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Special Vereinigtes Königreich Brexit

Öffentliche Aufträge: Britischer Beschaffungsmarkt im Umbruch

Bereits seit diesem Jahr gelten Brexit-bedingte Änderungen. Eine grundlegende Reform im Vergaberecht steht allerdings noch bevor, der erste Gesetzentwurf wird noch 2021 erwartet.

  • Öffentliche Aufträge post-Brexit

    Das Handels- und Kooperationsabkommen EU-Vereinigtes Königreich (VK) geht in seinen Bestimmungen zum öffentlichen Beschaffungswesen über die Bestimmungen des WTO-Rechts hinaus.

    Die Bestimmungen des neuen europäisch-britischen Freihandelsabkommens (das Abkommen) zu Auftragsvergaben der öffentlichen Hand finden sich in den Vorschriften des Abkommens (Artikel 276 ff) sowie in Anhang 25. Sie sind eng mit den Regeln des Government Procurement Agreement (GPA) der WTO verknüpft. Das GPA ist ein plurilaterales Abkommen unter dem Dach der WTO. Sowohl die EU als auch die britische Seite sind diesem Abkommen beigetreten.

    Ein wichtiger Hinweis vorab: Für Vergabeverfahren, die bis Ende 2020 eingeleitet wurden, gelten bis zu deren Abschluss noch die Regeln des europäischen Vergaberechts. Dies regeln die Artikel 75 ff. des Austrittsabkommens vom 12. November 2019 (2019/C 384 I/01). Die folgenden Bestimmungen gelten also nur für Vergabeverfahren, die nach dem Ende der Übergangsphase eingeleitet werden.

    Ausgangspunkt ist das Government Procurement Agreement der WTO

    Wie viele andere WTO Regelwerke besteht auch das GPA zum einen aus einem Teil mit materiellen Regelungen, zum anderen aus Anhängen, in denen die Vertragsparteien den konkreten Anwendungsbereich dieser Regelungen festlegen.

    Die wichtigsten materiellen Regelungen finden sich vor allem in den Artikeln IV (allgemeines Diskriminierungsverbot; bei elektronischer Vergabe: Sicherstellung, dass die Software kompatibel mit weitverbreiteter Software ist; keine über die bilateralen Ursprungsregeln hinausgehenden Ursprungserfordernisse für Waren und Dienstleistungen), Artikeln VI und VII (möglichst weite Veröffentlichung von die Vergabe betreffenden Regelungen sowie konkreter Vergabeverfahren), Artikel VIII (Verbot unnötiger Teilnahmebedingungen), Artikel XI (Gebot angemessener Fristen), Artikel XV (Gebot der Fairness, Unparteilichkeit und Vertraulichkeit), Artikel XVI (Transparenz hinsichtlich der Entscheidung) und Artikel XVIII (Gebot des effektiven Rechtsschutzes).

    Der Anwendungsbereich der Regelungen des GPA ergibt sich aus den Anhängen, die die Vertragsparteien bei der WTO hinterlegen. In diesen Anhängen erklären die Parteien, welche öffentlichen Auftraggeber aus ihrem Gebiet konkret an die Regeln des GPA gebunden sein sollen (Anhänge 1 bis 3). Außerdem legen sie fest, für die Beschaffung welcher Güter und Dienstleistungen die Regelungen gelten (Anhänge 4 bis 6). 

    Das Abkommen geht über das GPA hinaus

    Zweck der Regelungen des Abkommens zur Vergabe öffentlicher Aufträge ist gemäß Artikel 276 die Gewährleistung erweiterter Gelegenheiten zur Teilnahme an öffentlichen Beschaffungen sowie die Verbesserung der Transparenz solcher Verfahren. Erreicht wird dies zunächst dadurch, dass nahezu alle Vorschriften des GPA auch auf das Verhältnis EU-VK für anwendbar erklärt (siehe Abschnitt A des Anhangs 25) und sodann Ergänzungen vorgenommen werden.

    Der Anwendungsbereich

    Hinsichtlich des Anwendungsbereiches, der sich ja zunächst aus den Anhängen zum GPA ergibt, sieht das Abkommen Erweiterungen vor. Diese sind ebenfalls in Anhang 25 enthalten, und zwar in Abschnitt B.1 für die EU und in Abschnitt B.2 für das VK. Als weitere Beschaffungsstellen, für die das Regelwerk gelten soll und die nicht im GPA enthalten sind, werden Betreiber von Gas- und Fernwärmenetzen genannt, sofern der Auftragswert 400.000 SZR (SZR =  Sonderziehungsrecht; 1 SZR = 1,19 EUR (Stand 11. Februar 2021)) für Waren und Dienstleistungen, bzw. 5 Mio SZR für Bauleistungen überschreitet. Außerdem werden bestimmte Dienstleistungen erfasst, die nicht im britischen Anhang des GPA gelistet sind. Hierzu zählen insbesondere Hotel- und Restaurantdienstleistungen (CPC 641, 642 und 643) und Bildungsleistungen (CPC 92), sofern der Auftragswert, je nach ausschreibender Institution, mindestens GBP 663.540 bzw. GBP 884.720 beträgt, sowie Telekommunikationsdienstleistungen sowie einige weitere unternehmensbezogene Dienstleistungen.

