Sie sind ein ausländisches Unternehmen, das in Deutschland investieren möchte?

Interview | Baltische Staaten | 20 Jahre EU-Osterweiterung

"Die Umstrukturierung der Justiz ist der größte Erfolg"

Theis Klauberg ist seit mehr als 20 Jahren als Jurist in Estland, Lettland und Litauen tätig. Im Gespräch mit GTAI berichtet er über die Veränderungen während dieser Zeit.

Von Niklas Becker | Helsinki

Theis Klauberg, Partner, Klauberg BALTICS Theis Klauberg, Partner, Klauberg BALTICS | © Theis Klauberg

Estland, Lettland und Litauen sind 2004 der EU beigetreten. Der deutsche Jurist Theis Klauberg arbeitet in diesen Ländern seit 2000 als Rechtsanwalt, er unterhält in jedem der drei Länder eine Anwaltskanzlei. Im Gespräch mit GTAI berichtet er über die Entwicklung der baltischen Staaten in den vergangenen 20 Jahren. 

Wie würden Sie das heutige Estland, Lettland und Litauen beschreiben?

Estland, Lettland und Litauen haben sich zu sehr liberalen Volkswirtschaften entwickelt. Besonders, was die Wirtschaftspolitik angeht. Es sind heute sehr europarechtsfreundliche Staaten, die große Rechtssicherheit bieten.

Was ist für Sie die wichtigste Entwicklung der vergangenen 20 Jahre?

Für mich ist das vor allem die erfolgreiche Umstrukturierung der Justizsysteme und die größere Transparenz in den Institutionen. Von Mandanten wird über Korruption praktisch nicht mehr geklagt. Die Gerichtsverfahren sind heute erstaunlich kurz, die Justiz im Baltikum arbeitet vergleichsweise effizient. Ein kürzlich in Estland geführter Rechtsstreit über drei Instanzen dauerte weniger als zwei Jahre. In Deutschland würde das mindestens fünf bis sechs Jahre dauern. Die Gerichtspraxis ist zudem bereits umfassend digitalisiert. In allen drei Ländern werden Gerichtsverfahren regelmäßig online durchgeführt, die Kommunikation erfolgt ausschließlich per E-Mail.

Haben sich Ihre Mandanten verändert?

Eigentlich nicht, unsere Mandanten kommen auch seit dem EU-Beitritt in erster Linie aus der Wirtschaft und stammen aus dem Ausland oder haben einen ausländischen Bezug. Wir betreuen vor allem ausländische Investoren, die nach Estland, Lettland und Litauen kommen und Geschäfte in der EU betreiben. Das war schon immer unser Kerngeschäft. Neu hinzugekommen ist die Beratung von Privatpersonen, zum Beispiel im grenzüberschreitenden Erbrecht.

Haben sich alle drei Staaten gleich entwickelt?

Nein, Estland ist den anderen beiden baltischen Staaten weit voraus, es ist Taktgeber des Baltikums. Litauen und Lettland schauen immer sehr genau auf die estnische Politik und Gesetzesvorhaben. Viele der Entwicklungen in Estland werden dann auch in Litauen und Lettland umgesetzt. Lettland hat beispielsweise die Null-Prozent-Körperschaftsteuer aus Estland übernommen. 

Wo sehen Sie in Ihrer Wahlheimat Lettland die Gründe für diesen Unterschied? 

In Lettland konzentriert sich alles auf Riga. Andere Regionen spielen in wirtschaftlicher Hinsicht fast keine Rolle. Die fehlende lettische Strukturpolitik trägt ihren Teil dazu bei. Aber auch öffentliche Institutionen wie die Investitionsförderung lassen zu wünschen übrig, wird mir von Zeit zu Zeit von Mandanten berichtet. Natürlich gibt es auch in Lettland sehr interessante Investitionsmöglichkeiten.

Ist der Fachkräftemangel in Lettland oder auch den beiden anderen Ländern ein Problem?

Ja, der ist hier auch ein Problem. Aber in den drei baltischen Ländern war das Thema aufgrund der Abwanderung schon immer eine Herausforderung. Firmen müssen sich darum bemühen, ihre Mitarbeiter im Land zu halten. Immer noch verlassen junge und gut ausgebildete Letten, Litauer und Esten ihre Länder, weil sie woanders mehr verdienen. Für ausländische Investoren, die hierher kommen, ist das auch eine Chance. Sie könnten die Lohnlücke zwischen den lokalen Unternehmen und dem Ausland nutzen. Sie zahlen dann im nationalen Vergleich höhere Löhne, die sind aber immer noch niedriger als beispielsweise in Zentraleuropa. Es gibt durchaus viele potenzielle Auswanderer, die eigentlich nicht weggehen wollen.

Inwiefern hat sich das Interesse ausländischer Firmen an Estland, Lettland und Litauen verändert?

Wenn man den Bogen der vergangenen Jahre nimmt, waren vor allem die Jahre 2004 bis 2008 eine große Boomzeit. Von 2010 bis 2015 war die Immobilienkrise auch hier deutlich spürbar: In Lettland war der Preisverfall bei Immobilien am höchsten in der ganzen Welt. Im Moment entwickelt sich das Geschäft wieder sehr gut. Das Interesse ausländischer Investoren an Estland, Lettland und Litauen ist sehr groß, wir betreuen eine Reihe von Investitionen und Unternehmenskäufen. Der Nearshoring-Trend hat dies noch einmal verstärkt. 

Denken Sie, dass da noch mehr möglich ist?

Sicherlich. Die baltischen Länder bekommen immer noch zu wenig Aufmerksamkeit in Deutschland. Es fehlt zum Teil an Informationen über die Möglichkeiten im Land. Daran müssen auch die drei Länder arbeiten. 

Wo sehen Sie konkrete Möglichkeiten?

Zum einen gibt es vergleichsweise wenig Finanzinstitute in den drei Ländern. Es gibt nur lokale und ein paar skandinavische Banken. Deutschen Banken fehlen in der Region. Doch der Markt bietet Potenzial für weitere Marktteilnehmer. Auch deshalb, weil Lettland umgeschwenkt ist von einem extrem unterregulierten zu einem reformierten Markt, der neue Chancen bietet und weiterhin nur wenige Marktteilnehmer hat. 

Es fließen im Moment aber auch viele europäische Fördergelder aus Infrastrukturfonds in die Region. Das kommt dem Straßen- und Schienenbau zugute. Wir haben beispielsweise eine Reihe von Aufträgen im Rahmen des Rail-Baltica-Projekts. Das Projekt bietet auch Chancen für deutsche Unternehmen. Es gib viele weitere Infrastrukturprojekte in den Ländern. Und europäische Fördermittel schaffen eine gewisse Planungssicherheit für die Firmen. Nicht zu vergessen sind die geplanten Stationierungen von ausländischen Armeen. Auch hierfür muss entsprechende Infrastruktur geschaffen werden. 

Und wie steht es um den Energiesektor?

Natürlich bietet auch der Ausbau der erneuerbaren Energien Chancen. Hier muss sich etwas tun. Allerdings ist zu bedenken, dass Estland, Lettland und Litauen vergleichsweise kleine Volkswirtschaften sind. Deshalb ist der Investitionsbedarf begrenzt. Hinzu kommt, dass beispielsweise die Letten nicht dogmatisch sind, was die Energiequelle angeht. Sprich, Kernenergie gilt hier nicht als unmöglich, denn Onshore-Windkraftanlagen werden oft kritischer gesehen.

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