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Ausländisches Wirtschaftsrecht | Welt | Coronavirus

Welt: Coronavirus und Verträge

Die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus betrifft Staaten weltweit. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie sind enorm. Auch rechtliche Fragen stehen im Fokus.

Die durch die Covid-19-Pandemie von allen betroffenen Ländern veranlassten Beschränkungen belasten Unternehmen stark. Dies gilt in hohem Maße auch für Vertragsbeziehungen zwischen deutschen Unternehmen und ihren ausländischen Geschäftspartnern. Was tun, wenn Verträge nicht mehr wie vereinbart erfüllt werden können? Liegt bei der Pandemie ein Fall „höherer Gewalt" vor? Und wann ist eine Berufung auf „höhere Gewalt“ möglich?

Die Länderberichte zum Thema „Coronavirus und Verträge“ geben Ihnen - auf der Basis des jeweils nationalen Rechts - Antworten auf diese und weitere Fragen. 

GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

  • Ägypten: Coronavirus und Verträge

    Aktuell sind in Ägypten durch das sich ausbreitende Coronavirus viele Vertragsbeziehungen in Frage gestellt. Welche Antwort gibt das ägyptische Recht darauf?  

    Einleitung

    Auch Ägypten hat das Coronavirus fest im Griff. Dies wirkt sich unweigerlich auch auf den Geschäftsverkehr aus. Vor allem der für das Land so überlebensnotwendige Tourismussektor steht still. Aber auch viele Vertragsbeziehungen im internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehr mit Ägypten stehen daher nun aufgrund von unterbrochenen Lieferketten vor einer unklaren Zukunft. Welche Antwort gibt das ägyptische Recht, wenn eine Vertragserfüllung durch ein Ereignis wie den Ausbruch des Coronavirus nicht mehr wie vereinbart möglich ist oder gar gänzlich unmöglich geworden ist?

    Regelungen für besondere Umstände 

    Aktuell stehen in Ägypten aufgrund des sich ausbreitenden Coronavirus viele Vertragsbeziehungen vor einer ungewissen Zukunft. Während die Personenluftfahrt vorerst fast gänzlich wegbricht, ist auch der Warenfrachtverkehr per Luft nur noch mit Ausnahmeregelungen aufrechtzuerhalten. Das Land ist auf die wenigen Exportgüter (Früchte und Textilien) angewiesen. Bereits viele Lieferketten nach und innerhalb Ägyptens sind unterbrochen, sodass sich die Frage stellt, welche Antwort das ägyptische Recht auf ein unvorhergesehenes Ereignis wie den Ausbruch des Coronavirus gibt.

    Normativer Ansatz dafür ist Artikel 215 des ägyptischen Zivilgesetzbuches (ZGB). Danach schuldet die vertragsbrüchige Partei für die Nichterfüllung von Verträgen Schadensersatz. Es sei denn, diese Partei kann nachweisen, dass ihre Nichterfüllung auf einen Grund zurückzuführen ist, auf den sie keinen Einfluss hat. Dabei unterscheidet das ZGB zwischen dem „Härtefall“, geregelt in Artikel 147, und „höherer Gewalt“, festgeschrieben in Artikel 159 und 373 ZGB.

    Was ist ein "Härtefall"?

    Das ägyptische Zivilgesetzbuch definiert den Begriff des Härtefalls in Artikel 147 Absatz 1 ZGB als ein außergewöhnliches und unvorhersehbares Ereignis allgemeiner Art, das nach Vertragsschluss eingetreten ist und die Erfüllung eines Vertrages „belastet“. Ein Ereignis ist dabei außergewöhnlich und unvorhersehbar, wenn sein Eintreten selten und somit nicht gewöhnlich ist. Die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen gilt weiter dann als „belastet“, wenn diese zwar noch möglich, aber so nachteilig für die vertragsbrüchige Partei wäre, dass dieser schwere Verluste drohen würden. Absatz 2 des Artikel 147 ZGB sieht genau für diese Fälle eine Ausnahmeregelung vor:

    „Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und Abwägung der beidseitigen Interessen der Vertragsparteien kann das Gericht die vertraglich vereinbarte Verpflichtung des Schuldners anpassen, wenn nach Vertragsschluss ein außergewöhnliches unvorhersehbares Ereignis allgemeiner Natur eintritt, das die Erfüllung des Vertrages zwar nicht unmöglich macht, den Schuldner aber in einer Weise belastet, dass er die geschuldete Leistung nur mit erheblichen Einbußen erbringen kann.“

    Das Gesetz gibt dem Richter durch die Verwendung sogenannter unbestimmter Rechtsbegriffe viel Auslegungsspielraum. Ob ein Ereignis „unvorhersehbar“ ist, kann durchaus unterschiedlich beantwortet werden. Gewünscht ist dann sicherlich, dass ein Richter, je nach Tatbestand und nach den Interessen beider Parteien einen Ausgleich herbeiführt. Es ist aber ebenso vorstellbar, dass in Zeiten des Coronavirus in Ägypten gerichtlicher Schutz bei unterbrochenen Lieferketten an dem Begriff der Unvorhersehbarkeit scheitert. Abschließend sei noch erwähnt, dass Artikel 147 Absatz 2 ZGB eine dispositive Vorschrift darstellt, was bedeutet, dass auch im Bereich der Härtefallregelung individuelle Vertragsgestaltung möglich ist. Eine solche darf die Vorschrift aber natürlich nicht unterlaufen, indem beispielsweise der Schuldner dadurch schlechter gestellt würde, als es das Gesetz vorsieht.

    Höhere Gewalt

    Höhere Gewalt wird definiert als ein außergewöhnliches Ereignis, das nach Vertragsabschluss eintritt und zu diesem Zeitpunkt nicht vorhersehbar war und zugleich die Erfüllung des Vertrages unmöglich macht. Wie beim „Härtefall“ wird auch „höhere Gewalt“ durch externe Ereignisse ausgelöst, die außerhalb der Kontrolle der Vertragsparteien liegen. Anders als beim „Härtefall“ muss bei „höherer Gewalt“ das äußere Ereignis nicht zwingend von allgemeinem Charakter sein.

    Der Hauptunterschied zwischen „höherer Gewalt“ und einem „Härtefall“ besteht also darin, dass im Falle des Letzteren die Erfüllung des Vertrages noch möglich ist, aber zu belastenden Nachteilen für die vertragsbrüchige Partei führt. „Höhere Gewalt“ dagegen macht die Vertragserfüllung gänzlich unmöglich, wobei es hier auf die „objektive Unmöglichkeit“ ankommt. Ganz ähnlich wie im deutschen Recht, muss die Vertragserfüllung für jedermann ausgeschlossen sein. Das heißt auch ein Dritter darf die Vertragsverpflichtung nicht erfüllen können.

    Prozessuales

    Die Partei, die sich auf „höhere Gewalt“ oder einen „Härtefall“ berufen möchte, muss die konkreten, spezifischen Auswirkungen des jeweiligen Ereignisses vor Gericht nach- und beweisen. Es besteht also eine sogenannte Beweislast zulasten der vertragsbrüchigen Partei. Diese muss die Kausalität für den drohenden Nachteil durch Vertragserfüllung beziehungsweise die Unmöglichkeit der Vertragserfüllung durch den Eintritt des unvorhergesehenen Ereignisses darlegen. Mit einem abstrakten Hinweis auf den Coronavirus kommt man der Darlegungs- und Beweispflicht auch im ägyptischen Recht nicht nach.

    Ägypten hatte seit dem 16. März 2020 alle laufenden Gerichtsverfahren zunächst für die Dauer von zwei Wochen ausgesetzt. Eine mehrmalige Verlängerung dieser Maßnahme endete endgültig am 23. Mai 2020.

    Mehr zum Thema „Coronavirus und anwendbares Recht“:

    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

    Von Jakob Kemmer | Bonn

  • Armenien: Coronavirus und Verträge

    Vertragsparteien sollten eine Vertragsanpassung in Betracht ziehen. Die IHK Armeniens kann Force-Majeure-Zertifikate ausstellen. 

    Klauseln im Vertrag beachten

    Grenzüberschreitende Verträge beinhalten zumeist eine Klausel über höhere Gewalt (Force-Majeure). Solche Force Majeure-Klauseln nennen konkrete Tatbestände (z.B. Naturkatastrophen, Kriege etc.) und deren Folgen für die Vertragsabwicklung. Die Vertragsklauseln gehen den gesetzlichen Vorschriften vor und sind daher für die Auswirkung von Ausfällen oder Verzögerungen bei Warenlieferungen und Zahlungen auf die vertraglichen Verpflichtungen primär heranzuziehen. Zunächst wäre also zu fragen, ob die Vertragsklausel den Ausbruch einer Epidemie oder Pandemie sowie behördliche Anordnungen ausdrücklich regelt oder Begriffe enthält, die entsprechend ausgelegt werden können. Die Klausel kann eine Pflicht zur Benachrichtigung über die Umstände sowie die Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung vorsehen. Eine ausführliche Regelung von derartigen Situationen ist zu empfehlen.

    Vertragsanpassung in Erwägung ziehen

    Die Vertragsparteien sollten bei drohenden oder eingetretenen Störungen des Vertragsverhältnisses infolge der COVID19-Maßnahmen eine einvernehmliche Vertragsanpassung in Betracht ziehen, die einen Gang vors Gericht erspart. Dabei kann es sich beispielsweise um Verlängerung von Fristen für die Erfüllung vertraglicher Pflichten, Zahlungsaufschub und Nichtanwendung von Vertragsstrafen handeln.

    Anwendung des armenischen Rechts

    Normen des armenischen Rechts finden dann Anwendung, wenn der Vertrag eine entsprechende Rechtswahlklausel enthält oder mangels einer solchen die Regeln des Internationalen Privatrechts zur Geltung des armenischen Rechts führen, vor allem bei Importverträgen, die eine Lieferung aus Armenien nach Deutschland vorsehen. Zu beachten ist, dass Deutschland und Armenien Vertragsstaaten des UN-Kaufrechtsübereinkommens (CISG) sind. Daher finden Normen des armenischen Zivilgesetzbuches dann Anwendung, wenn die Vertragsparteien die Geltung des CISG ausgeschlossen haben oder das CISG keine Regelung enthält (z.B. Verjährungsfragen).

    Vorschriften des armenischen Rechts

    Gemäß Art. 417 Abs. 3 Zivilgesetzbuch (ZGB) haftet eine Person, die eine unternehmerische Tätigkeit ausübt, für Nicht- oder Schlechterfüllung ihrer Verpflichtungen, sofern sie nicht Beweis dafür erbringt, dass die ordnungsgemäße Erfüllung infolge von höherer Gewalt, d.h. von außerordentlichen und unabwendbaren Umständen, unmöglich geworden ist. Die Vorschrift stellt klar, dass Pflichtverletzungen seitens der Vertragspartner des Schuldners, das Fehlen von für die Erfüllung notwendigen Waren auf dem Markt sowie Geldmangel nicht zu solchen Umständen gehören.

    Die armenischen Gerichte haben drei Kriterien formuliert, die für eine Haftungsbefreiung nach Art. 417 Abs. 3 ZGB erfüllt sein müssen:

    ▪ höhere Gewalt muss als objektives Hindernis eine angemessene Erfüllung von vertraglichen Pflichten unmöglich machen;

    ▪ dieses Hindernis muss durch außerordentliche Umstände bedingt sein, d.h. durch äußere Einwirkung, die objektiv nicht auf den Willen von Rechtssubjekten zurückzuführen ist;

    ▪ Diese Einwirkung muss unabwendbar sein, d.h. angemessene und rechtmäßige Handlungen eines Rechtssubjekts reichen für die Überwindung dieser Hindernisse nicht aus.

    Haben sich Umstände, auf deren Grundlage der Vertragsabschluss zustande gekommen ist, schwerwiegend verändert, kann der Vertrag gemäß Art. 467 ZGB geändert oder aufgehoben werden, wenn sich aus dem Vertrag und seinem Wesen nichts anderes ergibt. Die Änderung von Umständen gilt als schwerwiegend, wenn sie sich derart verändert haben, dass die Parteien, sofern sie dies hätten vernünftigerweise vorhersehen können, den Vertrag zu ganz anderen Bedingungen oder gar nicht abgeschlossen hätten.

    Wenn die Vertragsparteien keine Einigung über eine Vertragsanpassung oder -aufhebung erzielt haben, kann die Aufhebung und Anpassung vor Gericht bei Vorliegen folgender Voraussetzungen beantragt werden:

    ▪ Die Parteien sind bei Vertragsschluss davon ausgegangen, dass eine solche Änderung der Umstände nicht eintritt;

    ▪ Die Änderung der Umstände erfolgte aus Gründen, die die betroffene Vertragspartei bei Anwendung der nach Vertrag und Verkehrssitte erforderlichen Sorgfalt nicht überwinden konnte;

    ▪ Die Vertragserfüllung würde das Verhältnis der wirtschaftlichen Interessen der Vertragsparteien stören und die betroffene Partei derart benachteiligen, dass sie den beim Vertragsschluss erwarteten Vorteil im Wesentlichen verlieren würde;

    ▪ Aus dem Wesen des Vertrages und den Handelsbräuchen folgt nicht, dass die einschlägige Partei das Risiko der Änderung der Umstände trägt.

    Nach Art. 339 ZGB ist die Verjährung gehemmt, wenn die Rechtsverfolgung aufgrund höherer Gewalt unmöglich war. Ab dem Tag, an dem der Umstand höherer Gewalt nicht mehr besteht, läuft die Verjährungsfrist weiter.

    Zertifikat über Umstände höherer Gewalt

    Bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Armeniens kann ein Zertifikat über das Vorliegen von Umständen höherer Gewalt beantragt werden (armenisch / russisch / englisch). Bei Antragstellung ist eine Kopie des Vertrages beizufügen. Das Datum des Vertragsschlusses und die Force-Majeure-Klausel im Vertrag sind dabei von besonderer Bedeutung. Die IHK entscheidet innerhalb von fünf Werktagen über die Ausstellung eines Zertifikats oder Ablehnung des Antrages.

    Die IHK Armeniens definiert Umstände höherer Gewalt als außerordentliche und unüberwindbare Fälle und Umstände, die unabhängig vom Willen der Vertragsparteien entstanden sind und die Pflichterfüllung seitens der Vertragsparteien trotz entsprechender Bemühungen verhindert haben. Dazu zählen: Pandemien und Epidemien, außerordentliche und unüberwindbare Fälle und Umstände infolge von Natur- und technologischer Katastrophen, Erdbeben, Streiks, Unruhen, Terroranschläge, Aufstände, Unterbrechung der Gasversorgung etc.


    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

    Von Dmitry Marenkov | Bonn

  • Aserbaidschan: Coronavirus und Verträge

    Das Recht Aserbaidschans verwendet den Begriff der "höheren Gewalt", definiert diesen jedoch nicht eindeutig. Eine Vertragsanpassung sollte in Betracht gezogen werden.

    Vertragliche Klauseln gehen vor

    Grenzüberschreitende Verträge enthalten meist eine Klausel über höhere Gewalt (Force-Majeure), die einzelne Tatbestände (z.B. Naturkatastrophen) und deren Folgen für die Vertragsabwicklung aufzählen. Die Vertragsklauseln gehen den gesetzlichen Bestimmungen vor und sind folglich hinsichtlich Auswirkung von Ausfällen oder Verzögerungen bei Warenlieferungen und Zahlungen primär heranzuziehen. Zunächst wäre daher zu fragen, ob die Klausel den Ausbruch einer Epidemie oder Pandemie sowie behördliche Anordnungen ausdrücklich regelt oder Begriffe enthält, die entsprechend ausgelegt werden können. Es ist grundsätzlich erforderlich, kurzfristig die Gegenseite über die Umstände und deren konkreten Auswirkungen auf die vertraglichen Verpflichtungen zu informieren sowie Maßnahmen zur Risiko- und Schadensminimierung zu treffen.

    Anwendbares Recht

    Vorschriften des aserbaidschanischen Rechts finden dann auf deutsch-aserbaidschanische Verträge Anwendung, wenn der Vertrag eine entsprechende Rechtswahlklausel enthält oder mangels einer Rechtswahlklausel die Regeln des Internationalen Privatrechts zur Geltung des aserbaidschanischen Rechts führen. Dies ist insbesondere bei Importverträgen, die eine Lieferung aus Aserbaidschan nach Deutschland vorsehen, der Fall. Zu beachten ist, dass Aserbaidschan und Deutschland Vertragsstaaten des UN-Kaufrechtsübereinkommens (CISG, UN-Kaufrecht) sind. Daher finden Normen des aserbaidschanischen Zivilgesetzbuches („Mülki Məcəllə“, im Folgenden: ZGB, aserbaidschanisch / russisch / englisch) nur Anwendung, wenn die Vertragsparteien die Geltung des CISG ausgeschlossen haben oder das CISG keine Regelung enthält (z.B. Verjährungsfragen). Im UN-Kaufrecht ist insbesondere Art. 79 zu beachten.

    Regelungen im aserbaidschanischen Recht

    Gemäß Art. 448.4 ZGB haftet ein Schuldner nicht für eine Pflichtverletzung, sofern er nachweisen kann, dass die Pflichtverletzung aus einem Umstand resultiert, den er nicht zu verantworten hat und dass er bei Vertragsschluss einen solchen Umstand oder seine Abwendung oder die Beseitigung der entsprechenden Folgen nicht vorhersehen konnte. Der Schuldner ist verpflichtet, unverzüglich den Gläubiger über das Vorliegen eines solchen Umstandes und die Folgen für die Erfüllbarkeit der vertraglichen Verpflichtungen zu informieren. Wenn der Gläubiger keine solche unverzügliche Mitteilung erhält, haftet der Schuldner für die dadurch beim Gläubiger entstandenen Schäden.

    Nach Art. 379 ZGB ist die Verjährung gehemmt, wenn die Rechtsverfolgung aufgrund höherer Gewalt unmöglich war. Ab dem Tag, an dem der Umstand der höheren Gewalt nicht mehr besteht, läuft die Verjährungsfrist weiter.

    Haben sich Umstände, auf deren Grundlage der Vertragsabschluss zustande gekommen ist, schwerwiegend verändert, kann der Vertrag gemäß Art. 422 ZGB mit Zustimmung der Parteien geändert oder aufgehoben werden, sofern der Vertrag nichts anderes vorsieht. Die Änderung von Umständen gilt als schwerwiegend, wenn sie sich derart verändert haben, dass die Parteien, sofern sie dies hätten vernünftigerweise vorhersehen können, den Vertrag gar nicht oder zu ganz anderen Bedingungen abgeschlossen hätten. Wenn die Vertragsparteien keine Einigung über eine Vertragsanpassung oder -aufhebung erzielt haben, kann die Anpassung und Aufhebung vor Gericht bei Vorliegen folgender Voraussetzungen beantragt werden:

    ▪ Die Parteien sind zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses davon ausgegangen, dass eine solche Änderung der Umstände nicht eintritt;

    ▪ Die Änderung der Umstände ist auf Gründe zurückzuführen, die die betroffene Vertragspartei bei Anwendung der nach Vertragscharakter und Verkehrssitte erforderlichen Sorgfalt nicht überwinden konnte;

    ▪ Die Vertragserfüllung würde das Verhältnis der wirtschaftlichen Interessen der Vertragsparteien stören und die betroffene Partei derart benachteiligen, dass sie den beim Vertragsschluss erwarteten Vorteil im Wesentlichen verlieren würde;

    ▪ Aus den Handelsbräuchen und dem Wesen des Vertrages folgt nicht, dass die einschlägige Partei das Risiko der Änderung der Umstände trägt.

    In seiner Entscheidung vom 7. September 2018 hat es das Verfassungsgericht Aserbaidschans beispielsweise abgelehnt, den Kursverfall der nationalen Währung als eine schwerwiegende Änderung der Umstände im Sinne des Art. 422 ZGB anzuerkennen. Das Gericht führte aus, dass das Risiko von Währungsschwankungen den Teilnehmern des Wirtschaftsverkehrs bekannt sein müsse.

    Vertragsanpassung in Erwägung ziehen

    Mangels einer einheitlichen Definition oder Erläuterung des Begriffs „höhere Gewalt“ kann es hinsichtlich der Frage, ob es sich bei den Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus um Umstände höherer Gewalt handelt, zu Streitigkeiten kommen. 
    Die Vertragspartei, die nicht oder nicht rechtzeitig leisten kann, wird Beweis erbringen müssen, dass der Grund dafür unmittelbar in der Verhängung von COVID19-Maßnahmen liegt. Sie wird auch die fehlende Vorhersehbarkeit (hier kommt es auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an) und die Unüberwindbarkeit sowie die rechtzeitige Benachrichtigung und die Vornahme von Maßnahmen zur Risikoverhinderung bzw. -minimierung beweisen müssen. 
    Zu beachten ist, dass Force-Majeure-Umstände nicht komplett von der Leistungspflicht entbinden. Der Schuldner bleibt verpflichtet, nach dem Wegfall dieser Umstände seine Leistung (z.B. Warenlieferung oder Zahlung) zu erbringen.
    Die Vertragsparteien sollten bei drohenden oder eingetretenen Störungen des Vertragsverhältnisses infolge der COVID19-Maßnahmen eine einvernehmliche Vertragsanpassung in Betracht ziehen, die einen Gang vors Gericht erspart. Dabei kann es sich beispielsweise um Verlängerung von Fristen für die Erfüllung vertraglicher Pflichten, Zahlungsaufschub und Nichtanwendung von Vertragsstrafen handeln.

    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte berichten wir in unserem Themenspecial.

    Von Dmitry Marenkov | Bonn

  • Äthiopien: Coronavirus und Verträge

    Das Land hat sich zuletzt zu einem wichtigen Handelspartner in Ostafrika entwickelt. Was passiert nun, wenn Verträge aufgrund der Coronakrise nicht mehr erfüllt werden können?

    Einleitung

    Äthiopien hat, wie viele andere afrikanische Länder, frühzeitig harte Maßnahmen ergriffen. So wurden zeitweise die Schulen geschlossen und öffentliche Veranstaltungen verboten. Auch Reisen wurden eingeschränkt und die Grenzen für den Personenverkehr geschlossen. Diesbezügliche Einschränkungen bestehen weiterhin und können unter anderem einen verpflichtenden Covid19-Test oder eine zwingende Quarantäne umfassen. Die zum Reisezeitpunkt geltenden Maßnahmen sind abhängig vom jeweiligen Infektionsgeschehen und können sich kurzfristig ändern. Bei einer geplanten Reise ist es daher unerlässlich, sich regelmäßig über die aktuellen Bestimmungen zu informieren. 

    Die einschneidenden Beschränkungen des öffentlichen Lebens und die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie können bei vielen Unternehmen dazu führen, dass sie ihre Verträge nicht mehr erfüllen können. Daher stellt sich vielen die Frage: Was ist zu tun, wenn Verträge nicht mehr eingehalten werden können?

    Was sehen die vertraglichen Regelungen vor?

    Sofern eine Prüfung des anwendbaren Rechts zum Ergebnis kommt, dass äthiopisches Recht anwendbar ist, gilt nach dem dortigen Vertragsrecht, wie in vielen Rechtssystemen, die Vertragsfreiheit. Demnach können die Parteien grundsätzlich frei bestimmen, was in ihrem Vertrag geregelt wird, solange sie sich an die gesetzlichen Grundlagen halten. Das bedeutet, dass auch in Äthiopien die Möglichkeit besteht, eine höhere Gewalt-Klausel, auch force majeure-Klausel genannt, im Vertrag zu vereinbaren. Daher sollte man zunächst einen Blick in den bestehenden Vertrag werfen.

    Gegenstand derartiger Klauseln sind regelmäßig Definitionen von Ereignissen höherer Gewalt, häufig auch mit einer beispielhaften Liste. Vertragliche Regelungen sehen darüber hinaus überwiegend vor, dass zwischen dem Ereignis höherer Gewalt und der Nichterfüllung ein kausaler Zusammenhang gegeben sein muss.

    Was sagt das äthiopische Recht zu höherer Gewalt?

    Auch das äthiopische Recht enthält Regelungen zu höherer Gewalt. Diese sind auf alle Verträge anwendbar, für die äthiopisches Recht gilt. Auch auf Verträge, in denen eine höhere Gewalt-Klausel vereinbart wurde, können die gesetzlichen Regelungen insofern anwendbar sein, als im Vertrag nichts Genaueres geregelt wurde.

    Was höhere Gewalt ist, wird in Art. 1792 des äthiopischen Zivilgesetzbuches (Ethiopian Civil Code) definiert. Danach ist höhere Gewalt ein Ereignis, das für eine durchschnittliche Person unvorhersehbar ist und die Leistungserbringung unmöglich macht. Die Leistungserbringung darf nicht allein für den Schuldner unmöglich sein, sondern niemand darf die Leistung erbringen können. Kein Ereignis höherer Gewalt liegt vor, wenn die Vertragserfüllung lediglich erschwert wird.

    In Art. 1793 des äthiopischen Zivilgesetzbuches werden beispielhaft Ereignisse aufgezählt, die nach äthiopischem Recht höhere Gewalt sein können. Hierzu gehören Naturkatastrophen, Handlungen Dritter oder Bürgerkriege. Das Coronavirus dürfte sich noch am besten unter den Begriff offizielle Verbote, die die Erfüllung eines Vertrages unmöglich machen, subsumieren lassen. Zulässig wäre es jedoch auch, dass ein Gericht das Coronavirus als Ereignis höherer Gewalt anerkennt, obwohl es unter keinen der Begriffe in der Liste des Art. 1793 des äthiopischen Zivilgesetzbuches fällt.

    Ereignisse, die nach äthiopischem Recht in jedem Fall nicht als höhere Gewalt gesehen werden, sind in Art. 1794 des äthiopischen Zivilgesetzbuches aufgezählt. Dazu gehören Streiks, gesunkene oder gestiegene Preise für Rohstoffe, die für die Erfüllung des Vertrages notwendig sind sowie die Verabschiedung neuer Gesetze, sofern die Vertragserfüllung hierdurch lediglich erschwert wird.

    Kann der Leistungserbringer erfolgreich ein Ereignis höherer Gewalt geltend machen, so wird er von der Haftung für durch die Nichterfüllung entstandene Schäden befreit. Die andere Partei hat das Recht, den Vertrag gemäß Art. 1788 des äthiopischen Zivilgesetzbuches aufzulösen.

    Vertragsauflösung bei Unmöglichkeit

    Nach derzeitigem Stand kann nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass das Coronavirus von äthiopischen Gerichten als ein Ereignis höherer Gewalt  anerkannt wird. Sofern dies nicht der Fall ist, bleibt dennoch die Möglichkeit, einen Vertrag gemäß Art. 1787 oder 1788 des äthiopischen Zivilgesetzbuches aufzulösen. Voraussetzung dafür ist, dass die Vertragserfüllung entweder unmöglich geworden, der Leistungserbringer nach Fristsetzung in Verzug geraten ist oder sich durch die Nichterfüllung der Charakter des Vertrages grundlegend geändert hat.

    Rechtsfolge einer derartigen Vertragsauflösung ist allerdings, dass derjenige, der den Vertrag nicht erfüllen kann, für die durch die Nichterfüllung entstandenen Schäden haftet.

    UN-Kaufrecht

    Äthiopien hat das Übereinkommen zum UN-Kaufrecht nicht ratifiziert. Nichtsdestotrotz ist es möglich, dass auf einen Vertrag mit einem äthiopischen Geschäftspartner das UN-Kaufrecht anwendbar ist.

    Mehr zu diesem und zum Thema „Coronavirus und anwendbares Recht“:

    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

    Von Katrin Grünewald | Bonn

  • Belarus: Coronavirus und Verträge

    Die Vertragsparteien sollten eine Vertragsanpassung in Erwägung ziehen. Staatliche Maßnahmen können im Einzelfall als Force-Majeure-Umstände anerkannt werden. 

    Vertragliche Klauseln gehen vor

    Grenzüberschreitende Verträge enthalten meist eine Klausel über höhere Gewalt (Force-Majeure), die konkrete Tatbestände (z.B. Naturkatastrophen) und deren Folgen für die Vertragsabwicklung aufzählen. Die Vertragsklauseln gehen den gesetzlichen Bestimmungen vor und sind folglich hinsichtlich Auswirkung von Ausfällen oder Verzögerungen bei Warenlieferungen und Zahlungen primär heranzuziehen. Zunächst wäre daher zu fragen, ob die Klausel den Ausbruch einer Epidemie oder Pandemie sowie behördliche Anordnungen ausdrücklich regelt oder Begriffe enthält, die entsprechend ausgelegt werden können. Die Klausel kann eine Pflicht zur Benachrichtigung über die Umstände sowie die Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung verlangen.

    Anwendbares Recht

    Vorschriften des belarussischen Rechts finden dann auf deutsch-belarussische Verträge Anwendung, wenn der Vertrag eine entsprechende Rechtswahlklausel enthält oder mangels einer Rechtswahlklausel die Regeln des Internationalen Privatrechts zur Geltung des belarussischen Rechts führen. Dies ist z.B. bei Importverträgen, die eine Lieferung aus Belarus nach Deutschland vorsehen, der Fall. Zu beachten ist, dass Belarus und Deutschland Vertragsstaaten des UN-Kaufrechtsübereinkommens (CISG) sind. Daher finden Normen des belarussischen Zivilgesetzbuches (ZGB, russisch / englisch) nur Anwendung, wenn die Vertragsparteien die Geltung des CISG ausgeschlossen haben oder das CISG keine Regelung enthält (z.B. bei Verjährungsfragen). 

    Regelungen im belarussischen Recht

    Sofern vertraglich nichts anderes vereinbart ist, haftet eine Person, die eine unternehmerische Tätigkeit ausübt, gemäß Art. 372 ZGB für Nicht- oder Schlechterfüllung ihrer Verpflichtungen, sofern sie nicht Beweis dafür erbringt, dass die ordnungsgemäße Erfüllung infolge von höherer Gewalt, d.h. von außerordentlichen und unabwendbaren Umständen, unmöglich geworden ist.

    Nach Art. 203 ZGB ist die Verjährung gehemmt, wenn die Rechtsverfolgung aufgrund höherer Gewalt unmöglich war. Ab dem Tag, an dem der Umstand der höheren Gewalt nicht mehr besteht, läuft die Verjährungsfrist weiter.

    Haben sich Umstände, auf deren Grundlage der Vertragsabschluss zustande gekommen ist, schwerwiegend verändert, kann der Vertrag gemäß Art. 421 ZGB mit Zustimmung der Parteien geändert oder aufgehoben werden. Die Änderung von Umständen gilt als schwerwiegend, wenn sie sich derart verändert haben, dass die Parteien, sofern sie dies hätten vernünftigerweise vorhersehen können, den Vertrag gar nicht oder zu ganz anderen Bedingungen abgeschlossen hätten.

    Wenn die Vertragsparteien keine Einigung über eine Vertragsanpassung oder -aufhebung erzielt haben, kann die Anpassung und Aufhebung vor Gericht bei Vorliegen folgender Voraussetzungen beantragt werden:

    ▪ Die Parteien sind zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses davon ausgegangen, dass eine solche Änderung der Umstände nicht eintritt;

    ▪ Die Änderung der Umstände ist auf Gründe zurückzuführen, die die betroffene Vertragspartei bei Anwendung der nach Vertrag und Verkehrssitte erforderlichen Sorgfalt nicht überwinden konnte;

    ▪ Die Vertragserfüllung würde das Verhältnis der wirtschaftlichen Interessen der Vertragsparteien stören und die betroffene Partei derart benachteiligen, dass sie den beim Vertragsschluss erwarteten Vorteil im Wesentlichen verlieren würde;

    ▪ Aus dem Wesen des Vertrages folgt nicht, dass die einschlägige Partei das Risiko der Änderung der Umstände trägt.

    Belarussische Gerichte stufen die Verhängung eines Verfügungsverbots für eine insolvente Vertragspartei und Anordnungen von staatlichen Stellen, die die Durchführung und die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit des Vertrages beeinflussen, als schwerwiegende Änderungen ein. Dagegen erfüllen eine schwierige finanzielle Lage einer Vertragspartei, Änderungen des Währungswechselkurses sowie die Tatsache, dass ein Rechtsgeschäft infolge von Inflation für eine Vertragspartei zu einem Verlustgeschäft wird, nicht die Voraussetzungen.

    Eine Beendigung von vertraglichen Pflichten ist auch nach Art. 376, 286, 387 ZGB denkbar.

    Zertifikat über Umstände höherer Gewalt

    Der beweisbelastete Schuldner kann bei der Belarussischen Handels- und Industriekammer (IHK) die Ausstellung eines Zertifikates, das das Vorliegen von Umständen höherer Gewalt in Belarus im Zusammenhang mit einem grenzüberschreitenden Vertrag bestätigt, beantragen. Dabei sind die einzelnen vertraglichen Pflichten, die unzureichend oder gar nicht erfüllt wurden, die Handlungen der Vertragsparteien bei der Vertragsabwicklung in chronologischer Reihenfolge sowie das Ereignis, das zur Nicht- oder Schlechterfüllung geführt hat, darzustellen. Dem Antrag ist eine beglaubigte Kopie des Vertrages samt Anhänge sowie Informationen über die bereits erfüllten Vertragsverpflichtungen beizufügen. Ein solches Zertifikat kann als Beweismittel verwendet werden, hat jedoch keine bindende Wirkung in einem Gerichts- oder Schiedsverfahren.

    Corona-Pandemie als Umstand höherer Gewalt?

    Die IHK Belarus betont, dass die Corona-Pandemie als solche keinen allgemeinen Force-Majeure-Einwand darstellt. Vielmehr wird für jeden einzelnen Vertrag entschieden, ob die nach Vertragsschluss eingeführten Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus für die Erfüllung von Verpflichtungen aus einem konkreten Vertrag als Umstand höherer Gewalt anerkannt werden können.

    Als Force-Majeure-Umstände können grundsätzlich staatliche Maßnahmen (z.B. Regierungsverordnungen), die auf die Beschränkung von Lieferungen sowie des freien Waren- und Arbeitnehmerverkehrs oder Grenzschließungen gerichtet sind, anerkannt werden. Dagegen gelten Währungsschwankungen, Einnahmeverluste, u.a. infolge von vorübergehender Unternehmensschließung, sowie höhere Transportkosten in der Regel nicht als Umstände höherer Gewalt.

    Wichtig ist auf jeden Fall, dass die Vertragspartei, die infolge solcher Umstände ihre vertraglichen Pflichten nicht erfüllt, die Gegenpartei innerhalb einer angemessenen Frist darüber benachrichtigt.


    Von Dmitry Marenkov | Bonn

  • Brasilien: Coronavirus und Verträge

    Die COVID-19-Pandemie hat in Brasilien weitreichende wirtschaftliche Folgen und beeinträchtigt insbesondere auch laufende Vertragsbeziehungen.

    Einleitung

    Die Bedrohung durch das neuartige Coronavirus (COVID-19) beeinträchtigt die globale Wirtschaft massiv und erschwert Unternehmen die tägliche Arbeit.

    In diesem Rahmen ist in rechtlicher Hinsicht für die Unternehmen eine der zentralen Fragen, wie ihre Rechte und Pflichten in Bezug auf Verträge aussehen, die sie aufgrund der COVID-19-Pandemie möglicherweise nur teilweise oder gegebenenfalls gar nicht mehr erfüllen können.

    Das brasilianische Recht beinhaltet verschiedene Rechtsinstitute, die die Nichterfüllung von vertraglichen Verpflichtungen unter Umständen rechtfertigen beziehungsweise die betroffene Vertragspartei von einer etwaigen Haftung befreien können. In diesem Zusammenhang gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass die Anwendbarkeit der entsprechenden Vorschriften stets eine Frage des konkreten Einzelfalls ist.

