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Agrarabkommen EU-Ukraine wird Modernisierungsschub auslösen
Das überarbeitete Handelsabkommen zwingt die Agrarwirtschaft bis 2028 zu neuen Investitionen – und eröffnet deutschen Anbietern Lieferchancen.
09.12.2025
Von Waldemar Lichter | Warschau
Am 29. Oktober 2025 trat das modernisierte Handelskapitel des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine in Kraft. Es ersetzt die kriegsbedingten, zoll- und quotenfreien "Autonomen Handelsmaßnahmen". Der bisherige Rahmen wird durch neue begrenzte Zollkontingente für ukrainische Agrarprodukte ersetzt, flankiert von Klauseln zum Schutz sensibler Sektoren in der EU.
Eine zentrale Komponente des Abkommens ist, dass erweiterte Marktzugänge an die schrittweise Angleichung der ukrainischen Produktionsstandards an EU-Normen gekoppelt sind. Die Ukraine verpflichtet sich, ihre Vorschriften zu Tierwohl, Pflanzenschutzmitteln und Tierarzneimitteln bis Ende 2028 an EU Produktionsstandards anzugleichen. Kyjiw muss dabei jährlich über Fortschritte berichten. Bei Nichterfüllung und Verstößen könnten die Zölle wieder angehoben werden.
Für die ukrainische Agrarwirtschaft bedeutet das: Ohne massive Investitionen könnte der Zugang zum wichtigsten Absatzmarkt der EU gefährdet sein. Exportorientierte Agroholdings erfüllen viele Anforderungen bereits. Nun müssen auch mittelgroße Betriebe ihre Produktionsverfahren an EU-Anforderungen anpassen. Die übernommenen Verpflichtungen dürften Investitionen von mehreren Milliarden Euro auslösen – in Tierwohl, Verarbeitung, Lagerung, Digitalisierung und Lebensmittelsicherheit.
In diese Bereiche müssen Investitionen fließen
Tierschutz und Stallinfrastruktur
Ab Januar 2026 treten neue ukrainische Tierschutzvorschriften in Kraft, die sich eng an EU Richtlinien orientieren. Sie schreiben schrittweise Gruppenhaltung, bessere Klima- und Hygienebedingungen sowie strengere Inspektionen vor. Tausende Betriebe müssen ihre Ställe umstellen sowie Lüftungs- und Fütterungssysteme modernisieren. Deutsche Unternehmen verfügen über etablierte Technologien in Bereichen wie Stallausstattung, automatisierte Fütterungsanlagen, Melkroboter und Klimakontrollsysteme.
Präzisionslandwirtschaft und Pflanzenschutz
Die EU-Verpflichtungen zur Pestizidkontrolle erfordern präzise, GPS-gesteuerte Ausbringungssysteme mit lückenloser Dokumentation. In der Ukraine werden bereits 8,4 Millionen Hektar mit Präzisionstechnologien bewirtschaftet. Für weitere Flächen bestünde Potenzial. Eine Reihe deutscher Hersteller zählt dabei zu führenden europäischen Anbietern bei GPS Technologie und automatisierten Traktoren.
Fleisch- und Milchverarbeitung
Rund 50 Prozent der ukrainischen Schweine werden auf kleinen Farmen geschlachtet. Diese Praxis wird nach vollständiger Angleichung an EU-Standards nicht mehr zulässig sein. Die Umsetzung der EU-Vorgaben zur Schlachtung von Tieren verlangt eine professionelle, EU-konforme Infrastruktur mit modernen Hygieneketten und Kühlung. Gleichzeitig muss der Milchsektor moderne Verarbeitungsanlagen nach EU-Standards aufbauen. Deutsche Anbieter können dafür Lösungen liefern, konkurrieren aber mit etablierten europäischen Wettbewerbern.
Laborausrüstungen und digitale Veterinärsysteme
Die Angleichung an EU-Normen verlangt regelmäßige Tests auf Pestizid- und Tierarzneimittelrückstände. Alle staatlichen und privaten Labore müssen nach ISO/IEC 17025 zertifiziert werden und ein erweitertes Analysespektrum abdecken. Gleichzeitig tritt am 1. März 2026 das neue ukrainische Veterinärgesetz in Kraft und verlangt einheitliche digitale Register für Tierarzneimittel sowie die Anbindung an europäische Systeme. Das bietet Chancen, denn Deutschland ist etablierter Anbieter von Laborausrüstungen und analytischen Instrumenten.
Lagerinfrastruktur und Getreidehandling
Die Kriegsschäden an Lagerinfrastruktur – Silos, Trocknungsanlagen, Umschlaganlagen – werden auf rund 1,9 Milliarden US-Dollar beziffert. Die landesweite Lagerkapazität ist infolge der Zerstörungen um etwa 20 Prozent gesunken. Gleichzeitig fordert die EU die Einhaltung strenger Standards für Lagerung, Trocknung und Qualitätsüberwachung von Agrarprodukten. Deutsche Anbieter können in diesem Bereich gute Lösungen vom Wareneingang bis zur Exportlogistik liefern. Sie konkurrieren aber mit italienischen und anderen europäischen Wettbewerbern.
Gute Wettbewerbsposition deutscher Anbieter
Deutsche Unternehmen verfügen in mehreren Bedarfsfeldern über ein gut etabliertes Technologieangebot. Das gilt für Laborausrüstung und analytische Instrumente, für Agrartechnik und Präzisionslandwirtschaft ebenso wie für Milchverarbeitungstechnik, Stallausrüstung und Getreidelagertechnik. Sie können mit hoher Qualität, Verfügbarkeit von Ersatzteilen und zuverlässigem Kundendienst punkten. Wichtigste Wettbewerber kommen aus den Niederlanden, Dänemark, Italien und Polen. Konkurrenten aus den USA und Israel fokussieren sich hingegen auf Software für digitale Landwirtschaft, Sensorik und Datenplattformen.
Finanzierungsinstrumente für deutsche Lieferanten
Deutschen Unternehmen stehen mehrere bewährte Finanzierungsinstrumente zur Verfügung, auch um Projekte im Agrarsektor trotz erhöhtem Risikos bankfähig zu machen. Die Exportkreditgarantien des Bundes (Euler Hermes) sichern politische und wirtschaftliche Risiken ab und ermöglichen großvolumige Lieferungen von Agrartechnik, Verarbeitungsanlagen oder Laborausrüstung. Die KfW IPEX-Bank bietet strukturierte Exportfinanzierungen direkt an ukrainische Abnehmer oder Lieferantenkredite zur Refinanzierung deutscher Hersteller. Durch Kooperation mit internationalen Finanzinstitutionen wie der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), der Europäischen Investitionsbank (EIB) und der Entwicklungssparte der Weltbank IFC werden Konsortialfinanzierungen und Risikoaufteilungen realisiert.
Parallel dazu bieten Weltbank und EBRD gezielte Programme mit Kreditlinien für Wiederaufbau und EU-Konformität. Der EU-Ukraine Investitionsrahmen nutzt Kombinationsinstrumente (Blending), um öffentliche und private Mittel zu kombinieren. Deutsche Unternehmen können sich an Projekten internationaler Finanzorganisationen beteiligen, Kunden bei Kreditbeantragung unterstützen oder mit lokalen Banken strukturierte Finanzierungen entwickeln.