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Argentiniens Bausektor kommt nicht aus der Krise
Unter den Branchenfirmen ist die Stimmung in großen Teilen sorgenvoll. Öffentliche Baustopps und hohe Baukosten für Private lassen keine schnelle Erholung erwarten.
24.09.2025
Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile
Argentinien hat die Rezession hinter sich gelassen. Doch im Bau mag kaum einer von einer Trendwende sprechen. Zwar erhöhte sich der Index für Bauaktivitäten (Indicador Sintético de la Actividad de la Construcción; ISAC) in den ersten sieben Monaten 2025 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 9,2 Prozent. Allerdings war 2024 auch ein außergewöhnlich schlechtes Jahr gewesen, so die Zahlen des Statistikamts INDEC.
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich der Sektor weiter volatil. Zwischen Januar und Juli schwankten die saisonbereinigten Änderungen zum jeweiligen Vormonat zwischen -3,6 und +5,1 Prozent. Dabei lagen drei Monate im Plus- und vier im Minusbereich, darunter auch der Juli mit -1,8 Prozent.
Es bleibt gleich – gleich schlecht
Entsprechend fiel die letzte INDEC-Umfrage für August bis Oktober 2025 aus: Gut zwei Drittel der Bauunternehmen erwarten keine Änderung.
Ähnliches besagt der Construya-Index. Zwar registrierte er für den Zeitraum Januar bis August 2025 einen Zuwachs der Verkäufe von Baumaterialien um real 6,9 Prozent. Allerdings habe sich die Erholung im Juli und August – jeweils im Vergleich zum Vormonat – in einen Rückgang umgekehrt, so der Firmenverband Construya. Der Index misst die Mengen der von den Verbandsmitgliedern hergestellten und an den privaten Sektor verkauften Produkte wie Zement, Kalk, Farben, Sanitäranlagen oder Heizungssysteme.
Milei privatisiert öffentliche Infrastruktur
Abgesehen von kleineren Aufträgen auf und unterhalb der Provinzebene findet seit dem Amtsantritt von Javier Milei Ende 2023 kein öffentlicher Bau mehr statt. Grund dafür ist die Sanierung des Haushalts. Eine Ausnahme gilt jedoch für bereits zu 80 Prozent fertiggestellte Projekte. Stattdessen will Milei alle staatliche Infrastruktur privatisieren. Hierfür wurde 2024 das Gesetz für öffentliche Bauten (Ley "Obras Públicas" 17.520) aktualisiert. Je nach Ausgestaltung der Ausschreibungen könnte damit in Zukunft ein gewisser Modernisierungsschub einhergehen.
So bereitet die Regierung laut dem Nachrichtenportal infobae gegenwärtig die Privatisierung der wichtigsten nationalen Straßen vor. Dabei handle es sich um rund 9.100 Kilometer. Auf sie entfallen 20 Prozent des nationalen Straßennetzes und 80 Prozent des Verkehrsaufkommens. Der Ausschreibungsprozess läuft. Die Vorgaben sehen vor, dass die Konzessionäre die Fahrbahnen sanieren, bauliche Verbesserungen vornehmen und den Mautbetrieb auf Free-Flow umstellen.
Doch die Frage ist: Was passiert mit den übrigen 80 Prozent der Nationalstraßen, die aufgrund des geringen Verkehrsaufkommens für private Betreiber uninteressant sind? Argentinien misst knapp 2,8 Millionen Quadratkilometer, rund achtmal mehr als Deutschland – und überall im Asphalt klaffen große Löcher. Auch darüber hinaus ist der Investitionsbedarf gewaltig, etwa bei Gas, Strom, Wasserver- und -entsorgung, im Krankenhausbau, beim Bau von Schulen etc.
Oberschicht investiert in Immobilien
Eine gewisse Nachfrage verzeichnet die Bauwirtschaft derzeit aus dem Wohnungsbau und dem Immobiliensektor. Dem Vernehmen nach nutzen viele wohlhabende Argentinier, die ihr Vermögen größtenteils im Ausland "geparkt" haben, die aktuelle Freiheit, nicht nachweisen zu müssen, woher die eingesetzten Gelder stammen. Auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten entstehen derzeit viele "Barrios Condominios", für die Öffentlichkeit nicht zugängliche, abgeschlossene Wohnbezirke. Hierzu passt, dass die Nachfrage im hochpreisigen Segment "Mosaike, Granite und Kalksteine" laut INDEC im Juli 2025 im Vergleich zum Vorjahresmonat um 36 Prozent angestiegen ist, mehr als in jedem anderen Segment. An zweiter Stelle folgte Sanitärkeramik (+32 Prozent).
Vor diesem Hintergrund stiegen die Baugenehmigungen – gemessen an der Gebäudefläche – im 1. Halbjahr 2025 um 9,1 Prozent auf knapp 1,4 Millionen Quadratmeter. Doch einen großen Boom dürfte es nicht geben. Dafür lägen die Baukosten mit aktuell rund 1.600 US-Dollar pro Quadratmeter zu hoch, sagt Myriam Heredia, Professorin an der Universität von Buenos Aires. Programme für öffentlichen Wohnungsbau seien eingestellt, und der Mittelstand müsse sein Geld zusammenhalten, angesichts der aktuell extrem hohen Lebenshaltungskosten.
Möglicherweise könne sich dies etwas verbessern, sobald die Banken wieder mehr Hypothekenkredite vergeben, hofft Leonardo Savio, Exportleiter beim Fliesenhersteller Alberti. Doch ansonsten stünden die Bauzulieferer aus verschiedenen Richtungen unter Druck.
Viele Bauzulieferer mit Existenzproblemen
So dient Baumaterial angesichts der höheren Preisstabilität nicht mehr als "Geldanlage". Die Öffnung der Märkte in Verbund mit dem starken argentinischen Peso führt zu mehr Importen – welche bislang lediglich dadurch abgebremst werden, dass Vorauszahlungen an Lieferanten nach wie vor nicht möglich sind. Zugleich erschwert die Peso-Stärke den Export, so dass Absatzeinbrüche im Inland nicht über Ausfuhren kompensiert werden können.
In dieser Lage haben nur die effizientesten Firmen eine Überlebenschance. Doch sogar die wenigen, die sich trotz schwieriger Importbedingungen mit Neuinvestitionen fit machen konnten, haben zu kämpfen. Ein Schock für die Branche war deshalb die Schließung des angesehenen Sanitärkeramikherstellers ILVA, von dem in der Presse zu lesen war.
"Der einzige Weg ist, zu investieren, solange noch Geld da ist", heißt es aus der Branche. Trotzdem halten viele Unternehmensvertreter den eingeschlagenen Weg für richtig.
Nachhaltiger Bau bleibt auf der Strecke
"Wir sind in Argentinien weit davon entfernt, nachhaltig oder energieeffizient zu bauen, dafür sind die Kosten schon im konventionellen Bau einfach zu hoch – und die Kosten etwa für Strom und Gas weiter zu niedrig, auch wenn die Subventionen aufgehoben wurden," sagt Heredia. Tatsächlich haben die meisten Argentinier derzeit andere Sorgen als etwa den Kauf von dreifach verglasten Fenstern. Bei Wasser spielt Effizienz ohnehin keine Rolle. Wasseruhren sind quasi unbekannt. Die Rechnung richtet sich allein nach der Größe einer Wohnung.