    Höhere Gewalt-Klausel in Verträgen

    Im brasilianischen Recht gilt das Prinzip der Vertragsfreiheit (Art. 421 brasilianisches Zivilgesetzbuch: „liberdade de contratar“), das neben der Abschlussfreiheit auch die Gestaltungsfreiheit von Verträgen beinhaltet. Die Gestaltungsfreiheit wird in Art. 425 des brasilianischen Zivilgesetzbuches sogar ausdrücklich erwähnt und findet ihre Grenzen in den zwingenden Regelungen des Schuldrechts (direito das obrigações), der sozialen Funktion des Vertrages (Art. 421 brasilianisches Zivilgesetzbuch) und dem Prinzip von Treu und Glauben (Art. 422 brasilianisches Zivilgesetzbuch). Mithin besteht für Vertragsparteien die Möglichkeit auch atypische Verträge zu schließen, wenn sie dabei die allgemeinen Regelungen des Zivilgesetzbuches beachten.

    Ausdruck der Gestaltungsfreiheit ist unter anderem, dass brasilianische Verträge oftmals eine Klausel über „höhere Gewalt“ enthalten. Der Rechtsbegriff der „höheren Gewalt“ ist Bestandteil vieler Verträge weltweit. In der Regel identifiziert der Begriff unvorhersehbare Ereignisse, die außerhalb der Kontrolle der Vertragsparteien liegen und die Erfüllung der vertraglichen Pflichten unmöglich machen und befreit im Rahmen einer entsprechenden Klausel, die betroffene Vertragspartei von ihrer Haftung.

    Im Gegensatz zu vielen anderen Rechtsordnungen erkennt das brasilianische Zivilgesetzbuch den Begriff der „höheren Gewalt“ an (siehe: Art. 393 brasilianisches Zivilgesetzbuch). Das brasilianische Recht unterteilt den Begriff in zwei Kategorien: „höhere Gewalt“ (força maior) und „zufällige Ereignisse“ (caso fortuito). Von der „höheren Gewalt“ sind Ereignisse umfasst, die ihren Ursprung in der Natur haben zum Beispiel Überschwemmungen oder Erdbeben. „Zufällige Ereignisse“ sind Ereignisse, die ihren Ursprung in einer menschlichen Handlung haben zum Beispiel Kriege oder Streiks. In beiden Fällen muss das Ereignis unvorhersehbar oder schwer vorhersehbar sein. Ferner dürfen sich die Auswirkungen des Ereignisses nicht vermeiden lassen haben. Die von dem Ereignis betroffene Vertragspartei kann für die aus dem Ereignis resultierenden Verluste der anderen Vertragspartei nicht haftbar gemacht werden, es sei denn, die Haftung ist ausdrücklich festgelegt worden.

    Extreme Verschiebung des Gleichgewichts der Leistungen

    Das brasilianische Recht regelt in drei Vorschriften (Art. 478, 479, 480 brasilianisches Zivilgesetzbuch) die richterliche Korrektur von Verträgen, die sich nachträglich als für eine Vertragspartei extrem belastend herausstellen (onerosidade excessiva). In der Regel sind hiervon Dauerschuldverhältnisse betroffen oder Austauschverträge, die nicht unmittelbar nach Vertragsschluss erfüllt werden.

    Als vorrangiges Instrument für Verträge, die sich im Nachhinein als für eine Vertragspartei extrem belastend erweisen, sieht das brasilianische Recht die Vertragsauflösung gemäß Art. 478 brasilianisches Zivilgesetzbuch vor. Hinsichtlich dessen gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass das Gesetz in Art. 479 des brasilianischen Zivilgesetzbuches eine Verfahrensweise zur Verfügung stellt, die zur Vertragsanpassung führen kann. Die beklagte Vertragspartei beziehungsweise die Vertragspartei, die sich einer Auflösungsklage der belastenden Vertragspartei gegenübersieht, kann die Auflösung des Vertrages abwenden, indem sie eine Vertragsanpassung vorschlägt, die das wirtschaftliche und finanzielle Gleichgewichtig zwischen Leistung und Gegenleistung, das die Parteien bei Vertragsschluss ausgehandelt haben, annähernd wiederherstellt. Teilweise wird in diesem Zusammenhang die Ansicht vertreten, dass ein entsprechender Vertragsanpassungsvorschlag auch von Seiten des Klägers zum Zeitpunkt der Erhebung der Auflösungsklage erfolgen kann.

    Die Voraussetzungen der richterlichen Vertragsanpassung beziehungsweise der Vertragsauflösung sind in Art. 478 brasilianisches Zivilgesetzbuch geregelt. Das Ereignis, das zur extremen Verschiebung des Gleichgewichts der Leistungen geführt hat, muss außergewöhnlich und unvorhersehbar gewesen sein sowie im Erfüllungszeitpunkt zu einer Sachlage führen, die sich erheblich von derjenigen unterscheidet, die bei Vertragsschluss bestand. Als Resultat dessen muss die Leistungsverpflichtung für eine Vertragspartei extrem belastend geworden sein, wodurch für die andere Vertragspartei zugleich ein extremer Vorteil entstanden ist.

    Der Anwendungsbereich des Art. 478 brasilianisches Zivilgesetzbuch erstreckt sich nicht auf sogenannte aleatorische Verträge (contratos aleatórios), bei denen die Voraussetzungen der Leistungserbringung vom zufälligem Eintritt künftiger Ereignisse abhängen (zum Beispiel Lebensversicherungen).

    Der Art. 480 brasilianisches Zivilgesetzbuch bezieht sich auf einseitig verpflichtende Verträge und ist daher in der Regel für den kommerziellen Bereich von eher geringer Bedeutung. 


    Mehr zum Thema „Coronavirus und anwendbares Recht“:

    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

    Von Jan Sebisch | Bonn

  • Chile: Coronavirus und Verträge

    Die Covid-19-Pandemie hat in Chile weitreichende wirtschaftliche Folgen und beeinträchtigt insbesondere auch laufende Vertragsbeziehungen.

    Einleitung

    Die Bedrohung durch das neuartige Coronavirus beeinträchtigt die globale Wirtschaft massiv und erschwert Unternehmen die tägliche Arbeit.

    In diesem Rahmen ist in rechtlicher Hinsicht für die Unternehmen eine der zentralen Fragen, wie ihre Rechte und Pflichten in Bezug auf Verträge aussehen, die sie aufgrund der Covid-19-Pandemie möglicherweise nur teilweise oder gegebenenfalls gar nicht mehr erfüllen können.

    Grundsätzlich können Ausbrüche von Krankheiten oder Seuchen einen Fall „Höherer Gewalt“ darstellen. Der Rechtsbegriff der „Höheren Gewalt“ ist Bestandteil vieler Verträge weltweit. In der Regel identifiziert der Begriff unvorhersehbare Ereignisse, die außerhalb der Kontrolle der Vertragsparteien liegen und die Erfüllung der vertraglichen Pflichten unmöglich machen, und befreit im Rahmen einer entsprechenden Klausel die betroffene Vertragspartei von ihrer Haftung.

    Dieser Bericht erläutert, wie das chilenische Recht mit diesem Themenkomplex umgeht. Im Gegensatz zu vielen anderen Rechtsordnungen erkennt das chilenische Zivilgesetzbuch (Código Civil de Chile) den Begriff der „Höheren Gewalt“ an.

    Der Código Civil de Chile definiert den Begriff der höheren Gewalt

    Das chilenische Zivilgesetzbuch definiert den Begriff der höheren Gewalt in Artikel 45. In diesem Rahmen unterteilt das chilenische Recht den Begriff in zwei Kategorien: „Höhere Gewalt“ (fuerza mayor) und „zufällige Ereignisse“ (caso fortuito). Die Unterscheidung dieser beiden Begriffe ist nur theoretisch von Bedeutung und spielt in der Praxis keine Rolle. In der praktischen Anwendung werden die beiden Begriffe gleichgesetzt. Demnach handelt es sich bei höherer Gewalt um ein unvorhersehbares Ereignis dem nicht widerstanden werden kann. Als Beispiele nennt der Artikel 45 des chilenischen Zivilgesetzbuches Schiffsbruch, Erdbeben, die Festnahme durch Feinde und Amtshandlungen von öffentlichen Bediensteten.

    Auf der Grundlage des Artikels 45 des chilenischen Zivilgesetzbuches geht die chilenische Rechtsprechung davon aus, dass eine von einem unvorhersehbaren Ereignis betroffene Vertragspartei von ihren vertraglichen Verpflichtungen befreit wird, wenn das unvorhersehbare Ereignis außerhalb der Kontrolle der Vertragsparteien liegt, die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen aufgrund des unvorhersehbaren Ereignisses unmöglich geworden ist und die betroffene Vertragspartei alles in ihrer Macht Stehende getan hat um die Auswirkungen des unvorhersehbaren Ereignisses zu mildern. Ferner ist erforderlich, dass die betroffene Vertragspartei mit aller gebotenen Sorgfalt und ohne Verschulden gehandelt hat. Zum Beispiel darf sich die betroffene Vertragspartei nicht schon vor dem Eintritt des unvorhersehbaren Ereignisses mit der Erbringung der Leistung im Verzug befinden.

    In diesem Zusammenhang gilt es zu berücksichtigen, dass die Anwendbarkeit des Artikels 45 des chilenischen Zivilgesetzbuches stets eine Frage des konkreten Einzelfalls ist.

    Abgesehen von dem im chilenischen Zivilgesetzbuch verankerten Grundsatz der höheren Gewalt finden sich im chilenischen Recht kaum Rechtsinstitute, die eine von der Covid-19-Pandemie betroffene Vertragspartei von ihren vertraglichen Verpflichtungen befreien könnte. In der chilenischen Rechtslehre wird teilweise die sogenannte „Theorie der Unvorhersehbarkeit“ (Teoría de la imprevisión) vertreten. Diese sieht vor, dass, wenn sich Verträge nachträglich - und ohne absolut unmöglich zu werden - für eine Vertragspartei aufgrund eines unvorhersehbaren Ereignisses als übermäßig belastend herausstellen, die betroffene Vertragspartei von ihren vertraglichen Verpflichtungen befreit wird. Die Theorie der Unvorhersehbarkeit ist allerdings bisher auf wenig Akzeptanz in der chilenischen Rechtsprechung gestoßen. Dies liegt vor allen Dingen daran, dass sie im Gegensatz zum Begriff der höheren Gewalt nicht im chilenischen Zivilgesetzbuch normiert ist.

    Höhere Gewalt-Klausel in Verträgen

    Im chilenischen Recht gilt wie im deutschen Recht das Prinzip der Vertragsfreiheit. Ausdruck der Vertragsfreiheit ist unter anderem, dass chilenische Verträge oftmals eine Klausel über „Höhere Gewalt“ enthalten (sogenannte Force-Majeure-Klauseln). Der Vorteil einer etwaigen im Vertrag vorhandenen Force-Majeure-Klausel gegenüber der gesetzlichen Regelung besteht darin, dass Force-Majeure-Klauseln in einer Vielzahl von Fällen eine genaue und abschließende Aufzählung der Ereignisse enthalten, die als höhere Gewalt gelten. Im konkreten Einzelfall können somit Auslegungsschwierigkeiten vermieden werden.

    Sofern eine Vertragspartei ihre vertraglichen Verpflichtungen in Folge der Covid-19-Pandemie nicht erfüllen kann, sollte die betroffene Vertragspartei den Vertag genau lesen und prüfen, ob der Vertrag eine Force-Majeure-Klausel enthält. In vielen Fällen ist die Anwendbarkeit der Klausel allerdings an bestimmte Bedingungen geknüpft. Zum Beispiel kann eine Klausel vorsehen, dass die andere Vertragspartei unverzüglich über das unvorhersehbare Ereignis und dessen Auswirkungen auf die geschuldete Leistung informiert wird. Ferner verlangen viele Klauseln von der betroffenen Partei, dass diese nachweist, dass sie alles wirtschaftlich Zumutbare unternommen hat, um ihre vertraglichen Pflichten, trotz des Vorliegens des unvorhersehbaren Ereignisses, zu erfüllen.

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    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial. 

    Von Jan Sebisch | Bonn

  • China: Coronavirus und Verträge

    Die Coronapandemie wirkt sich auch auf bestehende deutsch-chinesische Vertragsbeziehungen aus. Können Verträge nicht erfüllt werden, wird die Berufung auf "höhere Gewalt" erwogen.

    Einleitung

    Was passiert, wenn Unternehmen vertragliche Verpflichtungen nicht mehr erfüllen können? Entstehen Schadensersatzansprüche oder kann es sich um höhere Gewalt handeln mit der Folge der Haftungsbefreiung? Stets kommt es dabei auf den Einzelfall an (Vereinbarungen, lokale Gegebenheiten etc.).

    Bei einem bestehenden grenzüberschreitenden Vertrag wäre vorab zu prüfen, welchem Recht er unterliegt (Rechtswahlklausel?). Nachfolgend werden spezifische Aspekte des chinesischen Rechts erläutert.

    Der Begriff der "höheren Gewalt" im chinesischen Recht  

    Mit Inkrafttreten des Zivilgesetzbuches (ZGB; Gesetzestext auf Chinesisch, Englisch) am 1. Januar 2021 wurden bisherige Einzelgesetze aufgehoben. War die Definition von "force majeure" zuvor in Art. 117 Vertragsgesetz, in Art. 153 der Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts sowie in Art. 180 des Allgemeinen Teils des Zivilrechts aus 2017 zu finden, so ist nunmehr ein Blick in das ZGB (Allgemeiner Teil) zu werfen.

    Die Begriffsbestimmung ist allerdings gleich geblieben: Nach Art. 180 ZGB meint "höhere Gewalt" (不可抗力) "objektive Umstände, die unvorhersehbar, unausweichlich und unüberwindbar sind" (Abs. 2). Ist eine Pflichterfüllung deswegen nicht möglich, kommt es grundsätzlich zu einer Haftungsbefreiung, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist (Abs. 1).

    Prüfen: Ist eine Force Majeure-Klausel im Vertrag enthalten?

    Da die Parteien abweichende vertragliche Vereinbarungen treffen können, sollte unbedingt zuerst der Vertrag daraufhin untersucht werden, ob er  - wie meist - eine Klausel zur höheren Gewalt enthält und diese dann genau geprüft werden: Wird der Begriff definiert und wenn ja, wie? Bei welchen Ereignissen soll höhere Gewalt bejaht werden? Fallen Epidemien darunter? Sind auch Ereignisse aufgeführt, die keinen Fall höherer Gewalt darstellen? Ist die Aufzählung von Ereignissen abschließend?

    Der Vertragsschluss muss bereits vor Eintritt des Ereignisses höherer Gewalt erfolgt sein.

    Insbesondere für Unternehmen mit Sitz in China (auch ausländisch investierte Unternehmen) wurde im Frühjahr 2020 die Möglichkeit geschaffen, unter anderem beim China Council for the Promotion of International Trade (CCPIT) ein "Force Majeure-Zertifikat" über eine Online-Plattform zu beantragen. Es bestätigt vor allem das tatsächliche Bestehen bestimmter behördlicher Anordnungen. Mit diesen Zertifikaten kann also noch nicht das Vorliegen von höherer Gewalt nachgewiesen werden, dennoch sollen sie in Verhandlungen mit dem Geschäftspartner hilfreich sein.

    Was sind die Rechtsfolgen, wenn ein Fall höherer Gewalt vorliegt?

    Auch dazu ist erst die vertraglich vereinbarte Force Majeure-Klausel in den Blick zu nehmen: Sind besondere Bedingungen vorgesehen wie Benachrichtigungs- oder Nachweispflichten oder Fristen einzuhalten? Vorgesehene Rechtsfolge kann zum Beispiel Haftungsbefreiung sein.

    Das ZGB sieht im 8. Kapitel zur Haftung bei Vertragsverletzungen in Art. 590 ZGB vor, dass, wenn eine Partei aufgrund höherer Gewalt den Vertrag nicht erfüllen kann, sie von der Haftung dem Einfluss der höheren Gewalt entsprechend ganz oder teilweise ausgenommen ist, es sei denn, es ist gesetzlich etwas anderes bestimmt. Erforderlich ist eine unverzügliche Mitteilung der betroffenen Partei an die andere Vertragspartei, um Schäden zu mindern, die dieser möglicherweise entstehen. Zudem hat sie Nachweise für das Vorliegen höherer Gewalt innerhalb einer angemessenen Frist vorzulegen. Ist eine Partei aber beim Eintritt der höheren Gewalt mit ihrer Leistungserfüllung bereits in Verzug, wird sie nach Art. 590 Abs. 2 ZGB nicht von der Haftung befreit.

    Artikel 563 Abs. 1 Nr. 1 ZGB sieht vor, dass die Parteien den Vertrag kündigen können, wenn sich der Zweck des Vertrages wegen höherer Gewalt nicht erreichen lässt.

    Voraussetzung ist also ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen höherer Gewalt und entstandener Unmöglichkeit der Erfüllung (Kausalität).

    Berufung auf "Störung der Geschäftsgrundlage"?

    Wird das Vorliegen höherer Gewalt bzw. die Unmittelbarkeit verneint, kann mit dem Ziel der Vertragsanpassung unter Umständen die "Störung der Geschäftsgrundlage" geltend gemacht werden.

    Diesbezüglich konnte man früher lediglich Art. 26 der "Auslegung des Obersten Volksgerichts zur Anwendung des Vertragsgesetzes (II) (Fa Shi [2009] No. 5)" heranziehen. Darin geht es um den Eintritt einer "grundlegenden Änderung der objektiven Umstände nach Vertragsschluss".

    Im ZGB wurde die Rechtsfigur der "Störung der Geschäftsgrundlage" in Art. 533 ZGB mittlerweile erstmals kodifiziert: Treten nach Vertragsschluss schwerwiegende Änderungen bei wesentlichen Vertragsbedingungen ein, die die Parteien bei Vertragsschluss nicht vorhersehen konnten und die nicht zum unternehmerischen Risiko zählen, wodurch das Festhalten am Vertrag für eine Vertragspartei offensichtlich unfair ist, kann die benachteiligte Partei mit der anderen erneut verhandeln.

    Gelingt die Nachverhandlung binnen einer angemessenen Frist nicht, können die Parteien vom Volksgericht oder einer Schiedsinstitution Vertragsanpassung oder –auflösung verlangen. Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalles hat dann das Volksgericht oder die Schiedsstelle nach dem Gerechtigkeitsgrundsatz den Vertrag zu ändern oder aufzulösen.

    Ausblick

    Hinsichtlich Zivilverfahren mit Bezug zur Coronapandemie hatte das Oberste Volksgericht im April, Mai und Juni 2020 "Guiding Opinions of the Supreme People's Court on the Issues of Properly Hearing Civil Cases involving the COVID-19 Pandemic in Accordance with the Law" herausgegeben, die sich unter anderem auch mit dem Thema "höhere Gewalt" befassen (siehe: Leitmeinungen Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3 auf Chinesisch; auf Englisch).

    Bei der Gestaltung künftiger Verträge ist an eine Force Majeure-Klausel zu denken, wobei besonderes Augenmerk auf die Definition der höheren Gewalt und die konkreten Rechtsfolgen gerichtet werden sollte.

    Hinweis: Dieser Rechtsbericht wurde erstmals am 30. März 2020 veröffentlicht und zuletzt aktualisiert im Januar 2023.

    Von Julia Merle | Bonn

  • Dänemark: Coronavirus und Verträge

    Die anhaltende Corona-Pandemie birgt weitreichende wirtschaftliche Probleme  - auch für die deutsch-dänischen Beziehungen. Viele Verträge werden nicht wie geplant durchführbar sein.

    Einleitung

    Die Pandemie und die mit ihr einhergehenden Beschränkungen belasten vor allem Unternehmen stark. Die dänische Regierung hat daher bereits diverse Maßnahmen ergriffen, um die wirtschaftlichen Folgen abzumildern. Auch für Grönland wurden Hilfsmaßnahmen beschlossen. Doch welche Auswirkungen hat die Covid-19-Pandemie auf Vertragsbeziehungen?

    Individualvertragliche Regelungen

    Viele internationale Verträge enthalten eine sogenannte Force Majeure- beziehungsweise Höhere Gewalt-Klausel. In solchen Fällen geht diese den gesetzlichen Bestimmungen vor.

    Was genau individualvertraglich unter höherer Gewalt zu verstehen ist, ist häufig durch vertragliche Konkretisierung festgelegt. Maßgeblich zur rechtlichen Einschätzung ist daher ein direkter Blick in den Vertrag, denn oftmals sind dort explizit Anwendungsfälle genannt. Ist einer dieser Anwendungsfälle einschlägig, so erleichtert dies die Berufung auf das Vorliegen höherer Gewalt. Zusätzlich ist aber auch erforderlich, dass das Ereignis höherer Gewalt in dem spezifischen vertraglichen Kontext die Erfüllung unmöglich macht oder die betroffene Partei in unangemessener Weise belastet.

    Ob die durch die Coronakrise verursachte Situation ein Ereignis höherer Gewalt darstellt, hängt im Ergebnis von der jeweiligen Ausgestaltung einer entsprechenden Klausel und den individuellen Umständen ab. Demnach hat eine konkrete Betrachtung des Einzelfalles zu erfolgen, eine pauschale Beantwortung ist nicht möglich.

    Höhere Gewalt im dänischen Recht

    Ergänzend oder für den Fall, dass der Vertrag keine Regelung zur höheren Gewalt enthält, ist auf die gesetzlichen Bestimmungen zurückzugreifen. Im Allgemeinen wird höhere Gewalt als ein von außen einwirkendes und unerwartetes Ereignis definiert, das nicht abgewendet werden kann und das eine Vertragspartei an der Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen hindert. Voraussetzung für die Annahme höherer Gewalt sind somit Unvorhersehbarkeit und Unabwendbarkeit des Ereignisses.

    Im dänischen Recht wird allgemein die Auffassung vertreten, dass höhere Gewalt als Grund für eine Haftungsbefreiung geltend gemacht werden kann - auch wenn eine entsprechende Klausel nicht im Vertrag enthalten ist. Dies geht zurück auf die Regelung in § 24 des dänischen Gesetzes über den Verkauf von Waren (Købeloven). Voraussetzung ist jedoch, dass sich die Parteien vertraglich nicht explizit gegen die Geltung des Rechtskonstrukts der höheren Gewalt ausgesprochen haben. Zudem wenden die dänischen Gerichte höhere Gewalt nur sehr restriktiv an.

    Eine rein „wirtschaftliche höhere Gewalt“ wird von den dänischen Gerichten im Allgemeinen abgelehnt. In einem solchen Fall ist die Vertragserfüllung zwar grundsätzlich noch möglich, sie stellt aber eine finanziell erheblich höhere Belastung als ursprünglich angenommen für eine der Parteien dar. Ohne Vorliegen weiterer Umstände kommt es in diesem Fall regelmäßig nicht zur Vertragsauflösung.

    Die Partei, die sich auf höhere Gewalt beruft, muss nachweisen können, dass die Vertragserfüllung infolge des COVID19-Ausbruchs unmöglich war. Zudem trifft sie eine Meldepflicht gegenüber ihrer Vertragspartei, dass die Leistung infolge höherer Gewalt nicht vertragsgemäß erbracht werden kann.

    Fazit

    Um die Auswirkungen der Verbreitung des Coronavirus auf Vertragsbeziehungen einschätzen zu können, ist es wichtig, den konkreten Vertrag genau zu prüfen. Enthält dieser eine Klausel zu höherer Gewalt, so kann diese mit bestimmten Informationspflichten gegenüber dem Vertragspartner (oftmals in Verbindung mit einem Fristerfordernis) versehen sein.

    Enthält der Vertrag keine Force Majeure-Klausel, so kennt aber auch das dänische Recht Ereignisse höherer Gewalt. Ob die Corona-Pandemie als ein solches anzusehen ist, hängt von einer Einzelfallbetrachtung ab.

    Mehr zum Thema „Coronavirus und anwendbares Recht“:

    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

    Von Nadine Bauer | Bonn

  • Frankreich: Coronavirus und Verträge

    Aufgrund der engen deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen unterliegen viele Verträge dem französischen Recht. Was passiert, wenn die Vertragserfüllung beeinträchtigt wird?

    Einleitung

    Frankreich ist erheblich von dem Coronavirus betroffen, und die Regierung hat einschneidende Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung verabschiedet. Auch wenn es seit einiger Zeit vorsichtige Lockerungen gibt, bleiben Störungen im Geschäftsbetrieb. Störungen in deutsch-französischen Vertragsbeziehungen können natürlich auch aus in Deutschland oder in anderen Ländern geltenden Beschränkungen folgen. Die Erbringung von Leistungen kann unmöglich oder deutlich schwieriger werden. Dieser Bericht erläutert, wie das französische Recht mit diesem Thema umgeht.   

    Der Code Civil regelt die höhere Gewalt

    Das französische Zivilgesetzbuch, der Code Civil (im Folgenden: C.C.) regelt das Thema der höheren Gewalt (französisch: „force majeure“) in Artikel 1218. Höhere Gewalt liegt demnach vor, wenn die Erbringung einer vertraglich vereinbarten Leistung durch ein Ereignis, das außerhalb der Kontrolle des Schuldners liegt, die Erbringung dieser Leistung verhindert. Weiterhin setzt force majeure voraus, dass das Ereignis nicht vernünftigerweise vorhersehbar war und dass seine Auswirkungen auf den Vertrag nicht durch geeignete Maßnahmen abgewendet werden können. Eine Erschwerung der Leistungserbringung genügt nicht, die Erbringung muss unmöglich sein.   

    Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, kommt es im Hinblick auf die Rechtsfolgen darauf an, ob das Hindernis vorübergehend oder dauerhaft besteht.

    Handelt es sich um ein dauerhaftes Hindernis, dann wird der Vertrag von Rechts wegen beendet, Artikel 1351 C.C. Daraus wiederum folgt, dass die Parteien von der Erfüllung der im Vertrag versprochenen Leistungen befreit werden, auch Schadensersatz wird nicht geschuldet. Eine Ausnahme hiervon gilt, wenn der Schuldner der Leistung die Leistung gleichwohl versprochen hat oder in Verzug gesetzt wurde.

    Handelt es sich hingegen um ein vorübergehendes Hindernis, so ist die Erfüllung der vertraglichen Pflichten lediglich suspendiert, es sei denn, die Verspätung rechtfertigt die Beendigung des Vertrages.    

    Es sind Fälle denkbar, in denen Konsequenzen der Coronavirus-Pandemie durchaus einen Fall höherer Gewalt konstituieren können. Französische Gerichte waren zwar bei in der Vergangenheit liegenden Epidemien eher zurückhaltend bei der Feststellung höherer Gewalt, allerdings sind die durch die aktuelle Pandemie verursachten Einschränkungen so stark, dass hier eine andere Beurteilung denkbar scheint.

    Kann hilfsweise eine „Störung der Geschäftsgrundlage“ in Betracht kommen?

    Wenn eine Berufung auf höhere Gewalt nicht in Betracht kommt, kann eventuell eine Störung der Geschäftsgrundlage (Imprévision) vorliegen. Diese ist in Frankreich in Artikel 1195 C.C. geregelt.

    Wenn eine Änderung der Umstände, die bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar war, die Erfüllung für eine Partei übermäßig belastend macht, und wenn diese Partei nicht im Vertrag ein solches Risiko ausdrücklich auf sich genommen hat, dann kann diese Partei die andere Partei auffordern, den Vertrag neu zu verhandeln. Während der Verhandlungen muss der Vertrag allerdings weiter erfüllt werden. Scheitern die Verhandlungen, so können die Parteien den Vertrag beenden oder einem Gericht vorlegen, damit dieses den Vertrag anpasst. Scheitert auch dies im Konsens, kann das Gericht den Vertrag auf Antrag einer Partei anpassen oder auch beenden.   

    Die Voraussetzungen des Artikel 1195 C.C. sind allerdings ebenfalls streng. Das höchste französische Gericht hat beispielsweise entschieden, dass eine Erhöhung von Preisen eines Produzenten, die beim Großhändler zu einer um 58 Prozent geringeren Marge führt, nicht per se übermäßig belastend ist und daher keine Störung der Geschäftsgrundlage darstellt. Außerdem ist zu beachten, dass Artikel 1195 C.C. vertraglich ausgeschlossen werden kann. Es sollte also vor einer Berufung auf diese Vorschrift auf jeden Fall genau der Vertrag studiert werden.

    In vielen Verträgen finden sich Vereinbarungen zur höheren Gewalt

    In vielen Verträgen nach französischem Recht gibt es Regelungen, die den Themenbereich der Unmöglichkeit oder Erschwerung vertraglich geschuldeter Leistungen betreffen. Neben - oder anstelle von - Klauseln zu höherer Gewalt oder Störung der Geschäftsgrundlage kann es beispielsweise so genannte „Material Adverse Change“ - Klauseln geben.

    Der große Vorteil der Vertragsklauseln gegenüber den gesetzlichen Regelungen: häufig haben solche Klauseln genaue Definitionen der konkreten Ereignisse, die als höhere Gewalt oder Störung der Geschäftsgrundlage gelten sollen. Oft enthalten sie sogar eine Aufzählung, in der konkrete Ereignisse genannt sind, die als höhere Gewalt gelten sollen. Und manchmal sind die Aufzählungen sogar abschließend. In vielen Fällen sind Epidemien oder Pandemien übrigens in diesen Aufzählungen enthalten. So können sich Auslegungsschwierigkeiten vermeiden lassen.

    Wer mit durch das Coronavirus verursachten Problemen bei der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen zu tun hat, sollte also den betroffenen Vertrag zunächst genau lesen. Wegen der Vielzahl der möglichen Klauseln verbieten sich konkrete Ausführungen. Nur einige Punkte, die in fast allen Klauseln geregelt sind: häufig gibt es Mitteilungspflichten des Schuldners an den Gläubiger der Leistung. Diese Pflichten sollten unbedingt beachtet werden. Fast immer gibt es das Erfordernis von Kausalität zwischen dem äußeren Ereignis, das die Unmöglichkeit hervorruft, und der Unmöglichkeit der konkreten Leistungserbringung. Und sehr häufig gibt es die Pflicht, die Auswirkungen der Unmöglichkeit zu minimieren, so gut es geht.

    Fast immer sind die Leistungsschuldner, also diejenigen, die sich auf die Unmöglichkeit berufen, beweispflichtig dafür, dass die Voraussetzungen des Tatbestandes der Unmöglichkeit vorliegen. Dies gilt sowohl bei vertraglichen als auch bei gesetzlichen Regelungen der Unmöglichkeit.  

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    Von Karl Martin Fischer | Bonn

  • Ghana: Coronavirus und Verträge

    Das Land in Westafrika ist ein wichtiger Markt in Subsahara-Afrika. Was passiert nun, wenn Verträge aufgrund der Coronavirus-Pandemie nicht eingehalten werden können?

    Einleitung

    Auch in Ghana steigen die Fallzahlen des Coronavirus kontinuierlich. Die Regierung hat, wie in anderen afrikanischen Ländern, bereits bei offiziell relativ niedrigen Fallzahlen drastische Maßnahmen ergriffen. So wurde der internationale Flughafen in Accra für mehrere Monate geschlossen und für bestimmte Gebiete eine zweiwöchige Ausgangssperre verhängt.

    Trotz Lockerungen gelten bis heute Einschränkungen, die es zum Teil schwierig machen, bestehende Verträge zu erfüllen. Immer häufiger stellt sich die Frage: Welche rechtlichen Konsequenzen hat die Nichterfüllung eines Vertrages? 

    Höhere Gewalt-Klausel im Vertrag

    Die meisten Verträge enthalten eine höhere Gewalt-Klausel, auch force majeure-Klausel genannt. Wer sich also aufgrund der Beschränkungen zur Bekämpfung des Coronavirus in einer Situation wiederfindet, in der die Erfüllung eines Vertrages unmöglich geworden ist, sollte zunächst im bestehenden Vertrag nachschauen, ob eine höhere Gewalt-Klausel vorhanden ist.

    Ob die Coronakrise unter eine solche Klausel fällt, ist auch abhängig von der jeweiligen Formulierung und dem anwendbaren Recht. Ein Orientierungsbeispiel bietet die Musterklausel der Internationalen Handelskammer (ICC Force Majeure Clause 2020), deren Geltung vertraglich vereinbart werden kann.

    Sofern eine Prüfung des anwendbaren Rechts ergeben hat, dass ghanaisches Recht anwendbar ist, gilt insgesamt, dass bei sehr allgemein gehaltenen Klauseln, die lediglich auf Ereignisse höherer Gewalt, im englischsprachigen Raum auch acts of God genannt, verweisen, die Coronakrise nicht unbedingt als Ereignis höherer Gewalt eingeordnet werden kann. Denn einige Gerichte verstehen unter dem Begriff acts of God lediglich Wirbelstürme, Erdbeben und ähnliche Naturkatastrophen.

    Sofern die Klausel jedoch konkreter formuliert ist und beispielsweise auf Regierungsakte (acts of government) oder sogar Epidemien oder Pandemien hinweist, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die durch das Coronavirus ausgelösten Beschränkungen ein Ereignis höherer Gewalt im Sinne einer vertraglichen Klausel darstellen.

    Kausalität zwischen höherer Gewalt und Nichterfüllung

    Eine weitere Voraussetzung für die Anwendbarkeit einer höhere Gewalt-Klausel ist in der Regel, dass es zwischen dem Ereignis höherer Gewalt und der Nichterfüllung des Vertrages einen kausalen Zusammenhang gibt. Die Nichterfüllung muss somit unmittelbar auf die durch die Coronakrise hervorgerufenen Beeinträchtigungen zurückzuführen sein. Nach neuerer Rechtsprechung ist es, je nach Formulierung der Klausel, außerdem erforderlich, dass die Nichterfüllung ausschließlich auf Beschränkungen zurückzuführen ist, die zur Bekämpfung des Coronavirus erlassen wurden. Es darf danach kein weiterer Grund hinzukommen, weswegen die Vertragserfüllung unmöglich ist.

    Die ICC-Musterklausel sieht zudem vor, dass eine Mitteilung über die Unmöglichkeit der Leistung durch die leistungspflichtige Partei an die andere Partei erfolgt. Hierfür kann der Vertrag eine Frist vorsehen.

    Liegen die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit einer vertraglichen Klausel vor, so folgt daraus regelmäßig, dass die Parteien von ihren vertraglichen Pflichten befreit werden und nicht für Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder Verzug haften. Wenn die Beeinträchtigung nur vorübergehend besteht, was bei der Coronakrise häufig der Fall sein dürfte, dann gilt laut ICC-Musterklausel die Leistungsbefreiung nur für die Dauer der Beeinträchtigung. Sobald das beeinträchtigende Ereignis wegfällt, hat die sich auf die Klausel berufende Partei die andere Partei hierüber zu informieren.

    In einigen Fällen macht die Erfüllung nach Wegfall der Beeinträchtigung keinen Sinn mehr. Für einen solchen Fall sieht die ICC-Klausel vor, dass beide Parteien innerhalb einer angemessenen Frist kündigen können.

    Bei mangelnder Klausel gilt die Doktrin der frustration of contract

    Womöglich wurde bei Vertragsschluss keine höhere Gewalt-Klausel vereinbart. In diesem Fall gilt die aus dem anglo-amerikanischen Rechtssystem bekannte richterrechtliche Rechtsdoktrin der frustration of contract.

    Voraussetzung dafür ist, dass sich nach Vertragsschluss Umstände ergeben, die eine Erfüllung der vertraglichen Pflichten dauerhaft unmöglich machen oder den Charakter des Vertrages grundlegend ändern. Das heißt, der Vertrag unter den neuen Umständen unterscheidet sich radikal von dem ursprünglich vereinbarten Vertrag. Die Umstände, die zur Nichterfüllung führen, sollten außerhalb des Verantwortungsbereichs der Vertragsparteien liegen und für diese bei Vertragsschluss unbekannt und unvorhersehbar gewesen sein.

