Rechtsbericht Tschechische Republik Coronavirus
Tschechische Republik: Coronavirus und Verträge
In Tschechien werden viele staatliche Maßnahmen ergriffen, um den Coronavirus einzudämmen. Jeder Bereich ist "infiziert". Auch das Vertragsrecht?
16.04.2020
Von Marcelina Nowak | Bonn
Einleitung
Die ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus haben auch im Bereich der vertraglichen Verpflichtungen Spuren hinterlassen. Die Rechtzeitigkeit der Erfüllung individueller vertraglicher Verpflichtungen wird für die Parteien immer schwieriger.
Gibt es eine gesetzliche Bestimmung zu „höheren Gewalt“?
Im tschechischen Recht gibt es keine ausdrückliche Definition von "höherer Gewalt". Das tschechische Bürgerliche Gesetzbuch Nr. 89/2012 Sb. sieht aber in § 2913 (Verletzung der vertraglichen Pflichten) einen gewissen Schutz in Fällen, wie zum Beispiel der Corona-Pandemie, vor.
Wenn eine Partei gegen ihre vertragliche Verpflichtung verstößt, dann ist sie grundsätzlich verpflichtet, die andere Partei für den Schaden zu entschädigen, der sich aus einer solchen Verletzung ergibt (Absatz 1). Einen Haftungsausschluss sieht Absatz 2 vor. Dort heißt es, dass der Schädiger von der Verpflichtung zum Schadensersatz frei wird, soweit er nachweißt, dass die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung zeitweilig oder dauerhaft durch ein außergewöhnliches, unvorhersehbares und unüberwindbares Hindernis verhindert wurde, welches unabhängig von seinem Willen entstanden ist. Weder ein aus dem persönlichen Verhältnis des Schädigers oder erst im Zeitpunkt seines Verzugs mit der Erfüllung seiner vereinbarten Verpflichtungen entstandenes Hindernis noch ein Hindernis, zu dessen Überwindung er gemäß dem Vertrag verpflichtet war, befreit ihn von der Verpflichtung zum Schadensersatz.
Im Ergebnis lässt sich sagen, dass der Schuldner, dessen Verpflichtung in Folge nachträglicher Unmöglichkeit der Leistung erlischt, zum Schadensersatz verpflichtet ist, es sein denn, die nachträgliche Unmöglichkeit wurde durch objektive Umstände verursacht, die der Schuldner nicht abwenden, überwinden oder bei Vertragsschluss voraussetzen konnte.
Wichtig dabei ist der kausale Zusammenhang zwischen dem Schaden und dem Hindernis (nachträgliche Unmöglichkeit). Dieses besagte Hindernis muss vorliegend aufgrund der Verbreitung des Coronavirus entstanden sein. Es darf nicht zu einem Zeitpunkt eintreten, zu dem eine Partei bereits mit der Verpflichtung im Verzug war. Das Merkmal der Unvorhersehbarkeit spielt auch eine große Rolle. Wenn bei Vertragsschluss ersichtlich war/ist, dass eine der Vertragsparteien wegen des Auftretens des Coronavirus den Vertrag nicht erfüllen kann, dann greift der Haftungsausschluss nicht.
Wenn man sich auf den § 2913 Absatz 2 berufen will, muss immer eine Einzelfallprüfung vorgenommen werden. Die betreffende Partei wird allerdings nachweisen müssen, dass sie sich in den letzten Monaten mit der Ausbreitung der Pandemie beschäftigt hat, beziehungsweise alle notwendigen Informationen und Maßnahmen diesbezüglich eingeholt hat. Im Einzelfall kommt es auf die entsprechende Argumentation an. Im Allgemeinem lässt sich aber festhalten, dass der Absatz 2 für solche Fällen, wie der Coronavirus-Pandemie, einschlägig ist. Die Tatbestandsmerkmale für den Haftungsausschluss können erfüllt sein. Es bleibt aber abzuwarten, wie die örtlichen Gerichte in einem Rechtsstreit entscheiden werden und welche Auffassung sie vertreten.
Klausel über höhere Gewalt in Verträgen?
Es ist nicht gängige Praxis Klauseln über höhere Gewalt in Verträge aufzunehmen. Das Gesetz überlässt es den Vertragsparteien. Ob aber eine Klausel auch ihre Anwendbarkeit auf die Coronavirus-Pandemie findet, muss von Fall zu Fall beurteilt werden. Wie oben schon gesagt, kann man aber auf die gesetzlichen Bestimmungen zurückgreifen.
"COVID-19" als wesentliche Änderung der Umstände?
Das tschechische Bürgerliche Gesetzbuch Nr. 89/2012 Sb. sieht in § 1765 (Wesentliche Änderungen der Umstände) und 1766 (Änderungen der Verbindlichkeit durch Gericht) eine gesetzliche Härtefallklausel vor. Besser bekannt als "clausula rebus sic stantibus" oder "Wegfall der Geschäftsgrundlage".
Der § 1765 besagt, dass Umstände sich so wesentlich ändern können, dass dadurch Rechte und Pflichten der Parteien auf Grund einer einseitigen Benachteiligung in ein besonders grobes Missverhältnis geraten. Die betroffene Partei hat dann gegenüber der anderen das Recht, die Wiederaufnahme der Vertragsverhandlungen zu verlangen, soweit sie nachweist, dass sie die Änderung weder vernünftiger Weise annehmen noch beeinflussen konnte und das die Tatsache erst nach dem Vertragsschluss eingetreten oder der betroffenen Partei bekanntgeworden ist.
Voraussetzung für einen solchen Wiederaufnahmeantrag ist jedoch, dass eine solche Änderung der Umstände zu einem besonders starken Missverhältnis der Rechte und Pflichten der Parteien führt, indem einer von ihnen benachteiligt wird, entweder weil die Leistungskosten überproportional erhöht werden oder der Wert des Leistungsgegenstandes überproportional verringert wird.
Einigen sich die Parteien nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraumes auf eine Vertragsänderung, kann sich jede Partei an das Gericht wenden und die Änderung des Vertrages zur Wiederherstellung des Gleichgewichts oder die Aufhebung des Vertrages beantragen (§ 1766 Absatz 1). Das Gericht ist nicht an die Vorschläge der Parteien gebunden (§ 1766 Absatz 1 Satz 2). Das Gericht weist den Antrag auf Änderungen der Umstände ab, wenn die betroffene Partei nicht innerhalb einer angemessenen Frist (es gilt die Annahme, dass die Frist 2 Monate beträgt) das Recht auf Wiederaufnahme der Vertragsverhandlungen geltend macht (§ 1766 Absatz 2).
Diese Härtefallregelung gilt nicht für Verträge, in denen die Parteien ausdrücklich diese Regelung ausgeschlossen haben, also das Risiko übernehmen.
Die Coronavirus-Pandemie kann durchaus als eine wesentliche Änderung der Umstände angesehen werden. Diese hat nämlich zu Folge, dass es zu einer schwerwiegenden Benachteiligung einer der Vertragsparteien kommen könnte.
GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte sowie damit verbundene rechtliche und zollrechtliche Fragestellungen berichten wir in unserem Themenspecial.