Erliegen. Die Hauptstadt Kiew plant deshalb den Einsatz von mobilen Heizkesseln als Reserve, um an Schulen und Krankenhäusern mögliche Havarien zu überbrücken.

Verbrauch dürfte unter Vorjahresniveau sinken

Das Energieministerium geht davon aus, dass im Winter 2022/23 weniger Erdgas als im Vorjahr benötigt wird - konkret 11,7 Milliarden Kubikmeter. Schließlich sind immer noch rund 7 Millionen Geflüchtete im Ausland und fallen damit als Verbraucher weg.

Außerdem beginnt die Heizperiode später und endet früher, kündigte der Chef des staatlichen Energiekonzerns Naftogaz im Sommer 2022 an. Die Temperatur in Gebäuden werde nur bei 17 bis 18 Grad liegen und damit 4 Grad unter den üblichen Normwerten.

Nach Vorgaben des Regionalministeriums startet die Heizsaison, wenn die durchschnittliche Lufttemperatur an drei Tagen hintereinander auf 8 Grad und tiefer sinkt. Schulen, Kindergärten und medizinische Einrichtungen haben bei der Wärmeversorgung Vorrang. 

Feste Einkaufspreise für die Wärmeversorger

Am 19. Juli 2022 hatte die Regierung per Beschluss Nr. 812 angeordnet, die Gasversorgung der 605 Wärme erzeugenden Unternehmen im Land zu garantieren. Der Staatskonzern Naftogaz ist angewiesen, ausreichende Mengen des Brennstoffs zur Verfügung zu stellen. Der Versorger Naftogaz Trading darf bis 31. März 2023 maximal 10 Prozent weniger Gas liefern als in den ursprünglichen Verträgen vereinbart. Erdgas zur Wärme- und Warmwassererzeugung muss zu einem Höchstpreis von 7.420 Hrywnja (202 Euro, Wechselkurs am 9. September 2022: 1 Euro = 36,65 Hrywnja) je 1.000 Kubikmeter verkauft werden. Staatliche Einrichtungen sollen maximal 16.390 Hrywnja (447 Euro) zahlen. 

Gaslieferungen aus dem Westen sind unsicher

Derzeit verhandelt Kiew intensiv mit den europäischen Nachbarn über höhere Gaslieferungen. Seit 2014 bezieht die Ukraine kein Gas mehr direkt aus Russland, sondern kauft russisches Gas in der EU zu Marktpreisen ein. Laut Schätzungen der Regierung sind 3,4 Milliarden Euro von internationalen Gebern nötig, um die Gasversorgung im Winter bei stabilen Preisen für die Haushalte sicherzustellen. Der Gaskonzern Naftogaz hatte im Sommer bereits Kreditzusagen der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) erhalten, um Gasvorräte zu beschaffen. Auch Kanada und Norwegen stellen dafür Kreditlinien über mehrere Hundert Millionen Euro in Aussicht. Allerdings sind Gaslieferungen von den westlichen Nachbarn nicht garantiert, sobald dort Engpässe drohen.

Eine Alternative zu den Importen ist die Inlandsproduktion. Die Ukraine kann rund zwei Drittel ihres Bedarfs durch eigene Förderung decken, doch viele Lagerstätten liegen in Frontnähe oder in den von Russland okkupierten Gebieten.

Im 1. Halbjahr 2022 förderte das Land 9,3 Milliarden Kubikmeter Erdgas und damit 5 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Für das Gesamtjahr werden 16 Milliarden bis 19 Milliarden Kubikmeter erwartet. Der Inlandsverbrauch 2021 betrug 27 Milliarden Kubikmeter.

Neue Lagerstätten erhöhen Selbstversorgungsgrad

Die Ukraine treibt mit Hochdruck den Ausbau der eigenen Gasförderung voran. Naftogaz-Tochter Ukrgazvydobuvannya hat in den Regionen Charkiw und Poltawa Probebohrungen an zwei Lagerstätten in 6.000 Metern Tiefe gestartet. Dort könnten jeweils bis zu 120.000 Kubikmeter Erdgas pro Tag gefördert werden.