    Wichtig zu wissen ist, dass Gerichte die Doktrin der frustration sehr eng auslegen. Bloße Schwierigkeiten bei der Vertragserfüllung oder finanzielle Verluste beim Leistungserbringer sind nicht ausreichend. Auch Verzögerungen bei der Erfüllung sind für eine frustration nicht ausreichend.

    Rechtsfolge im Contracts Act, 1960

    Im Unterschied zu anderen anglo-amerikanischen Rechtssystemen wird die Rechtsfolge der frustration im ghanaischen Recht im Contracts Act, 1960 geregelt. Danach werden die Vertragsparteien, wenn sich eine Partei erfolgreich auf die Doktrin der frustration beruft, von ihren vertraglichen Pflichten befreit. Das heißt im Einzelnen, dass bereits gezahlte Geldbeträge erstattet werden müssen und noch offene Geldbeträge nicht mehr zu zahlen sind. Außerdem können Aufwendungen, die von einer Vertragspartei vor der Leistungsbefreiung in Erwartung der Erfüllung getätigt wurden, zurückgefordert oder von zurückzuzahlenden Geldbeträgen einbehalten werden.

    Die gesetzlichen Regelungen sehen darüber hinaus vor, dass Vertragsteile, die bereits vor der Befreiung von den vertraglichen Pflichten teilweise oder gänzlich erfüllt wurden, vom Gericht als unabhängige Verträge zu betrachten sind. Diese Vertragsteile bleiben somit auch nach Auflösung des Hauptvertrages weiterbestehen.

    UN-Kaufrecht

    Ghana hat das Übereinkommen zum UN-Kaufrecht nicht ratifiziert. Nichtsdestotrotz ist es möglich, dass auf einen Vertrag mit einem ghanaischen Geschäftspartner das UN-Kaufrecht anwendbar ist.

    Mehr zu diesem und zum Thema „Coronavirus und anwendbares Recht“:


    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

    Von Katrin Grünewald | Bonn

  • Indien: Coronavirus und Verträge

    Die Coronavirus-Pandemie kann im Geschäftsverkehr mit Indien zu Fragen führen wie: Kann ich mich für den Fall, dass Verträge nicht erfüllt werden können, auf höhere Gewalt berufen?

    Einleitung

    Die Anzahl der Corona-Fälle nimmt in Indien täglich zu. Die landesweit verhängte Ausgangssperre ist bereits bis zum 3. Mai 2020 verlängert worden.

    Nicht zuletzt in internationalen Lieferketten zeigen sich Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie. Die Frage stellt sich, ob sich betroffene Unternehmen in der gegenwärtigen Situation auf „höhere Gewalt“ berufen können und so eventuell im Falle der Unmöglichkeit der Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen nicht dafür haften.

    Bei bestehenden grenzüberschreitenden deutsch-indischen Verträgen sollte zunächst geprüft werden, welchem Recht diese im Einzelfall unterliegen (Rechtswahlklausel?). Indien ist kein Vertragsstaat des UN-Kaufrechts.


    Prüfung des Vertrages: Force Majeure-Klausel vereinbart?

    In Indien als Common Law-Staat sind die vertraglichen Regelungen des Einzelfalls von besonderer Bedeutung.  

    Bei einer üblicherweise vereinbarten Force Majeure-Klausel handelt es sich um eine ausdrückliche Bestimmung über die Umstände, in denen man von der Vertragserfüllung befreit oder diese zeitweise ausgesetzt wird. Wenn die Erfüllung durch ein Ereignis außerhalb der Kontrolle der Parteien – etwa Überschwemmung, Feuer oder Terrorakt – verhindert wird, können eine oder beide Parteien von der Haftung befreit sein.

    Die individuelle Klausel sollte untersucht werden: Was wird dort unter „höherer Gewalt“ verstanden? Welche Ereignisse außerhalb des Einflussbereichs der Parteien sind aufgeführt, z.B. Epidemien? Ist die Klausel offen formuliert oder werden die Ereignisse abschließend genannt?

    Zudem ist Kausalität zwischen Ereignis und Nichterfüllung erforderlich.

    Die konkreten vereinbarten Rechtsfolgen können etwa von der vollständigen Haftungsbefreiung oder Befreiung von der Leistung, über Nichtigkeit des Vertrages, Anpassung des Leistungsumfangs bis hin zu lediglich einer Suspendierung für die Dauer des Vorliegens höherer Gewalt reichen.

    Eventuell stellt die Klausel weitere Voraussetzungen auf: So kann die sich auf höhere Gewalt berufende Partei die Folgen der Nichterfüllung zu mindern oder Mitteilungspflichten („force majeure notice“) zu erfüllen haben. Sie kann zur Anwendung der gebotenen Sorgfalt verpflichtet sein.

    Die Partei, die sich auf höhere Gewalt berufen möchte, hat das Vorliegen von Umständen nachzuweisen, die dazu führen.


    Wie regelt das indische Recht die „höhere Gewalt“?

    Wurde keine vertragliche Regelung getroffen, hat die aus dem englischen Recht stammende richterrechtliche „Doctrine of Frustration“ besondere Relevanz. 

    Das Vertragsgesetz (Indian Contract Act, 1872; CA) sieht in Sec. 56 Abs. 2 CA vor, dass ein Vertrag über eine Handlung, die nach Vertragsschluss unmöglich oder aufgrund eines Ereignisses, das der Schuldner nicht verhindern konnte, rechtswidrig wird, nichtig wird, wenn die Handlung unmöglich oder rechtswidrig wird.

    Voraussetzungen für Sec. 56 CA sind das Bestehen eines wirksamen Vertrages, der noch zu erfüllen ist, und eine nach Vertragsschluss eintretende rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit der Erfüllung. Die Vorschrift betrifft Fälle, in denen ein Ereignis außerhalb des Machtbereichs der Parteien die Grundlage des Vertrags zerstört.

    Laut Rechtsprechung zur frustration of contract können dadurch Verträge beendet werden, wenn ein unvorhergesehenes Ereignis die Erfüllung unmöglich macht oder den ursprünglichen Grund einer Partei für den Vertragsschluss grundlegend verändert. Die Vertragserfüllung wird aufgrund der veränderten Umstände unmöglich, die Parteien sind nicht für das Ereignis verantwortlich und, da sie nicht versprochen haben, Unmögliches zu leisten, von der weiteren Erfüllung befreit.

    Wirtschaftliche Unmöglichkeit bzw. Schwierigkeiten allein genügen nicht, um Unmöglichkeit der Erfüllung zu begründen oder frustration zu bejahen. Die Rechtsdoktrin wird stets restriktiv ausgelegt.

    Besteht eine Vertragsklausel, kommt Sec. 32 CA in Betracht: Bedingte Verträge darüber, etwas (nicht) zu tun, wenn ein ungewisses Ereignis in der Zukunft eintritt, können nicht durchgesetzt werden bis zum Eintritt des Ereignisses. Solche Verträge werden nichtig, wird das Ereignis unmöglich.


    Kann der Ausbruch des Coronavirus einen Fall von force majeure begründen?

    Eine pauschale Antwort hierauf ist nicht möglich, die Umstände des konkreten Falles sind entscheidend. Indische Gerichte stellten höhere Gewalt bislang abhängig von der Situation dar.

    Die indische Regierung hat aber inzwischen für Spezialfälle Einstufungen vorgenommen: 

    In einem Office Memorandum (OM) des Finanzministeriums vom 19. Februar 2020 (No. F.18/4/2020-PPD) hinsichtlich seines Handbuches zur Güterbeschaffung („Manual for Procurement of Goods, 2017“) heißt es, da Zweifel daran entstanden seien, ob die Störung von Lieferketten durch die Ausbreitung des Coronavirus unter die Force Majeure-Klausel falle, dass in dieser Hinsicht klargestellt werde, dass diese als Naturkatastrophe angesehen werden solle und force majeure geltend gemacht werden könne, wo immer dies als angemessen erachtet werde.

    Auch das Ministerium für neue und erneuerbare Energie (MNRE) veröffentlichte am 20. März 2020 ein OM (No. 283/18/2020-GRID SOLAR): Bei bestimmten Projekten kann sich, wer vertragliche Fristen wegen der Unterbrechung von Lieferketten durch die Coronavirus-Ausbreitung nicht einhalten kann, zur Fristverlängerung auf die Force Majeure-Klausel berufen. Mit OM vom 17. April 2020 stufte das MNRE den gegenwärtigen Lockdown als Force Majeure-Ereignis ein. 

    Die Mitteilungen sind nicht auf alle Verträge anwendbar.

     

    Ausblick

    Generell sollten unter anderem frühzeitig Nachweise gesammelt sowie etwaigen Mitteilungspflichten gegenüber dem Vertragspartner nachgekommen werden.

    Bei der Gestaltung künftiger Verträge bietet sich eine präzise, beispielsweise Pandemien und Epidemien enthaltende Force Majeure-Klausel an.


    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

    Von Julia Merle | Bonn

  • Iran: Coronavirus und Verträge

    Die angespannten Wirtschaftsbeziehungen zum Land am Persischen Golf leiden durch die Corona-Pandemie noch stärker als ohnehin schon. Wie wirkt sich das in rechtlicher Sicht aus?

    Einleitung

    Der Iran ist vom Ausbruch des Coronavirus sehr stark betroffen, die Dunkelziffer der Infektionen ist sehr hoch.  Etliche wirtschaftliche Sektoren des Landes verzeichnen einen starken Rückgang durch gesunkene Nachfrage, denn der Warenverkehr war und ist durch vorübergehende Grenzschließungen zu fast allen Nachbarstaaten (u.a. Türkei) erheblich beeinträchtigt. 

    Besondere wirtschaftliche Situation in Iran

    Die Wirtschaftslage im Land ist seit der einseitigen „Kündigung“ des Atomabkommens aus dem Jahr 2015 durch die USA im Mai 2018 und der damit verbundenen Wiedereinsetzung von bislang aufgehobenen US-Sanktionen besonders angespannt. Auch wenn zunächst vor allem die europäischen Parteien (Frankreich, Deutschland, Großbritannien) das Abkommens fortführen wollten, bröckelt nun auch von iranischer Seite merklich die Zustimmung. Der Vertrag befindet sich daher derzeit in einer Art Schwebezustand. Der grundsätzlich enge deutsch-iranische Außenhandel (ca. 30 Prozent der industriellen Infrastruktur in Iran stammen aus deutscher Produktion) brach deswegen im Jahr 2019 bereits vor dem Ausbruch des Coronavirus im Vergleich zum Vorjahr um 45 Prozent ein. Diese Zahl dürfte nach dem Ausbruch nochmal deutlich ansteigen. Für Unternehmer, die nun auch noch von unterbrochenen Lieferketten betroffen sind oder trotz allem weiter in Iran investieren wollen, ist nun von Interesse, was das islamisch geprägte Rechtssystem zu der Frage von vertraglicher Nicht- oder Schlechtleistung infolge eines unvorhergesehenen Ereignisses sagt.

    Force-Majeure-Klausel im Vertrag?

    Das iranische Vertragsrecht sieht für die Gestaltung von internationalen Handelsverträgen in Art. 10 des Zivilgesetzbuches (ZGB) das Prinzip der Parteiautonomie, das heißt der Vertragsfreiheit vor. Dabei sind auch in Iran vertragliche Vereinbarungen jeder Art grundsätzlich zulässig, sofern sie nicht gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen. Es ist daher mittlerweile in internationalen Verträgen mit Iran üblich, Fälle höherer Gewalt und deren Rechtsfolgen mit Hilfe von sogenannten Force-majeure-Klauseln zu regeln. Als erstes sollte daher bei möglichen Schwierigkeiten bei der Vertragserfüllung durch den Ausbruch des Virus der Vertrag nach einer solchen Regelung abgeklärt werden. Meistens bestimmt eine solche Klausel, dass die durch ein Ereignis höherer Gewalt an der Erbringung der vertraglichen Leistung gehinderte Partei für die Dauer dieses Ereignisses von all ihren Verpflichtungen befreit wird. Ist unklar, ob die Klausel tatsächlich eine Pandemie wie das Coronavirus erfasst, wird bei unbestimmten Rechtsbegriffen zur Auslegung das auf den Vertrag anwendbare Recht herangezogen. Dies sollte im Sinne der Rechtssicherheit unbedingt im Vorfeld vereinbart werden.

    Was sagt das Vertragsrecht?

    In Iran ist das Vertragsrecht im sogenannten Zivilgesetzbuch (Civil Code) aus dem Jahre 1928 geregelt. Diese Kodifikation vereint Elemente aus dem römischen Rechtskreis mit iranischen Rechtstraditionen und Regeln aus der Scharia. Der einzige normative Ansatz zu einer Haftungsbefreiung durch ein unverschuldetes Ereignis wie den Ausbruch des Coronavirus findet sich in Art. 227 des iranischen ZGB, der besagt:

    Eine Partei, die ihre vertragliche Verpflichtung nicht erfüllt, wird nur dann zur Zahlung von Schadenersatz verurteilt, wenn sie nicht in der Lage ist zu beweisen, dass ihre Nichtleistung auf eine äußere Ursache zurückzuführen ist für die man sie nicht verantwortlich machen kann.

    Die durch den Coronavirus ausgelöste Pandemie fällt nach überwiegender Auffassung unter den Begriff „einer äußeren Ursache, für die man nicht verantwortlich gemacht werden kann“. Es ist aber wie immer je nach Einzelfall zu entscheiden, ob die konkrete Tatsache, das heißt meistens die Nichterfüllung des Vertrages, wirklich die kausale Folge des Virusausbruchs in Iran ist. Auch dann ist noch weiter zu differenzieren, ob die Pandemie, beziehungsweise die Krankheit an sich die „äußere Ursache“ ist. Dann findet grundsätzlich Art. 227 ZGB Anwendung. Oder ob der Virus nur zu einer Folge geführt hat, beispielsweise Arbeitskräftemangel, die dann die Vertragserfüllung erschwert oder unmöglich macht. In diesem Fall ist nicht eindeutig zu sagen, ob die Haftungsbefreiung des Art. 227 ZGB greift.

    Die Beweislast regelt die Vorschrift implizit, indem sie eine mögliche Schadensersatzpflicht der vertragsbrüchigen Partei für den Fall offen lässt, dass ihr die Beweisführung nicht gelingt. Gelingt es ihr aber, die oben genannte Kausalität zwischen „äußerer Ursache“ und Nichterfüllung der vertraglichen Verpflichtung gerichtlich nachzuweisen, so entfällt sowohl die Leistung als Primärpflicht, als auch eine Sekundärpflicht, wie die Zahlung von Schadensersatz.

    Rechtswahl

    Das iranische Vertragsrecht regelt mögliche Fälle höherer Gewalt nur punktuell und wenig umfassend. Es empfiehlt sich daher zukünftig eine sogenannte Force-majeure-Klausel in den Vertrag aufzunehmen und das anwendbare Recht klar festzulegen. An dieser Stelle sei aber darauf hingewiesen, dass das iranische ZGB als Rechtswahl für einen Vertrag zwischen einer iranischen und einer ausländischen Person nur die am Vertragsabschlussort geltende Rechtsordnung zulässt. Bei Vertragsabschluss in Iran ist die Wahl eines anderen Rechts als des iranischen aus Sicht der iranischen Gerichte daher grundsätzlich ungültig. Soll also zum Beispiel deutsches Recht Anwendung finden, muss der Vertrag in Deutschland unterzeichnet worden sein. Die notarielle Beglaubigung des Vertrags zum Nachweis des Abschlussortes ist in diesem Fall ratsam.  

    Zum Thema:

    Mehr zum Thema „Coronavirus und anwendbares Recht“:

    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial. 


    Von Jakob Kemmer | Bonn

  • Irland: Coronavirus und Verträge

    Die Corona-Pandemie beeinträchtigt Vertragsbeziehungen weltweit und Klauseln über höhere Gewalt sind in aller Munde. Doch wie handhabt das irische Recht Fälle von Force Majeure?

    Einleitung

    Die Pandemie und die mit ihr immer noch einhergehenden Beschränkungen belasten Unternehmen - trotz schrittweiser Lockerungen - weiterhin stark. Viele Vertragsparteien sehen sich außerstande, ihren vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen - sei es auf unbestimmte Zeit oder zumindest für einen beträchtlichen Zeitraum. Dies betrifft auch die Vertragsbeziehungen zwischen Deutschland und Irland.

    Individualvertragliche Regelungen

    In vielen internationalen Verträgen findet sich eine sogenannte Force Majeure- beziehungsweise Höhere Gewalt-Klausel. Im Allgemeinen wird höhere Gewalt als ein von außen einwirkendes und unerwartetes Ereignis definiert, das auch durch äußerste Sorgfalt nicht abgewendet werden kann und das eine Vertragspartei an der Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen hindert. Voraussetzung für die Annahme höherer Gewalt sind somit Unvorhersehbarkeit und Unabwendbarkeit des Ereignisses.

    Individualvertraglich kann diese allgemeine Definition angepasst und insbesondere auch konkretisiert werden: Maßgeblich zur rechtlichen Einschätzung ist daher ein direkter Blick in den Vertrag. Oftmals sind dort Anwendungsfälle (zum Beispiel acts of God, acts of Government oder a national emergency) genannt. Gelegentlich enthalten Klauseln über höhere Gewalt sogar einen ausdrücklichen Hinweis auf Epidemien oder Pandemien. Ist einer dieser Anwendungsfälle einschlägig, so erleichtert dies die Berufung auf das Vorliegen höherer Gewalt. Zusätzlich ist aber auch erforderlich, dass das Ereignis höherer Gewalt in dem spezifischen vertraglichen Kontext die Erfüllung unmöglich macht oder die betroffene Partei in unangemessener Weise belastet.

    Neben diesen zu erfüllenden Anforderungen verpflichten viele Force Majeure-Klauseln die Parteien, ein entsprechendes Ereignis unverzüglich zu melden. Des Weiteren können für die Dauer des Ereignisses weitere Informations- und insbesondere auch Kooperationspflichten bestehen. Die Partei, die sich auf höhere Gewalt beruft, muss diesen Verpflichtungen im Allgemeinen in vollem Umfang nachkommen.

    Ob die durch die Coronakrise verursachte Situation ein Ereignis höherer Gewalt darstellt, lässt sich nicht allgemeinverbindlich beantworten. Denn dies hängt im Ergebnis von der individuellen Ausgestaltung einer entsprechenden Klausel und den jeweiligen Umständen ab. Es hat somit eine konkrete Betrachtung des Einzelfalles zu erfolgen.

    Höhere Gewalt im irischen Recht

    Einige Rechtssysteme haben Ereignisse höherer Gewalt gesetzlich kodifiziert; die Parteien können sich dann auch bei Fehlen einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung darauf berufen. Das irische Recht hingegen enthält keine explizite Regelung zu höherer Gewalt. Demnach ist für die Berufung auf ein solches Ereignis stets eine ausdrückliche Vertragsklausel erforderlich.

    Doch auch bei Vorliegen einer solchen nehmen die irischen Gerichte eine grundsätzlich sehr strenge Auslegung vor: Es reicht in der Regel nicht aus, dass eine allgemeine Klausel über höhere Gewalt beziehungsweise Force Majeure in den Vertrag aufgenommen wurde. Vielmehr müssen die Vertragsparteien auch die konkreten Umstände und Ereignisse, die zur Annahme höherer Gewalt führen sollen, vertraglich fixiert haben. Dies kann zum Beispiel durch eine nicht abschließende Aufzählung erfolgen. Dem genauen Wortlaut der jeweiligen Klausel kommt dabei erhebliche Bedeutung zu.

    Und auch die Beweisanforderungen sind hoch. Es wird grundsätzlich nicht ausreichen, nachzuweisen, dass die Erfüllung der Verpflichtungen für die betreffende Partei nun schwieriger oder teurer geworden ist. Es muss vielmehr nachgewiesen werden, dass die Corona-Pandemie kausal für die Nichterfüllung dieser Verpflichtungen ist. Die Beantwortung der Frage, ob die Voraussetzungen für die Annahme höherer Gewalt gegeben sind, hängt daher regelmäßig von der konkreten Situation ab. Ob der Covid-19-Ausbruch nach irischem Recht als Force Majeure anzusehen ist, kann folglich nicht allgemeinverbindlich beantwortet werden.

    Die richterrechtliche „Doctrine of Frustration“

    Sofern der Vertrag keine Klausel zu höherer Gewalt enthält, kennt das irische Recht aber auch die Rechtsdoktrin der frustration of contract: Diese greift, wenn ein bei Vertragsschluss unvorhersehbares Ereignis eintritt, aufgrund dessen die Vertragserfüllung unmöglich wird oder die Vertragspflichten sich grundlegend ändern.

    Im Allgemeinen müssen für die Annahme einer frustration folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

    • Nach Vertragsschluss ergeben sich Umstände, die eine Erfüllung der vertraglichen Pflichten dauerhaft unmöglich machen oder den Charakter des Vertrages grundlegend ändern.
    • Die vertraglichen Verpflichtungen können aufgrund von Umständen, die außerhalb des Einflussbereichs der Parteien liegen, nicht länger erfüllt werden.
    • Die zur Nichterfüllung führenden Umstände waren für die Parteien bei Vertragsschluss weder bekannt noch vorhersehbar.

    Liegen diese Voraussetzungen vor, so erlischt die Pflicht zur Leistungserbringung automatisch und der Vertrag wird in aller Regel aufgelöst. Jedoch wird dieses Rechtskonstrukt im irischen Recht nur sehr restriktiv angewandt. Und ob der Covid-19-Ausbruch einen zur Vertragsaufhebung berechtigenden Grund darstellt, muss für jede vertragliche Beziehung einzeln geprüft und beurteilt werden. Eine pauschale Aussage hierzu kann nicht getätigt werden.

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    Von Nadine Bauer | Bonn

  • Israel: Coronavirus und Verträge

    Israel ist ein wichtiger Handelspartner für Deutschland im Nahen Osten. Was passiert nun, wenn Verträge wegen der Coronavirus-Pandemie nicht mehr planmäßig erfüllt werden können?

    Einleitung

    Auch vor Israel hat das Coronavirus nicht Halt gemacht. Die israelische Wirtschaft ist hart getroffen worden.

    Viele Vertragsbeziehungen im internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehr mit Israel stehen daher nun aufgrund von unterbrochenen Lieferketten vor einer unklaren Zukunft. Welche Antwort gibt das israelische Recht, wenn eine Vertragserfüllung durch ein Ereignis wie den Ausbruch des Coronavirus nicht mehr wie vereinbart möglich ist oder gar gänzlich unmöglich geworden ist?

    Schritt eins: Was sagt der Vertrag?

    Im einem ersten Schritt sollte man immer seinen Vertrag nach einer Klausel durchsuchen, die eine Partei möglicherweise aufgrund eines unvorhergesehenen Ereignisses wie dem Ausbruch des Coronavirus von der Erfüllung bestimmter Verpflichtungen entbindet. Manche Klauseln sind auch so formuliert, dass man sogar die Möglichkeit hat, den Vertrag einseitig zu beenden.

    Dafür muss man sich zunächst im Klaren darüber sein, welches Recht auf den Vertrag zur Anwendung findet. Denn potentielle „Höhere Gewalt"- Klauseln werden immer vor dem Hintergrund des anwendbaren Rechts ausgelegt. Und auch für den Fall, dass sich in einem Vertrag keine „Höhere Gewalt“ - Klausel findet, ist es durchaus möglich, dass nach dem anwendbaren Vertragsrecht, Rechtsgrundsätze wie zum Beispiel Unmöglichkeit oder Frustration impliziert sind.

    Beinhaltet der Vertrag eine Klausel über „Höhere Gewalt“, gilt es wiederum eine Unterscheidung zu treffen. Sind aufgrund des Coronavirus Vertragsverpflichtungen nur sehr schwer oder gar nicht mehr zu erfüllen, muss einerseits konkretisiert werden, ob die Klausel ausdrücklich auch einen Virus erfasst. Das erkennt man daran, dass sie beispielsweise eine "Epidemie", "Krankheit" oder "Pandemie" als Ereignisse höherer Gewalt definiert. Oder ob andererseits der Coronavirus-Ausbruch erst zu Ereignissen geführt hat, die in der Klausel ausdrücklich festgelegt sind. Hier zu nennen wären vor allem Arbeitskräftemangel oder Auftragsmangel.

    Eher selten ist der Fall, dass die Klausel über höhere Gewalt lediglich eine allgemeine Formulierung enthält, die dann ein Ereignis höherer Gewalt zum Beispiel als "Ereignis außerhalb der Kontrolle der Parteien" definiert. Dann besteht ein Interpretationsspielraum, der allerdings eher wenig Rechtssicherheit garantiert.

    Schritt zwei: Was sagt das anwendbare Recht?

    In einem zweiten Schritt sollten die Parteien versuchen, sich auf die gesetzlichen Bestimmungen des Vertragsrechts zu berufen. Hier finden sich meistens Regelungen, die die Parteien von ihren Verpflichtungen entbinden, wenn deren Erfüllung unmöglich oder sehr erschwert ist. Oft geben diese Regelungen den Parteien sogar die Möglichkeit, den Vertrag aufgrund des „unvorhergesehenen Hindernisses“ vollständig zu kündigen oder zu beenden.

    Der Begriff der Frustration im israelischen Recht

    Ähnlich wie in vielen anderen Ländern gewährt das israelische Recht einen gesetzlichen Rechtsbehelf im Falle der Nichterfüllung einer vertraglichen Verpflichtung aufgrund unerwarteter Ereignisse, die sich der Kontrolle der Vertragsparteien entziehen. Artikel 3 Nr. 18 (a) des Gesetzes über Rechtsbehelfe bei Vertragsverletzung von 1970 entbindet von der Pflicht zur Vertragsdurchführung oder zur Zahlung von Schadensersatz, wenn die folgenden Bedingungen kumulativ vorliegen:

    • Die Vertragsverletzung ist die kausale Folge von Umständen, die die vertragsbrüchige Partei zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht kannte oder vorhergesehen hat und nicht kennen oder vorhersehen musste.
    • Diese Umstände konnten nicht vermieden werden.
    • Die Erfüllung des Vertrages ist unter diesen Umständen unmöglich oder unterscheidet sich grundlegend von dem, was zwischen den Parteien vereinbart wurde.

    Wichtig zu wissen ist dabei, dass die Schwelle für die Feststellung eines solchen Ereignisses, das die Nichterfüllung einer vertraglichen Verpflichtung im israelischem Recht rechtfertigt, sehr hoch ist. Existiert eine vertragliche Regelung zu „Höherer Gewalt“, sollte man auch aus diesem Grunde stets auf diese zurückgreifen.

    Praktische Hinweise

    Ob den Parteien tatsächlich Rechte zustehen, die wegen des Ausbruchs des Coronavirus geltend gemacht werden können, muss von Fall zu Fall bestimmt werden. Abschließend gibt es jedoch einige allgemeine praktische Überlegungen, die man als Unternehmer berücksichtigen sollte, bevor man sich auf „Höhere Gewalt“ beruft:

    • Ist die Lieferkette den Auswirkungen des Coronavirus Ausbruchs ausgesetzt?
    • Gibt es Alternativen, die vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen oder angemessene Maßnahmen, um Schäden durch die Nichterfüllung des Vertrages für die Gegenseite zu reduzieren?
    • Kann eine Versicherung Verluste abdecken, die sich aus der Unfähigkeit einer Partei zur Vertragserfüllung aufgrund des Coronavirus Ausbruchs ergeben.

    Für alle zukünftigen Vertragsabschlüsse ist daher anzuraten, Klauseln zu „Höherer Gewalt“ aufzunehmen und sich im Zweifel nicht auf die gesetzlichen Regelungen zu verlassen.

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    Von Jakob Kemmer | Bonn

  • Italien: Coronavirus und Verträge

    Insbesondere das wirtschaftsstarke Norditalien ist seit einiger Zeit stark vom Coronavirus betroffen. Was passiert, wenn die Vertragserfüllung beeinträchtigt wird?

    Einleitung

    Das Coronavirus hat in Italien zu erheblichen Einschränkungen des täglichen Lebens geführt. Die Durchführung mancher Verträge ist dadurch schwierig oder sogar unmöglich geworden. So waren zum Beispiel Dienstleistungsverträge im Verkehrs- oder Tourismusbereich betroffen. In anderen Fällen musste möglicherweise eine Maschine repariert werden, potentiell betroffen sein können aber auch Herstellung und Verkauf von Waren.

    Eine weitere Differenzierung: einerseits gibt es die Fälle, in denen die Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung nicht mehr möglich ist. In anderen Fällen ist die Entgegennahme der Leistung nicht mehr gewollt oder sogar unmöglich. Wie geht das italienische Recht mit solchen Fällen um?    

    So ist die Unmöglichkeit der Vertragserfüllung im italienischen Recht geregelt

    Artikel 1256 des Codice Civile (das italienische Bürgerliche Gesetzbuch; im folgenden: „C.C.“) regelt die so genannte nachträgliche Unmöglichkeit. Die geschuldete Leistung muss nach Vertragsschluss unmöglich werden, und derjenige, der diese Leistung erbringen muss, darf nicht für diese Unmöglichkeit verantwortlich sein.

    Die Leistung wird zum Beispiel auch dann unmöglich, wenn ihre Erbringung gegen Vorschriften verstoßen würde. Nach Vertragsschluss erlassene Gesetze oder Verwaltungsakte können also durchaus zu einer solchen Unmöglichkeit führen. Voraussetzung ist hier allerdings, dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vernünftigerweise vorhersehbar war, dass die Gesetze oder Verwaltungsakte kommen würden. Bezogen auf das Coronavirus wird man wohl in vielen Fällen zu dem Ergebnis kommen, dass die Voraussetzungen des Artikel 1256 vorliegen.    

    Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, dann erlischt die Verpflichtung zur Erbringung der Leistung, siehe Artikel 1256 Absatz 1 C.C. Allerdings erlischt dann auch der Anspruch auf die vereinbarte Gegenleistung, Artikel 1463 C.C., und falls die Gegenleistung schon erbracht wurde, muss sie zurückgegeben werden. Außerdem schuldet er keinen Schadensersatz wegen Verzugs, siehe Artikel 1218 Abs. 1 C.C.

    Häufig kommt es vor, dass die Beeinträchtigungen, die zur Unmöglichkeit der Leistung führen, nur vorübergehend sind. Dies dürfte für die Mehrzahl der Maßnahmen zum Coronavirus gelten. In diesem Fall kann die Leistung nicht erbracht werden, solange die Unmöglichkeit besteht, aber möglicherweise später. Das Gesetz ordnet für solche Fälle an, dass für die Verspätung der Leistung als solche keine Verbindlichkeiten des Leistungserbringers entstehen, also zum Beispiel keine Verzugszinsen. Die Leistung wird dann nach Wegfall des Hinderungsgrundes erbracht, es sei denn, der Erbringer kann aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht am Vertrag festgehalten werden, oder der Empfänger der Leistung hat an ihrer Erbringung kein Interesse mehr. Ist dies der Fall, dann erlischt die Verbindlichkeit, vgl. Artikel 1256 Abs. 2 C.C.

    Kann sich auch der Leistungsempfänger auf Unmöglichkeit berufen?

    Eine gesetzliche Regelung der Unmöglichkeit der Leistungsentgegennahme gibt es im italienischen Recht nicht. Die italienischen Gerichte gehen allerdings in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sich auch der Empfänger einer Leistung unter bestimmten Voraussetzungen vom Vertrag befreien kann. Teilweise geht die Rechtsprechung sogar sehr weit: sie befreit die Parteien von der Verpflichtung zur Vertragserfüllung schon dann, wenn der Vertrag zwar theoretisch erfüllbar wäre, aber der Hauptzweck nicht mehr erreicht werden kann. Ein solches Szenario kann beispielsweise bei Urlaubsreisen in unsichere Gegenden auftreten, die zwar faktisch möglich sind, deren Erholungseffekt aber nicht mehr gewährleistet ist.

    Höhere Gewalt im internationalen Recht

    Eine der Unmöglichkeit ähnliche Rechtsfigur ist die so genannte „höhere Gewalt“ (force majeure). Eine Regelung zur höheren Gewalt kann sich aus verschiedenen Quellen ergeben. Möglicherweise gibt es im Vertrag eine Regelung, die internationale Handelskammer hat im Jahr 2020 eine Musterklausel herausgegeben, auf die vielleicht Bezug genommen wurde. Eine weitere Regelung – allerdings nur für Kaufverträge – findet sich in dem so genannten UN-Kaufrecht (Wiener Übereinkommen über den internationalen Warenkauf vom 11. April 1980). Dieses Übereinkommen wurde sowohl von Italien als auch von Deutschland ratifiziert, deshalb wird es für Kaufverträge mit italienischen und deutschen Vertragspartnern gelten, es sei denn, die Anwendung wurde ausdrücklich ausgeschlossen.

    Die verschiedenen Klauseln haben unterschiedliche Voraussetzungen und unterschiedliche rechtliche Auswirkungen. Allerdings enthält die ICC-Musterklausel eine Aufzählung von Ereignissen, die automatisch als höhere Gewalt gelten – und eine Epidemie ist in dieser Aufzählung ausdrücklich enthalten. Die ICC-Musterklausel regelt, dass der Leistungserbringer dem Empfänger Mitteilung von dem bestehenden Problem machen muss. Eine solche Mitteilungspflicht findet sich auch im UN-Kaufrecht und sollte prinzipiell immer befolgt werden, und zwar so zeitnah wie möglich.

    Als Rechtsfolge sieht die ICC Musterklausel eine Befreiung von der vertraglichen Leistungspflicht und von Schadensersatzansprüchen vor. Beides kann, wenn die Beeinträchtigung nur vorübergehend ist, auch nur zeitweise erfolgen. Das UN-Kaufrecht sieht in Artikel 79 eine andere Rechtsfolge vor: vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen wird der Leistungserbringer hier nur von der durch die Nichterfüllung bedingten Schadensersatzpflicht befreit. Der Vertrag wird aber nicht beendet, die Pflichten bleiben im Grundsatz bestehen.

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    Von Karl Martin Fischer | Bonn

  • Japan: Coronavirus und Verträge

    Im deutsch-japanischen Geschäftsverkehr kann die Coronavirus-Pandemie Fragen aufwerfen wie: Was geschieht, wenn vertragliche Verpflichtungen nicht erfüllt werden können?

    Einleitung

    Auch Japan spürt den Ausbruch des Coronavirus. Die Olympischen Spiele wurden bereits verschoben. Um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, rief die Regierung am 7. April 2020 für Tokyo und bestimmte Präfekturen den Notstand aus.

    Es stellt sich die Frage, ob sich betroffene Unternehmen in der gegenwärtigen Situation auf „höhere Gewalt“ berufen und im Falle der Unmöglichkeit der Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen (wie Warenlieferung) nicht dafür haften.

    Bei bestehenden deutsch-japanischen Verträgen sollte zunächst geprüft werden, welchem Recht diese im Einzelfall unterliegen (Rechtswahlklausel).

    Die „höhere Gewalt“ im japanischen Recht

    Eine ausdrückliche Definition dieses Begriffs findet sich nicht im Zivilgesetzbuch (ZGB) aus dem Jahr 1896, auch nicht nach der neuerlichen Schuldrechtsreform.

    Der Grundsatz von Treu und Glauben ist auch auf die Erfüllung von Verpflichtungen anzuwenden (§ 1 Abs. 2 ZGB).

