Britische Chemieindustrie zeigt sich trotz Brexit robust
Trotz der Belastung durch die neue Chemikalienregulierung UK REACH blickt die Branche positiv auf das laufende Jahr. Für deutsche Unternehmen steigen die Hürden im Export.
Mehr noch als die Zollgrenze bereitet der neue Regulierungsrahmen UK REACH der britischen Chemieindustrie große Sorgen. Insgesamt zeigt sich die Branche aber robust.
Die britische Chemieindustrie konnte als eine der wenigen Industriebranchen die Folgen der Coronapandemie bereits deutlich überkompensieren. Die Produktion hat 2020 um 2 Prozent zugelegt, erlebt aber in diesem Jahr laut dem "Make UK BDO Manufacturing Outlook 2021 Q1" eine Stagnation auf hohem Niveau.
Zahlen und Fakten: Die britische Chemieindustrie
Robuster Ausblick trotz anhaltender Risiken
Auf das laufende Jahr blicken die Chemiehersteller laut einer aktuellen Umfrage des Branchenverbands CIA positiv. Über 80 Prozent der Befragten geben wachsende oder stabile Umsätze im 1. Quartal 2021 an, über 40 Prozent verzeichnen gestiegene Auftragseingänge.
Die Risiken liegen vor allem in der Belastung durch die neue Chemikalienregulierung UK REACH, die für Mehrkosten von rund 1,2 Milliarden Euro sorgen könnte. CIA mahnt deshalb Vereinfachungen des Systems an. Während die Lebensmittel- und Getränkeindustrie als wichtiger Kunde der Chemiehersteller unter der neuen Zollgrenze leidet, kommt für die britische Automobilindustrie das Verkaufsverbot für Pkw mit konventionellem Verbrennungsmotor hinzu. Dafür bietet die Dekarbonisierung der Wirtschaft, insbesondere die aufstrebende Wasserstoffwirtschaft, große Chancen.
Zollgrenze sorgt für Verschiebungen im Außenhandel
Laut CIA klagen 85 Prozent der Chemieunternehmen über Logistikprobleme. Der britische Außenhandel mit chemischen Erzeugnissen verschiebt sich unter dem Eindruck der neuen Zollgrenze. Der Chemiehandel mit der Europäischen Union (EU) entwickelt sich deutlich schwächer als mit Drittstaaten.
In den ersten zwei Monaten des laufenden Jahres sind die britischen Chemikalienimporte aus der EU gegenüber der Vorjahresperiode um 15,7 Prozent zurückgegangen. Mit Drittstaaten konnten die Einfuhren im Vergleichszeitraum um 50,3 Prozent zulegen.
Die Exporte in die EU sind mit einem Minus von 59 Prozent deutlich stärker eingebrochen als in Nicht-EU-Länder (-2,7 Prozent). Nach Einschätzung des Branchenverbands handelt es sich bei der Verschiebung um einen "temporären" Effekt.
Germany Trade & Invest fasst weitere Marktchancen und -risiken in der Publikation Branche kompakt Chemie zusammen.
Zollfreiheit für viele Produkte der chemischen Industrie
Seit 1. Januar 2021 gilt bei der Einfuhr nach Großbritannien der neue britische Zolltarif. Der UK Global Tariff sieht für die meisten Waren der Kapitel 28-38 "Erzeugnisse der chemischen Industrie" Zollsätze zwischen 2 und 6 Prozent vor. Viele chemische Produkte können sogar zollfrei eingeführt werden. Ein Präferenznachweis ist in diesem Fall nicht notwendig.
Das Handels- und Kooperationsabkommen (TCA) zwischen der Europäischen Union (EU) und dem Vereinigten Königreich garantiert eine zollfreie Einfuhr für EU-Ursprungswaren. Voraussetzung ist die Einhaltung der im Abkommen festgelegten Ursprungsregeln. Die erzeugnisspezifischen Ursprungsregeln finden sich in Anhang ORIG-2.
Das Freihandelsabkommen kann die EU-Mitgliedschaft nicht ersetzen
Das TCA enthält zwar einen sektorspezifischen Anhang für Chemikalien, dieser bietet jedoch nicht dieselben Vorteile wie die Mitgliedschaft im Binnenmarkt. Anhang TBT-3 hat das Ziel, den Handel mit Chemikalien zu erleichtern. Die EU und das Vereinigte Königreich verpflichten sich zur Umsetzung des global harmonisierten Systems der Vereinten Nationen zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien sowie aller einschlägigen Leitlinien internationaler Organisationen. Die Passagen zur Zusammenarbeit bleiben jedoch vage.
Seit 1. Januar gilt das neue UK REACH
Mit dem Brexit verlässt das Vereinigte Königreich auch den EU-Binnenmarkt. Für Nordirland gelten jedoch Sonderregeln, denn Nordirland bleibt gemäß Austrittsabkommen weitgehend im Binnenmarkt für Waren.
In Großbritannien findet die EU-Chemikalienverordnung REACH keine Anwendung mehr. Stattdessen gibt es ein eigenständiges UK REACH-System. Exporteure sollten sicherstellen, dass Registrierungen rechtzeitig in das neue System überführt oder neu beantragt werden.
Eine Übersicht über Fristen und Pflichten finden Sie in diesem GTAI-Bericht zum Marktzugang post-Brexit.