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Rechtsbericht │ Aserbaidschan │ Coronavirus

Aserbaidschan: Coronavirus und Verträge

Das Recht Aserbaidschans verwendet den Begriff der "höheren Gewalt", definiert diesen jedoch nicht eindeutig. Eine Vertragsanpassung sollte in Betracht gezogen werden.

Von Dmitry Marenkov | Bonn

Vertragliche Klauseln gehen vor

Grenzüberschreitende Verträge enthalten meist eine Klausel über höhere Gewalt (Force-Majeure), die einzelne Tatbestände (z.B. Naturkatastrophen) und deren Folgen für die Vertragsabwicklung aufzählen. Die Vertragsklauseln gehen den gesetzlichen Bestimmungen vor und sind folglich hinsichtlich Auswirkung von Ausfällen oder Verzögerungen bei Warenlieferungen und Zahlungen primär heranzuziehen. Zunächst wäre daher zu fragen, ob die Klausel den Ausbruch einer Epidemie oder Pandemie sowie behördliche Anordnungen ausdrücklich regelt oder Begriffe enthält, die entsprechend ausgelegt werden können. Es ist grundsätzlich erforderlich, kurzfristig die Gegenseite über die Umstände und deren konkreten Auswirkungen auf die vertraglichen Verpflichtungen zu informieren sowie Maßnahmen zur Risiko- und Schadensminimierung zu treffen.

Anwendbares Recht

Vorschriften des aserbaidschanischen Rechts finden dann auf deutsch-aserbaidschanische Verträge Anwendung, wenn der Vertrag eine entsprechende Rechtswahlklausel enthält oder mangels einer Rechtswahlklausel die Regeln des Internationalen Privatrechts zur Geltung des aserbaidschanischen Rechts führen. Dies ist insbesondere bei Importverträgen, die eine Lieferung aus Aserbaidschan nach Deutschland vorsehen, der Fall. Zu beachten ist, dass Aserbaidschan und Deutschland Vertragsstaaten des UN-Kaufrechtsübereinkommens (CISG, UN-Kaufrecht) sind. Daher finden Normen des aserbaidschanischen Zivilgesetzbuches („Mülki Məcəllə“, im Folgenden: ZGB, aserbaidschanisch / russisch / englisch) nur Anwendung, wenn die Vertragsparteien die Geltung des CISG ausgeschlossen haben oder das CISG keine Regelung enthält (z.B. Verjährungsfragen). Im UN-Kaufrecht ist insbesondere Art. 79 zu beachten.

Regelungen im aserbaidschanischen Recht

Gemäß Art. 448.4 ZGB haftet ein Schuldner nicht für eine Pflichtverletzung, sofern er nachweisen kann, dass die Pflichtverletzung aus einem Umstand resultiert, den er nicht zu verantworten hat und dass er bei Vertragsschluss einen solchen Umstand oder seine Abwendung oder die Beseitigung der entsprechenden Folgen nicht vorhersehen konnte. Der Schuldner ist verpflichtet, unverzüglich den Gläubiger über das Vorliegen eines solchen Umstandes und die Folgen für die Erfüllbarkeit der vertraglichen Verpflichtungen zu informieren. Wenn der Gläubiger keine solche unverzügliche Mitteilung erhält, haftet der Schuldner für die dadurch beim Gläubiger entstandenen Schäden.

Nach Art. 379 ZGB ist die Verjährung gehemmt, wenn die Rechtsverfolgung aufgrund höherer Gewalt unmöglich war. Ab dem Tag, an dem der Umstand der höheren Gewalt nicht mehr besteht, läuft die Verjährungsfrist weiter.

Haben sich Umstände, auf deren Grundlage der Vertragsabschluss zustande gekommen ist, schwerwiegend verändert, kann der Vertrag gemäß Art. 422 ZGB mit Zustimmung der Parteien geändert oder aufgehoben werden, sofern der Vertrag nichts anderes vorsieht. Die Änderung von Umständen gilt als schwerwiegend, wenn sie sich derart verändert haben, dass die Parteien, sofern sie dies hätten vernünftigerweise vorhersehen können, den Vertrag gar nicht oder zu ganz anderen Bedingungen abgeschlossen hätten. Wenn die Vertragsparteien keine Einigung über eine Vertragsanpassung oder -aufhebung erzielt haben, kann die Anpassung und Aufhebung vor Gericht bei Vorliegen folgender Voraussetzungen beantragt werden:

▪ Die Parteien sind zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses davon ausgegangen, dass eine solche Änderung der Umstände nicht eintritt;

▪ Die Änderung der Umstände ist auf Gründe zurückzuführen, die die betroffene Vertragspartei bei Anwendung der nach Vertragscharakter und Verkehrssitte erforderlichen Sorgfalt nicht überwinden konnte;

▪ Die Vertragserfüllung würde das Verhältnis der wirtschaftlichen Interessen der Vertragsparteien stören und die betroffene Partei derart benachteiligen, dass sie den beim Vertragsschluss erwarteten Vorteil im Wesentlichen verlieren würde;

▪ Aus den Handelsbräuchen und dem Wesen des Vertrages folgt nicht, dass die einschlägige Partei das Risiko der Änderung der Umstände trägt.

In seiner Entscheidung vom 7. September 2018 hat es das Verfassungsgericht Aserbaidschans beispielsweise abgelehnt, den Kursverfall der nationalen Währung als eine schwerwiegende Änderung der Umstände im Sinne des Art. 422 ZGB anzuerkennen. Das Gericht führte aus, dass das Risiko von Währungsschwankungen den Teilnehmern des Wirtschaftsverkehrs bekannt sein müsse.

Vertragsanpassung in Erwägung ziehen

Mangels einer einheitlichen Definition oder Erläuterung des Begriffs „höhere Gewalt“ kann es hinsichtlich der Frage, ob es sich bei den Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus um Umstände höherer Gewalt handelt, zu Streitigkeiten kommen. 
Die Vertragspartei, die nicht oder nicht rechtzeitig leisten kann, wird Beweis erbringen müssen, dass der Grund dafür unmittelbar in der Verhängung von COVID19-Maßnahmen liegt. Sie wird auch die fehlende Vorhersehbarkeit (hier kommt es auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an) und die Unüberwindbarkeit sowie die rechtzeitige Benachrichtigung und die Vornahme von Maßnahmen zur Risikoverhinderung bzw. -minimierung beweisen müssen. 
Zu beachten ist, dass Force-Majeure-Umstände nicht komplett von der Leistungspflicht entbinden. Der Schuldner bleibt verpflichtet, nach dem Wegfall dieser Umstände seine Leistung (z.B. Warenlieferung oder Zahlung) zu erbringen.
Die Vertragsparteien sollten bei drohenden oder eingetretenen Störungen des Vertragsverhältnisses infolge der COVID19-Maßnahmen eine einvernehmliche Vertragsanpassung in Betracht ziehen, die einen Gang vors Gericht erspart. Dabei kann es sich beispielsweise um Verlängerung von Fristen für die Erfüllung vertraglicher Pflichten, Zahlungsaufschub und Nichtanwendung von Vertragsstrafen handeln.

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