    Die § 412 ff. ZGB enthalten Bestimmungen zur Haftung bei Nichterfüllung:

    § 412 ZGB sieht Regelungen für den Schuldnerverzug vor, der zu einem Schadensersatzanspruch führt, kann der Schuldner nicht nachweisen, dass er den Verzug nicht zu vertreten hat. Zur Unmöglichkeit der Erfüllung regelt § 412-2 Abs. 1 ZGB, dass der Gläubiger die Erfüllung einer Verpflichtung nicht verlangen kann, ist diese angesichts des Vertrages und des gesunden Menschenverstandes bei der Transaktion unmöglich.

    Zur Haftung auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung einer vertraglichen Verpflichtung heißt es nunmehr in § 415 Abs. 1 des im Jahr 2017 verabschiedeten reformierten ZGB: „Leistet der Schuldner nicht dem Zweck der Verpflichtung entsprechend oder ist die Erfüllung einer Verpflichtung unmöglich, kann der Gläubiger Schadensersatz verlangen. Dies gilt nicht, wenn die Nichterfüllung auf Gründen beruht, die dem Schuldner nicht zurechenbar sind angesichts des Vertrages oder anderer Anspruchsgrundlagen und des gesunden Menschenverstandes bei der Transaktion.“ Ein Verschulden des Schuldners ist also erforderlich. Eine Definition des Vertretenmüssens enthält das ZGB nach wie vor nicht. In § 415 Abs. 2 wird die Unmöglichkeit der Erfüllung der Verpflichtung als Fall genannt, in dem statt der Leistung ein Schadensersatzanspruch entsteht.

    Bei Geldschulden kann sich der Schuldner nicht exkulpieren, § 419 Abs. 3 ZGB: Wird Schadensersatz wegen Nichterfüllung einer Geldschuld verlangt, kann der Schuldner dagegen nicht den Einwand höherer Gewalt geltend machen.

    Wird die Erfüllung einer Verpflichtung aus Gründen, die keiner Partei zurechenbar sind, unmöglich, darf der Gläubiger nach § 536 Abs. 1 ZGB die Gegenleistung verweigern. Damit trägt der Schuldner also das Risiko des Eintritts von force majeure.  

    Gemäß § 542 Abs. 1 ZGB darf der Gläubiger unter anderem dann sofort vom Vertrag zurücktreten, wenn die Erfüllung der gesamten Verpflichtung unmöglich ist. 

    An weiteren Stellen des ZGB wird force majeure erwähnt: Hinsichtlich Mietverträgen in den §§ 609 und 610 ZGB, die Erbpacht betreffend in §§ 274, 275 ZGB sowie beim Pfandrecht in § 348 ZGB.

    Daneben gibt es das von der Rechtsprechung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben entwickelte Institut der „grundlegenden Veränderung der Umstände“. Dieses ermöglicht es einer Partei unter hohen Voraussetzungen, vom Vertrag zurückzutreten oder diesen anzupassen. Dafür muss eine unvorhergesehene Änderung der Umstände vorliegen, die den Parteien nicht zurechenbar ist, und das Festhalten am ursprünglichen Vertrag nach Treu und Glauben für eine Partei äußerst ungerecht sein.

    Im Zusammenhang mit Fukushima 2011 spielte die Frage, wie höhere Gewalt auszulegen ist, eine Rolle. Allerdings wurden damals Konflikte häufig außergerichtlich geklärt, weshalb kaum gerichtliche Entscheidungen dazu existieren.

    Vertragliche Vereinbarung einer Force Majeure-Klausel 

    Haben die Parteien in ihren Vertrag eine Force Majeure-Klausel integriert, so kommt diese vorrangig zur Anwendung.

    Japanische Gerichte halten sich neben der Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls in der Regel vor allem an den genauen Wortlaut des Vertrages. Die Klausel sollte daher zuerst untersucht werden: Was wird dort unter „höherer Gewalt“ verstanden? Welche Ereignisse außerhalb des Einflussbereichs der Parteien sind aufgeführt, z.B. Epidemien? Ist die Klausel offen formuliert oder sind die Ereignisse abschließend genannt?

    Kausalität zwischen Ereignis und Nichterfüllung ist erforderlich.

    Mögliche vereinbarte Rechtsfolgen reichen etwa von der vollständigen Haftungs- oder Leistungsbefreiung, über Nichtigkeit des Vertrages, Anpassung des Leistungsumfangs bis hin zu lediglich einer Suspendierung während des Vorliegens höherer Gewalt.

    Die sich auf höhere Gewalt berufende Partei kann zudem die Folgen der Nichterfüllung zu mindern oder Mitteilungspflichten fristgerecht zu erfüllen haben.

    Im Rahmen der Durchsetzbarkeit solcher Klauseln können zwingende Regelungen des japanischen Rechts, etwa zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Verbraucherschutz oder der Grundsatz von Treu und Glauben zu beachten sein.

    Ausblick

    Sind Verträge in Japan zwar grundsätzlich verhältnismäßig kurz, erscheint bei künftigen - obwohl natürlich die Corona-Situation schon bekannt ist - die detaillierte Ausgestaltung einer Force Majeure-Klausel, die konkrete Ereignisse höherer Gewalt explizit enthält, sinnvoll. Dies auch, da dem Wortlaut des Vertrages vor Gericht besondere Bedeutung beigemessen wird.

    Generell sollten vor Geltendmachung der höheren Gewalt Auswirkungen auf langfristige Geschäftsbeziehungen und speziell das Risiko eines „Gesichtsverlusts“ abgeschätzt werden.

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    Von Julia Merle | Bonn

  • Kanada: Coronavirus und Verträge

    Die Covid-19-Pandemie hat in Kanada weitreichende wirtschaftliche Folgen und beeinträchtigt insbesondere auch laufende Vertragsbeziehungen.

    Einleitung

    Die Bedrohung durch das neuartige Coronavirus beeinträchtigt die globale Wirtschaft massiv und erschwert Unternehmen die tägliche Arbeit.

    In diesem Rahmen ist in rechtlicher Hinsicht für die Unternehmen eine der zentralen Fragen, wie ihre Rechte und Pflichten in Bezug auf Verträge aussehen, die sie aufgrund der Covid-19-Pandemie möglicherweise nur teilweise oder gegebenenfalls gar nicht mehr erfüllen können.

    Im kanadischen Vertragsrecht kann der Ausbruch von Krankheiten oder Seuchen einen Fall "Höherer Gewalt" darstellen, wie ihn sogenannte Force-Majeure-Klauseln vorsehen.

    Höhere Gewalt-Klausel in Verträgen

    Das Vertragsrecht in Kanada basiert in allen Provinzen außer Québec auf dem Common Law. In diesem Rahmen enthalten Verträge in Kanada in einer Vielzahl von Fällen eine Klausel zur höheren Gewalt (Force Majeure). Sofern eine Vertragspartei eine im Vertrag vorhandene Force-Majeure-Klausel wirksam geltend gemacht hat, richtet sich die rechtliche Wirkung der Klausel nach der hierfür im Vertrag konkret vorgesehenen Vereinbarung. Die meisten Force-Majeure-Klauseln setzen die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen durch die betroffene Vertragspartei für die Dauer des Ereignisses der höheren Gewalt aus, erlauben aber keine Kündigung. Andere Klauseln wiederum erlauben eine spätere Beendigung des Vertrages, jedoch nur, wenn das Ereignis der höheren Gewalt für eine bestimmte Zeitspanne andauert. In Québec erkennt das Bürgerliche Gesetzbuch den Begriff der höheren Gewalt an, so dass eine Force-Majeure-Klausel in einer vertraglichen Vereinbarung, die unter die Gerichtsbarkeit Québecs fällt, oftmals nicht notwendigerweise erforderlich ist.

    Eine Vertragspartei, die sich auf eine im Vertrag existierende Force-Majeure-Klausel berufen möchte, muss zunächst beweisen, dass das vorliegende Ereignis unter die vertragliche Definition der höheren Gewalt fällt. In diesem Zusammenhang enthalten Force-Majeure-Klauseln in der Regel eine spezifische Aufzählung von Ereignissen (zum Beispiel Wetterereignisse oder Krankheiten), die als höhere Gewalt gelten. Diese Ereignisse haben gemeinsam, dass sie außerhalb jeglicher Kontrolle der Vertragsparteien liegen. Sofern das im konkreten Einzelfall vorliegende Ereignis nicht in einer etwaigen Force-Majeure-Klausel explizit als höhere Gewalt aufgeführt ist, besteht die Möglichkeit, dass das Ereignis im Wege der Auslegung der Klausel dennoch unter die vertragliche Definition der höheren Gewalt fällt.

    Damit sich eine Vertragspartei auf eine vertraglich vorgesehene Force-Majeure-Klausel berufen kann, ist es nicht ausreichend, dass die entsprechende Klausel das vorliegende Ereignis als höhere Gewalt qualifiziert. Vielmehr ist es zudem noch erforderlich, dass die betroffene Vertragspartei nachweist, dass ein entsprechender Kausalzusammenhang zwischen der Nichterfüllung der vertraglichen Verpflichtungen und dem Ereignis besteht. Ferner definieren die meisten Force-Majeure-Klauseln den Grad der Einflussnahme des Ereignisses auf die Nichterfüllung der vertraglichen Leistungspflichten selbst. Zum Beispiel kann eine Force-Majeure-Klausel vorsehen, dass es ausreichend ist, dass das Ereignis die Leistungserfüllung „verhindert“.

    In diesem Zusammenhang gilt es zu berücksichtigen, dass, sofern der Grad der Einflussnahme des Ereignisses auf die Nichterfüllung der vertraglichen Leistungspflichten nicht selbst in der Klausel festgelegt ist, die kanadischen Gerichte den Anwendungsbereich von Force-Majeure-Klausel relativ restriktiv auslegen und nur als eröffnet ansehen, wenn das Ereignis die Leistungserfüllung „unmöglich“ macht. Insbesondere sehen die kanadischen Gerichte es als nicht ausreichend an, dass das Ereignis die Leistungserbringung lediglich wirtschaftlich nicht mehr rentabel macht.

    Welche rechtlichen Grundsätze greifen, wenn ein Vertrag keine Force-Majeure-Klausel enthält?

    Falls ein Vertrag keine Force-Majeure-Klausel enthält, kann unter Umständen die Rechtsfigur der „Frustration of Contract“ (FoC) zum Tragen kommen. Eine „Frustration“ setzt voraus, dass sich die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen aufgrund eines unvorhergesehenen Ereignisses ohne Verschulden der Vertragsparteien nachträglich als praktisch unmöglich herausstellt oder der Charakter des Vertrages sich aufgrund des unvorhergesehenen Ereignisses grundlegend verändert. Im Gegensatz zu der im Vertrag individuell ausgehandelten rechtlichen Wirkung einer Force-Majeure-Klausel führt die „Frustration“ automatisch dazu, dass beide Vertragsparteien von ihren vertraglichen Verpflichtungen entbunden werden.

    Force-Majeure-Klausel und FoC als letzte Mittel

    Im kanadischen Recht gelten etwaige in Verträgen vorhandene Force-Majeure-Klauseln und die Rechtsfigur der „Frustration of Contract“ als letzte Mittel, die nur zur Anwendung kommen, wenn die Vertragsparteien zuvor alle ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen ausgeschöpft haben. Insofern sich eine Vertragspartei auf eine Force-Majeure-Klausel berufen möchte, muss sie nachweisen, dass es keine wirtschaftlich vernünftigen Alternativen gab, die die Auswirkungen des Ereignisses und dessen Folgen für die andere Vertragspartei hätten mildern können. Ebenso trifft die andere Vertragspartei beziehungsweise den Geschädigten die Pflicht, den Schaden und die Schadensfolgen so gering wie möglich zu halten.

    Mehr zum Thema „Coronavirus und anwendbares Recht“:

    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

    Von Jan Sebisch | Bonn

  • Kasachstan: Coronavirus und Verträge

    Das Oberste Gericht Kasachstans hat am 6. Mai 2020 Erläuterungen zu den Auswirkungen des am 15. März 2020 verhängten Notstandes auf Verträge erlassen.

    Einleitung

    Am 15. März 2020 ordnete der Präsident Kasachstans im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie den Notstand an. Dies umfasst ein Ein- und Ausreiseverbot, die Einführung einer Quarantäne, Auflagen für die Arbeit von Einkaufszentren etc. Die aktuelle Situation kann zu Problemen bei der Vertragsabwicklung führen. Am 6. Mai 2020 hat das Oberste Gericht Kasachstans Erläuterungen zu Auswirkungen dieser Notstandslage auf die Haftung aus vertraglichen Verpflichtungen und die Verjährungsfristen erlassen.

    Klauseln im Vertrag beachten

    Meist beinhalten grenzüberschreitende Verträge eine Klausel über höhere Gewalt (Force-Majeure). Solche Force Majeure-Klauseln zählen konkrete Tatbestände (z.B. Naturkatastrophen, Kriege, Terroranschläge etc.) und deren Folgen für die Vertragsabwicklung auf. Die Vertragsklauseln gehen den gesetzlichen Vorschriften vor und sind daher für die Auswirkung von Ausfällen oder Verzögerungen bei Warenlieferungen und Zahlungen auf die vertraglichen Verpflichtungen primär heranzuziehen. Zunächst wäre also zu fragen, ob die Vertragsklausel den Ausbruch einer Epidemie oder Pandemie sowie behördliche Anordnungen ausdrücklich regelt oder Begriffe enthält, die entsprechend ausgelegt werden können. Für die Praxis ist künftig eine ausführliche vertragliche Regelung von derartigen Situationen zu empfehlen.

    Geltung des kasachischen Rechts

    Normen des kasachischen Rechts finden dann auf deutsch-kasachische Verträge Anwendung, wenn der Vertrag eine Rechtswahlklausel zugunsten des kasachischen Rechts enthält oder mangels einer Rechtswahlklausel die Regeln des Kollisionsrechts (Internationales Privatrecht) zur Geltung des kasachischen Rechts führen. Dies ist insbesondere bei Importverträgen, die eine Lieferung aus Kasachstan nach Deutschland vorsehen, der Fall. Zu beachten ist, dass Kasachstan dem UN-Kaufrechtsübereinkommen (CISG) bislang nicht beigetreten ist. Das bedeutet, dass bei Geltung des kasachischen Rechts die Vorschriften des kasachischen Zivilgesetzbuches (ZGB) zu beachten sind.

    Regelungen des kasachischen Rechts

    Gemäß Art. 359 Abs. 2 ZGB (russisch / englisch) haftet eine Person, die eine unternehmerische Tätigkeit ausübt, für Nicht- oder Schlechterfüllung ihrer Verpflichtungen, sofern sie nicht Beweis dafür erbringt, dass die ordnungsgemäße Erfüllung infolge von höherer Gewalt, d.h. von außerordentlichen und unabwendbaren Umständen, unmöglich geworden ist. Als Beispiele führt die Norm Naturkatastrophen und Kriege an. Die Vorschrift stellt ferner fest, dass das Fehlen von für die Erfüllung notwendigen Waren oder Dienstleistungen auf dem Markt nicht zu solchen Umständen zu zählen ist.

    Gemäß Art. 182 Abs. 1 Ziffer 1 ZGB führen Umstände höherer Gewalt zur Hemmung der Verjährungsfrist. Ab dem Tag, an dem der Umstand der höheren Gewalt nicht mehr besteht, läuft die Verjährungsfrist weiter. Dabei verlängert sich die verbliebene Verjährungsfrist auf sechs Monate.

    Erläuterungen des Obersten Gerichts

    Gemäß den Erläuterungen des Obersten Gerichts vom 6. Mai 2020 sind unter außerordentlichen Umständen solche außergewöhnlichen und dringenden Umstände zu verstehen, die offensichtlich außerhalb der gewöhnlichen und normalen Ordnung liegen. Diese sind unabwendbar, wenn sie unvermeidbar sind und unabhängig vom Willen der Mehrheit der Teilnehmer des Rechtsverkehrs eingetreten sind, also jeder Teilnehmer, der eine ähnliche Tätigkeit ausübt, objektiv das Eintreten eines solchen Umstandes oder seiner Folgen nicht vermeiden konnte. Das Oberste Gericht folgert daraus, dass die Anordnung und Geltung des Notstandes alle Kriterien der höheren Gewalt erfüllt. Da es sich bei dem Notstand um eine allgemein bekannte Tatsache handelt, ist eine gesonderte Anrufung von Gerichten zwecks Bestätigung des Umstandes höherer Gewalt nicht notwendig.

    Sofern die Nichterfüllung nur durch Umstände höherer Gewalt, d.h. temporäre Maßnahmen und Beschränkungen im Rahmen des Notstandes, verursacht wurde, kommt es zu einer Befreiung von Schadensersatzansprüchen und Vertragsstrafen.

    Pflichtverletzungen und Unmöglichkeit infolge von Umständen höherer Gewalt führen nach Auffassung des Obersten Gerichts zu einer entsprechenden Anpassung (Verlängerung) der vertraglichen Pflichten. Es steht den Parteien zu, das Vertragsverhältnis gemäß Kapitel 24 (Art. 401 bis 405) ZGB einseitig unter Einhaltung einer einmonatigen Frist zu kündigen.

    Das Oberste Gericht empfiehlt Unternehmern, sich zwecks Reduzierung von negativen Folgen für die Wirtschaft an die Regeln der Geschäftsethik zu halten und Streitigkeiten nach Möglichkeit einvernehmlich beizulegen.

    Prozessuale Fristen, z.B. zur Einlegung von Rechtsmitteln, können angesichts des Notstandes gemäß Art. 126 Zivilprozessordnung verlängert werden.

    Bescheinigung über Umstände höherer Gewalt

    Die Auslandshandelskammer Kasachstans, die bei der Nationalen Unternehmerkammer besteht, ist befugt, Bescheinigungen zur Bestätigung des Vorliegens der Umstände höherer Gewalt auszustellen. Während der COVID19-Pandemie erfolgt die Ausstellung solcher Bescheinigungen gebührenfrei innerhalb von fünf Werktagen. Eine solche Bescheinigung kann vor Gericht als Beweis verwendet werden, garantiert jedoch keine Haftungsbefreiung. Bei Schließungen infolge von behördlichen Anordnungen oder Einreiseverboten wird empfohlen, den Geschäftspartner um Aufschub, Stundung, Ratenzahlung bzw. Nichtberechnung von Vertragsstrafen zu bitten.

    In folgenden Situationen wurde die Ausstellung einer Bescheinigung abgelehnt:

    ▪ Pflichtverletzung erfolgte vor Verhängung des Notstandes;

    ▪ Fehlen eines Kausalzusammenhangs zwischen der Pflichtverletzung und den Verboten im Rahmen des Notstandes;

    ▪ gesunkene Nachfrage auf Produkte und Dienstleistungen bei Fehlen eines Verbots, der entsprechenden Tätigkeit nachzugehen;

    ▪ Währungsschwankungen.

    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

    Von Dmitry Marenkov | Bonn

  • Katar: Coronavirus und Verträge

    Katar ist ein nicht zu vernachlässigender Handelspartner Deutschlands im Nahen Osten. Was passiert nun, wenn Verträge wegen der Covid-19-Pandemie nicht mehr erfüllt werden können?

    Einleitung

    Das Coronavirus hat Unternehmen auf der ganzen Welt, und damit auch im Staat Katar, vor große Herausforderungen gestellt.

    In dem kleinen Land am Persischen Golf hat sich die Pandemie auf Unternehmen ausgewirkt, die in verschiedenen Branchen tätig sind - von Veranstaltungen über den Einzelhandel bis hin zum Baugewerbe und anderen. Unternehmen, die jetzt nicht mehr in der Lage sind, ihren Verpflichtungen nachzukommen, oder die der Meinung sind, dass die Erfüllung ihrer Verpflichtungen für sie eine außergewöhnliche Belastung darstellen würde, können verschiedene Optionen im Rahmen ihrer Verträge und des Gesetzes erwägen.

    Schritt eins: Was sagt der Vertrag?

    Die meisten Verträge enthalten eine Klausel über höhere Gewalt, die vor allem Risiken abdeckt, die nicht versichert werden können. Es ist in der Region üblich, Klauseln über höhere Gewalt in Standardverträge zu integrieren. Das Konzept der höheren Gewalt ist in Katar und auch in anderen arabischen Zivilrechtsordnungen anerkannt.

    Klauseln über höhere Gewalt können sich im Detail auf Einzelheiten des Vertrags richten, für die sie von besonderer Relevanz sein könnten. Insbesondere schreibt das katarische Recht nicht vor, was höhere Gewalt ist. Die Parteien sind daher in der Lage, in ihren Verträgen festzulegen, welche Ereignisse als höhere Gewalt zu betrachten sind (z.B. eine Pandemie.). Unbedingt mit geregelt werden sollten dabei die Rechte und Ansprüche, die jede Partei nach ihrer Vereinbarung hätte, sollte ein solches Ereignis eintreten.

    Schritt zwei: Was sagt das anwendbare Recht?

    Das katarische Recht bietet im Zivilgesetzbuch des Landes zwei Optionen, die für die Erfüllung von Verpflichtungen unter solchen Umständen gelten können: den Begriff der außergewöhnlichen Umstände und den der höheren Gewalt.

    Außergewöhnliche Umstände

    Im katarischen Zivilgesetzbuch beschreiben mehrere Bestimmungen die Rechte der Vertragsparteien, von vertraglichen Verpflichtungen befreit zu werden, wenn bestimmte Ereignisse eintreten. Artikel 171 gibt einen Überblick:

    „Pacta sunt servanda – Ein ordnungsgemäß zwischen den Parteien geschlossener Vertrag muss eingehalten werden und die Nichterfüllung der jeweiligen Verpflichtungen stellt eine Verletzung dieses Vertrags dar. Ein solcher Vertrag kann nur im gegenseitigen Einvernehmen der Parteien oder aus gesetzlich vorgesehenen Gründen widerrufen oder geändert werden.

    Wenn jedoch infolge außergewöhnlicher und unvorhersehbarer Ereignisse die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung zwar nicht unmöglich, aber übermäßig belastend wird, so dass dem Schuldner ein exorbitanter Schaden droht, kann der Richter nach Maßgabe der Umstände und unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien die übermäßige Verpflichtung auf ein angemessenes Maß reduzieren.“

    Gemäß dieses Art. 171 sind mehrere Schlüsselbegriffe wichtig.

    Erstens muss das maßgebliche Ereignis "außergewöhnlich und unvorhersehbar" sein.

    Zweitens muss zwischen einem „außergewöhnlichen und unvorhersehbaren Ereignis" und einer „belastenden Verpflichtung“ Kausalität festgestellt werden.

    Und drittens müssen die negativen Auswirkungen für die um Abhilfe ersuchende Partei "übermäßig belastend" sein und die Gefahr eines "exorbitanten Verlusts" darstellen. Eine bloße Erhöhung der Kosten oder Schwierigkeiten, die durch ein außergewöhnliches Ereignis verursacht wird, dürfte der belasteten Partei keinen Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz geben. Der Vertrag muss tatsächlich und wesentlich beeinträchtigt sein.

    Höhere Gewalt

    Artikel 188 des Zivilgesetzbuches befasst sich mit einem separaten, aber verwandten Begriff - höhere Gewalt.

    „In gegenseitigen Verträgen, in denen die Erfüllung einer Verpflichtung durch eine Partei wegen Unmöglichkeit der Erfüllung aufgrund eines Ereignisses höherer Gewalt, das außerhalb der Kontrolle des Verpflichteten liegt, erlischt diese Verpflichtung und die damit zusammenhängenden Verpflichtungen ebenfalls und der Vertrag gilt von Rechts wegen als aufgelöst.

    Das katarische Recht legt nicht ausdrücklich fest, ob Ausbrüche von Epidemien oder Pandemien automatisch als Ereignisse höherer Gewalt gelten. Es ist jedoch grundsätzlich möglich und denkbar, dass in bestimmten Fällen die COVID-19-Pandemie oder auch die von der Regierung in diesem Zuge angeordneten Maßnahmen, als Ereignis höherer Gewalt im Sinne des katarischen Rechts gelten. Der Grundsatz bleibt aber, dass die Vertragsklausel vor Ausbruch der Pandemie aufgesetzt worden sein muss.

    Schadensersatz

    Der Schwerpunkt bei Ereignissen höherer Gewalt liegt zwar zu einem großen Teil auf der Beendigung des Vertrages oder einer gerichtlich angeordneten Änderung. Darüber hinaus befasst sich Art. 204 des Zivilgesetzbuches auch noch mit einem anderen damit zusammenhängenden Begriff – Schadensersatz.

    „Weist eine Person nach, dass ein Schaden aus einem Grund entstanden ist, der sich ihrer Kontrolle entzieht, wie höhere Gewalt, ein unvorhergesehenes Ereignis oder das Verschulden des Opfers oder eines Dritten, so haftet diese Person nicht für solche Schäden, es sei denn, es gibt eine gegenteilige Bestimmung.“

    Ergänzend zum Zivilgesetzbuch enthält das Handelsgesetzbuch von Katar Regelungen zu höherer Gewalt. Artikel 176 beispielsweise, der sich mit Import-/Exportfragen befasst, regelt eine Ausnahme des Gefahrübergangs bei einer sogenannten Schickschuld im internationalen Warenverkehr. Nach dieser Vorschrift erhält ein Frachtführer keine Bezahlung für die Beförderung von Gütern, die durch höhere Gewalt untergegangen sind.

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    Von Jakob Kemmer | Bonn

  • Kenia: Coronavirus und Verträge

    Das Land ist ein wichtiger Handelspartner in Ostafrika. Viele Unternehmen können aufgrund des Coronavirus Verträge nicht mehr erfüllen. Was sind die rechtlichen Folgen?

    Einleitung

    Auch die kenianische Wirtschaft leidet unter den Folgen der Coronapandemie. Wie andere afrikanische Staaten hat Kenia zeitweise drastische Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, dies auch vor dem Hintergrund, dass das Gesundheitssystem auf eine Vielzahl von Krankheitsfällen nicht vorbereitet wäre. So wurden zeitweise die Flughäfen, Schulen und Universitäten geschlossen sowie Veranstaltungen abgesagt. Außerdem wurde eine nächtliche Ausgangssperre verhängt.

    Trotz Lockerungen stehen viele Unternehmen angesichts der vergangenen oder noch bestehenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens vor der Frage: Was sind die rechtlichen Folgen, wenn Verträge aufgrund der Beeinträchtigungen durch das Coronavirus nicht mehr eingehalten werden können?

    Was sehen die vertraglichen Regelungen vor?

    Erster Anhaltspunkt für Unternehmen, die vor diesem Problem stehen, sollte der dem Geschäft zugrundeliegende Vertrag sein. Die überwiegende Mehrheit der Verträge enthält sogenannte Höhere Gewalt-Klauseln, auch force majeure-Klauseln genannt. Ob das Coronavirus nach vertraglicher Regelung ein Ereignis höherer Gewalt darstellt, ist auch abhängig von der Formulierung der jeweiligen Klausel und dem anwendbaren Recht.

    Einen Anhaltspunkt für die Formulierung einer Vertragsklausel bietet die Musterklausel der Internationalen Handelskammer (ICC Force Majeure Clause 2020), deren Geltung vertraglich vereinbart werden kann. Danach muss ein Hindernis vorliegen, das außerhalb der Kontrolle der leistungsschuldenden Partei liegt, das für die Parteien bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar war und dessen Auswirkungen nicht hätten verhindert werden können.

    Höhere Gewalt-Klauseln enthalten darüber hinaus häufig eine beispielhafte Aufzählung von Ereignissen, die für die Vertragsparteien ein Ereignis höherer Gewalt darstellen. Die vertraglichen Auswirkungen des Coronavirus dürften danach insbesondere unter Begriffe wie Pandemie oder Epidemie fallen. Die überwiegende Literatur geht ferner davon aus, dass auch Begriffe wie Regierungsakte (acts of government) ausreichen dürften. Auch die ICC-Musterklausel enthält eine derartige Liste, die je nach Art des Geschäfts und Leistungsortes im Rahmen der Vertragsverhandlungen ergänzt werden sollte.

    Eine weitere Voraussetzung ist regelmäßig die Kausalität zwischen dem Ereignis höherer Gewalt und der Nichterfüllung. Das bedeutet, dass Grund für das Unvermögen, den Vertrag zu erfüllen, die durch das Coronavirus hervorgerufenen Beeinträchtigungen sein müssen. Außerdem ist die sich auf höhere Gewalt berufende Partei, laut ICC-Musterklausel, verpflichtet, die andere Partei hierüber unverzüglich in Kenntnis zu setzen. Der Vertrag kann hierfür auch eine konkrete Frist vorsehen.

    Rechtsfolge ist die Befreiung von den vertraglichen Pflichten

    Beruft sich eine Partei erfolgreich auf höhere Gewalt, werden nach der ICC-Musterklausel beide Vertragsparteien von ihren vertraglichen Pflichten befreit. Die sich auf höhere Gewalt berufende Partei haftet nicht für Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder Verzug.

    Ist die Beeinträchtigung nur von vorübergehender Natur, was bei den Beschränkungen zur Bekämpfung des Coronavirus in der Regel anzunehmen ist, dann gilt die Leistungsbefreiung nur für die Dauer der Beeinträchtigung. Sobald das beeinträchtigende Ereignis weg fällt, hat die sich auf die höhere Gewalt berufende Partei die andere Partei hierüber zu informieren und beide Parteien sind wieder zur Leistung verpflichtet.

    Teilweise treten Fälle auf, in denen die Vertragserfüllung nach Wegfall der Beeinträchtigung keinen Sinn mehr macht. Hier sieht die ICC-Musterklausel vor, dass beide Parteien innerhalb einer angemessenen Frist kündigen können.

    Nach kenianischem Recht gilt die Doktrin der frustration of contract

    Möglicherweise wurde bei Vertragsschluss versäumt, eine Höhere Gewalt-Klausel zu vereinbaren. In diesem Fall ist bei anwendbarem kenianischem Recht, wie in anderen anglo-amerikanischen Rechtssystemen, die aus dem Richterrecht entwickelte Doktrin der frustration of contract anwendbar.

    Hierauf kann sich eine Vertragspartei berufen, wenn nach Vertragsschluss ein Ereignis eintritt, das nicht von den Vertragsparteien verursacht wurde und die Erfüllung unmöglich macht oder den Charakter des Vertrages grundlegend ändert. Außerdem muss das Ereignis bei Vertragsschluss weder bekannt noch vorhersehbar gewesen sein. Da die Doktrin der frustration of contract von den Gerichten sehr eng ausgelegt und nur unter bestimmten Umständen angewendet wird, genügt eine bloße Erschwerung der Erfüllung, beispielsweise durch eine Verzögerung oder eine Verteuerung, in der Regel nicht.

    Rechtsfolge einer erfolgreichen Berufung auf die frustration of contract ist, dass beide Parteien von ihren vertraglichen Verpflichtungen befreit werden und der Vertrag aufgelöst wird. Bereits erfolgte Leistungen können zurückgefordert werden. Nicht vorgesehen ist es bei der frustration, dass der Vertrag nach Wegfall der Beeinträchtigung weiterbesteht und die Parteien wieder zur Leistung verpflichtet sind.

    UN-Kaufrecht

    Kenia hat das Übereinkommen zum UN-Kaufrecht nicht ratifiziert. Nichtsdestotrotz ist es möglich, dass auf einen Vertrag mit einem kenianischen Geschäftspartner das UN-Kaufrecht anwendbar ist.

    Mehr zu diesem und zum Thema „Coronavirus und anwendbares Recht“:


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    Von Katrin Grünewald | Bonn

  • Kirgisistan: Coronavirus und Verträge

    Vertragsparteien sollten eine Vertragsanpassung in Betracht ziehen. Force-Majeure-Umstände können im Einzelfall zur Befreiung von Haftung für Nicht- oder Spätleistung führen. 

    Klauseln im Vertrag beachten

    Grenzüberschreitende Verträge beinhalten meist eine Klausel über höhere Gewalt (Force-Majeure). Solche Force Majeure-Klauseln nennen konkrete Tatbestände (z.B. Naturkatastrophen, Kriege etc.) und deren Folgen für die Vertragsabwicklung. Die Vertragsklauseln gehen den gesetzlichen Vorschriften vor und sind daher für die Auswirkung von Ausfällen oder Verzögerungen bei Warenlieferungen und Zahlungen infolge der Coronakrise auf die vertraglichen Verpflichtungen primär heranzuziehen. Zunächst wäre also zu fragen, ob die Vertragsklausel den Ausbruch einer Epidemie oder Pandemie sowie behördliche Anordnungen ausdrücklich regelt oder Begriffe enthält, die entsprechend ausgelegt werden können. Die Klausel kann eine Pflicht zur Benachrichtigung über die Umstände sowie die Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung vorsehen. Die Klausel ist nach dem anwendbaren Recht auszulegen. Für die Praxis ist künftig eine ausführliche vertragliche Regelung von derartigen Situationen zu empfehlen.

    Vertragsanpassung in Erwägung ziehen

    Die Vertragsparteien sollten bei drohenden oder eingetretenen Störungen des Vertragsverhältnisses infolge der COVID19-Maßnahmen eine einvernehmliche Vertragsanpassung in Betracht ziehen, die einen Gang vors Gericht erspart. Dabei kann es sich beispielsweise um Verlängerung von Fristen für die Erfüllung vertraglicher Pflichten, Zahlungsaufschub und Nichtanwendung von Vertragsstrafen handeln.

    Anwendung des kirgisischen Rechts

    Normen des kirgisischen Rechts finden dann Anwendung, wenn der Vertrag eine entsprechende Rechtswahlklausel enthält oder mangels einer solchen die Regeln des Internationalen Privatrechts zur Geltung des kirgisischen Rechts führen, vor allem bei Importverträgen, die eine Lieferung aus Kirgisistan nach Deutschland vorsehen. Zu beachten ist, dass Deutschland und Kirgisistan Vertragsstaaten des UN-Kaufrechtsübereinkommens (CISG) sind. Daher finden Normen des kirgisischen Zivilgesetzbuches nur dann Anwendung, wenn die Vertragsparteien die Geltung des CISG ausgeschlossen haben oder das CISG keine Regelung enthält (z.B. Verjährungsfragen).

    Normen im kirgisischen Recht

    Sofern vertraglich nichts anderes vereinbart ist, kommt es gemäß Art. 356 Abs. 3 ZGB zu einer Befreiung von der Haftung für Nicht- oder Schlechterfüllung von vertraglichen Verpflichtungen, wenn der Schuldner beweisen kann, dass eine ordnungsgemäße Erfüllung infolge von höherer Gewalt, d.h. von außerordentlichen und unabwendbaren Umständen, unmöglich geworden ist. Die Norm präzisiert, dass Pflichtverletzungen seitens der Vertragspartner des Schuldners, das Fehlen von für die Erfüllung notwendigen Waren auf dem Markt sowie der Geldmangel nicht zu solchen Umständen gehören.

    Haben sich Umstände, auf deren Grundlage der Vertragsabschluss zustande gekommen ist, schwerwiegend verändert, kann der Vertrag gemäß Art. 412 ZGB geändert oder aufgehoben werden, wenn sich aus dem Vertrag und seinem Wesen nichts anderes ergibt. Die Änderung von Umständen gilt als schwerwiegend, wenn sie sich derart verändert haben, dass die Parteien, sofern sie dies hätten vernünftigerweise vorhersehen können, den Vertrag gar nicht oder zu ganz anderen Bedingungen abgeschlossen hätten.

    Wenn die Vertragsparteien keine Einigung über eine Vertragsanpassung oder -aufhebung erzielt haben, kann die Aufhebung und Anpassung vor Gericht beantragt werden, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:

    ▪ Die Änderung der Umstände erfolgte aus Gründen, die die betroffene Vertragspartei bei Anwendung der nach Vertrag und Verkehrssitte erforderlichen Sorgfalt nicht überwinden konnte;

    ▪ Die Vertragserfüllung würde das Verhältnis der wirtschaftlichen Interessen der Vertragsparteien stören und die betroffene Partei derart benachteiligen, dass sie den beim Vertragsschluss erwarteten Vorteil im Wesentlichen verlieren würde;

    ▪ Aus dem Wesen des Vertrages und den Handelsbräuchen folgt nicht, dass die einschlägige Partei das Risiko der Änderung der Umstände trägt.

