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Marktchancen
Für Belgiens Bauumsätze werden im Jahr 2024 keine großen Sprünge erwartet. Trotzdem bestehen in verschiedenen Nischensegmenten Geschäftschancen.
16.05.2024
Von Michael Sauermost | Bonn
Die Erwartungen des belgischen Branchenverbands Embuild für 2024 sind eher reserviert. Neubauten im privaten Wohnungssegment könnten den Prognosen zufolge um 7,1 Prozent zurückgehen. Zinserhöhungen, eingeschränkte Finanzierungsmöglichkeiten sowie steigende Materialkosten seien die maßgeblichen Wachstumsbremsen.
beträgt Anteil der Renovierungen an den Wohnungsbauumsätzen.
Im Renovierungsbereich könnte sich eine Auftragsflaute bis ins Jahr 2025 hinziehen. Embuild geht auf der anderen Seite davon aus, dass sich das Auftragsvolumen im Infrastrukturbau verhalten positiv entwickelt. Für 2024 erwartet der Verband in diesem Segment ein Plus von knapp 4 Prozent.
Im Jahr 2023 stiegen die belgischen Bauumsätze laut einer Studie des Finanzdienstleisters ING um 1,9 Prozent, nachdem sie bereits im Jahr 2022 ein Rekordniveau von 96 Milliarden Euro erreichten. Damit lag das Wachstum des Sektors über dem der gesamten belgischen Wirtschaft.
Das Resultat überraschte: Schließlich wurde das Jahr von steigenden Zinsen und Kosten, einem damit verbundenen Nachfragerückgang sowie einer Rekordzahl an Firmeninsolvenzen geprägt. Bei letzteren handelte es sich zum Großteil um kleinere und vergleichsweise junge Unternehmen. Diese hatten sich während und unmittelbar nach der Coronapandemie noch mit öffentlicher Unterstützung über Wasser halten können.
Das dennoch zufriedenstellende Wachstum resultierte in erster Linie aus verzögerten Projekten, die nach der Coronadurststrecke wieder aufgenommen wurden. Außerdem sorgten die hohen Energiepreise dafür, dass mehr in die Energieeffizienz im Wohnungsbau investiert wurde. Die Prognosen für das Jahr 2024 sehen jedoch nicht so rosig aus. Zumal die Preise für energieintensive Baustoffe nicht so schnell sinken werden. Positiv könnten sich indes die 2024 anstehenden Kommunalwahlen auswirken. Öffentliche Infrastrukturvorhaben, beispielsweise im Straßen- oder Brückenbau, sollen vorher noch Wählerstimmen generieren.
Sinkende Energiepreise bremsen kurzfristig das Sanierungsgeschäft
Die mittlerweile sinkenden Energiepreise haben auch einen restriktiven Einfluss auf das Sanierungsgeschäft. Der Anreiz, Energiesparmaßnahmen durchzuführen, gehe damit zurück, beklagen Baufirmen. Außerdem sind die Preise für energieintensive Baustoffe wie Beton und Zement kaum gesunken. Dies liegt daran, dass Preise für Sand, Stein oder Ton mittlerweile so stark gestiegen sind, dass diese Kosten schwerer wiegen. Die Preise für Holz oder Kunststoff gaben zwar nach, bewegten sich jedoch immer noch deutlich über dem Niveau von 2022.
Unter Federführung von Embuild entwickelt Belgiens Baubranche Strategien, die mit Hilfe von politischer Flankierung zur Wiederbelebung des Sektors beitragen sollen. Dabei geht es unter anderem um die Schaffung von erschwinglichem und nachhaltigen Wohnraum, höhere öffentliche Investitionen, die Einführung neuer Technologien sowie die Schaffung attraktiver Beschäftigungsmöglichkeiten.
Bis zum Jahr 2030 wird Belgien mindestens 225.000 zusätzliche, bezahlbare und nachhaltige Wohnungen benötigen, kalkuliert Embuild. Darüber hinaus wird eine Überarbeitung der Grundsteuern und eine Senkung der Registrierungsgebühren für energieeffiziente Häuser, beziehungsweise für geplante Energieverbesserungen vorgeschlagen.
Kennziffer (NACE-Position) | 2021 | 2022 | Veränderung 2022/2021 |
---|---|---|---|
Wert des Bauumsatzes insgesamt (F), davon | 84,6 | 95,7 | 13,2 |
Hochbau (41) | 29,3 | 32,5 | 10,9 |
Tiefbau (42), davon | 13,7 | 15,3 | 12,1 |
Bau von Straßen und Bahnverkehrsstrecken (42.1) | 6,3 | 6,9 | 11,9 |
Leitungstiefbau und sonstiger Tiefbau (42.2) | 4,0 | 5,0 | 23,8 |
Sonstiger Tiefbau (42.3) | 3,4 | 3,4 | -1,5 |
Spezialisierte Bautätigkeiten (43) *) | 41,6 | 47,9 | 15,2 |
Wert des Umsatzes von Ingenieur-, Architektur- und Consultingleistungen (71) | 12,6 | 14,2 | 13,3 |
Altbauprojekte haben großen Anteil
Belgien hat einen sehr reichen Altbaubestand. Mehr als 60 Prozent der Wohngebäude in Belgien sind älter als 40 Jahre. Ein Viertel der privat genutzten Gebäude hat sogar das Alter von 75 Jahren überschritten. Dagegen waren Ende 2022 nur 6 Prozent aller Gebäude jünger als elf Jahre. Altbauprojekte machen zwangsläufig einen großen Teil der Aufträge für den Sektor aus. Dabei sind oft denkmalpflegerische Vorgaben zu beachten. Die Denkmalschutzregelungen und Förderkriterien weisen regionale Unterschiede auf.