Expert Petroleum startete im September 2022 bei Lwiw die Förderung an einem eigentlich schon erschöpften Bohrloch. Dank moderner Technologie können dort täglich 115.000 Kubikmeter Erdgas gewonnen werden.

Ansturm auf Ölradiatoren und Heizlüfter

Da die Versorgung im Winter unsicher ist, decken sich die ukrainischen Haushalte mit Heizgeräten zur individuellen Wärmeerzeugung ein. Elektronikhändler berichten von einem rasanten Anstieg der Nachfrage nach Ölradiatoren, Konvektoren und Infrarotheizern. Auch Dieselgeneratoren und Brennstoffkessel sind gefragt.

Ein Teil dieser Geräte würde den Stromverbrauch im Land ansteigen lassen. Doch obwohl Russland etwa ein Drittel der Kraftwerkskapazitäten im Land besetzt hält, hat die Ukraine derzeit noch große Überschüsse bei der Stromerzeugung. Sie will daher noch mehr Strom in die EU verkaufen und kann dabei gutes Geld verdienen. Nach Angaben des staatlichen Strombörsenbetreibers liegen die Strompreise in Mittelosteuropa um das Sechsfache über den Werten der Ukraine. Während in Ungarn und der Slowakei die Großhandelspreise am 6. September 2022 über 480 Euro je Megawattstunde betrugen, mussten in der Ukraine nur 85 Euro gezahlt werden.

Mehr Stromexporte in die Nachbarländer

Bislang sind die Exportmöglichkeiten beschränkt. Ab 6. September 2022 erhöhte Verband der Europäischen Übertragungsnetzbetreiber ENTSO-E aber die erlaubten Kapazitäten leicht. Die Ukraine darf nun Richtung Slowakei und Rumänien tagsüber jeweils 150 Megawatt Strom liefern, nachts 125 Megawatt. Im Zeitraum 30. Juni bis 31. August 2022 hat der ukrainische Netzbetreiber Ukrenergo durch Stromexporte Erlöse von über 100 Millionen Euro erzielt. Zu Spitzenzeiten verdiente das Unternehmen 23.700 Hrywnja je Megawattstunde (647 Euro).

Laut Energieministerium wäre die Ukraine technisch schon jetzt in der Lage, Stromleistungen von bis zu 1.700 Megawatt ins ENTSO-E-Netz einzuspeisen. Besonders aktiv werden zurzeit die Übertragungsleitungen zwischen dem Kernkraftwerk Chmelnyzkyj und dem polnischen Umspannwerk Rzeszów ausgebaut. In der Richtung sollen bis Anfang 2023 Lieferungen von 1.000 Megawatt möglich sein. Aktuell beträgt die Kapazität 215 Megawatt.

Netzbetreiber Ukrenergo bekommt von der EBRD einen Kredit von 97 Millionen Euro, um neue Messsysteme für die Netzstabilität zu installieren und die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu optimieren.

Kiew will Nutzung von Biogas ausweiten

Die Regulierungsbehörde für den Energiesektor, NERC, hat am 2. August 2022 eine Verordnung zur Beimischung von Biogas erlassen. Sie erlaubt die Einspeisung von 0,2 Prozent Biomethan in das Gastransportsystem und von bis zu 1 Prozent Biomethan in das Gasverteilungssystem der Ukraine.


Rund 30 Erzeuger haben beim Netzbetreiber Gas TSO of Ukraine bereits einen Antrag auf Einspeisung gestellt. Experten der EBRD schätzen das Produktionspotenzial der Ukraine auf 10 Milliarden Kubikmeter Biogas jährlich. 


Das Unternehmen Chernihivgaz JSC will bis Jahresende 2022 das erste ukrainische Biogaswerk an das Gasverteilernetz anschließen und pro Stunde 330 Kubikmeter Biomethan einleiten.

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