    Nach Art. 217 ZGB ist die Verjährung gehemmt, wenn die Rechtsverfolgung aufgrund höherer Gewalt unmöglich war. Ab dem Tag, an dem der Umstand höherer Gewalt nicht mehr besteht, läuft die Verjährungsfrist weiter.

    Wirkung des Force-Majeure-Einwandes

    Der Force-Majeure-Einwand befreit die Vertragspartei nicht von der Leistungspflicht, z.B. der Warenlieferung. Sobald der als höhere Gewalt anerkannte Umstand wegfällt, ist die entsprechende Leistung zu erfüllen. Dagegen tritt eine Befreiung von der Haftung für die Nicht- oder Schlechterfüllung infolge Umstände höherer Gewalt ein; Schadensersatz oder Vertragsstrafen wären nicht zu zahlen.

    Der Force-Majeure-Einwand hat keinen universellen oder abstrakten Charakter. Daher kann die Coronakrise nicht für alle Unternehmer und Verträge Geltung erlangen. Vielmehr muss ein Schuldner die kausalen Folgen von konkreten Maßnahmen (z.B. Fahrverbote oder eine angeordnete Unternehmensschließung) auf bestimmte Leistungsverpflichtungen in einem konkreten Vertragsverhältnis darlegen und seinen Geschäftspartner rechtzeitig darüber informieren.

    Force-Majeure-Zertifikate

    Die Industrie- und Handelskammer Kirgisistans kann auf Antrag ein Zertifikat über das Vorliegen von Force-Majeure-Umständen ausstellen. Als Force-Majeure-Umstände werden die außerordentlichen und unter diesen Bedingungen unabwendbaren Umstände (Naturkatastrophen, Kriegszustände etc.) anerkannt. Dazu gehören Brände, Überschwemmungen, Erdbeben, Epidemien, Streiks, Import- und Exportverbote etc. Die Ausstellung nimmt in der Regel zehn Werktage in Anspruch, es besteht auch eine Option der Bearbeitung in drei Tagen.


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    Von Dmitry Marenkov | Bonn

  • Kroatien: Coronavirus und Verträge

    In Kroatien werden viele staatliche Maßnahmen ergriffen, um das Coronavirus einzudämmen. Jeder Bereich ist "infiziert". Auch das Vertragsrecht?  


    Einleitung

    Vor mehr als einem Monat wurde in Kroatien der Notstand ausgerufen. Durch die andauernde Coronakrise können laufende Verträge nicht ordnungsgemäß erfüllt werden. Die verhängten staatlichen Maßnahmen erschweren den laufenden Betrieb. Mögliche rechtliche Lösungen, um aus eventuellen Schadensersatzforderungen rauszukommen, bieten die Verträge selbst oder das kroatische Gesetz über die Schuldverhältnisse (Zakon o obveznim odnosima). 

    Vertragliche Klauseln zu „höherer Gewalt“

    In Kroatien kann man Klauseln, die bestimmen, welche Fälle unter „höhere Gewalt“ fallen, in Verträge aufnehmen. Da das kroatische Gesetz keine genauen Beispiele für "höhere Gewalt" nennt, können die Vertragsparteien selbst definieren, welche Fälle sie darunter fassen. Meistens sind es Naturkatastrophen oder Streiks. Wenn aber die Vertragsparteien den Fall der Epidemie oder Pandemie aufgenommen haben, sind Sie auf der sicheren Seite. Umso mehr ist es jetzt wichtig, die Verträge dahingehend zu prüfen.

    Unmöglichkeit der Leistung

    Die Grundlagen des kroatischen Vertragsrechts sind im Gesetz über die Schuldverhältnisse (Zakon o obveznim odnosima) zu finden. Dort sind unter anderem Rechte und Pflichten von Vertragsparteien für die Fälle der Unmöglichkeit geregelt. Die Nichtdurchführung von Verträgen, die auf Grund der Coronavirus-Pandemie eingetreten ist, kann im Einzelfall als ein Fall der Unmöglichkeit angesehen werden.    

    Der allgemeine Grundsatz der Beendigung einer Vertragserfüllung ist im Artikel 208 des Gesetzes über die Schuldverhältnisse geregelt. Die Verpflichtung zur Vertragserfüllung erlischt nämlich, wenn ihre Erfüllung aufgrund von Umständen, für die der Schuldner nicht verantwortlich ist, unmöglich wird. Damit er keinen Schadensersatz leisten muss, muss er die Umstände nachweisen. Er muss nachweisen, dass er seiner Verpflichtung nicht nachkommen konnte oder seine Verpflichtung aufgrund äußerer, außergewöhnlicher und unvorhergesehener Umstände, die sich nach Abschluss des Vertrages ergeben und die er nicht verhindern, beseitigen oder vermeiden konnte, verspätet erfüllt hat. Diese Befreiung vom Schadensersatz ist im Artikel 343 geregelt. Die beschriebenen Umstände können implizieren, dass auch der Fall "höherer Gewalt" darunter fällt.

    Die vollständige oder teilweise Unmöglichkeit ist im Artikel 373 des Gesetzes über die Schuldverhältnisse geregelt. Im Absatz 1 heißt es: „Wenn die Erfüllung einer Verpflichtung einer Vertragspartei aus einem bilateralen Vertrag aufgrund außergewöhnlicher externer Ereignisse nach Vertragsschluss und vor Fälligkeit der Verpflichtung unmöglich wird, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vorhersehbar waren, noch von der Vertragspartei verhindert, vermieden oder beseitigt werden konnten und dies nicht in der Verantwortung einer Partei liegt, erlischt auch die Verpflichtung der anderen Partei.“ Diese Bestimmungen implizieren, was unter „höherer Gewalt“ zu verstehen ist. Wenn vollständige Unmöglichkeit eingetreten ist und bereits teilweise erfüllt worden ist, dann kann eine Rückzahlung verlangt werden. Absatz 2 beschreibt die teilweise Unmöglichkeit einer Vertragserfüllung. Bei teilweiser Unmöglichkeit kann der Vertrag gekündigt werden oder eine Minderung der Vertragserfüllung verlangt werden.

    Änderung oder Kündigung von Verträgen 

    Artikel 369 des Gesetzes über die Schuldverhältnisse ermöglicht es den Vertragsparteien, eine Änderung oder sogar Kündigung wegen geänderter Umstände durchzuführen. Im Absatz 1 werden auch die Merkmale, die „höhere Gewalt“ begründen können, erwähnt. Dort heißt es: „Wenn aufgrund außergewöhnlicher Umstände nach Vertragsschluss, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vorhersehbar waren, die Erfüllung der Verpflichtung durch eine Vertragspartei übermäßig schwierig wird oder einen übermäßig hohen Verlust verursacht, kann eine Vertragsänderung oder sogar eine Änderung erforderlich sein.“ Eine Partei kann sich aber nicht auf die geänderten Umstände berufen, wenn sie zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses verpflichtet war, diese Umstände zu berücksichtigen, oder sie hätte vermeiden oder überwinden können (Absatz 2). Eine Kündigung kann nicht erfolgen, wenn die andere Partei anbietet oder sich bereit erklärt, die einschlägigen Bestimmungen des Vertrages fair zu ändern (Absatz 4). Die Kündigung erfolgt durch einen Gerichtsbeschluss. Auch im Fall der möglichen Kündigung sind alle Gegebenheiten zu prüfen und immer muss im Einzelfall entschieden werden, ob eine Kündigung oder Änderung die gewünschten Ergebnisse erzielen kann. 

    Ausblick

    Es bleibt abzuwarten, wie die kroatischen Gerichte die Coronakrise einstufen und ob sie darin einen Fall von "höherer Gewalt" sehen. Wenn die Vertragsparteien eine Klausel diesbezüglich in die Verträge aufgenommen haben, müssen die Verträge gründlich geprüft werden. Es kann von Fall zu Fall unterschiedlich sein. Viele Unternehmen haben den Wunsch geäußert, dass seitens der Behörden eine Einstufung der Coronakrise als "höhere Gewalt" erfolgt (so wie es zum Beispiel in Rumänien der Fall ist). Bis dato gibt es aber keine öffentlichen Bemühungen die in diese Richtung gehen.  

    Mehr zum Thema „Coronavirus und UN-Kaufrecht“

    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial. 

    Von Marcelina Nowak | Bonn

  • Malaysia: Coronavirus und Verträge

    Das Coronavirus stellt Unternehmen in deutsch-malaysischen Vertragsbeziehungen vor Herausforderungen: Was passiert, wenn vertragliche Verpflichtungen nicht erfüllt werden können?

    Einleitung

    Diverse Maßnahmen wurden in Malaysia ergriffen, um die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen. Insbesondere wurde mit Wirkung ab 18. März 2020 zunächst eine „Movement Control Order“ (Verordnung zur Bewegungseinschränkung; MCO) erlassen, gefolgt von der „Conditional MCO“ und im Juni 2020 der „Recovery MCO“. Letztere wurde ab 1. Januar 2021 bis zum 31. März 2021 verlängert.

    Die Frage stellt sich, ob sich Unternehmen in der gegenwärtigen Situation auf „höhere Gewalt“ berufen und so eventuell im Falle der Unmöglichkeit der Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen nicht dafür haften oder sich vom Vertrag lösen können.

    Bei bestehenden grenzüberschreitenden deutsch-malaysischen Verträgen sollte vorab geprüft werden, welchem Recht sie unterliegen, etwa ob die Parteien ein bestimmtes nationales Recht vereinbart haben. Obwohl Malaysia bislang kein Vertragsstaat des UN-Kaufrechts ist, kann dieses aufgrund der Rechtswahlfreiheit dennoch vereinbart werden.

    Haben die Vertragsparteien eine Force Majeure-Klausel vereinbart?

    In Malaysia als Common Law-Staat kommt es, damit sich die Parteien auf force majeure berufen können, entscheidend darauf an, ob eine solche Bestimmung in den Vertrag aufgenommen wurde und auf deren spezifische Ausgestaltung. Regelmäßig werden die Parteien eine Regelung getroffen haben, nach der sie etwa von einer Haftung befreit sind, wenn sie aufgrund eines Ereignisses höherer Gewalt ihre vertraglichen Verpflichtungen nicht oder nicht rechtzeitig erfüllen können. Ob höhere Gewalt möglicherweise im Hinblick auf den Ausbruch des Coronavirus oder die MCO in Betracht kommt, hängt neben den Umständen des Einzelfalls auch davon ab, wie der jeweilige Vertrag force majeure (oder Act of God) definiert.

    Die bestehende Klausel sollte genau geprüft werden: Was wird dort unter „höherer Gewalt“ verstanden? Welche Ereignisse sind evtl. konkret aufgeführt, auch Epidemien oder Pandemien? Ist die Klausel offen formuliert oder werden die Ereignisse vielleicht abschließend genannt?

    Eventuell sind darin Fristen zur Geltendmachung der höheren Gewalt vorgesehen. Man hat ggf. Mitteilungspflichten (etwa rechtzeitige Anzeige gegenüber Vertragspartner) nachzukommen oder Schadensminderungsmaßnahmen zu ergreifen.

    Dann wäre zu untersuchen, welche Rechtsfolgen des Eintritts von Ereignissen höherer Gewalt die jeweilige Klausel vorsieht: So kann das die vollständige oder teilweise Haftungsbefreiung wegen Nichterfüllung oder Verzug, oder die Möglichkeit der Lösung vom Vertrag (Kündigung) sein, aber auch lediglich eine vorübergehende Aussetzung der vertraglichen Verpflichtungen.

    Die Partei, die sich auf force majeure beruft, hat nach der Rechtsprechung zu beweisen, dass ein solches Ereignis, wie es die Klausel vorsieht, eingetreten und, dass die Vertragserfüllung durch dieses verhindert, beeinträchtigt oder verzögert worden ist. Sie hat weiter zu beweisen, dass ihre Nichterfüllung auf Umstände zurückzuführen ist, die außerhalb ihres Einflussbereichs lagen und sie die gebotene Sorgfalt angewendet hat, um das Ereignis oder seine Folgen zu vermeiden oder zu mindern bzw. dies auch bei Anwendung der angemessenen Sorgfalt nicht gelungen wäre.

    Im Einzelfall können sich viele Auslegungsfragen, etwa zur Kausalität, stellen.

    Was sieht das malaysische Recht vor?

    Ausdrückliche gesetzliche Bestimmungen zur force majeure bestehen nicht. Vielmehr kann - haben die Parteien keine Force Majeure-Regelung getroffen oder greift diese nicht - die aus dem englischen Recht bekannte „Doctrine of Frustration“ (etwa Wegfall oder Störung der Geschäftsgrundlage) in Betracht kommen.

    Nach Sec. 57 Abs. 2 Vertragsgesetz (Contracts Act 1950, CA) wird ein Vertrag über eine Handlung, die nach Vertragsschluss unmöglich oder aufgrund eines Ereignisses, das der Schuldner nicht verhindern konnte, rechtswidrig ist, nichtig, wenn die Handlung unmöglich oder rechtswidrig wird.

    Die „Unmöglichkeit“ wird nicht definiert, soll aber eine grundlegende Veränderung der Umstände sowie eine Vereitelung des Zwecks umfassen; wirtschaftliche Unmöglichkeit genüge nicht.

    Die Rechtsprechung hat Voraussetzungen aufgestellt, die eine Partei erfüllen muss, die sich darauf berufen möchte: Für das Ereignis, auf das sie sich beruft, darf der Vertrag keine Regelung enthalten. Das Ereignis darf nicht auf ihr eigenes Verhalten zurückzuführen sein. Es muss die Verpflichtung derart grundlegend verändern, dass die Durchsetzung des ursprünglichen Vertrages ungerecht wäre.

    Sec. 57 Abs. 3 CA sieht einen Schadensersatzanspruch der anderen Partei für durch die Nichterfüllung entstandene Verluste vor, wenn die versprechende Partei im Gegensatz zu ihr bei Vertragsschluss wusste oder bei gebotener Sorgfalt hätte wissen müssen, dass die Handlung unmöglich oder rechtswidrig ist.

    Im Falle der Nichtigkeit des Vertrages hat nach Sec. 66 CA  jeder, der aus dem Vertrag Vorteile erhalten hat, diese an die Person, von der er sie erhalten hat, zurückzugeben oder eine Entschädigung zu leisten.

    Sec. 15 Civil Law Act 1956 regelt bezüglich „frustrated contracts“, welche Rechtsfolgen sich ergeben, wurde die Erfüllung des Vertrages unmöglich oder der Vertrag anderweitig vereitelt und sind die Parteien deswegen von der weiteren Vertragserfüllung befreit; für bestimmte Vertragstypen bestehen Ausnahmen, Sec. 16.

    Gibt es Sonderregelungen in Bezug auf die Coronapandemie?

    Siehe dazu: GTAI-Rechtsmeldung "Malaysia verlängert temporäre Maßnahmen bezüglich Verträgen"

    Ausblick

    Bei Gestaltung künftiger Verträge sollte besonders auf Aufnahme und Ausgestaltung einer Force Majeure-Klausel geachtet werden. So erscheint es etwa sinnvoll, Epidemien und Pandemien in eine nicht abschließende, beispielhafte Aufzählung der Ereignisse aufzunehmen.


    Mehr zum Thema „Coronavirus und anwendbares Recht“:

    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

    Von Julia Merle | Bonn

  • Malta: Coronavirus und Verträge

    Malta ist wie viele andere Länder von der Corona-Pandemie betroffen. Auch hier können Verträge nicht wie geplant durchgeführt werden. Liegt ein Fall höherer Gewalt vor?

    Einleitung

    Die Einreise nach Malta ist ab dem 1. Juli 2020 wieder möglich, sofern der Herkunftsstaat zum sogenannten sicheren Korridor gehört. Welche Länder hiervon umfasst sind, teilt Visit Malta auf einer entsprechenden Webseite mit. Dort finden sich auch weitergehende Informationen zum Umgang mit COVID-19.

    Dennoch bringt die Corona-Pandemie erhebliche Schwierigkeiten für Unternehmen mit sich. Produktion und Lieferketten sowie die Erbringung von Dienstleistungen sind gleichermaßen davon betroffen.

    Covid-19 und Vertragsrecht

    In Bezug auf vertragliche Verpflichtungen folgt das maltesische Recht der Doktrin pacta sunt servanda in sehr strenger Weise. Das bedeutet, dass Verträge grundsätzlich bindend sind und man sich nur unter engen Voraussetzungen von diesen lösen kann. Auch gilt, dass vertragliche Vereinbarungen im Allgemeinen Vorrang vor den gesetzlichen Regelungen haben. Was vertraglich geregelt ist, bedarf also keines Rückgriffs auf das Gesetz - so auch bei Force Majeure- beziehungsweise Höhere Gewalt-Klauseln. Was genau unter höherer Gewalt zu verstehen ist, ist häufig durch individualvertragliche Konkretisierung festgelegt. Maßgeblich zur rechtlichen Einschätzung ist daher ein direkter Blick in den Vertrag, denn oftmals sind dort explizit Anwendungsfälle (zum Beispiel Naturkatastrophen, Streiks) genannt. Enthält ein Vertrag allerdings keine solche Klausel zu höherer Gewalt, so ist auf die gesetzlichen Bestimmungen zurückzugreifen.

    Die maltesischen Gesetze (Laws of Malta) kennen das Prinzip der höheren Gewalt: Art. 1134 des 16. Kapitels (Civil Code) nennt dieses explizit. Für die Annahme höherer Gewalt ist erforderlich, dass es sich um ein außergewöhnliches und unvorhersehbares Ereignis handelt, das nicht der sich darauf berufenden Partei zuzuschreiben ist. Weitere Voraussetzung ist, dass das Ereignis auch durch äußerste Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Zudem muss die sich darauf berufende Partei nachweisen, dass sie alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, um die Auswirkungen des betreffenden Ereignisses zu mildern. Die Gerichte lassen eine Berufung auf dieses Konstrukt aber nur unter sehr engen Voraussetzungen zu. Ob die derzeit andauernde Coronakrise ein Ereignis höherer Gewalt darstellt, muss demnach von Fall zu Fall beurteilt werden.

    Mehr zum Thema „Coronavirus und anwendbares Recht“:

    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

    Von Nadine Bauer | Bonn

  • Niederlande: Coronavirus und Verträge

    Die Niederlande und Deutschland sind wirtschaftlich eng verbunden. Vertragsbeziehungen folgen häufig niederländischem Recht. Was passiert, wenn die Vertragserfüllung in Frage steht?

    Einleitung

    Auch die Niederlande sind von dem Coronavirus COVID-19 betroffen, und die Regierung handelt, um die Bevölkerung zu schützen. Einige Beschränkungen haben erhebliche Störungen der wirtschaftlichen Betätigung verursacht. Störungen in deutsch-niederländischen Vertragsbeziehungen können natürlich auch aus in Deutschland oder anderen Ländern geltenden Beschränkungen folgen. Die Erbringung von Leistungen kann unmöglich oder deutlich schwieriger werden. Dieser Bericht erläutert, wie das niederländische Recht mit diesem Thema umgeht.

    Die Regelung im bürgerlichen Recht: Artikel 6:75

    Wenn die Erbringung einer Leistung durch einen äußeren Umstand unmöglich oder deutlich schwieriger wird, spricht man oft von "höherer Gewalt", im Niederländischen gibt es den Begriff "Overmacht". Im Burgerlijk Wetboek (im Folgenden: BW), dem niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuch, findet sich die Regelung hierzu in Artikel 6:75 BW. Dort geht es vor allem um die Frage des Verschuldens. Konkret: ein Leistungsmangel kann dem Schuldner der Leistung nicht zugerechnet werden, wenn er a) unverschuldet ist, also außerhalb seines Verantwortungsbereichs liegt, und b) weder ein Gesetz, ein sonstiger Rechtsakt oder eine Vereinbarung, noch eine Verkehrsanschauung existieren, die eine solche Zurechnung vornehmen.   

    Wenn zum Beispiel eine Lieferung aus dem Ausland über den normalen Transportweg nicht mehr, über einen alternativen Transportweg aber durchaus noch möglich ist, wird in vielen Fällen Verschulden vorliegen, wenn der Leistungsschuldner diesen alternativen Weg nicht wählt, denn die Entscheidung über den Transportweg liegt im Verantwortungsbereich des Leistenden. Anders formuliert: wenn die Leistung erschwert, aber noch möglich ist, wird eine Berufung auf höhere Gewalt in aller Regel nicht möglich sein. Entsprechendes gilt, wenn die Ereignisse, die zur Unmöglichkeit der Leistung führen, bei Vertragsschluss schon vorhersehbar waren. 

    Die Beweislast für das Vorliegen der höheren Gewalt trägt der Schuldner der Leistung.

    Was folgt aus dem Vorliegen der Voraussetzungen des Artikel 6:75? Zunächst ist der Schuldner der Leistung für die Nichterfüllung nicht verantwortlich, er kann also nicht erfolgreich auf Erfüllung oder Verzugsschaden in Anspruch genommen werden. Allerdings kann es sein, dass der Leistungsschuldner Aufwand spart. So kann es im Einzelfall doch einen Anspruch auf Schadenersatz geben, der allerdings auf die ersparten Aufwendungen beschränkt ist, siehe Artikel 6:78 BW. Nicht ausdrücklich geregelt, aber fast immer ratsam ist eine möglichst zeitige Mitteilung der höheren Gewalt an die andere Partei.

    Weiterhin kann im Einzelfall die Regelung des Artikel 6:265 BW relevant werden: wenn eine Partei ihre Verpflichtung nicht erfüllt, kann die andere Partei den Vertrag ganz oder teilweise beenden. Dieser Tatbestand dürfte häufig erfüllt sein. Denn es genügt, dass die Pflicht nicht erfüllt wird - ein Verschulden muss der Nichterfüllung nicht zugrunde liegen. Etwas weniger einschneidend ist die Aussetzung („Opschorting“) der vertraglichen Gegenleistung, wenn die Leistung der anderen Partei - vorübergehend - unmöglich wird. Das Vertragsverhältnis als solches wird in diesem Fall aufrechterhalten, und möglicherweise können die Leistungen zu einem späteren Zeitpunkt noch ausgetauscht werden.

    Oft ist die höhere Gewalt auch vertraglich geregelt

    Wer mit durch den Coronavirus verursachten Problemen bei der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen zu tun hat, sollte den betroffenen Vertrag zunächst genau lesen. Denn es steht den Parteien frei, sich vertraglich auf eine vom Gesetz abweichende Regelung der höheren Gewalt zu einigen. Der Begriff kann erweitert, eingeschränkt oder auch näher spezifiziert werden. Viele Verträge enthalten eine Aufzählung von Ereignissen, auf die die Definition der höheren Gewalt zutrifft, häufig werden Epidemien dort ausdrücklich genannt sein. Ist dies nicht der Fall, wird es nahezu immer darauf ankommen, ob eine Epidemie von einem Auffangtatbestand (wie zum Beispiel „act of God“) erfasst wird.

    Wenn höhere Gewalt im Sinne einer vertraglichen „force majeure“ – Klausel vorliegt, muss es eine Kausalverbindung zwischen dieser höheren Gewalt und der Unmöglichkeit oder, je nach der individuellen Klausel, vielleicht auch nur erheblichen Erschwerung der Erbringung der geschuldeten Leistung geben. Wenn also das Leistungshindernis auf der höheren Gewalt beruht, dann sehen die entsprechenden Vertragsklauseln in aller Regel vor, dass eine Mitteilung der - eigentlich - leistungspflichtigen Partei an die andere Partei erfolgen muss. In manchen Verträgen ist eventuell eine Frist für diese Mitteilung enthalten, beispielsweise „innerhalb einer Woche nach Bekanntwerden des Hinderungsgrundes“ oder ähnlich.

    Ist die Mitteilung erfolgt und liegen auch die anderen Voraussetzungen vor, folgt daraus in den meisten Fällen eine Befreiung von der Leistungspflicht und auch eine Befreiung von einer Haftung auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung oder Verzug. Wenn die Beeinträchtigung nur zeitweise besteht, und das wird im Hinblick auf viele Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus häufig der Fall sein, dann gelten die genannten Befreiungen nur so lange, wie die Beeinträchtigung besteht. Fällt sie weg, muss der Leistungsschuldner den Leistungsgläubiger darüber informieren. Manche Klauseln regeln eine Verpflichtung zur Neuverhandlung der Leistungspflichten. In anderen Fällen kann die Beeinträchtigung dazu führen, dass bestimmte Leistungen dauerhaft nicht mehr sinnvoll erbracht werden können. Dann kann eine Kündigungsmöglichkeit vorgesehen sein, falls nicht, kann möglicherweise Artikel 6:265 BW relevant werden (siehe oben).

    Mehr zum Thema „Coronavirus und anwendbares Recht“:

    GTAI Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

    Von Karl Martin Fischer | Bonn

  • Nigeria: Coronavirus und Verträge

    Das bevölkerungsreichste Land Afrikas ist ein wichtiger Handelspartner. Können aufgrund des Coronavirus vertragliche Pflichten wegen höherer Gewalt entfallen?

    Einleitung

    In Nigeria wurden bereits frühzeitig harte Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. So wurden zeitweise Flughäfen und Grenzen geschlossen und dadurch der Personenreiseverkehr eingeschränkt. Außerdem wurde die Einreise aus zahlreichen Staaten erheblich erschwert beziehungsweise verboten. Ausnahmen gelten für nigerianische Staatsangehörige, Personen mit Daueraufenthaltsgenehmigung in Nigeria und Diplomaten. Je nach aktueller Lage können bei der Einreise ein verpflichtender Covid19-Test oder eine Quarantäne erforderlich sein. Darüber hinaus gibt es eine nächtliche Ausgangssperre.

    Aufgrund der umfassenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens kann es vorkommen, dass ein Vertrag nicht mehr erfüllt werden kann. Daher stellt sich die Frage: Was sieht das nigerianische Recht in derartigen Fällen vor und gilt die Coronakrise als Ereignis höherer Gewalt?

    Vertragliche Regelungen

    Höhere Gewalt-Klauseln, auch force majeure-Klauseln, genannt sind Gegenstand zahlreicher Verträge. Daher gilt als erster Schritt, wenn man vor dem Problem steht, einen Vertrag aufgrund der Beeinträchtigungen zur Bekämpfung des Coronavirus nicht mehr erfüllen zu können, einen Blick in den bereits bestehenden Vertrag zu werfen. Anhaltspunkte dafür, wie eine Höhere Gewalt-Klausel formuliert sein könnte, bietet auch die Musterklausel der Internationalen Handelskammer (ICC Force Majeure Clause 2020), deren Geltung vertraglich vereinbart werden kann.

    Danach enthalten Höhere Gewalt-Klauseln häufig eine Aufzählung von Ereignissen, die als höhere Gewalt eingestuft werden. Dabei können Verträge allgemeine Begriffe, beispielsweise acts of god, acts of government oder national emergency enthalten. Bei diesen Begriffen ist nicht auf Anhieb klar, ob das Coronavirus darunterfällt. Einfacher wird es bei Begriffen wie Epidemie oder Pandemie. Hierbei dürfte davon auszugehen sein, dass auch die Beeinträchtigungen im Zuge des Coronavirus gemeint sind.

    Eine weitere Voraussetzung einer Höhere Gewalt-Klausel ist in der Regel, dass es zwischen dem Ereignis höherer Gewalt und der Nichterfüllung des Vertrages einen kausalen Zusammenhang gibt. Die Beeinträchtigungen durch das Coronavirus müssen somit Ursache für die Nichterfüllung sein. Die ICC-Musterklausel sieht ferner vor, dass die leistungserbringende Partei die andere Partei über die Unmöglichkeit der Nichterfüllung informiert. Der Vertrag kann für diese Informationspflicht eine Frist vorsehen.

    Rechtsfolge einer erfolgreichen Berufung auf eine Höhere Gewalt-Klausel ist, dass beide Parteien von ihren vertraglichen Pflichten befreit werden. Außerdem entfällt die Haftung für Schadensersatz wegen Nichterfüllung oder Verzug. Wenn die Beeinträchtigung nur vorübergehend besteht, was bei der Coronakrise häufig der Fall sein dürfte, dann gilt laut ICC-Musterklausel die Leistungsbefreiung nur für die Dauer der Beeinträchtigung. Sobald das beeinträchtigende Ereignis wegfällt, hat die sich auf die Klausel berufende Partei die andere Partei hierüber zu informieren und die Parteien sind wieder zur Erfüllung des Vertrages verpflichtet.

    Höhere Gewalt im nigerianischen Recht

    Sofern eine Prüfung des anwendbaren Rechts zum Ergebnis kommt, dass nigerianisches Recht anwendbar ist, sollte auch ein Blick in das nigerianische Vertragsrecht geworfen werden. Dieses sieht keine Definition von höherer Gewalt vor. Wer keine vertragliche Regelung vereinbart hat, dem bleibt nur noch die Möglichkeit, sich auf die aus dem Richterrecht entwickelte Doktrin der frustration of contract zu berufen.

    Voraussetzung dafür ist, dass ein Ereignis vorliegt, das für die Parteien bei Vertragsschluss unvorhersehbar war. Durch dieses Ereignis muss außerdem die Erfüllung einer vertraglichen Pflicht unmöglich geworden sein oder sich der Charakter des Vertrages grundlegend geändert haben, sodass das Ergebnis der noch möglichen Erfüllung ein völlig anderes als das vereinbarte ist.

    Bei einer erfolgreichen Berufung auf die Doktrin der frustration of contract wird der Vertrag beendet. Das Kaufrecht ist in Nigeria auf bundesstaatlicher Ebene geregelt. Somit sind weitere Regelungen zur Rechtsfolge bei der Doktrin der frustration of contract in den jeweiligen Landesgesetzen zu finden. Beispielsweise sieht das Gesetz des Bundesstaates Lagos (Law Reform (Contracts) Law of Lagos‘ State) vor, dass alle bereits gezahlten Geldbeträge erstattet werden. Überdies können Aufwendungen, die in Erwartung der Vertragserfüllung gemacht wurden, erstattet werden.

    Wichtig zu wissen ist, dass die nigerianischen Gerichte die Doktrin der frustration of contract sehr restriktiv anwenden. Nicht möglich ist eine Berufung auf diese Doktrin, wenn die Vertragserfüllung durch das Ereignis höherer Gewalt lediglich schwieriger oder teurer geworden ist, selbst wenn damit erhebliche ökonomische Einbußen für den Leistungserbringer verbunden sind. Wirtschaftliche Härte (economic hardship) gilt somit nach nigerianischem Recht nicht als Grund für eine Berufung auf die Doktrin der frustration of contract.

    UN-Kaufrecht

    Nigeria hat das Übereinkommen zum UN-Kaufrecht nicht ratifiziert. Nichtsdestotrotz ist es möglich, dass auf einen Vertrag mit einem nigerianischen Geschäftspartner das UN-Kaufrecht anwendbar ist.

    Mehr zu diesem und zum Thema „Coronavirus und anwendbares Recht“:


    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

    Von Katrin Grünewald | Bonn

  • Österreich: Coronavirus und Verträge

    Die Corona-Pandemie hat weitreichende wirtschaftliche Auswirkungen, insbesondere auch auf bestehende Verträge. Ist die Pandemie nach österreichischem Recht ein Fall höherer Gewalt?

    Einleitung

    Vor dem Hintergrund der anhaltenden COVID-19-Pandemie ist auch das öffentliche Leben immer noch geprägt von den Einflüssen der Coronakrise. Das österreichische Bundessozialministerium informiert daher auf seiner Webseite über die aktuell gültigen Regelungen.

    Folge der Krise ist oftmals, dass Verträge nicht mehr wie geplant durchführbar sind oder die Durchführung sogar unmöglich wird. Dies betrifft den Waren- wie auch den Dienstleistungsverkehr gleichermaßen. Um die Auswirkungen auf Verträge abschätzen zu können, gilt es zunächst, zu kontrollieren, welche Regelungen der konkrete Vertrag vorsieht. Trifft der Vertrag diesbezüglich keinerlei Aussagen, so ist auf die anwendbaren gesetzlichen Regelungen zurückzugreifen.

    Die Unmöglichkeit im österreichischen Recht

    Das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) unterscheidet zwei Fälle der Unmöglichkeit: Die nachträgliche und die anfängliche Unmöglichkeit. Eine sogenannte nachträgliche Unmöglichkeit ist gegeben, wenn eine Leistung nach dem Zustandekommen des Vertrages endgültig nicht mehr erbracht werden kann. Der Leistungserbringer darf nicht für diese Unmöglichkeit verantwortlich sein. Stand hingegen bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses fest, dass die Leistung nicht erbracht werden kann, handelt es sich um einen Fall anfänglicher Unmöglichkeit.

    Eine Leistung wird beispielsweise auch dann unmöglich, wenn ihre Erbringung gegen geltende Vorschriften verstoßen würde. Auch Gesetze oder Verwaltungsakte, die nach Vertragsschluss erlassen werden, können zu einer solchen Unmöglichkeit führen. Voraussetzung ist hier allerdings, dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vernünftigerweise vorhersehbar war, dass entsprechende Vorschriften in Kraft treten würden.

    Bezogen auf das Coronavirus wird man wohl in vielen Fällen zu dem Ergebnis kommen, dass die Leistungserbringung zufällig nachträglich unmöglich geworden ist (§ 1447 ABGB). Dies hat zur Folge, dass die Pflicht zur Erbringung dieser Leistung erlischt. Im Gegenzug entfällt aber auch der Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Gegenleistung. Wurde diese bereits erbracht, so ist der Vertrag rückabzuwickeln. Ein Schadensersatz wegen Verzug scheidet hierbei aus.

    Der Wegfall der Geschäftsgrundlage

    Unter dem Wegfall der Geschäftsgrundlage versteht man den Wegfall beziehungsweise die Störung der geschäftstypischen Umstände. Der Wegfall darf sich hierbei nicht nur auf die individuellen Voraussetzungen einer Partei beziehen, sondern es muss gerade die geschäftliche Grundlage für beide Seiten betroffen sein. Dieses Rechtskonstrukt ist in Österreich gesetzlich nicht geregelt und dient mithin als Auffangtatbestand, um unangemessene und ungerechte Ergebnisse zu vermeiden.

    Wird der Wegfall der Geschäftsgrundlage bejaht, so besteht das Recht auf Vertragsanpassung oder sogar auf Vertragsanfechtung, sofern dem Vertragspartner nicht mehr zugemutet werden kann, weiter am Vertrag festzuhalten.

    Ob dieses rechtliche Konstrukt vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Pandemie greift, lässt sich nicht allgemeinverbindlich sagen, sondern ist einzelfallbezogen zu beurteilen.

    Individualvertragliche Regelungen/Höhere Gewalt-Klausel

    Bestehende Verträge können vertraglich vereinbarte Kündigungs- oder Vertragsaufhebungsbestimmungen enthalten, die dann den gesetzlichen Bestimmungen vorgehen. Hierzu zählt zum Beispiel auch die Vereinbarung einer sogenannten Force Majeure- beziehungsweise Höhere Gewalt-Klausel. Unter „höherer Gewalt“ versteht man in Österreich unerwartete äußere Umstände, die eine Vertragspartei daran hindern, ihre vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Das Vorliegen höherer Gewalt ist anzunehmen, wenn

    • ein Ereignis,
    • das von außen einwirkt,
    • nicht einmal durch die äußerste zumutbare Sorgfalt zu verhindern ist („unabwendbar“) und
    • so außergewöhnlich ist, dass es nicht als typische Betriebsgefahr anzusehen ist.

