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US-Verbraucher bestellen in der Coronakrise viel mehr Waren online und wollen sie nach Hause geliefert bekommen. Viele Start-ups entwickeln daher Lösungen für die letzte Meile.
24.08.2020
Von Heiko Steinacher | San Francisco
Für viele stationäre US-Einzelhändler, darunter Nordstrom, Macy's und Kohl, war die Ausbreitung von Covid-19 katastrophal. Sie mussten Geschäfte schließen und Mitarbeiter entlassen. Doch auch wenn der traditionelle Einkauf vieler Waren zum Erliegen kam, brummte bei einigen Händlern zumindest das Internetgeschäft.
So ging zum Beispiel bei American Eagle Outfitters in den letzten Monaten eine Flut von Onlinebestellungen ein. Ohne Investitionen in die Lagerlogistik hätte das Modeunternehmen aus Pittsburgh, Pennsylvania, die Lage wohl kaum in den Griff bekommen: zunächst nur in eine Handvoll mobile Lagerroboter, dann aber gleich in 26 weitere Roboter zur Stückkommissionierung. Sie arbeiten unter anderem mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) und sollen in allen US-Hauptvertriebszentren des Unternehmens eingesetzt werden. Zum Zuge kommt bei dem Geschäft der kanadische Anbieter Kindred Systems.
Bei IAM Robotics erhöht sich die Anzahl der Verkaufsgespräche in diesem Jahr schlagartig. „Viele Händler haben zu wenig investiert, um Onlinebestellungen direkt und schnell an Kunden ausliefern zu können“, sagt Tom Galluzzo, der Gründer und Vorstandsvorsitzende des Start-ups, das ebenfalls aus Pittsburgh kommt und autonome mobile Roboter herstellt. Der deutsche Logistikdienstleister DB Schenker hat vor rund zwei Jahren mit IAM Robotics eine Partnerschaft geschlossen.
Immer mehr Lebensmittel- und andere Einzelhändler setzen daher nun auf Micro Fulfilment Center: Das sind kleine, flexible Lager in stadtnahen Gebieten, die als Versorgungszentren für die sogenannte letzte Meile dienen. Zum Beispiel FreshDirect: Da die Nachfrage nach Hauslieferungen während der Pandemie rapide nach oben geschnellt ist, will der Online-Lebensmittelhändler aus New York in einem kleineren Lager außerhalb von Washington, D.C., eine automatisierte Micro-Fulfilment-Anlage des israelischen Start-up-Unternehmens Fabric errichten.
Dass ein großes Marktpotenzial in diesem Bereich besteht, zeigt auch eine Untersuchung von McKinsey & Company: Das meiste Wagniskapital für Logistik-Start-ups fließt laut der Beratungsgesellschaft jenen zu, die digitale Frachtplattformen und flexible Lösungen für die letzte Meile entwickeln. Darüber hinaus steigt die Nachfrage nach Ware-zu-Person-Kommissionierlösungen: Das Marktforschungsunternehmen Gartner rechnet in den nächsten drei Jahren mit einem zweistelligen Zuwachs.
Der boomende Onlinehandel wirkt sich auch auf den Immobilienmarkt aus: Hatten laut Jones Lang LaSalle (JLL) vor der Coronakrise nur etwa 35 Prozent aller industriellen Leasingverträge in den USA E-Commerce-Bezug, war es gegen Jahresmitte 2020 bereits rund die Hälfte. Das Immobilienberatungsunternehmen schätzt den landesweiten Bedarf an neuen Lagerflächen bis 2025 auf bis zu 93 Millionen Quadratmeter.
Ein Großnachfrager ist Amazon: Der Onlineversandhändler investiert im ganzen Land in neue Logistikzentren und Lieferstationen. Auch den Roboterautoentwickler Zoox will Amazon übernehmen – laut US-Medienberichten für mehr als 1,2 Milliarden US-Dollar (US$). Ob es dabei „nur“ um die Optimierung der eigenen Lieferlogistik geht oder darum, unabhängiger von großen Paketzustellern wie UPS oder DHL zu werden, ist indes unbekannt.
Auch für die Beschaffungslogistik in produzierenden Unternehmen haben die Störungen globaler Lieferketten im Zuge der Ausbreitung von Covid-19 Folgen: So beschlossen viele Unternehmen, ihre Sicherheitsbestände in den USA auf vier bis acht Wochen auszubauen. Solche, die mit starken Nachfrageschwankungen zu kämpfen haben, suchen nach Möglichkeiten, Lagerraum mit anderen Kunden zu teilen, um dadurch Kosten zu reduzieren.
Gleichzeitig gewinnen neue Technologien in der Lieferketten- und Lagerlogistik an Bedeutung. Vor allem Unternehmen mit globalen Logistikketten setzen stärker auf linguistische Datenverarbeitung und Algorithmen für maschinelles Lernen. Solche können unter anderem dabei helfen, Störungen oder schwache Glieder in Lieferketten aufzuspüren und auf diese Weise frühzeitig ihre Lieferanten zu diversifizieren. Oder mittels Echtzeitdaten zu Land-, See- und Luftfracht ihre Lagerbestände besser zu kontrollieren: So will zum Beispiel die Spedition Crane Worldwide Logistics aus Houston, Texas, ihre Kapazitäten zur Frachtverfolgung mithilfe vernetzter Geräte und von KI ausbauen.
Vor rund zwei Monaten hat sich das KI-Startup CognitOps aus Austin, Texas, das Software zur Optimierung der Lagerhaltung entwickelt, in einer Finanzierungsrunde 3 Millionen US$ gesichert. Laut dem Softwareunternehmen PitchBook summierten sich die Wagniskapitalinvestitionen in US-Technologieunternehmen, die robotergestützte Automatisierungslösungen für logistische Prozesse entwickeln, in den letzten fünf Jahren auf mehr als 1 Milliarde US$.
Auch deutsche Unternehmen sind in dem Bereich aktiv. „Unternehmen wie beispielsweise Cellumation (KI-gesteuerte Förderbandtechnologie), ForkOn (Flottenmanagement-Software für Gabelstapler) und Wiferion (kontaktloses Laden von Robotern und Industriefahrzeugen) arbeiten bereits mit Großkunden in Deutschland zusammen und überlegen sich jetzt, wie sie in die USA expandieren können“, sagte Andreas Hofmann, Leiter des German Accelerator Programms im Silicon Valley, neulich während eines gemeinsamen Webinars von Germany Trade & Invest und der AHK USA – San Francisco. Marketing und die Wahl des Vertriebswegs spielen dabei eine wichtige Rolle: „Der Direktverkauf an Mittelständler, so wie in Deutschland, funktioniert in den USA oft nicht – erfolgreich geht das hier oft nur über Distributoren.“