Nach Angaben des belgischen Wirtschaftsministeriums FÖD Wirtschaft existierten im Jahr 2023 knapp 140 registrierte und aktive Handwerksunternehmen aus der Kategorie Bau, Reparatur und Renovierung in Belgien. Das waren etwa 5 Prozent der insgesamt registrierten Betriebe. Auf Einrichtung und Innendekoration (312) entfiel ein Anteil von 11 Prozent.
Gute Auftragschancen haben deutsche Handwerksbetriebe, die im Nachbarland aktiv werden wollen. Sie genießen in Belgien einen guten Ruf - unter anderem auf Grund der dualen Ausbildung. Vor allem gilt der anspruchsvolle Expatmarkt in Brüssel, aber auch für Ferienwohnungen als lukrativ und für das ausländische Handwerk aufgeschlossen.
Flandern ist größter Regionalmarkt
Das Königreich Belgien gliedert sich in drei autonome Regionen. Diese sind das niederländischsprachige Flandern, das bis auf die Deutschsprachige Gemeinschaft frankophone Wallonien und die Region Brüssel-Hauptstadt, die Französisch und Niederländisch als Amtssprachen hat. Die zuständigen Institutionen und teilweise auch Bauvorschriften unterscheiden sich je nach Region erheblich.
Dabei ist Flandern die Region mit der höchsten Wirtschaftskraft und dem größten Markt für Bauleistungen. Auf Flandern entfielen 2022 etwa 69 Prozent aller in Belgien erwirtschafteten Bauumsätze. Wallonien hatte einen Anteil von 20 Prozent und Brüssel-Hauptstadt von 11 Prozent. Zum landesweiten Umsatz von Ingenieur-, Architektur- und ähnlichen Consultingbüros hat Flandern 2022 etwa 58 Prozent beigetragen. Dahinter folgten Brüssel-Hauptstadt mit 23 Prozent und Wallonien mit 19 Prozent.
Energieinsel und weitere Infrastrukturprojekte
Im Tiefbau stabilisieren langfristige öffentliche Investitionen die Auftragslage. Ein zweistelliger Milliarden-Euro-Betrag steht für das zehnjährige Programm zur Modernisierung des Bahnwesens bereit, das Anfang 2023 angelaufen ist. Im Jahr 2023 wurde für das weltweit erste Energieinselprojekt in der Nordsee die Baugenehmigung erteilt. "Princess Elisabeth" soll sich zu einem Knotenpunkt für Offshore-Windkraft entwickeln.
Vorhaben | Investitionssumme | Projektstand | Projektträger |
---|---|---|---|
Modernisierung und Ausbau der landesweiten Bahninfrastruktur | 16.400 (5.000 für Instandhaltung) | Planung, teilweise im Bau | Programm läuft von 2023 bis 2032; Realisierung über Staatsbahn SNCB/NMBS und Streckennetzbetreiber Infrabel |
Verkehrsring „Oosterweel“ in Antwerpen | 4.500 | Planung, teilweise im Bau | Realisierung bis 2030 geplant; Osterweelverbinding |
Neue U-Bahn-Bau in Brüssel (Linie 3) | 3.200 | Planung, teilweise im Bau | Fertigstellung des ersten Bauabschnitts im Zentrum und Süden 2025 geplant; danach Bau von 7 Stationen im Norden, bis 2030; Metro3 |
Künstliche Energieinsel "Princess Elisabeth" in der Nordsee | 2.000 (grobe Schätzungen) | Planung | Knotenpunkt für Offshore-Windkraft, Baubeginn 2024, erste Anlage für 2028 erwartet |
Neue Klinik "Grand Hopital de Charleroi" | 500 | Planung, teilweise im Bau | 900 Betten; Realisierung bis 2024 geplant; GHDC |
Neue Klinik im "Saint Luc"-Komplex in Brüssel | 400 | Planung, teilweise im Bau | 77.000 qm; Realisierung bis 2025 geplant; Saint Luc |
Zwei Neubauten am Krankenhaus Diest | 180 | Planung, teilweise im Bau | Fertigstellung Bau 1 bis 2024 geplant; AZ Diest |
Neues Fußballstadion in Brügge | 100 | Planung, teilweise im Bau | Kapazität: 40.000 Zuschauer; Fertigstellung 2024 geplant; B2Ai |