    Das Ereignis liegt also außerhalb des Einflussbereichs der Vertragsparteien und kann unter den gegebenen Umständen mit zumutbaren Mitteln nicht vermieden werden.

    Liegt höhere Gewalt vor, so haben die Parteien in der Regel das Recht, die vertraglichen Leistungspflichten für die Zeit der Fortdauer der höheren Gewalt auszusetzen oder sie sind sogar zum Vertragsrücktritt berechtigt. Bereits erbrachte Leistungen sind im Falle des Rücktritts herauszugeben.

    Eine schadenersatzrechtliche Haftung der Partei besteht mangels Verschuldens der Vertragsverletzung grundsätzlich nicht.

    Mehr zum Thema „Coronavirus und anwendbares Recht":

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    Von Nadine Bauer | Bonn

  • Polen: Coronavirus und Verträge

    In Polen werden viele staatliche Maßnahmen ergriffen, um den Coronavirus einzudämmen. Jeder Bereich ist "infiziert". Auch das Vertragsrecht?  

    Einleitung

    Die Corona-Pandemie hat die Wirtschaft in Polen gelähmt. In Anbetracht dessen stellt sich die grundlegende Frage: Wie wirkt sich die Pandemie auf vertragliche Verpflichtungen aus?

    Verschuldensprinzip

    Im polnischem Recht ist bei der Haftungsfrage für Vertragsverletzungen der Verschuldensmaßstab essentiell (Artikel 355 des polnischen Zivilgesetzbuches). Folglich ist eine Vertragspartei nicht verpflichtet, Schäden, die durch die Nichterfüllung oder Schlechterfüllung eines Vertrages verursacht wurden, zu beheben, wenn diese durch Umstände verursacht wurden, die sie nicht zu vertreten hat (Artikel 475 des polnischen Zivilgesetzbuches). So ein Umstand kann "höhere Gewalt" sein.

    Was ist höhere Gewalt? Ist sie vertraglich vereinbart?

    Der Begriff der "höheren Gewalt" wird zwar sowohl in Gesetzestexten als auch in Verträgen verwendet, ist aber gesetzlich nicht definiert. Es ist jedoch allgemein anerkannt (in der Rechtsprechung und der Lehre), dass höhere Gewalt ein Ereignis ist:

    • das von außen und plötzlich eintritt,
    • unvorhersehbar (oder fast unmöglich vorherzusehen) ist,
    • dessen Folgen nicht verhindert werden können (die Vertragsparteien sind nicht in der Lage, die unmittelbaren Gefahren abzuwehren).

    Alle drei Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Die meisten Verträge enthalten eine Klausel zur höheren Gewalt. Die Standardklausel besteht in der Regel aus zwei Elementen: Der erste Teil enthält eine Bestimmung, die die Parteien von der Haftung für die Auswirkungen höherer Gewalt ausschließt, während der zweite Teil katalogartig aufzählt, was höhere Gewalt im Einzelnen ist. Meistens sind es: Naturkatastrophen, Kriege, Streiks, Grenz- und Hafenschließungen oder andere Umstände oder Ursachen, die die Parteien nicht zu vertreten haben. Eine "Epidemie" oder "Pandemie" wird in einer solchen Klausel häufig nicht ausdrücklich erwähnt.

    Standardbeispiele bilden aber keinen abschließenden Katalog. Wenn also diese Haftungsregeln, einschließlich der Vertragsstrafen, in Verträgen nicht vorgesehen sind, müsste sich ein Unternehmen, der seine Verpflichtungen infolge der Coronavirus-Epidemie nicht erfüllen kann, mangels Verschulden darauf berufen können. Hier wird sich auch in der Zukunft zeigen, welche Auffassung die polnischen Gerichte vertreten.  

    Anwendung von Gewährleistungsrechten?

    Wenn der Vertrag keine Klausel über höhere Gewalt enthält, können die allgemeinen Regeln geltend gemacht werden. Gemäß Artikel 471 des polnischen Zivilgesetzbuches ist der Schuldner verpflichtet, den Schaden zu ersetzen, der durch die Nichterfüllung oder die Schlechterfüllung des Schuldverhältnisses entstanden ist, es sei denn, die Nichterfüllung oder die Schlechterfüllung ist die Folge von Umständen, die der Schuldner nicht zu vertreten hat. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, ob die Coronavirus-Pandemie als höhere Gewalt einzustufen ist oder nicht.

    Aus der Sicht des Schuldners wird es entscheidend sein zu beweisen, dass er seine Verpflichtung infolge der Coronavirus-Pandemie, die er ja nicht zu vertreten hat, nicht oder nicht vertragsgemäß erfüllen konnte und dass er gleichzeitig sein Bestes getan hat, um sie zu erfüllen. Andererseits muss der Gläubiger nachweisen, dass ihm durch die Nichterfüllung oder Schlechterfüllung ein Schaden entstanden ist. Wenn wir davon ausgehen, dass eine Coronavirus-Pandemie die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, lohnt es sich, für den Fall der Fälle entsprechende Beweise zu sammeln. Es gibt viele Gewährleistungsrechte über die man in solchem Fall nachdenken könnte. 

    Eine vertragliche Verpflichtung erlischt zudem nach Artikel 475 § 1 des polnischen Zivilgesetzbuches, wenn die Leistung durch Umstände, die der Schuldner nicht zu vertreten hat, unmöglich geworden ist. Die Leistungsunfähigkeit, die zum Erlöschen einer Verpflichtung führt, umfasst Situationen, in denen nach dem Entstehen der Verpflichtung ein Zustand vollständiger, dauerhafter und objektiver Unmöglichkeit vorliegt. Das könnte bei einer Pandemie gegeben sein. Artikel 495 § 1 des polnischen Zivilgesetzbuches sieht vor, dass, wenn eine der gegenseitigen Leistungen aus Umständen unmöglich geworden ist, die keine Partei zu vertreten hat,  die Partei, die die Leistung erbringen sollte, die Gegenleistung nicht verlangen kann;  hat sie sie bereits erhalten, ist sie zur Herausgabe nach den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung verpflichtet. Es ist hervorzuheben, dass die Unmöglichkeit, eine Leistung zu erbringen, dauerhaft sein muss und vom Kontext und den Umständen einer bestimmten Situation abhängt.

    Clausula rebus sic stantibus

    In Betracht kommt auch der Wegfall der Geschäftsgrundlage. Wenn Parteien damit nicht rechnen können, dass bestimmte Umstände eintreten, können sie sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen. Geregelt ist dieser Grundsatz im Artikel 357 des polnischen Zivilgesetzbuches.

    Höhere Gewalt und Verjährung

    Das Auftreten von höherer Gewalt kann auch die Verfolgung eines Anspruchs praktisch unmöglich machen. Artikel 121 Nr. 4 des polnischen Zivilgesetzbuches besagt, dass eine Verjährung nicht beginnt und eine bereits begonnene Verjährung gehemmt ist hinsichtlich aller Ansprüche, die der Berechtigte infolge höherer Gewalt vor dem Gericht oder einem anderen zur Entscheidung von Angelegenheiten der gegebenen Art zuständigen Organ nicht geltend machen kann, solange das Hindernis besteht.

    Coronavirus und Gerichtsverfahren

    Artikel 173 der polnischen Zivilprozessordnung sieht vor, dass Verfahren im Falle von höherer Gewalt ausgesetzt werden. Eine ähnliche Lösung gilt für das Verwaltungsverfahren.

    Mehr zum Thema „Coronavirus und UN-Kaufrecht“

    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial. 

    Von Marcelina Nowak | Bonn

  • Rumänien: Coronavirus und Verträge

    In Rumänien werden viele staatliche Maßnahmen ergriffen, um das Coronavirus einzudämmen. Diese Maßnahmen wirken sich auch auf das Vertragsrecht aus.  

    Einleitung

    Am 16. März 2020 wurde in Rumänien der Notstand durch das Präsidialdekret Nr. 195 vom 16. März 2020 ausgerufen. Einen Monat später wurde der Ausnahmezustand um 30 Tage bis zum 14. Mai 2020 durch das Präsidialdekret Nr. 240 vom 15. April 2020 verlängert. Dieser Ausnahmezustand lähmt die bestehenden Vertragsbeziehungen. Die Rechtzeitigkeit der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen wird für die Parteien immer schwieriger. Nachfolgend erhalten Sie einen Überblick über die Rechtsinstitute, die eine mögliche Lösung darstellen können.

    "Höhere Gewalt" gesetzlich geregelt

    Im rumänischen Zivilgesetzbuch ist „höhere Gewalt“ (forța majoră ) ausdrücklich im Artikel 1.351 definiert. Dort heißt es im Absatz 2: „Höhere Gewalt ist jedes äußere, unvorhersehbare, absolut unbesiegbare und unvermeidbare Ereignis“. Alle Tatbestandsmerkmale müssen kumulativ vorliegen. Einen Katalog mit Beispielsfällen enthält das Gesetz nicht. Gemäß Absatz 1 entfällt die Haftung, wenn der Schaden durch höhere Gewalt oder ein zufälliges Ereignis verursacht wird, sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist oder die Parteien nichts anderes vereinbart haben.

    Nur das reine Vorliegen des Ereignisses „höhere Gewalt“ reicht nicht aus. Vielmehr müssen noch andere Merkmale erfüllt sein. Das eingetretene Ereignis muss eine direkte Auswirkung auf die Vertragserfüllung haben, es war im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vorhersehbar und konnte von der Vertragspartei nicht erwartet werden. Wenn man sich als Vertragspartei auf „höhere Gewalt“ berufen möchte, muss man alle genannten Umstände nachweisen.

    Ob der Ausbruch der Coronavirus-Pandemie als „höhere Gewalt“ gewertet werden kann, muss immer im Einzelfall überprüft werden. Es muss genau nachgewiesen werden, wie sich die Pandemie auf die Vertragserfüllung auswirkt.

    Zertifikate über "höhere Gewalt" als möglicher Beweis

    Wie oben schon gesagt muss diejenige Partei, die sich auf „höhere Gewalt“ beruft, die Umstände auch beweisen. Eine Hilfe könnte das Zertifikat der rumänischen Industrie- und Handelskammer sein.  Um dieses Zertifikat zu erhalten, muss ein Antrag bei der örtlich zuständigen IHK gestellt werden. Diese bescheinigt dann nach einer Prüfung aller eingereichten Unterlagen, ob das Vorliegen von "höherer Gewalt" den vorgelegten Vertrag beeinflusst hat. Dafür wird eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von 500 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer erhoben.

    In manchen Verträgen wird dieser Nachweis als erforderlich angesehen. Ob aber das Zertifikat einen unwiderlegbaren Beweis darstellt, bleibt abzuwarten. Dabei kommt es auf die Gerichtspraxis an.

    In der Präsentation der Flash-Umfrage zum Thema „Auswirkungen des Coronavirus-Ausbruchs auf Unternehmen in Rumänien“ der AHK Rumänien können  Sie auf Seite 13 sehen, dass viele Unternehmen keine Kenntnis von so einem Zertifikat haben.

    Notstandsbescheinigung des Wirtschaftsministeriums als Beweis

    Einen weiteren Nachweis für das Ereignis "höhere Gewalt" in Form einer Notstandsbescheinigung  kann man beim rumänischen Wirtschaftsministerium beantragen. Geregelt ist sie in der Verordnung 791/2020 über die Erteilung von Notstandsbescheinigungen an Unternehmen, deren Tätigkeit im Rahmen des SARS-CoV-2 betroffen ist und dem Präsidialdekret Nr. 195 vom 16. März 2020. Diese Bescheinigung können aber nur kleinere und mittlere Unternehmen beantragen. Andere Unternehmen müssen sich auf andere Beweise berufen. 

    Dringlichkeitsverordnung über „höhere Gewalt“ für KMU

    Zum Schutze von kleinen und mittleren Unternehmen hat die rumänische Regierung spezielle Regelungen über höhere Gewalt verabschiedet. Geregelt sind sie in der Dringlichkeitsverordnung Nr. 29 vom 21. März 2020. Dort werden im Artikel X  Absatz 1) die einschlägigen Anwendungsfälle höherer Gewalt aufgezählt. Diese betreffen den laufenden Betrieb. Wie zum Beispiel die Verschiebung der Zahlungen an Versorgungsunternehmen (Strom, Erdgas, Wasser, Telefon und Internet) sowie Mietzahlungen für alle Niederlassungen (Hauptsitz und Nebensitz). Im Absatz 2) werden weitere Anwendungsfälle genannt. Hier kann „höhere Gewalt“ erst nach dem Versuch einer Neuverhandlung des Vertrages gegen eine Vertragspartei geltend gemacht werden, sofern sie mit Unterlagen (einschließlich elektronischer Übermittlung) nachgewiesen wurde. Die Verträge müssen an den Ausnahmezustand angepasst werden. Im Absatz 3) wird eine Vermutung aufgestellt, dass höhere Gewalt vorliegt, wenn durch eine behördliche Anordnung Maßnahmen geschaffen werden, die zur Verhütung und Bekämpfung der Pandemie erforderlich sind, und beispielsweise die Tätigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen beeinträchtigen. Die Vermutung kann von den Parteien durch jeden Beweis widerlegt werden.

    Letztes Mittel: Wegfall der Geschäftsgrundlage

    Artikel 1.271 des rumänischen Zivilgesetzbuches regelt den Wegfall der Geschäftsgrundlage. Wenn das Berufen auf höhere Gewalt scheitern sollte, kann man versuchen dieses Rechtsinstitut anzuwenden.

    Danach kann sich eine Vertragspartei auf die wesentliche Änderung der Umstände des Vertrages berufen. Diese Vertragsanpassung kann erfolgen:

    • wenn die Änderung der Umstände nach Vertragsschluss eingetreten ist;
    • das Ausmaß für den Schuldner zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vorhersehbar war;
    • der Schuldner die Verantwortung für ein solches Risiko nicht übernommen hat:
    • der Schuldner versucht nach Treu und Glauben und innerhalb einer angemessenen Frist vor Gericht in fairer und angemessener Weise den Vertrag anzupassen (Artikel 1.271 Ansatz 3).


    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial. 

    Von Marcelina Nowak | Bonn

  • Schweden: Coronavirus und Verträge

    Infolge der Corona-Pandemie können viele Verträge nicht wie vereinbart durchgeführt werden. Dies betrifft auch die Vertragsbeziehungen zwischen Deutschland und Schweden.

    Einleitung

    Die COVID-19-Pandemie führt zu Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Eine Übersicht über die aktuell gültigen Regelungen sowie die ergriffenen Maßnahmen hält die Webseite Krisinformation auch auf Englisch bereit. Weitergehende Informationen stellt zudem die schwedische Polizei zur Verfügung (auf Englisch).

    Die Pandemie und die mit ihr einhergehenden Beschränkungen belasten auch Unternehmen stark. Die schwedische Regierung hat daher bereits diverse Maßnahmen ergriffen, um die wirtschaftlichen Folgen abzumildern. Doch welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf Vertragsbeziehungen?

    Individualvertragliche Regelungen

    In vielen internationalen Verträgen findet sich eine sogenannte Force Majeure- beziehungsweise Höhere Gewalt-Klausel. Ist dies der Fall, so geht diese Klausel den gesetzlichen Bestimmungen vor.

    Was genau unter höherer Gewalt zu verstehen ist, ist häufig durch individualvertragliche Konkretisierung festgelegt. Maßgeblich zur rechtlichen Einschätzung ist daher ein direkter Blick in den Vertrag, denn oftmals sind dort explizit Anwendungsfälle (zum Beispiel Naturkatastrophen, Streiks) genannt. Gelegentlich enthalten Klauseln über höhere Gewalt sogar einen ausdrücklichen Hinweis auf Epidemien oder Pandemien. Ist einer dieser Anwendungsfälle einschlägig, so erleichtert dies die Berufung auf das Vorliegen höherer Gewalt. Zusätzlich ist aber auch erforderlich, dass das Ereignis höherer Gewalt in dem spezifischen vertraglichen Kontext die Erfüllung unmöglich macht oder die betroffene Partei in unangemessener Weise belastet.

    Ob die durch die Coronakrise verursachte Situation ein Ereignis höherer Gewalt darstellt, lässt sich nicht allgemeinverbindlich beantworten. Denn dies hängt im Ergebnis von der jeweiligen Ausgestaltung einer entsprechenden Klausel und den individuellen Umständen ab. Es hat somit eine konkrete Betrachtung des Einzelfalles zu erfolgen.

    Höhere Gewalt im schwedischen Recht

    Für den Fall, dass der Vertrag keine Regelung zur höheren Gewalt enthält oder auch in Ergänzung zu einer vertraglichen Regelung, ist auf die gesetzlichen Bestimmungen zurückzugreifen. Im Allgemeinen wird höhere Gewalt als ein von außen einwirkendes und unerwartetes Ereignis definiert, das auch durch äußerste Sorgfalt nicht abgewendet werden kann und das eine Vertragspartei an der Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen hindert. Voraussetzung für die Annahme höherer Gewalt sind somit Unvorhersehbarkeit und Unabwendbarkeit des Ereignisses.

    Ereignisse höherer Gewalt sind im schwedischen Recht nicht explizit geregelt. Das schwedische Kaufgesetz (köplag (1990:931)) eröffnet allerdings in § 27 die Möglichkeit, die Haftung des Verkäufers zu begrenzen: So können Lieferverzögerungen, die auf unvorhergesehene Ereignisse außerhalb der Kontrolle des Verkäufers zurückzuführen sind, grundsätzlich keinen Schadensersatzanspruch begründen. Voraussetzung hierfür ist, dass es sich um ein Hindernis handelt, das nicht im Einflussbereich der Partei liegt. Zudem muss die sich darauf berufende Partei nachweisen, dass sie das Hindernis nicht vorhersehen konnte, und dass sie nicht in der Lage ist, dieses Hindernis zu überwinden oder die Auswirkungen des betreffenden Ereignisses auf andere Weise zu mildern.

    Die Beantwortung der Frage, ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von der konkreten Situation ab. Demnach kann nicht pauschal geklärt werden, ob der COVID-19-Ausbruch nach schwedischem Recht als ein Ereignis höherer Gewalt anzusehen ist.

    Vertragsanpassung und Vertragsaufhebung

    Das schwedische Vertragsgesetz (Lag (1915:218) om avtal och andra rättshandlingar på förmögenhetsrättens område) sieht in § 36 vor, dass eine Klausel in einem Vertrag geändert oder aufgehoben werden kann, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände unangemessen ist. Der Vertrag insgesamt kann aufgehoben werden, wenn es unzumutbar ist, an der weiteren Durchsetzbarkeit des Vertrags ohne die unangemessene Klausel festzuhalten. Folglich haben die Parteien die Möglichkeit, eine Anpassung der Vertragsbestimmungen und eine Anpassung ihrer Leistungspflichten zu verlangen.

    Jedoch wird dieses Rechtskonstrukt im schwedischen Recht nur sehr restriktiv angewandt. Und ob die Coronakrise einen zur Vertragsanpassung oder sogar zur Vertragsaufhebung berechtigenden Grund darstellt, muss für jede vertragliche Beziehung einzeln geprüft und beurteilt werden. Eine pauschale Aussage kann hierzu nicht getätigt werden.

    Fazit

    Zur Abschätzung der Auswirkungen des Coronavirus auf Vertragsbeziehungen ist es wichtig, den konkreten Vertrag genau zu prüfen. Enthält dieser eine Klausel zu höherer Gewalt, so ist zu beachten, dass viele Force Majeure-Klauseln die Parteien verpflichten, ein entsprechendes Ereignis unverzüglich zu melden. Des Weiteren können für die Dauer des Ereignisses weitere Informations- und insbesondere auch Kooperationspflichten bestehen. Die Partei, die sich auf höhere Gewalt beruft, muss diesen Verpflichtungen im Allgemeinen in vollem Umfang nachkommen.

    Enthält der Vertrag keine Force Majeure-Klausel, so kennt aber auch das schwedische Recht Ereignisse höherer Gewalt. Ob die Corona-Pandemie als ein solches anzusehen ist, hängt von einer Einzelfallbetrachtung ab; hierbei müssen alle relevanten Umstände, insbesondere auch der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, Berücksichtigung finden.

    Mehr zum Thema „Coronavirus und anwendbares Recht":

    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

    Von Nadine Bauer | Bonn

  • Schweiz: Coronavirus und Verträge

    Das Vertragsrecht der Schweiz ist als „neutrales“ Recht bei internationalen Verträgen eine beliebte Option. Wie regelt es Leistungsstörungen durch höhere Gewalt?

    Einleitung

    In der Schweiz galt vom 16. März bis 18. Juni die „außerordentliche Lage“. Dies brachte erhebliche Einschränkungen des gesellschaftlichen und geschäftlichen Lebens mit sich. Aber auch die seit dem 19. Juni geltende "besondere Lage" führt zu Einschränkungen. Die Erfüllung vieler vertraglich geschuldeter Leistungen wird damit schwer oder sogar unmöglich. Wie geht das schweizerische Recht mit dieser Situation um?

    Die Antwort auf diese Frage kann nicht nur für Sachverhalte relevant sein, die direkt mit der Schweiz in Verbindung stehen, zum Beispiel durch einen schweizerischen Vertragspartner. Denn das Recht der Schweiz ist beliebt als neutrales Recht, auf das man sich oft einigt, wenn weder das Recht des einen noch das des anderen Vertragspartners konsensfähig ist.

    Was sagt der Vertrag?

    Das schweizerische Vertragsrecht hat eigene Regelungen für den Fall der Unmöglichkeit oder Verzögerung der Leistungserbringung. Aber es erlaubt auch individuelle vertragliche Vereinbarungen. Solche Vereinbarungen werden oft als „force majeure“ - Klauseln bezeichnet und finden sich in Verträgen.

    Nicht selten finden sich in solchen Klauseln konkrete Definitionen des Begriffs der höheren Gewalt, oft sogar mit konkreten Beispielen versehen. Epidemien und Pandemien finden sich in einigen dieser Aufzählungen, was die Auslegung wesentlich vereinfacht. Wenn sie nicht ausdrücklich genannt sind, müssen generellere Begriffe gefunden werden, unter die dann subsumiert werden muss.

    Immer erforderlich ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem konkreten Ereignis und der Unmöglichkeit der Erfüllung der Leistungsverpflichtung.

    Falls es keine vertragliche Regelung gibt - was regeln die schweizerischen Gesetze?

    Dauerhafte Unmöglichkeit

    Zunächst gibt es die Regelung in Artikel 119 des schweizerischen Obligationenrechts („OR“). Wenn eine Leistung dauerhaft unmöglich wird, und zwar durch nachvertragliche Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, dann gilt die Forderung als erloschen. Daraus folgt, dass die Parteien von der Pflicht zur Leistung befreit werden, und bei auf Gegenseitigkeit beruhenden Verträgen muss die eventuell schon erbrachte Gegenleistung zurückgegeben werden.

    Letzteres gilt allerdings nicht, wenn Nutzen und Gefahr vor der Erfüllung - also zum Beispiel schon mit Abschluss des Vertrages - auf den Gläubiger übergehen. Wichtigstes Beispiel hierfür ist die gesetzliche Regelung des Kaufvertrages in Artikel 185 OR, außerdem kann eine solche Vereinbarung auch in Verträgen, unter Umständen mit Verweisen auf die Incoterms, enthalten sein. Etwas anderes gilt außerdem bei Dauerschuldverhältnissen, bei denen sich gegenüberstehende Leistungen und Gegenleistungen bereits erbracht wurden: In diesem Fall gilt die Regelung nur für die aktuelle Leistung. Schließlich erlischt der Erfüllungsanspruch auch dann nicht, wenn der Schuldner beim Eintritt der Unmöglichkeit bereits im Verzug war. 

    Ob die aktuelle Situation im Zusammenhang mit Covid-19 dazu führt, dass eine Leistung unmöglich wird, ist von Fall zu Fall zu entscheiden. Wenn beispielsweise behördliche Anordnungen konkrete, vertraglich geschuldete Tätigkeiten verbieten, dürfte Vieles dafür sprechen, dass ein Fall von Unmöglichkeit vorliegt.

    In vielen Fällen wird die Unmöglichkeit aber nicht endgültig, sondern nur vorübergehend sein. Die Abgrenzung ist nicht immer einfach. Bei Fixtermingeschäften wird häufig dauerhafte Unmöglichkeit vorliegen, weil die geschuldete Leistung an einen Termin gebunden ist und nicht nachgeholt werden kann. Ansonsten wird die Leistung häufig nur vorübergehend unmöglich sein. 

    Vorübergehende Unmöglichkeit

    Ist eine Leistung nur vorübergehend unmöglich, bleibt der Schuldner an den Vertrag gebunden. Dann kann die eine Partei der anderen Partei eine angemessene Nachfrist zur Erfüllung setzen (Artikel 107 OR), wenn die andere Partei mit ihrer Leistung im Verzug ist - es sei denn, es liegt einer der Ausnahmetatbestände des Artikel 108 OR vor. Zu ermitteln, welche Frist „angemessen“ ist, dürfte derzeit wohl sehr schwierig sein. Dies gilt auch dann, wenn man sich bei der Fristsetzung an den behördlichen Anordnungen (für die Schweiz zum Beispiel Aufhebung der „außerordentlichen Lage“) orientiert, denn sicherlich müssen viele - oft internationale - Lieferketten oder Kreisläufe zunächst wieder in Gang kommen. In vielen Fällen wird es sich anbieten, das Gespräch mit dem Vertragspartner zu suchen.

    Wenn die Nachfrist ergebnislos verstrichen ist, können Gläubiger der Leistung wahlweise

    • nach wie vor die Erfüllung verlangen und gleichzeitig Schadenersatz nach Artikel 103 OR für die Verspätung fordern, oder
    • am Vertrag festhalten, aber auf die Erfüllung verzichten und Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen, oder
    • vom Vertrag zurücktreten und Ersatz des Vertrauensschadens verlangen.

    Wichtig: In den beiden letztgenannten Fällen müssen Gläubiger ihren Schuldnern unverzüglich Mitteilung von ihrer Entscheidung machen.

    Das Wahlrecht besteht unabhängig von einem eventuellen Verschulden des Schuldners der verspäteten Leistung, ebenso der Rücktritt vom Vertrag (dritte Option). Der Schadensersatzanspruch nach Artikel 103 OR (erste Option) besteht hingegen nicht, wenn der Schuldner nachweisen kann, dass ihn am Verzug kein Verschulden trifft. Auch die Ansprüche auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung (zweite Option) sowie auf Ersatz des Vertrauensschadens (dritte Option) bestehen nach herrschender Meinung nicht, wenn der Schuldner nachweist, dass ihn kein Schuld an der Verzögerung trifft. Und die Einschränkungen durch das Coronavirus dürften in vielen Fällen den Leistungsschuldnern einen solchen Beweis ermöglichen.

    Mehr zum Thema „Coronavirus und anwendbares Recht“:

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    Von Karl Martin Fischer | Bonn

  • Senegal: Coronavirus und Verträge

    Das Coronavirus breitet sich auch auf dem afrikanischen Kontinent zunehmend aus. Wie sieht die Rechtslage aus, wenn Verträge nicht mehr eingehalten werden können?

    Einleitung

    Wie andere afrikanische Länder hat der Senegal frühzeitig einschneidende Beschränkungen des öffentlichen Lebens zur Eindämmung des Coronavirus beschlossen. Neben einer zeitweisen Einstellung des gesamten internationalen Flugverkehrs gibt es trotz Lockerungen auch weiterhin Einschränkungen des öffentlichen Lebens.

    In Anbetracht dieser Maßnahmen wird es zunehmend schwieriger, vertragliche Verpflichtungen zu erfüllen. Daher stellt sich immer öfter die Frage: Was passiert, wenn vertragliche Verpflichtungen aufgrund der Coronakrise nicht eingehalten werden können?

    Gibt es eine Vertragsklausel?

    Viele Verträge enthalten sogenannte force majeure - oder höhere Gewalt-Klauseln. Wer daher mit dem Thema Unmöglichkeit der Vertragserfüllung aufgrund der Beschränkungen, die zur Bekämpfung des Coronavirus erlassen wurden, zu tun hat, sollte zunächst in den der Geschäftsverbindung zugrunde liegenden Vertrag schauen. Diese genannten Klauseln enthalten häufig beispielhafte Aufzählungen, welche Ereignisse unter den Begriff höhere Gewalt fallen. Vielfach gehören dazu auch Ereignisse wie Pandemie oder Epidemie. Hinzukommen muss ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Ereignis höherer Gewalt und der Unmöglichkeit der Vertragserfüllung.

    Ob Schwierigkeiten bei der Vertragserfüllung im Zuge der Coronakrise nach senegalesischem Recht ein Ereignis höherer Gewalt darstellen, ist abhängig von der Ausgestaltung der entsprechenden Klausel und dem anwendbaren Recht. Es kann daher nur eine Beurteilung im Einzelfall erfolgen, eine generelle Einordnung der Situation ist nicht möglich.

    Für Handelskauf gelten OHADA-Einheitsgesetze

    Sofern eine Prüfung des anwendbaren Rechts zum Ergebnis kommt, dass senegalesisches Recht anwendbar ist, sollte auch ein Blick in das dortige Vertragsrecht geworfen werden. Da der Senegal Mitglied der Organisation zur Harmonisierung des Wirtschaftsrechts in Afrika (OHADA) ist, gilt für Handelskäufe der OHADA-Acte uniforme révisé portant le droit commercial général (AUDCG), der in weiten Teilen dem UN-Kaufrechtsübereinkommen (CISG) entspricht.

    Gemäß Art. 234 AUDCG sind die OHADA-Vorschriften immer dann anwendbar, wenn es sich um einen Warenkauf handelt und die Vertragsparteien ihren Sitz in einem OHADA-Vertragsstaat haben oder das Internationale Privatrecht zur Anwendung des Rechts eines OHADA-Vertragsstaates kommt.

    Grundsätzlich sind die Parteien zur Vertragserfüllung verpflichtet. Artikel 281 AUDCG sieht für die Nichterfüllung von Vertragspflichten vor, dass die betroffene Partei beim zuständigen Gericht die Auflösung des Vertrags beantragen kann. Die andere Partei muss vor der gerichtlichen Geltendmachung benachrichtigt werden. Darüber hinaus haftet die vertragsverletzende Partei für alle durch die Vertragsverletzung entstandenen Schäden, einschließlich des entgangenen Gewinns.  

    Eine Haftung ist jedoch dann ausgeschlossen, wenn die Partei, die die Vertragserfüllung schuldet, nachweisen kann, dass die Nichterfüllung auf ein Hindernis zurückzuführen ist, das sich ihrer Kontrolle entzieht, beispielsweise höhere Gewalt, Art. 294 AUDCG. Ein Ereignis höherer Gewalt liegt immer dann vor, wenn dessen Eintritt oder Folgen vernünftigerweise nicht vorhersehbar sind. Ob die Coronakrise einen derartigen Fall höherer Gewalt darstellt, ist auch abhängig von dem jeweiligen Geschäft und der zum Zeitpunkt der Nichterfüllung geltenden Situation im Senegal und hängt damit auch immer vom Einzelfall ab.

    Höhere Gewalt im senegalesischen Recht

    Auf alle Verträge, die keinen Handelskauf darstellen, ist das nationale senegalesische Recht anwendbar. Auch dieses kennt hinsichtlich höherer Gewalt eine den OHADA-Gesetzen ähnliche Regelung. Danach haftet ein Vertragspartner dann nicht für die Nichterfüllung eines Vertrags, wenn die Nichterfüllung aufgrund von höherer Gewalt eingetreten ist. Höhere Gewalt wird danach als ein äußeres, unüberwindbares und nicht vorhersehbares Ereignis angesehen. Dabei muss ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Ereignis höherer Gewalt und der Nichterfüllung des Vertrages gegeben sein.

    Wichtig zu wissen ist, dass die Schwelle, die an die Unmöglichkeit einer Vertragserfüllung angesetzt wird, sehr hoch ist. Es kann daher nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Coronakrise bei jedem Vertragsverhältnis ein Ereignis höherer Gewalt darstellt.

    Keine Regelung zur Störung der Geschäftsgrundlage

    In vielen Rechtssystemen kann man sich hilfsweise auf eine Störung der Geschäftsgrundlage berufen. So kann beispielsweise nach dem französischen Art. 1195 Code Civil ein Vertrag neu verhandelt werden, wenn sich Vertragsumstände geändert haben, die bei Vertragsabschluss nicht absehbar waren und eine Vertragspartei übermäßig belasten.

    Eine derartige Möglichkeit, einen Vertrag neu zu verhandeln, gibt es zum jetzigen Zeitpunkt im senegalesischen Recht nicht. Es bleibt daher nur die Möglichkeit, eine solche Klausel im Vertrag zu platzieren oder sich auf die bestehenden Vorschriften zur höheren Gewalt zu berufen.

    UN-Kaufrecht

    Senegal hat das Übereinkommen zum UN-Kaufrecht nicht ratifiziert. Nichtsdestotrotz ist es möglich, dass auf einen Vertrag mit einem senegalesischen Geschäftspartner das UN-Kaufrecht anwendbar ist.

    Mehr zu diesem und zum Thema „Coronavirus und anwendbares Recht“:


    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

    Von Katrin Grünewald | Bonn

  • Slowenien: Coronavirus und Verträge

    In Slowenien werden viele staatliche Maßnahmen ergriffen, um das Coronavirus einzudämmen. Jeder Bereich ist "infiziert". Auch das Vertragsrecht?  

    Einleitung

    Am 12. März 2020 hat die slowenische Regierung die sich ausbreitende COVID-19-Krankheit als Epidemie eingestuft und den Notstand ausgerufen. Es folgten Einreisebeschränkungen und viele restriktive Maßnahmen zur Verlangsamung der Coronavirus-Pandemie, die die Wirtschaft einschränken. Naturgemäß ist die reibungslose Vertragsabwicklung nicht mehr gewährleistet. Was nun?

    Vertragliche Klauseln über „höhere Gewalt“

    Zunächst stellt sich immer die Frage, ob in einen Vertrag eine Klausel über höhere Gewalt aufgenommen wurde. Vertragsparteien steht es frei, solche Klausel aufzunehmen, solange die allgemeinen Regeln des Schuldrechts, geregelt im slowenischen Obligationengesetzbuch (Obligacijski zakonik), eingehalten werden. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle. Der Wortlaut einer Klausel ist entscheidend und auch der Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Manche Klauseln erwähnen explizit „Epidemien“ oder „Pandemien“ als mögliche Fälle höherer Gewalt. Dann sieht es relativ gut aus, da die Ausbreitung des Coronavirus Sars-CoV-2 als Pandemie eingestuft wurde. Schwieriger wird es, wenn eine solche Erwähnung besteht.

    Das Merkmal „höhere Gewalt“ im Obligationengesetzbuch

    Es gibt durchaus Vorschriften im slowenischen Obligationengesetzbuch die den Tatbestandsmerkmal „höhere Gewalt“ beinhalten. In keiner dieser Vorschriften ist aber das Merkmal definiert. 

    In den Vorschriften zum Speditionsvertrag findet sich der Begriff der „höheren Gewalt“ wieder. Im Artikel 857 Absatz 5 heißt es: "Weicht der Spediteur von den erhaltenen Anweisungen ab, so haftet er auch für Schäden höherer Gewalt, es sei denn, er weist nach, dass der Schaden eintreten würde, obwohl er die erteilten Anweisungen befolgt hätte."

    Beim Frachtvertrag hat der Frachtführer keinen Anspruch auf einen Teil der Zahlung, wenn die Sendung während des Transports aufgrund höherer Gewalt vernichtet wurde (Artikel 681 Absatz 3).

    Artikel 617 regelt die Zerstörung von Mietgegenständen durch höhere Gewalt. Ein Mietvertrag kann gekündigt werden oder eine Mietminderung beantragt werden, wenn das Mietobjekt durch höhere Gewalt zerstört oder nur beschädigt wird (Absatz 1 und Absatz 2).