    Materielle Regelungen

    Soweit möglich sollen Beschaffungen elektronisch abgewickelt werden, Bekanntmachungen und Vergabebekanntmachungen müssen kostenlos elektronisch zugänglich sein, Vergabestellen müssen in der Lage sein, elektronische Rechnungen zu verarbeiten (Artikel 278 und 279). Für viele Vergabeverfahren müssen die Unternehmen bestimmte Erfahrungen nachweisen um teilnehmen zu können. Hierbei darf nicht verlangt werden, dass diese Erfahrungen im Gebiet der ausschreibenden Vertragspartei (EU / Mitgliedstaat oder VK) gemacht wurden (Artikel 281). Entscheidet sich die beschaffende Stelle für ein beschränktes Verfahren, muss sie sicherstellen, dass genügend Angebote eingeholt werden um einen echten Wettbewerb zu gewährleisten (Artikel 283). Wenn eine beschaffende Stelle ein Angebot mit einem ungewöhnlich niedrigen Preis erhält, darf sie nachprüfen, ob dieser durch Subventionen erreicht wurde (Artikel 284). Die ausschreibenden Stellen müssen ermächtigt sein, ökologische, arbeitsbezogene und soziale Erwägungen in ihre Vergabeentscheidung mit einzubeziehen. Allerdings muss dies mit den Regelungen des Abkommens zur öffentlichen Beschaffung vereinbar und in der Ausschreibung ausdrücklich angekündigt sein (Artikel 285).    

    Artikel 286 sieht Verbesserungen bei der Überprüfung von Vergabeentscheidungen vor. So müssen die Angehörigen der Überprüfungsgremien die Garantie haben, nicht während der Laufzeit ihres Mandats gegen ihren Willen abberufen zu werden. Außerdem muss mindestens ein Mitglied die Befähigung zum Richteramt oder eine vergleichbare Qualifikation haben. Zahlreiche weitere ergänzen ausdrücklich das GPA und sollen effektiveren Rechtsschutz ermöglichen.

    Erweitertes Diskriminierungsverbot

    Eine Besonderheit enthalten die Artikel 287 und 288: hier gilt das allgemeine Diskriminierungsverbot (Gebot der Inländerbehandlung) auch für Vergaben, die nicht von den Regelungen des Abkommens erfasst sind. Dies kann beispielsweise relevant werden für Beschaffungen, die unterhalb der Schwellenwerte sind.

    Von Karl Martin Fischer | Bonn

  • Der Brexit, die WTO und öffentliche Ausschreibungen

    Das Government Procurement Agreement ist ein plurilaterales WTO-Abkommen. Das Vereinigte Königreich ist jetzt post-Brexit vollwertige Vertragspartei geworden.

    Das Government Procurement Agreement (GPA) regelt den Zugang zum Markt für öffentliche Aufträge der teilnehmenden Staaten. Es ist ein plurilaterales Abkommen, gilt also nicht für alle WTO-Mitglieder, sondern nur für die derzeit 48 Staaten, die sich aktiv für eine Teilnahme entschieden haben.

    Das Vereinigte Königreich war als Mitglied der Europäischen Union und während der Übergangsphase Teil dieses Abkommens. Nach dem Brexit wurde es zum 1. Januar 2021 in eigenem Recht zur Vertragspartei.

    Die konkreten Pflichten in Sachen Marktzugang ergeben sich aus den jeweiligen nationalen Anhängen, in denen erklärt ist, welche Behörden mit ihren Ausschreibungsverfahren in den Anwendungsbereich des GPA fallen und für welche Waren und Dienstleistungen das GPA gelten soll.

    Diese Anhänge werden von dem teilnehmenden Staat über die WTO den anderen Staaten zur Billigung zugeleitet. Dies hatte das Vereinigte Königreich am 31. März 2021 getan. Da innerhalb von 45 Tagen ab diesem Datum keine Einsprüche eingegangen sind, sind diese Anhänge nun zum 15. Mai 2021 zertifiziert und somit gültig.

    Für das Verhältnis zur Europäischen Union werden die Bestimmungen des GPA durch das Freihandelsabkommen EU-VK vom 24.12.2020 ergänzt. Siehe dazu diesen GTAI Rechtsbericht zu öffentlichen Aufträgen post-Brexit


    Zum Thema: Liste der Anhänge zum GPA

    Von Karl Martin Fischer | Bonn

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