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Rechtsbericht │ Ukraine │ Coronavirus

Ukraine: Coronavirus und Verträge

Vertragliche Bestimmungen gehen vor. Das ukrainische Recht regelt Fälle höherer Gewalt. Die IHK der Ukraine kann Force-Majeure-Zertifikate ausstellen.

Von Dmitry Marenkov | Bonn

Klauseln im Vertrag beachten

Grenzüberschreitende Verträge beinhalten zumeist eine Klausel über höhere Gewalt (Force-Majeure). Solche Force Majeure-Klauseln nennen konkrete Tatbestände (z.B. Naturkatastrophen, Kriege etc.) und deren Folgen für die Vertragsabwicklung. Die Vertragsklauseln gehen den gesetzlichen Vorschriften vor und sind daher für die Auswirkung von Ausfällen oder Verzögerungen bei Warenlieferungen und Zahlungen auf die vertraglichen Verpflichtungen primär heranzuziehen. Zunächst wäre also zu fragen, ob die Vertragsklausel den Ausbruch einer Epidemie oder Pandemie sowie behördliche Anordnungen ausdrücklich regelt oder Begriffe enthält, die entsprechend ausgelegt werden können. Die Klausel kann eine Pflicht zur Benachrichtigung über die Umstände sowie die Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung verlangen. 

Vertragsanpassung in Erwägung ziehen

Die Vertragsparteien sollten bei drohenden oder eingetretenen Störungen des Vertragsverhältnisses infolge der Coronavirus-Maßnahmen über eine einvernehmliche Vertragsanpassung nachdenken, die einen Gang vors Gericht erspart. Dabei kann es sich um Verlängerung von Fristen für die Erfüllung vertraglicher Pflichten, Zahlungsaufschub, Ratenzahlungen und Nichtanwendung von Vertragsstrafen handeln.

Geltung des ukrainischen Rechts

Normen des ukrainischen Rechts finden dann Anwendung, wenn der Vertrag eine entsprechende Rechtswahlklausel enthält oder mangels einer solchen die Regeln des Kollisionsrechts (Internationales Privatrecht) zur Geltung des ukrainischen Rechts führen, vor allem bei Importverträgen, die eine Lieferung aus der Ukraine nach Deutschland vorsehen. Zu beachten ist, dass Deutschland und die Ukraine Vertragsstaaten des UN-Kaufrechtsübereinkommens (CISG) sind. Daher finden Normen des ukrainischen Zivilgesetzbuches oder Wirtschaftsgesetzbuches dann Anwendung, wenn die Vertragsparteien die Geltung des CISG ausgeschlossen haben oder das CISG keine Regelung enthält (z.B. Verjährungsfragen).

Regelungen im ukrainischen Recht

Sowohl das Zivilgesetzbuch (ZGB, ukrainisch / russisch / englisch) als auch das Wirtschaftsgesetzbuch (WirtGB, ukrainisch / russisch) enthalten Vorschriften zu höherer Gewalt.

Sofern vertraglich nichts anderes vereinbart ist, tritt gemäß Art. 218 WirtGB und Art. 617 ZGB eine Befreiung von der Haftung für Nicht- oder Schlechterfüllung von vertraglichen Verpflichtungen ein, wenn der Schuldner beweisen kann, dass eine ordnungsgemäße Erfüllung infolge von höherer Gewalt, d.h. von außerordentlichen und unabwendbaren Umständen, unmöglich geworden ist.

Nach Art. 263 ZGB führen Umstände höherer Gewalt zur Hemmung der Verjährungsfrist. Ab dem Tag, an dem der Umstand der höheren Gewalt nicht mehr besteht, läuft die Verjährungsfrist weiter.

Haben sich Umstände, auf deren Grundlage der Vertragsabschluss zustande gekommen ist, schwerwiegend verändert, kann der Vertrag gemäß Art. 652 ZGB mit Zustimmung der Parteien geändert oder aufgehoben werden, wenn sich aus dem Vertrag und dem Wesen der Pflichten nichts anderes ergibt. Die Änderung von Umständen gilt als schwerwiegend, wenn sie sich derart verändert haben, dass die Parteien, sofern sie dies hätten vorhersehen können, den Vertrag gar nicht oder zu ganz anderen Bedingungen abgeschlossen hätten.

Wenn die Vertragsparteien keine Einigung über eine Vertragsanpassung oder -aufhebung erzielt haben, kann die Aufhebung und Anpassung vor Gericht bei Vorliegen folgender Voraussetzungen beantragt werden:

▪ Die Parteien sind zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses davon ausgegangen, dass eine solche Änderung der Umstände nicht eintritt;

▪ Die Änderung der Umstände ist auf Gründe zurückzuführen, die die betroffene Vertragspartei bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt nicht überwinden konnte;

▪ Die Vertragserfüllung würde das Verhältnis der wirtschaftlichen Interessen der Vertragsparteien stören und die betroffene Partei derart benachteiligen, dass sie den beim Vertragsschluss erwarteten Vorteil verlieren würde;

▪ Aus dem Wesen des Vertrages und den Handelsbräuchen folgt nicht, dass die einschlägige Partei das Risiko der Änderung der Umstände trägt.

Coronavirus als „höhere Gewalt“?

Artikel 14.1 des ukrainischen Gesetzes über Industrie- und Handelskammern zählt als Fälle der höheren Gewalt u.a. Kriege, Aufstände, Unruhen, militärische Embargos, Ausgangssperren, Epidemien, Import- und Exportbeschränkungen und seit der jüngsten Gesetzesänderung vom 17. März 2020 auch die von der Regierung angeordnete Quarantäne auf.

Diese Ergänzung führt nicht automatisch zur Haftungsbefreiung. Vielmehr muss der Schuldner im Einzelfall die Unvorhersehbarkeit der Umstände (hier kommt es auf den Zeitpunkt des Vertrages an), die Unvermeidbarkeit der Folgen für die Vertragsabwicklung und den Kausalzusammenhang zwischen der Unmöglichkeit der konkreten Leistung und der Quarantäne darlegen.

Die IHK der Ukraine sowie die regionalen IHK (z.B. die IHK der Stadt Charkiw) können auf Antrag ein Zertifikat über das Vorliegen von Umständen höherer Gewalt ausstellen. Dem Antrag sind der Vertrag und eine Bestätigung über die Benachrichtigung des Vertragspartners über das Vorliegen der Umstände höherer Gewalt beizufügen. Das Zertifikat kann vom beweisbelasteten Schuldner vor Gericht verwendet werden. Es bindet jedoch das Gericht nicht und kann daher nicht als Garantie einer Haftungsbefreiung dienen.

Zu beachten ist ferner, dass Force-Majeure-Umstände nicht komplett von der Leistungspflicht entbinden. Der Schuldner bleibt verpflichtet, nach dem Wegfall dieser Umstände seine Leistung zu erbringen.

Nicht als Fälle höherer Gewalt werden Pflichtverletzungen seitens der Vertragspartner des Schuldners, das Fehlen von für die Erfüllung notwendigen Waren auf dem Markt, finanzielle Probleme beim Schuldner, eine Finanz- und Wirtschaftskrise, eine Staatsinsolvenz sowie Währungsschwankungen anerkannt.

GTAI-Themenspecial Coronavirus: Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf Auslandsmärkte berichten wir in unserem Themenspecial.

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