    Artikel 166 enthält eine allgemeine Regelung zur höheren Gewalt. Dort heißt es: „Wurde dem Besitzer auf unrechtmäßige Weise eine Sache entzogen, die dann durch höhere Gewalt vernichtet wurde, ist die verantwortliche Person verpflichtet, dem Besitzer eine finanzielle Entschädigung zu leisten“.

    Gerichtspraxis und Lehre

    Die slowenischen Gerichte legen den Begriff der „höheren Gewalt“ sehr restriktiv aus. Darunter verstehen sie "höhere Gewalt" als ein fremdes (von außen kommendes) Ereignis, dessen Eintritt nicht vorhersehbar war und dadurch die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen verhindert, vermieden oder nicht gemildert werden konnte. Dabei ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht zu vernachlässigen.

    Die Vertragsparteien, die sich auf höhere Gewalt berufen, müssen die erforderlichen Beweise erbringen. Wie bei jeder Haftungsfrage, spielt der Kausalzusammenhang zwischen der Nichterfüllung durch eine Partei und der Pandemie (wozu auch die Regierungsmaßnahmen zählen) eine große Rolle. Auch dieser muss entsprechend nachgewiesen werden.

    Gesetzliche Bestimmungen zum Leistungsstörungsrecht

    Fehlt im Vertrag eine Klausel über „höhere Gewalt“, dann kann man auf die gesetzlichen Bestimmungen des slowenischen Obligationengesetzbuch zurückgreifen. Es betrifft vor allem die Fälle von Nichterfüllung und Unmöglichkeit der Vertragsleistung. 

    Als erstes könnte man den Artikel 116 des slowenischen Obligationengesetzbuches heranziehen. Dieser regelt die Unmöglichkeit der Erfüllung, für die keine Partei verantwortlich ist. Im Absatz 1 heißt es: „Wird die Erfüllung der Verpflichtung einer Vertragspartei zu einem bilateralen Vertrag aufgrund eines Ereignisses unmöglich, für das weder die erste noch die andere Partei verantwortlich ist, erlischt auch die Verpflichtung der anderen Vertragspartei; hat diese jedoch bereits einen Teil ihrer Verpflichtung erfüllt, kann sie die Rückzahlung nach den Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung verlangen“.

    Artikel 103 bis 111 regeln die Rechte einer Partei, wenn die andere Partei ihrer Verpflichtung nicht nachkommt. Zum Beispiel eine Kündigung eines Vertrages wegen Nichterfüllung.

    Artikel 240 regelt die Befreiung eines Schuldners von der Haftung. Dort heißt es: „Der Schuldner haftet nicht für Schäden, wenn er nachweist, dass er seiner Verpflichtung nicht nachkommen konnte oder seine Verpflichtungen aufgrund von Umständen nach Vertragsschluss nicht erfüllt hat, die er nicht verhindern, nicht beseitigen und sogar vermeiden konnte.“ Hier wird der Vertrag nicht beendet, sondern ein Haftungsausschluss geregelt.

    Clausula rebus sic stantibus

    Es bleibt immer als letzteres Mittel die Möglichkeit einen Vertrag anzupassen. Der Abschnitt IV des slowenischen Obligationengesetzbuches beinhaltet Vorschriften zur Kündigung oder Vertragsänderung aufgrund veränderter Umstände (Artikel 112 bis 115). Dabei ist der Artikel 112 hier der wichtigste. Danach kann der Vertrag entweder auf Antrag der betroffenen Partei vom Gericht aufgehoben oder auf Antrag der nicht betroffenen Partei so geändert werden, dass die eingetretenen anderen Umstände, wie zum Beispiel die Coronavirus-Pandemie berücksichtigt wird. Geänderte Umstände müssen nach der Unterzeichnung des Vertrags und vor der Nichterfüllung oder einem Vertragsbruch eintreten. Wichtig ist, dass die betroffene Partei sie nicht vorhersehen, überwinden oder vermeiden konnte. Auf Antrag der nicht betroffenen Partei kann das Gericht die betroffene Partei anweisen, den gerechten Anteil des Schadens als Entschädigung zu zahlen (Absatz 5).

    Es bleibt spannend, welche Auffassung die slowenischen Gerichte vertreten werden. 

    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial. 

    Von Marcelina Nowak | Bonn

  • Spanien: Coronavirus und Verträge

    Die derzeit anhaltende Corona-Pandemie hat weitreichende wirtschaftliche Auswirkungen in Spanien, insbesondere auch auf bestehende Verträge.

    Einleitung

    Die Ausbreitung des Coronavirus führt weiterhin zu Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Dies kann auch dazu führen, dass Verträge nicht mehr wie geplant durchführbar sind oder die Durchführung sogar unmöglich wird. Dies betrifft den Waren- wie auch den Dienstleistungsverkehr gleichermaßen.

    Um die Auswirkungen auf Verträge abschätzen zu können, gilt es zunächst, zu kontrollieren, welche Regelungen der konkrete Vertrag vorsieht. Trifft der Vertrag diesbezüglich keinerlei Aussagen, so ist auf die anwendbaren gesetzlichen Regelungen zurückzugreifen.

    Individualvertragliche Regelungen

    Rechtsgrundlage für das Vertragsrecht ist in Spanien das Zivilgesetzbuch (Código Civil). Verträge unterliegen grundsätzlich der Vertragsfreiheit, sie sind rechtlich verbindlich und verpflichten ihre Parteien zu deren Erfüllung (Artikel 1258 spanisches Zivilgesetzbuch). Sie dienen als Ausgangspunkt und die in ihnen getroffenen Regelungen haben grundsätzlich Vorrang vor gesetzlichen Bestimmungen: so auch im Falle einer außergewöhnlichen Situation. Hier gilt, dass bei vertraglicher Regelung, zum Beispiel in Form einer Force Majeure- beziehungsweise Höhere Gewalt-Klausel, diese den durch Gesetz getroffenen Bestimmungen vorgeht.

    Maßgeblich zur rechtlichen Einschätzung ist ein direkter Blick in den Vertrag: Denn zum einen ist es erheblich einfacher, sich auf höhere Gewalt zu berufen, wenn der Vertrag ausdrücklich eine solche Klausel enthält. Zum anderen kann die Klausel je nach Vereinbarung der Parteien den Begriff der höheren Gewalt genauer bestimmen und beispielsweise konkrete Anwendungsfälle nennen.

    Ob die durch den COVID19-Ausbruch verursachte Situation ein Ereignis höherer Gewalt darstellt, hängt von der jeweiligen Ausgestaltung einer entsprechenden Klausel ab. Es hat daher eine konkrete Betrachtung des Einzelfalles zu erfolgen, eine pauschale Beantwortung ist nicht möglich.

    Höhere Gewalt im spanischen Recht

    Die Rechtsfigur der höheren Gewalt ist in Artikel 1105 des spanischen Zivilgesetzbuches enthalten. Höhere Gewalt wird von den spanischen Gerichten als das Eintreten eines außerordentlichen und unvorhersehbaren Ereignisses verstanden, das auch bei Anwendung aller möglichen Sorgfalt nicht hätte vermieden werden können. Das Ereignis darf nicht durch eine schuldhafte Handlung der Partei, die sich darauf beruft, eingetreten sein; es muss seinen Ursprung demnach außerhalb des Wirkungskreises der verpflichteten Partei haben.

    Die Annahme höherer Gewalt kann unterschiedliche vertragliche Folgen haben:

    • Die Partei kann von jeglicher Haftung aus der Nichterfüllung des Vertrages befreit sein.
    • Die Partei kann von der Verpflichtung zu Erfüllung des Vertrages befreit sein (Artikel 1182, 1184 spanisches Zivilgesetzbuch).
    • Die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen kann zeitweise ausgesetzt werden, wenn die Auswirkungen nur vorübergehender Natur sind.

    Ob die durch das Coronavirus verursachte Situation als höhere Gewalt einzustufen ist, hängt jeweils von den Auswirkungen auf das konkrete Vertragsverhältnis und davon ab, ob die Anforderungen der Unvorhersehbarkeit und Unvermeidbarkeit erfüllt werden.

    Die rebus sic stantibus-Klausel

    Eine weitere Möglichkeit, den Vertrag anzupassen oder sich sogar vom Vertrag zu lösen, ist die Berufung auf eine sogenannte rebus sic stantibus-Klausel. Dieses Rechtskonstrukt betrifft Fälle der Störung der Geschäftsgrundlage. Die gerichtliche Anwendung erfolgt allerdings nur sehr restriktiv.

    Um eine Störung der Geschäftsgrundlage annehmen zu können, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Das Eintreten einer außerordentlichen, unvorhersehbaren und nicht zurechenbaren Veränderung der Umstände zwischen Vertragsschluss und Erfüllungszeitpunkt, ein enormes Missverhältnis zwischen den von den Parteien zu erfüllenden Verpflichtungen sowie das Fehlen anderer vertraglicher Abhilfemaßnahmen. Eine rebus sic stantibus-Klausel greift demnach nur subsidiär.

    Wird die Störung der Geschäftsgrundlage bejaht, so besteht das Recht auf Vertragsanpassung oder sogar auf Vertragsanfechtung, sofern dem Vertragspartner nicht mehr zugemutet werden kann, weiter am Vertrag festzuhalten.

    Ob dieses rechtliche Konstrukt vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Pandemie greift, lässt sich ebenfalls nicht allgemeinverbindlich sagen, sondern ist einzelfallbezogen zu beurteilen.

    Mehr zum Thema „Coronavirus und anwendbares Recht“:

    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

    Von Nadine Bauer | Bonn

  • Südafrika: Coronavirus und Verträge

    Das Coronavirus beeinträchtigt die Wirtschaft auf dem afrikanischen Kontinent. Welches  echt gilt, wenn Verträge nicht mehr eingehalten werden können?

    Einleitung

    Viele vergangene und teilweise noch weiter geltende Beschränkungen des öffentlichen Lebens zur Eindämmung des Coronavirus, wie das Einreiseverbot für ausländische Staatsbürger, das Schließen der Schulen oder die Absage von Veranstaltungen, haben zu erheblichen wirtschaftlichen Beeinträchtigungen geführt. 

    In Anbetracht dieser Maßnahmen wird es zunehmend schwieriger, vertragliche Verpflichtungen zu erfüllen. Daher stellt sich immer öfter die Frage: Was passiert, wenn vertragliche Verpflichtungen aufgrund der Coronakrise nicht eingehalten werden können?

    Im besten Fall gibt es eine Vertragsklausel

    Bei bestehenden Verträgen sollte zunächst überprüft werden, ob der Vertrag eine Klausel über "höhere Gewalt" (force majeure clause) enthält. Bei anwendbarem südafrikanischem Recht richtet sich die Auslegung der Vertragsklausel nach dem dortigen Vertragsrecht. In südafrikanischen Verträgen werden Klauseln über höhere Gewalt häufig in Form von Standardklauseln verwendet. Die Gefahr hierbei ist jedoch, dass zahlreiche Risiken nicht über eine Standardklausel abgedeckt werden können, denn jede Branche und jedes Geschäft ist anderen Risiken ausgesetzt.

    Es ist weiterhin zu erörtern, für welche Fälle von höherer Gewalt eine Klausel gilt. Viele Vertragsklauseln enthalten eine nicht abschließende Aufzählung von möglichen Situationen höherer Gewalt. Bei dem Coronavirus könnten die Formulierungen epidemic oder pandemic, aber auch plagues, natural disasters oder natural events anwendbar sein.

    Coronavirus kann ein Ereignis "höherer Gewalt" sein

    Daneben muss die Partei, die sich auf die höhere Gewalt beruft, nachweisen, dass das Ereignis nicht in ihrer Kontrolle lag, es nicht in angemessener Weise hätte verhindert werden können und nicht auf vorsätzlichem oder fahrlässigem Verhalten der betroffenen Partei beruht. Dabei muss zwischen dem Ereignis höherer Gewalt und der Unmöglichkeit der Vertragserfüllung ein Zusammenhang bestehen.

    Es ist davon auszugehen, dass beim Ausbruch des Coronavirus ein Ereignis höherer Gewalt vorliegt, wodurch die Vertragsparteien während der Dauer des Ereignisses höherer Gewalt von ihren Pflichten befreit sind. Nichtsdestotrotz können bei der Beurteilung des Vorliegens eines solchen Ereignisses verschiedene Fragen aufkommen, beispielsweise, ob das Unternehmen alle möglichen Maßnahmen ergriffen hat, um einen Ausbruch des Coronavirus in seinem Unternehmen zu verhindern, insbesondere durch freiwillige Geschäftsschließung. Denkbar ist auch die Frage, ob der Auftrag nicht an einen Subunternehmer vergeben werden kann.

    Bei künftigen Verträgen force majeure-Klausel vereinbaren

    Für künftige Verträge sollte die Aufnahme einer force majeure-Klausel in den Vertrag berücksichtigt werden. Bei der Formulierung einer derartigen Klausel sollte auf eine präzise Wortwahl geachtet werden. Die Klausel sollte weder zu allgemein noch zu eng formuliert sein, denn anderenfalls ist womöglich genau das eingetretene unvorhersehbare Ereignis nicht von der Klausel umfasst.

    Darüber hinaus sollten die Umstände der Vertragsschließung berücksichtigt werden. Insbesondere die Branche, für die der Vertrag gelten soll, die Umstände zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses sowie Sitten und Bräuche sollten beachtet werden. Wichtig ist auch, wer die verhandelnden Parteien beziehungsweise Unternehmen sind.

    Da das südafrikanische Recht wirtschaftliche Notlagen (economic hardship), hervorgerufen beispielsweise durch einen starken Wertverfall der südafrikanischen Währung, Herabstufungen durch Ratingagenturen oder drastische Änderungen der Zinssätze, nicht als force majeure betrachtet, kann es umso wichtiger sein, das Eintreten derartiger Situationen in eine Vertragsklausel aufzunehmen.

    Es kann überdies vereinbart werden, dass bei einer bestimmten Dauer eines Ereignisses höherer Gewalt den Vertragsparteien die Möglichkeit der vollständigen Vertragsbeendigung zusteht.

    Was gilt ohne Vertragsklausel?

    Unternehmen, die keine force majeure-Klausel in ihrem Vertrag haben, können auf die nach südafrikanischem Recht geltende Doktrin der supervening impossibility zurückgreifen. Danach werden die Vertragsparteien von den Haftungsfolgen für die Nichterfüllung eines Vertrags freigestellt, wenn die Unmöglichkeit bei Vertragsschluss nicht absehbar war.

    Voraussetzung ist, dass die Vertragserfüllung nach Vertragsschluss objektiv unmöglich wurde und die Vertragsparteien die Unmöglichkeit nicht zu verschulden haben. Objektive Unmöglichkeit bedeutet zwar grundsätzlich, dass die Vertragserfüllung tatsächlich nicht mehr möglich ist. Es gibt aber Situationen, in denen die Vertragserfüllung zwar tatsächlich noch möglich ist, aber dennoch als unmöglich eingestuft wird, beispielsweise, wenn sie gegen das Gesetz verstößt.

    Nichtsdestotrotz wendet das südafrikanische Recht an das Vorliegen der objektiven Unmöglichkeit hohe Hürden an. So fallen veränderte wirtschaftliche Voraussetzungen, unter denen die Vertragserfüllung für ein Unternehmen eine wirtschaftliche Härte bedeutet, nicht unter diesen Begriff.

    Ein dem deutschen Recht vergleichbares Prinzip des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gibt es nach südafrikanischem Recht nicht.

    Die Anwendbarkeit dieser Doktrin führt nicht nur dazu, dass die sich darauf berufende Vertragspartei von der Erfüllung ihrer Vertragspflichten freigestellt wird, sondern auch alle weiteren Vertragsparteien von der Erfüllung ihrer Pflichten befreit sind. Die Befreiung gilt, solange das Ereignis höherer Gewalt anhält. Anschließend sind die Parteien wieder zur Erfüllung verpflichtet. Anders als bei einer Vertragsklausel kann ohne eine solche Regelung keine endgültige Vertragsbeendigung erreicht werden, unabhängig von der Dauer des Ereignisses höherer Gewalt.

    Fazit

    Das südafrikanische Recht setzt bei Ereignissen "höherer Gewalt" vor allem auf die Vertragsfreiheit, sodass die Aufnahme einer gut formulierten force majeure-Klausel bei Vertragsabschluss besonders wichtig ist.

    UN-Kaufrecht

    Südafrika hat das Übereinkommen zum UN-Kaufrecht nicht ratifiziert. Nichtsdestotrotz ist es möglich, dass auf einen Vertrag mit einem südafrikanischen Geschäftspartner das UN-Kaufrecht anwendbar ist.

    Mehr zu diesem und zum Thema „Coronavirus und anwendbares Recht“:


    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

    Von Katrin Grünewald | Bonn

  • Südkorea: Coronavirus und Verträge

    Das Coronavirus stellt Unternehmen im deutsch-südkoreanischen Geschäftsverkehr vor Herausforderungen: Was passiert, wenn vertragliche Verpflichtungen nicht erfüllt werden können? (Stand: 06.04.2020)

    Einleitung

    Auch Südkorea ist vom Coronavirus stark betroffen. Die Ausrufung der höchsten Alarmstufe erfolgte, viele behördliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung wurden ergriffen.

    Fraglich ist, ob sich betroffene Unternehmen in der gegenwärtigen Situation auf „höhere Gewalt“ berufen können und so eventuell im Falle der Unmöglichkeit der Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen (z.B. Warenlieferung) nicht dafür haften.

    Bei bestehenden grenzüberschreitenden Verträgen wäre zunächst im Einzelfall zu prüfen, welchem Recht sie unterliegen, ob etwa eventuell das UN-Kaufrecht zur Anwendung kommt oder ob die Parteien ein bestimmtes nationales Recht vereinbart haben - vielleicht ein anderes als das deutsche oder südkoreanische.

    Welche Regelungen trifft das südkoreanische Recht zur „höheren Gewalt“?

    Eine Generalklausel dazu existiert nicht, die „höhere Gewalt“ (불가항력/不可抗力; force majeure) findet sich vielmehr in Bestimmungen verschiedener Gesetze. Beschränkungen der möglichen Ereignisse höherer Gewalt gibt es nicht.

    Rechtsfolgen können die Befreiung von Leistungs- und Schadensersatzpflichten oder die Verlängerung der Verjährungsfrist sein.

    Gemäß Art. 390 Zivilgesetzbuch (Civil Act; CA) macht sich der Schuldner grundsätzlich gegenüber dem Gläubiger schadensersatzpflichtig, wenn er seine vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllt. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Erfüllung der Leistungspflicht unmöglich geworden ist und diese Unmöglichkeit nicht auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Schuldners beruht (also kein Verschulden vorliegt). In dem Fall wäre der Schuldner von der Haftung befreit.

    Höchstrichterliche Entscheidungen verdeutlichen, dass hierfür der vertragsbrüchigen Partei die Versäumnis nicht vorwerfbar sein darf, etwa weil sie trotz ausreichend Zeit und Mitteln nicht die Folgen des Ereignisses höherer Gewalt gemindert hat; oder dass das Ereignis tatsächlich nicht doch im Machtbereich der Partei liegen darf. Somit können trotz Vorliegens höherer Gewalt unter Umständen Schadensersatzansprüche entstehen.

    Nach dem CA bleibt es in Sonderfällen bei der Haftung auf Schadensersatz (vgl. Art. 308, 336 CA).

    Auch das Handelsgesetzbuch (Commercial Act) behandelt die höhere Gewalt: So hat nach Art. 709 Abs. 1 der Versicherer eine Entschädigung zu leisten, wurde die versicherte Ladung während der Reise wegen höherer Gewalt verkauft. Ein Beförderer im Seehandel ist von der Haftung befreit, kann er Vorliegen von force majeure und Kausalität beweisen (Art. 796 Nr. 2). Es sei denn, er hat nicht die gebotene Sorgfalt angewendet, durch die der Schaden hätte verhindert werden können. Artikel 796 Nr. 5 nennt Quarantäne- und andere behördliche Einschränkungen. Nach Art. 810 Abs. 1 Nr. 4 stellt der Untergang der Fracht durch force majeure einen Kündigungsgrund dar. Jede Partei kann gemäß Art. 811 Abs. 1 den Vertrag kündigen, wenn dessen Zweck aufgrund höherer Gewalt nicht erreicht werden kann. Art. 823 greift, wenn ein auf See zu befördernder Passagier infolge des Eintritts höherer Gewalt wie Tod oder Krankheit die Reise nicht antreten kann oder solch ein Grund nach Abreise eintritt; der Beförderer kann den Fahrpreis teilweise ersetzt verlangen. Weitere Bestimmungen (wie Art. 748, 806, 812 zum Seehandel, Art. 913, 931 zum Luftfrachtgeschäft) erwähnen force majeure.

    Artikel 182 CA sieht zur Verjährung eines Anspruchs vor, dass diese, wenn eine Unterbrechung aufgrund einer Naturkatastrophe oder „eines anderen Unfalls“ unmöglich ist, nicht endgültig ist, bis ein Monat ab dem Zeitpunkt, zu dem das Hindernis nicht mehr besteht, vergangen ist.

    Das Wechselgesetz (Bills of Exchange and Promissory Notes Act; WG) bestimmt in Art. 54 Abs. 1, dass die Frist verlängert wird, ist es aufgrund eines unüberwindlichen Hindernisses (gesetzliche Verbote durch Acts oder untergeordnete Rechtsakte oder andere Fälle von vis major) schwierig, innerhalb der vorgeschriebenen Frist einen Wechsel vorzulegen. Gleiches gilt für Schuldscheine, Art. 77 Abs. 1 Nr. 4 WG. Rein persönliche Tatsachen des Inhabers können kein Ereignis höherer Gewalt begründen, Art. 54 Abs. 6 WG. Auch nach Art. 47 Abs. 1 Check Act kommt es zur Fristverlängerung, verhindert vis major die fristgerechte Scheckvorlage.

    Was versteht die Rechtsprechung unter höherer Gewalt?

    Das Oberste Gericht (Korean Supreme Court) bejaht höhere Gewalt grundsätzlich äußerst restriktiv. Nach seiner Definition meint „höhere Gewalt“ ein „Ereignis außerhalb des eigenen Machtbereichs (über das man also keinerlei Kontrolle hat), das nicht vorhergesehen oder verhindert werden konnte, obwohl man die gebotene Sorgfalt voll ausgeübt hat“. Entscheidend sind aber stets die Gesamtumstände des Einzelfalls.

    In der Rechtsprechung gab es im Zusammenhang mit höherer Gewalt bislang wenige Entscheidungen, bezogen etwa auf Überschwemmungen. Hinsichtlich des Ausbruchs einer Virus-Epidemie oder gar des Coronavirus existieren noch keine „Präzedenzfälle“. Wie die Gerichte die Situation im einzelnen Fall bewerten werden, bleibt abzuwarten.

    Was haben die Parteien vertraglich vereinbart?

    Meist werden die Parteien in ihren Vertrag eine Force Majeure-Klausel aufgenommen haben, die dann vorrangig zur Anwendung kommt. Sie sollte als Erstes untersucht werden: Was wird dort unter „höherer Gewalt“ verstanden? Welche Ereignisse sind aufgeführt, z.B. Epidemien? Ist die Klausel offen formuliert oder nennt sie die Ereignisse etwa abschließend?

    Auch die vereinbarten Rechtsfolgen von Ereignissen höherer Gewalt sind zu prüfen: So kann etwa nicht die vollständige Haftungsbefreiung bzw. Möglichkeit der Lösung vom Vertrag vorgesehen sein, sondern nur eine vorübergehende Aussetzung.

    Ausblick

    Insbesondere den Vertragspartner früh und schriftlich in Kenntnis zu setzen sowie Dokumente zu sammeln, die ggf. später als Nachweis dienen mögen, sollte erwogen werden.


    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

    Von Julia Merle | Bonn

  • Tschechische Republik: Coronavirus und Verträge

    In Tschechien werden viele staatliche Maßnahmen ergriffen, um den Coronavirus einzudämmen. Jeder Bereich ist "infiziert". Auch das Vertragsrecht?  

    Einleitung

    Die ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus haben auch im Bereich der vertraglichen Verpflichtungen Spuren hinterlassen. Die Rechtzeitigkeit der Erfüllung individueller vertraglicher Verpflichtungen wird für die Parteien immer schwieriger. 

    Gibt es eine gesetzliche Bestimmung zu „höheren Gewalt“?

    Im tschechischen Recht gibt es keine ausdrückliche Definition von "höherer Gewalt". Das tschechische Bürgerliche Gesetzbuch Nr. 89/2012 Sb. sieht aber in § 2913 (Verletzung der vertraglichen Pflichten) einen gewissen Schutz in Fällen, wie zum Beispiel der Corona-Pandemie, vor.

    Wenn eine Partei gegen ihre vertragliche Verpflichtung verstößt, dann ist sie grundsätzlich verpflichtet, die andere Partei für den Schaden zu entschädigen, der sich aus einer solchen Verletzung ergibt (Absatz 1). Einen Haftungsausschluss sieht Absatz 2 vor. Dort heißt es, dass der Schädiger von der Verpflichtung zum Schadensersatz frei wird, soweit er nachweißt, dass die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung zeitweilig oder dauerhaft durch ein außergewöhnliches, unvorhersehbares und unüberwindbares Hindernis verhindert wurde, welches unabhängig von seinem Willen entstanden ist. Weder ein aus dem persönlichen Verhältnis des Schädigers oder erst im Zeitpunkt seines Verzugs mit der Erfüllung seiner vereinbarten Verpflichtungen entstandenes Hindernis noch ein Hindernis, zu dessen Überwindung er gemäß dem Vertrag verpflichtet war, befreit ihn von der Verpflichtung zum Schadensersatz.

    Im Ergebnis lässt sich sagen, dass der Schuldner, dessen Verpflichtung in Folge nachträglicher Unmöglichkeit der Leistung erlischt, zum Schadensersatz verpflichtet ist, es sein denn, die nachträgliche Unmöglichkeit wurde durch objektive Umstände verursacht, die der Schuldner nicht abwenden, überwinden oder bei Vertragsschluss voraussetzen konnte.

    Wichtig dabei ist der kausale Zusammenhang zwischen dem Schaden und dem Hindernis (nachträgliche Unmöglichkeit). Dieses besagte Hindernis muss vorliegend aufgrund der Verbreitung des Coronavirus entstanden sein. Es darf nicht zu einem Zeitpunkt eintreten, zu dem eine Partei bereits mit der Verpflichtung im Verzug war. Das Merkmal der Unvorhersehbarkeit spielt auch eine große Rolle. Wenn bei Vertragsschluss ersichtlich war/ist, dass eine der Vertragsparteien wegen des Auftretens des Coronavirus den Vertrag nicht erfüllen kann, dann greift der Haftungsausschluss nicht.

    Wenn man sich auf den § 2913 Absatz 2 berufen will, muss immer eine Einzelfallprüfung vorgenommen werden. Die betreffende Partei wird allerdings nachweisen müssen, dass sie sich in den letzten Monaten mit der Ausbreitung der Pandemie beschäftigt hat, beziehungsweise alle notwendigen Informationen und Maßnahmen diesbezüglich eingeholt hat. Im Einzelfall kommt es auf die entsprechende Argumentation an. Im Allgemeinem lässt sich aber festhalten, dass der Absatz 2 für solche Fällen, wie der Coronavirus-Pandemie, einschlägig ist. Die Tatbestandsmerkmale für den Haftungsausschluss können erfüllt sein. Es bleibt aber abzuwarten, wie die örtlichen Gerichte in einem Rechtsstreit entscheiden werden und welche Auffassung sie vertreten.

    Klausel über höhere Gewalt in Verträgen?

    Es ist nicht gängige Praxis Klauseln über höhere Gewalt in Verträge aufzunehmen. Das Gesetz überlässt es den Vertragsparteien. Ob aber eine Klausel auch ihre Anwendbarkeit auf die Coronavirus-Pandemie findet, muss von Fall zu Fall beurteilt werden. Wie oben schon gesagt, kann man aber auf die gesetzlichen Bestimmungen zurückgreifen. 

    "COVID-19" als wesentliche Änderung der Umstände? 

    Das tschechische Bürgerliche Gesetzbuch Nr. 89/2012 Sb. sieht in § 1765 (Wesentliche Änderungen der Umstände) und 1766 (Änderungen der Verbindlichkeit durch Gericht) eine gesetzliche Härtefallklausel vor. Besser bekannt als "clausula rebus sic stantibus" oder "Wegfall der Geschäftsgrundlage".

    Der § 1765 besagt, dass Umstände sich so wesentlich ändern können, dass dadurch Rechte und Pflichten der Parteien auf Grund einer einseitigen Benachteiligung in ein besonders grobes Missverhältnis geraten. Die betroffene Partei hat dann gegenüber der anderen das Recht, die Wiederaufnahme der Vertragsverhandlungen zu verlangen, soweit sie nachweist, dass sie die Änderung weder vernünftiger Weise annehmen noch beeinflussen konnte und das die Tatsache erst nach dem Vertragsschluss eingetreten oder der betroffenen Partei bekanntgeworden ist.

    Voraussetzung für einen solchen Wiederaufnahmeantrag ist jedoch, dass eine solche Änderung der Umstände zu einem besonders starken Missverhältnis der Rechte und Pflichten der Parteien führt, indem einer von ihnen benachteiligt wird, entweder weil die Leistungskosten überproportional erhöht werden oder der Wert des Leistungsgegenstandes überproportional verringert wird.

    Einigen sich die Parteien nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraumes auf eine Vertragsänderung, kann sich jede Partei an das Gericht wenden und die Änderung des Vertrages zur Wiederherstellung des Gleichgewichts oder die Aufhebung des Vertrages beantragen (§ 1766 Absatz 1). Das Gericht ist nicht an die Vorschläge der Parteien gebunden (§ 1766 Absatz 1 Satz 2). Das Gericht weist den Antrag auf Änderungen der Umstände ab, wenn die betroffene Partei nicht innerhalb einer angemessenen Frist (es gilt die Annahme, dass die Frist 2 Monate beträgt) das Recht auf Wiederaufnahme der Vertragsverhandlungen geltend macht (§ 1766 Absatz 2).

    Diese Härtefallregelung gilt nicht für Verträge, in denen die Parteien ausdrücklich diese Regelung ausgeschlossen haben, also das Risiko übernehmen.

    Die Coronavirus-Pandemie kann durchaus als eine wesentliche Änderung der Umstände angesehen werden. Diese hat nämlich zu Folge, dass es zu einer schwerwiegenden Benachteiligung einer der Vertragsparteien kommen könnte.


    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial. 

    Von Marcelina Nowak | Bonn

  • Türkei: Coronavirus und Verträge

    Auch in der Türkei breitet sich das Coronavirus immer mehr aus und schränkt die wirtschaftlichen Tätigkeiten im Land erheblich ein. Was bedeutet das aus rechtlicher Sicht?

    Einleitung

    Die Ausbreitung des Coronavirus führt auch in der Türkei zu verstärkten Einreisekontrollen und Gesundheitsprüfungen. Ebenso sind durch die Pandemie viele Lieferketten unterbrochen, viele Unternehmen können ihre Verpflichtungen aus internationalen Handelsverträgen nicht mehr rechtzeitig oder gar nicht mehr erfüllen. Daher stellt sich die Frage, was das türkische Recht zum Ausfall von Vertragsleistungen durch ein unvorhergesehenes Ereignis wie das des Coronavirus sagt? 

    Gibt es eine Klausel über "Höhere Gewalt" im Vertrag und was deckt sie ab?

    Zunächst sollte man klären, ob der Vertrag eine eigene Klausel über "Höhere Gewalt" beinhaltet. In den meisten Fällen wird "Höhere Gewalt" als ein Ereignis definiert, das sich der Kontrolle der Parteien entzieht, dessen Verhinderung unzumutbar ist und das gleichzeitig die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen der Parteien wesentlich beeinflusst.

    Der Begriff "Höhere Gewalt" wird aber nicht in allen Handelsverträgen einheitlich verwendet und kann je nach Parteivereinbarung unterschiedliche Umstände umfassen. Daher ist es möglich, dass einige der von den Parteien festgelegten Klauseln über "Höhere Gewalt" zwar „Pandemien“ enthalten, andere jedoch nicht. Klauseln über "Höhere Gewalt" verlangen im Allgemeinen, dass die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen als Folge des Ereignisses unmöglich sein muss und nicht einfach nur belastender ist. Sie können auch zusätzliche Anforderungen zur Erklärung "Höherer Gewalt" mit sich bringen, wie zum Beispiel die Pflicht, die Gegenpartei innerhalb einer angemessenen Frist zu benachrichtigen, wenn ein Ereignis höherer Gewalt eintritt, und, was noch wichtiger ist, die Pflicht, die Verluste zu mindern. Darüber hinaus listen einige Klauseln über "Höhere Gewalt" die Ereignisse, die eine "Höhere Gewalt" darstellen, abschließend auf, während sich die Parteien in anderen Fällen damit begnügen, nur Beispiele solcher Ereignisse zu nennen.

    Als ein ähnliches Konzept enthalten einige Verträge auch Bestimmungen, die als „Härteklauseln“ bekannt sind. Härteklauseln sollen Umstände abdecken, in denen das Gleichgewicht eines Vertrags aufgrund unvorhergesehener Ereignisse, die eine der beteiligten Parteien übermäßig belasten, zusammenbricht. Daher verpflichten diese Klauseln die Parteien in der Regel dazu, die Vertragsbedingungen anzupassen, um mit den unvorhergesehenen Umständen umgehen zu können.

    Keine Klausel über "Höhere Gewalt" im Vertrag - was sagt das türkische Recht?

    Manchmal enthalten Verträge keine Klausel über "Höhere Gewalt", aber die meisten Verträge enthalten eine Bestimmung über das anwendbare Recht. Wenn der Vertrag also keine Klauseln über "Höhere Gewalt" enthält, kann sich eine Partei auf das anwendbare Recht berufen, um möglicherweise von ihren vertraglichen Verpflichtungen befreit zu werden.

    Der Begriff der „Höheren Gewalt“ ist im türkischen Obligationenrecht allerdings nicht definiert. Vielmehr können sich die Parteien gemäß der Artikel 136, 137 und 138 des Obligationengesetzbuches (OGB) auf die Artikel über die Unmöglichkeit der Erfüllung berufen. Wird die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung aus einem Grund unmöglich, der nicht vom Verpflichteten zu vertreten ist, wird der Verpflichtete gemäß Artikel 136 OBG von der Erfüllung befreit. Das türkische Obligationengesetz sieht auch den Widerruf von Verträgen nach Artikel 138 vor, wonach der Schuldner bei Gericht eine Anpassung oder einen Widerruf des Vertrags beantragen kann, falls nach der Vertragserfüllung ein unerwartetes Ereignis eintritt, das unvorhergesehen war und vom Schuldner nicht vorhergesehen werden konnte.

    Darüber hinaus wird eine Epidemie im türkischen Gesetz über das öffentliche Auftragswesen mit der Nummer 4735 ausdrücklich als Ereignis höherer Gewalt aufgeführt. Dementsprechend können sich die türkischen öffentlichen Einrichtungen, die Verträge mit von Coronavirus betroffenen Gegenparteien gemäß dem genannten Gesetz abgeschlossen haben, ebenfalls auf "Höhere Gewalt" berufen und den Vertrag kündigen oder eine Fristverlängerung beantragen. Es sollte hier jedoch betont werden, dass es keine Rechtsprechung gibt, die sich speziell mit einem solchen Fall befasst.

    Rechtsfolge

    Nach türkischem Recht haftet der Schuldner grundsätzlich für den Ersatz der Verluste durch das Ausbleiben der Vertragserfüllung, es sei denn, der Schuldner benachrichtigt den Gläubiger sorgfältig und rechtzeitig über die Unmöglichkeit der Erfüllung der Verpflichtungen und trifft die erforderlichen Vorkehrungen, um eine Erhöhung des Schadens zu verhindern. Wenn das Coronavirus unter den Begriff der „Höheren Gewalt“ fällt, besteht die Rechtsfolge dann grundsätzlich in der Befreiung der Parteien von ihren vertraglichen Verpflichtungen und der Beendigung des Vertrags beziehungsweise in der Aussetzung dieser Verpflichtungen für die Dauer des Ereignisses höherer Gewalt zur Folge.

    In der türkischen Rechtsprechung gibt es bereits mehrere höchstrichterliche Präzedenzfälle, die Epidemien als Ereignisse bestimmen, die vom Verpflichteten nicht zu vertreten sind und die in der Folge die vertragliche Verpflichtung unmöglich machen. Es bleibt abzuwarten, ob dies für das Coronavirus ebenso sein wird.

    Zum Thema:

    Mehr zum Thema „Coronavirus und anwendbares Recht“:

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    Von Jakob Kemmer | Bonn

  • Ukraine: Coronavirus und Verträge

    Vertragliche Bestimmungen gehen vor. Das ukrainische Recht regelt Fälle höherer Gewalt. Die IHK der Ukraine kann Force-Majeure-Zertifikate ausstellen.

    Klauseln im Vertrag beachten

    Grenzüberschreitende Verträge beinhalten zumeist eine Klausel über höhere Gewalt (Force-Majeure). Solche Force Majeure-Klauseln nennen konkrete Tatbestände (z.B. Naturkatastrophen, Kriege etc.) und deren Folgen für die Vertragsabwicklung. Die Vertragsklauseln gehen den gesetzlichen Vorschriften vor und sind daher für die Auswirkung von Ausfällen oder Verzögerungen bei Warenlieferungen und Zahlungen auf die vertraglichen Verpflichtungen primär heranzuziehen. Zunächst wäre also zu fragen, ob die Vertragsklausel den Ausbruch einer Epidemie oder Pandemie sowie behördliche Anordnungen ausdrücklich regelt oder Begriffe enthält, die entsprechend ausgelegt werden können. Die Klausel kann eine Pflicht zur Benachrichtigung über die Umstände sowie die Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung verlangen. 

    Vertragsanpassung in Erwägung ziehen

    Die Vertragsparteien sollten bei drohenden oder eingetretenen Störungen des Vertragsverhältnisses infolge der Coronavirus-Maßnahmen über eine einvernehmliche Vertragsanpassung nachdenken, die einen Gang vors Gericht erspart. Dabei kann es sich um Verlängerung von Fristen für die Erfüllung vertraglicher Pflichten, Zahlungsaufschub, Ratenzahlungen und Nichtanwendung von Vertragsstrafen handeln.

    Geltung des ukrainischen Rechts

    Normen des ukrainischen Rechts finden dann Anwendung, wenn der Vertrag eine entsprechende Rechtswahlklausel enthält oder mangels einer solchen die Regeln des Kollisionsrechts (Internationales Privatrecht) zur Geltung des ukrainischen Rechts führen, vor allem bei Importverträgen, die eine Lieferung aus der Ukraine nach Deutschland vorsehen. Zu beachten ist, dass Deutschland und die Ukraine Vertragsstaaten des UN-Kaufrechtsübereinkommens (CISG) sind. Daher finden Normen des ukrainischen Zivilgesetzbuches oder Wirtschaftsgesetzbuches dann Anwendung, wenn die Vertragsparteien die Geltung des CISG ausgeschlossen haben oder das CISG keine Regelung enthält (z.B. Verjährungsfragen).

    Regelungen im ukrainischen Recht

    Sowohl das Zivilgesetzbuch (ZGB, ukrainisch / russisch / englisch) als auch das Wirtschaftsgesetzbuch (WirtGB, ukrainisch / russisch) enthalten Vorschriften zu höherer Gewalt.

    Sofern vertraglich nichts anderes vereinbart ist, tritt gemäß Art. 218 WirtGB und Art. 617 ZGB eine Befreiung von der Haftung für Nicht- oder Schlechterfüllung von vertraglichen Verpflichtungen ein, wenn der Schuldner beweisen kann, dass eine ordnungsgemäße Erfüllung infolge von höherer Gewalt, d.h. von außerordentlichen und unabwendbaren Umständen, unmöglich geworden ist.

    Nach Art. 263 ZGB führen Umstände höherer Gewalt zur Hemmung der Verjährungsfrist. Ab dem Tag, an dem der Umstand der höheren Gewalt nicht mehr besteht, läuft die Verjährungsfrist weiter.

    Haben sich Umstände, auf deren Grundlage der Vertragsabschluss zustande gekommen ist, schwerwiegend verändert, kann der Vertrag gemäß Art. 652 ZGB mit Zustimmung der Parteien geändert oder aufgehoben werden, wenn sich aus dem Vertrag und dem Wesen der Pflichten nichts anderes ergibt. Die Änderung von Umständen gilt als schwerwiegend, wenn sie sich derart verändert haben, dass die Parteien, sofern sie dies hätten vorhersehen können, den Vertrag gar nicht oder zu ganz anderen Bedingungen abgeschlossen hätten.

    Wenn die Vertragsparteien keine Einigung über eine Vertragsanpassung oder -aufhebung erzielt haben, kann die Aufhebung und Anpassung vor Gericht bei Vorliegen folgender Voraussetzungen beantragt werden:

    ▪ Die Parteien sind zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses davon ausgegangen, dass eine solche Änderung der Umstände nicht eintritt;

    ▪ Die Änderung der Umstände ist auf Gründe zurückzuführen, die die betroffene Vertragspartei bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt nicht überwinden konnte;

    ▪ Die Vertragserfüllung würde das Verhältnis der wirtschaftlichen Interessen der Vertragsparteien stören und die betroffene Partei derart benachteiligen, dass sie den beim Vertragsschluss erwarteten Vorteil verlieren würde;

    ▪ Aus dem Wesen des Vertrages und den Handelsbräuchen folgt nicht, dass die einschlägige Partei das Risiko der Änderung der Umstände trägt.

    Coronavirus als „höhere Gewalt“?

    Artikel 14.1 des ukrainischen Gesetzes über Industrie- und Handelskammern zählt als Fälle der höheren Gewalt u.a. Kriege, Aufstände, Unruhen, militärische Embargos, Ausgangssperren, Epidemien, Import- und Exportbeschränkungen und seit der jüngsten Gesetzesänderung vom 17. März 2020 auch die von der Regierung angeordnete Quarantäne auf.

    Diese Ergänzung führt nicht automatisch zur Haftungsbefreiung. Vielmehr muss der Schuldner im Einzelfall die Unvorhersehbarkeit der Umstände (hier kommt es auf den Zeitpunkt des Vertrages an), die Unvermeidbarkeit der Folgen für die Vertragsabwicklung und den Kausalzusammenhang zwischen der Unmöglichkeit der konkreten Leistung und der Quarantäne darlegen.

    Die IHK der Ukraine sowie die regionalen IHK (z.B. die IHK der Stadt Charkiw) können auf Antrag ein Zertifikat über das Vorliegen von Umständen höherer Gewalt ausstellen. Dem Antrag sind der Vertrag und eine Bestätigung über die Benachrichtigung des Vertragspartners über das Vorliegen der Umstände höherer Gewalt beizufügen. Das Zertifikat kann vom beweisbelasteten Schuldner vor Gericht verwendet werden. Es bindet jedoch das Gericht nicht und kann daher nicht als Garantie einer Haftungsbefreiung dienen.

    Zu beachten ist ferner, dass Force-Majeure-Umstände nicht komplett von der Leistungspflicht entbinden. Der Schuldner bleibt verpflichtet, nach dem Wegfall dieser Umstände seine Leistung zu erbringen.

    Nicht als Fälle höherer Gewalt werden Pflichtverletzungen seitens der Vertragspartner des Schuldners, das Fehlen von für die Erfüllung notwendigen Waren auf dem Markt, finanzielle Probleme beim Schuldner, eine Finanz- und Wirtschaftskrise, eine Staatsinsolvenz sowie Währungsschwankungen anerkannt.

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    Von Dmitry Marenkov | Bonn

  • USA: Coronavirus und Verträge

    Verträge in den USA können eine Klausel enthalten, die eine Nichterfüllung des Vertrages durch eine Vertragspartei beim Vorliegen von "höherer Gewalt" (Force Majeure) rechtfertigt.

    Coronavirus beeinträchtigt Vertragsbeziehungen

    Die Bedrohung durch das neuartige Coronavirus (COVID-19) beeinträchtigt die globale Wirtschaft massiv und erschwert Unternehmen die tägliche Arbeit.

    In diesem Rahmen ist in rechtlicher Hinsicht für die Unternehmen eine der zentralen Fragen, wie ihre Rechte und Pflichten in Bezug auf Verträge aussehen, die sie aufgrund der COVID-19-Pandemie möglicherweise nur teilweise oder gegebenenfalls gar nicht mehr erfüllen können. Im US-amerikanischen Vertragsrecht kann der Ausbruch von Krankheiten oder Seuchen einen Fall "höherer Gewalt" darstellen, wie ihn sogenannte Force-Majeure-Klauseln vorsehen.

    Was ist höhere Gewalt und wie wirkt sie sich auf US-amerikanische Verträge aus?

    Verträge in den USA enthalten in einer Vielzahl von Fällen eine Klausel, die die betroffene Vertragspartei beim Vorliegen von höherer Gewalt (Force Majeure) von ihren vertraglichen Leistungspflichten befreit. Eine Force-Majeure-Klausel identifiziert unvorhersehbare Ereignisse, die außerhalb jeglicher Kontrolle der Vertragsparteien liegen (zum Beispiel Seuchen, Terrorakte, Kriege oder Wetterereignisse). Sofern eines dieser unvorhersehbaren Ereignisse eintritt und ein nachgewiesener Kausalzusammenhang zwischen der Nichterfüllung der vertraglichen Leistungspflichten und dem unvorhersehbaren Ereignis besteht, wird die betroffene Vertragspartei von ihren Leistungspflichten befreit.

    In vielen Fällen ist die Anwendbarkeit der Klausel allerdings an bestimmte Bedingungen geknüpft. Zum Beispiel kann eine Force-Majeure-Klausel vorsehen, dass die andere Vertragspartei unverzüglich über das unvorhersehbare Ereignis und dessen Auswirkungen auf die geschuldete Leistung informiert wird. Ferner verlangen viele Klauseln von der betroffenen Partei, dass sie nachweist, dass sie alles wirtschaftlich Zumutbare unternommen hat, um ihre vertraglichen Pflichten, trotz des Vorliegens des unvorhersehbaren Ereignisses, zu erfüllen.

    Nicht alle Klauseln entbinden die Parteien von sämtlichen Leistungspflichten. Viele Klauseln sehen nur die Befreiung von bestimmten Leistungspflichten vor (zum Beispiel die Zahlung von etwaigen Gebühren). Generell gilt es zu berücksichtigen, dass die US-Gerichte Force-Majeure-Klauseln sehr eng auslegen und in einer Vielzahl von Fällen nur als einschlägig erachten, wenn das unvorhersehbare Ereignis explizit in der Klausel aufgeführt ist.

    Welche rechtlichen Grundsätze greifen, wenn ein Vertrag keine Force-Majeure-Klausel enthält?

    Unmöglichkeit der Leistung (Impossibility of Performance)

    Falls ein Vertrag keine Force-Majeure-Klausel enthält, kann die in vielen US-Bundesstaaten anerkannte „doctrine of impossibility of performance“ (Unmöglichkeitsdoktrin) zum Tragen kommen. Die konkreten Anwendungsvoraussetzungen der Unmöglichkeitsdoktrin sind stets vom jeweiligen US-Bundesstaat und der dort gängigen Rechtsprechung abhängig. Im Bundestaat New York erstreckt sich die Unmöglichkeitsdoktrin zum Beispiel auf Fälle, (1) in denen die Vertragserfüllung "objektiv unmöglich" ist, da der Leistungsgegenstand in Folge höherer Gewalt zerstört worden ist oder ein Gesetz verabschiedet worden ist, das die Vertragserfüllung rechtswidrig macht, (2) sich die Gegebenheiten so grundlegend geändert haben, dass es ungerecht oder gegen die öffentliche Ordnung verstoßen würde, die Parteien an ihre ursprüngliche Vereinbarung zu binden.

    In diesem Zusammenhang gilt es zu berücksichtigen, dass die US-Gerichte regelmäßig davon ausgehen, dass intervenierende Ereignisse, die eine Leistung lediglich wirtschaftlich nicht mehr rentabel machen, nicht ausreichen, um die Unmöglichkeit der Leistung zu bejahen. Dies liegt daran, dass die Kosten der Leistungserfüllung sich in der Regel aufgrund alltäglicher Probleme, wie die Nichtberücksichtigung eines etwaigen Arbeitsaufwands oder gestiegener Rohstoffpreise erhöhen.

    Kommerzielle Undurchführbarkeit (Commercial Impracticability)

    Der Begriff des US-Rechts umfasst sowohl das Bundesrecht (Federal Law) als auch das Recht der Bundesstaaten (State Law). Um die Differenzen zwischen den Rechtssystemen der US-Bundesstaaten zu überbrücken, sind den US-Bundesstaaten von der National Conference of Commissioners for Uniform Laws für eine Vielzahl von Rechtsgebieten sogenannte Modellgesetze (Uniform Laws) zur Annahme vorgeschlagen worden. In den meisten US-Bundesstaaten gelten nur wenige dieser Uniform Laws. In fast allen US-Bundesstaaten gilt jedoch der Uniform Commercial Code (UCC).

    Im Artikel 2 des UCC ist der Verkauf von Waren (Sale of Goods) geregelt. Im Rahmen des Artikel 2 des UCC ist die Nichterbringung einer Leistung gerechtfertigt, wenn die Leistung aufgrund (1) des Eintretens eines Ereignisses, dessen Nichteintreten bei Vertragsschluss indiziert wurde oder (2) durch die Einhaltung ausländischer oder inländischer staatlicher Vorschriften „undurchführbar“ (impracticable) geworden ist (siehe zum Beispiel: N.Y. U.C.C. § 2-615(a), Cal. Com. Code § 2615). Die "Undurchführbarkeit" der Leistung ist in der Regel leichter nachzuweisen, als die "objektive Unmöglichkeit" der Leistung. Der UCC verfolgt hier einen kommerziellen Ansatz, der Begriff der "Undurchführbarkeit" umfasst auch zu erbringende Leistungen, die theoretisch möglich sind, aber unerschwinglich teuer.

    In diesem Zusammenhang gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass in Verträgen die Anwendbarkeit der entsprechenden UCC-Vorschrift abdingbar ist. Ferner findet der UCC nur auf den Verkauf von Waren Anwendung. Sofern also in einem US-Bundesstaat die Undurchführbarkeit der Leistung nicht als allgemeine Einrede anerkannt ist (wie zum Beispiel in Kalifornien), können sich unter anderem Vertragsparteien von Dienstleistungsverträgen nicht auf die Undurchführbarkeit der Leistung berufen.
     

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    Von Jan Sebisch | Bonn

  • Usbekistan: Coronavirus und Verträge

    Vertragsparteien sollten eine einvernehmliche Vertragsanpassung in Betracht ziehen. Das usbekische Recht enthält Vorschriften zu Fällen höherer Gewalt.

    Klauseln im Vertrag beachten

    Meist beinhalten grenzüberschreitende Verträge eine Klausel über höhere Gewalt (Force-Majeure). Solche Force Majeure-Klauseln nennen konkrete Tatbestände (z.B. Naturkatastrophen, Kriege, Terroranschläge etc.) und deren Folgen für die Vertragsabwicklung. Die Vertragsklauseln gehen den gesetzlichen Vorschriften vor und sind daher für die Auswirkung von Ausfällen oder Verzögerungen bei Warenlieferungen und Zahlungen auf die vertraglichen Verpflichtungen primär heranzuziehen. Zunächst wäre also zu fragen, ob die Vertragsklausel den Ausbruch einer Epidemie oder Pandemie sowie behördliche Anordnungen ausdrücklich regelt oder Begriffe enthält, die entsprechend ausgelegt werden können. Die Klausel kann eine Benachrichtigung über die Umstände sowie die Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung verlangen. Force-Majeure-Klauseln sind nach dem anwendbaren Recht auszulegen. Für die Praxis ist eine ausführliche vertragliche Regelung von derartigen Situationen zu empfehlen.

    Vertragsanpassung in Betracht ziehen

    Die Vertragsparteien sollten bei drohenden oder eingetretenen Störungen des Vertragsverhältnisses infolge der COVID19-Maßnahmen eine einvernehmliche Vertragsanpassung in Erwägung ziehen, die einen Gang vors Gericht erspart. Dabei kann es sich beispielsweise um Verlängerung von Fristen für die Erfüllung vertraglicher Pflichten, Zahlungsaufschub und Nichtanwendung von Vertragsstrafen handeln.

    Geltung des usbekischen Rechts

    Normen des usbekischen Rechts finden dann Anwendung, wenn der Vertrag eine Rechtswahlklausel zugunsten des usbekischen Rechts enthält oder mangels einer Rechtswahlklausel die Regeln des Kollisionsrechts (Internationales Privatrecht) zur Geltung des usbekischen Rechts führen, vor allem bei Importverträgen, die eine Lieferung aus Usbekistan nach Deutschland vorsehen. Zu beachten ist, dass Deutschland und Usbekistan Vertragsstaaten des UN-Kaufrechtsübereinkommens (CISG) sind. Daher finden Normen des usbekischen Zivilgesetzbuches Anwendung, wenn die Vertragsparteien die Geltung des CISG ausgeschlossen haben oder das CISG keine Regelung enthält (z.B. Verjährungsfragen).

    Regelungen im usbekischen Recht

    Sofern vertraglich nichts anderes vereinbart ist, kommt es gemäß Art. 333 ZGB zu einer Befreiung von der Haftung für Nicht- oder Schlechterfüllung von vertraglichen Verpflichtungen, wenn der Schuldner beweisen kann, dass eine ordnungsgemäße Erfüllung infolge von höherer Gewalt, d.h. von außerordentlichen und unabwendbaren Umständen, unmöglich geworden ist. Die Norm präzisiert, dass das Fehlen von für die Erfüllung notwendigen Waren auf dem Markt, das Fehlen von Geld oder Pflichtverletzungen seitens der Vertragspartner des Schuldners nicht zu solchen Umständen gehören.

    Nach Art. 156 ZGB führen Umstände höherer Gewalt zur Hemmung der Verjährungsfrist. Ab dem Tag, an dem der Umstand der höheren Gewalt nicht mehr besteht, läuft die Verjährungsfrist weiter.

    Gemäß Verordnung des Ministerkabinetts Nr. 63 vom 15. Februar 2005 zählen zu den Umständen höherer Gewalt Naturkatastrophen (Erdbeben, Dürre etc.) sowie sozial-wirtschaftliche Umstände (Kriege, Import- und Exportverbote im Interesse des Staates etc.), die vom Willen und Handlungen der Vertragsparteien nicht abhängen und die zur Unmöglichkeit der Erfüllung führen.

    Soweit vertraglich nichts anderes vereinbart ist, bildet eine wesentliche Änderung der Umstände, von denen die Parteien beim Vertragsschluss ausgegangen sind, gemäß Art. 383 ZGB eine Grundlage für eine Vertragsänderung oder -kündigung. Die Änderung von Umständen gilt als wesentlich, wenn sie sich derart verändert haben, dass die Parteien, sofern sie dies hätten vorhersehen können, den Vertrag gar nicht oder zu ganz anderen Bedingungen abgeschlossen hätten.

    Wenn eine der Parteien eine Vertragsänderung ablehnt oder innerhalb von 30 Tagen nicht auf ein entsprechendes Angebot reagiert, kann die andere Vertragspartei eine Vertragsanpassung oder -kündigung vor Gericht beantragen. Dabei hat das Gericht das Vorliegen folgender Voraussetzungen zu prüfen:

    ▪ Die Parteien sind zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses davon ausgegangen, dass eine solche Änderung der Umstände nicht eintritt;

    ▪ Die Änderung der Umstände ist auf Gründe zurückzuführen, die von der einschlägigen Vertragspartei nach ihrem Entstehen bei Anwendung der nach Vertrag und Verkehrssitte erforderlichen Sorgfalt nicht überwunden werden konnten;

    ▪ Die Vertragserfüllung ohne Anpassung seiner Bedingungen würde das im Vertrag festgehaltene Verhältnis der wirtschaftlichen Interessen der Vertragsparteien derart stören und die einschlägige Partei so benachteiligen, dass sie den beim Vertragsschluss erwarteten Vorteil im Wesentlichen verlieren würde;

    ▪ Aus den Handelsbräuchen und dem Wesen des Vertrages folgt nicht, dass die einschlägige Partei das Risiko der Änderung der Umstände trägt.

    Zertifikat über Umstände höherer Gewalt

    Wenn keine einvernehmliche Vertragsanpassung zustande kommt, können das Ministerium für Investitionen und Außenhandel (englisch / russisch) sowie die Industrie- und Handelskammer Usbekistans gemäß dem Präsidialerlass Nr. UP-5969 vom 19. März 2020 auf Antrag der betroffenen Unternehmen ein Zertifikat über die Unmöglichkeit der Vertragserfüllung infolge von Umständen höherer Gewalt (Force Majeure) ausstellen. Dem Antrag sind beglaubigte Kopien des Vertrages einschließlich Anhänge sowie Angaben über den Umfang der bereits erfüllten vertraglichen Pflichten beizufügen. Soweit die Unmöglichkeit der Leistung tatsächlich eine Folge der COVID19-Pandemie ist, wird das Zertifikat innerhalb von 1-2 Tagen ausgestellt. Im Zertifikat werden die Vertragsparteien, die Nummer und das Datum des Vertrages, die Art der Umstände höherer Gewalt, der Ort und die Dauer dieser Umstände angegeben.


    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

    Von Dmitry Marenkov | Bonn

  • Vereinigtes Königreich: Coronavirus und Verträge

    Im deutsch-britischen Geschäftsverkehr sind zahlreiche Verträge geschlossen worden, für die englisches Recht gilt. Was passiert, wenn die Vertragserfüllung beeinträchtigt wird?

    Einleitung

    Großbritannien wurde vergleichsweise spät, aber sehr heftig von dem Coronavirus betroffen. Die britische Regierung hat mit erheblichen Einschränkungen des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens reagiert, die erst zum Sommer hin allmählich wieder gelockert werden. Die Durchführung vieler Verträge wurde - und wird - durch solche Maßnahmen beeinträchtigt. Folglich dürften viele Vertragsbeziehungen gestört werden, ganz sicher auch solche mit einer internationalen Komponente. Die Erbringung von Leistungen kann unmöglich oder deutlich schwieriger werden. Dieser Bericht gibt wichtige Hinweise und behandelt dabei ausschließlich das englische Recht. Die Abweichungen zum schottischen Recht sind allerdings so gering, dass dieser Bericht auch für Verträge, für die schottisches Recht gilt, wichtige Anhaltspunkte geben kann.      

    In Verträgen gibt es häufig „force majeure“ - Klauseln

    Wer mit durch den Coronavirus verursachten Problemen bei der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen zu tun hat, sollte den betroffenen Vertrag zunächst genau lesen. In vielen Verträgen, denen das englische Recht zugrunde liegt, finden sich so genannte „force majeure“-Klauseln. Solche Klauseln regeln, was passiert, wenn die Erfüllung eines Vertrages durch höhere Gewalt beeinträchtigt wird, also durch Ereignisse, die sich der Kontrolle der Parteien entziehen.

    Der genaue Inhalt ist natürlich von Vertrag zu Vertrag verschieden, einige Regelungen sind aber besonders häufig. Gute Anhaltspunkte bietet zum Beispiel die Musterklausel der Internationalen Handelskammer („ICC Force Majeure Clause 2020“), deren Geltung vertraglich vereinbart werden kann. Dort sind zusätzlich zu einer genaueren Definition der höheren Gewalt konkrete Beispiele enthalten, die als höhere Gewalt gelten sollen. Eine Epidemie ist in dieser Aufzählung ausdrücklich enthalten. Wenn eine Epidemie oder Pandemie nicht ausdrücklich erwähnt ist, kann sie trotzdem von der Klausel erfasst sein. Sie kann nämlich allgemeinere Begriffe enthalten, die dann allerdings ausgelegt werden müssen. Insbesondere hier kann es also theoretisch zu Meinungsverschiedenheiten kommen.

    Wenn höhere Gewalt im Sinne einer „force majeure“–Klausel vorliegt, muss es eine Kausalverbindung zwischen dieser höheren Gewalt und der Unmöglichkeit oder, je nach der individuellen Klausel, vielleicht auch nur erheblichen Erschwerung der Erbringung der geschuldeten Leistung geben. Wenn also das Leistungshindernis auf der höheren Gewalt beruht, dann sieht die ICC-Musterklausel vor, dass eine Mitteilung der – eigentlich – leistungspflichtigen Partei an die andere Partei erfolgen muss. In manchen Verträgen ist eventuell eine Frist für diese Mitteilung enthalten, beispielsweise „innerhalb einer Woche nach Bekanntwerden des Hinderungsgrundes“ oder ähnlich.

    Ist die Mitteilung erfolgt und liegen auch die anderen Voraussetzungen vor, folgt daraus in den meisten Fällen eine Befreiung von der Leistungspflicht und auch eine Befreiung von einer Haftung auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung oder Verzug. Wenn die Beeinträchtigung nur zeitweise besteht, und das wird im Hinblick auf viele Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus häufig der Fall sein, dann gelten die genannten Befreiungen nur so lange, wie die Beeinträchtigung besteht. Fällt sie weg, muss der Leistungsschuldner den Leistungsgläubiger darüber informieren.    

    In manchen Fällen kann die Beeinträchtigung dazu führen, dass bestimmte Leistungen dauerhaft nicht mehr sinnvoll erbracht werden können. Dann haben – nach der ICC-Klausel – beide Parteien das Recht, den Vertrag zu kündigen. Andere Klauseln können andere Rechtsfolgen vorsehen: möglicherweise wird nur die Haftung für den Verzugsschaden ausgesetzt, während die Hauptleistungspflicht bestehen bleibt. Oder es gibt ausführliche Regelungen von Schadensminderungspflichten einer oder beider Parteien. Eine gründliche Lektüre der Klausel ist dringend empfohlen.

    „Frustration of Contract“ - kann das Richterrecht helfen?

    Möglicherweise gibt es keine „force majeure“-Klausel in dem Vertrag, oder eine Epidemie ist von der konkreten Klausel nicht erfasst. Eine gesetzliche Regelung des gesamten Rechts der Leistungsstörungen gibt es ebenfalls nicht im englischen Recht. Allerdings gibt es die richterrechtliche Rechtsfigur der „Frustration of Contract“.

    Eine „Frustration“ setzt voraus, dass sich die Erfüllung des Vertrages durch nach Vertragsschluss eingetretene Faktoren als dauerhaft unmöglich herausstellt, oder dass sich wegen nachträglicher äußerer Umstände der Charakter des Vertrages grundlegend verändert. Solche Faktoren oder Umstände können tatsächlicher oder auch rechtlicher Natur sein. Allerdings müssen die Faktoren oder Umstände außerhalb des Verantwortungsbereichs der Parteien liegen. Sie dürfen außerdem bei Vertragsschluss nicht bekannt oder voraussehbar gewesen sein.

    In manchen Fällen im Zusammenhang mit dem Coronavirus kann eine Prüfung dieses Rechtsgrundsatzes in Betracht kommen. Zu bedenken ist aber immer, dass die Gerichte das Institut der „Frustration“ sehr eng auslegen - eine bloße Erschwerung der geschuldeten Leistung oder eine Erhöhung der Kosten beim Leistungserbringer reichen nicht aus. Insofern sind die Voraussetzungen für die „Frustration“ in aller Regel wesentlich enger also diejenigen der „force majeure“. Dafür sind die Folgen in aller Regel gravierender:    

    Wenn sich eine Partei erfolgreich auf „Frustration“ beruft, dann erlischt die Verpflichtung zur Erbringung der Leistung, und der Vertrag wird in aller Regel aufgelöst. Eventuell schon erbrachte Leistungen können grundsätzlich zurückgefordert werden.

    GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.

    Von Karl Martin Fischer | Bonn

  • Welt: Coronavirus und die Haftungsbefreiung nach Art. 79 UN-Kaufrecht

    Auf viele grenzüberschreitende Kaufverträge findet das UN-Kaufrecht Anwendung. Dieser Artikel behandelt die Haftungsentlastung nach Artikel 79 UN-Kaufrecht.

    Einleitung

    In Zeiten der Corona-Pandemie kann es vermehrt zu Störungen von Vertragsbeziehungen (Spät- oder Nichtlieferung, Zahlungsausfälle oder -verzögerungen) kommen. Es stellt sich die Frage, wer für dadurch entstandene Schäden einzustehen hat und ob sich eine Vertragspartei, die ihre vertraglichen Pflichten nicht erfüllt hat, durch eine Berufung auf außerhalb ihres Einflussbereichs liegenden Hinderungsgrund von der Haftung befreien kann. 

    Auf eine Vielzahl von internationalen Kaufverträgen findet das UN-Kaufrechtsübereinkommen (UN-Kaufrecht, CISG) Anwendung. Dem UN-Kaufrecht liegt das Konzept der verschuldensunabhängigen Haftung zugrunde. Artikel 79 UN-Kaufrecht bildet eine wichtige Ausnahme und schützt Schuldner vor unüberschaubarem Haftungsrisiko, wenn die Vertragsverletzung auf Gründe außerhalb ihrer Einflusssphäre zurückzuführen ist.

    Weiter Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts

    Das UN-Kaufrechtsübereinkommen ist auf Kaufverträge über Waren zwischen Parteien anzuwenden, die ihre Niederlassung in verschiedenen Vertragsstaaten haben, oder wenn die Regeln des internationalen Privatrechts zur Anwendung des Rechts eines Vertragsstaats führen (Art. 1).

    Dem UN-Kaufrecht sind bislang 94 Staaten beigetreten. Von den 27 EU-Mitgliedstaaten sind bislang nur Irland und Malta dem UN-Kaufrecht nicht beigetreten. 37 der 50 wichtigsten Handelspartner der Bundesrepublik Deutschland gehören dem UN-Kaufrecht an. Das UN-Kaufrecht ist somit für nahezu jeden deutschen Warenexport und für die Mehrzahl der Warenimporte relevant.

    Das UN-Kaufrecht gilt nicht für Verträge hinsichtlich Wertpapiere, See- und Binnenschiffe oder Luftfahrzeuge sowie elektrische Energie. Ferner sind Konsumentenkäufe, sofern (ausschließlich) persönlicher Gebrauch für den Verkäufer erkennbar war, aus dem Anwendungsbereich ausgenommen (Art. 2).

    Das UN-Kaufrecht ist Bestandteil des deutschen Rechts und geht als Spezialgesetz für den internationalen Warenkauf dem deutschen Schuldrecht (BGB, HGB) vor. Den Vertragsparteien steht es frei, die Geltung des UN-Kaufrechts auszuschließen. Zu beachten ist jedoch, dass eine Rechtswahlklausel zu Gunsten „deutschen Rechts“ oder des „schweizerischen Rechts“ nach ständiger Rechtsprechung die Anwendung des UN-Kaufrechts nicht ausschließt, da es ein integraler Bestandteil der jeweiligen Rechtsordnung ist.

    Haftungsbefreiung nach Artikel 79 UN-Kaufrecht

    Voraussetzungen

    Gemäß Art. 79 UN-Kaufrecht hat eine Partei für die Nichterfüllung einer ihrer Pflichten nicht einzustehen, wenn sie beweist, dass die Nichterfüllung auf einem außerhalb ihres Einflussbereichs liegenden Hinderungsgrund beruht und dass von ihr vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsabschluss in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund oder seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden.

    Die Gerichte stellen strenge Anforderungen an die genannten Voraussetzungen, sodass die Berufung auf Art. 79 UN-Kaufrecht in den meisten Fällen ohne Erfolg bleibt. Das Vorbringen, dass die säumige Partei kein Verschulden trifft, reicht für eine Befreiung nicht aus.

    Als Hinderungsgrund außerhalb des Einflussbereichs der vertragsbrüchigen Vertragspartei kommen vor allem Fälle höherer Gewalt wie Naturereignisse und -katastrophen (Erdbeben, Überschwemmung, Dürre) oder von Menschen geprägte Ereignisse wie Krieg, Aufstände oder Terroranschläge in Betracht. Auch Epidemien und die gegenwärtige Corona-Pandemie fallen grundsätzlich darunter. Darüber hinaus gehören staatliche Maßnahmen wie ein Ausfuhr- oder Einfuhrverbot, Devisenbeschränkungen, Embargos etc. zu dieser Kategorie.

    Störungen bei der Organisation des Betriebes, finanzielle Schwierigkeiten, eine unerwartete Änderung der Marktlage, Insolvenz, Erkrankung von Teilen der Belegschaft, Störung der Energiezufuhr, Ausfall von Maschinen erfüllen dagegen in der Regel diese Tatbestandsvoraussetzung nicht.

    Die Unvorhersehbarkeit hängt unter anderem mit dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses zusammen. Das Hindernis oder seine Konsequenzen müssen unvermeidbar und unüberwindbar sein. Dabei kommt es auf die vertraglich festgelegte Risikoverteilung an. Der Verkäufer trägt selbst unter komplizierten Bedingungen das Beschaffungsrisiko und ist auch dann zu erheblichen Mehraufwendungen verpflichtet, wenn die Leistungserbringung deutlich teurer wird und zu signifikanten Verlusten führt.

    Die vertragliche Force-Majeure-Klausel kann die Hinderungsgründe und ihre Folgen präzisieren und die Regelung des Art. 79 UN-Kaufrecht ersetzen.

    Mitteilungspflicht

    Die Vertragspartei, die ihre vertragliche Pflicht nicht erfüllt, hat den Hinderungsgrund und seine Auswirkung auf ihre Fähigkeit zu erfüllen der anderen Partei innerhalb einer angemessenen Frist (meist unverzüglich) mitzuteilen.

    Art der Haftungsbefreiung

    Die Haftungsbefreiung tritt nur für die konkrete Pflicht ein, die der Schuldner nicht erfüllen kann, und nicht für den gesamten Vertrag.

    Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Haftungsbefreiung nach Art. 79 Abs. 3 UN-Kaufrecht nur für die Zeit gilt, während der der Hinderungsgrund besteht.

    Wichtig ist auch, dass Art. 79 Abs. 5 UN-Kaufrecht den Schuldner nur von Schadensersatzansprüchen befreit. Sonstige Rechtsbehelfe wie Erfüllungsanspruch (bei temporären Leistungshindernissen), Vertragsaufhebung, Minderung oder Zinsansprüche bleiben dagegen bestehen.

    Artikel 79 UN-Kaufrecht regelt die Haftungsbefreiung abschließend. Ein Rückgriff auf die nationale Gesetzgebung findet nicht statt.

    Vertragsgestaltung: Force-Majeure-Klausel

    Für die Vertragsgestaltung empfiehlt sich eine detaillierte Force-Majeure-Klausel. Darin können die Vertragsparteien die Leistungshindernisse und die Folgen für die Vertragsabwicklung genau festlegen. Aufgrund des dispositiven Charakters des Art. 79 UN-Kaufrechts, treten solche Force-Majeure-Klauseln an die Stelle der hier behandelten Vorschrift. Die Internationale Handelskammer (ICC) hat Mitte 2020 die Muster-Force-Majeure-Klausel aktualisiert, die in die Verträge aufgenommen werden kann.

    Von Dmitry Marenkov | Bonn

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