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Special | Brasilien | Wasserstoff
Brasilien profitiert von einem relativ sauberen Energiemix. Um sich als Investitionsstandort zu behaupten, fehlt nur noch eine umsichtige Regulierung.
21.10.2021
Von Gloria Rose | São Paulo
In der globalen Energiewende kann sich Brasilien zu einem wichtigen Standort für grünen Wasserstoff entwickeln. Schließlich verfügt das Land mit Wasserkraft, Bioenergie und stark expandierenden Kapazitäten der Wind- und Solarenergie bereits über einen CO2-armen Strommix und über relativ niedrige Stromgestehungskosten von erneuerbaren Energien. Neben der Wasserelektrolyse kann grüner Wasserstoff auch mittels Dampfreformierung aus Biomethan gewonnen werden. Auch hier bietet sich der brasilianischen Wirtschaft ein immenses Potenzial, das sich laut dem Branchenverband ABiogás auf knapp 85 Milliarden Kubikmeter Biomethan pro Jahr beläuft.
Brasilien gehört zu den weltweit wichtigsten Investitionsstandorten für erneuerbare Energien. In dem Renewable Energy Country Attractiveness Index der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY stieg das größte Land Lateinamerikas 2021 um vier Plätze auf den elften Rang auf. Dabei weist Brasilien im Vergleich zu anderen großen Volkswirtschaften bereits eine vorbildlich klimafreundliche Strom- und Energieversorgung auf.
Ähnlich wie Kanada, Australien und Staaten der arabischen Liga kann Brasilien Skaleneffekte nutzen und die Wasserstoffwirtschaft sowohl zur Deckung des eigenen Energiebedarfs als auch für den Export entwickeln. Laut Rankings von Bloomberg New Energy Finance dürften in Brasilien zukünftig geringere Elektrolysekosten für grünen Wasserstoff anfallen als in allen anderen Vergleichsländern.
Immer mehr Investoren interessieren sich für Projekte vor Ort und unterzeichnen Absichtserklärungen. Doch die Unsicherheit über die politische Entwicklung und eine langsame Ausarbeitung von Rechtsrahmen, Fördermaßnahmen und Regulierung der Wasserstoffwirtschaft können die Umsetzung von Investitionsprojekten abbremsen.
Brasiliens Energieministerium erstellte bereits zwischen 2002 und 2005 ein Programm zur Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft, das jedoch nach der Entdeckung der Öl- und Gasreserven in den Pré-Sal-Lagerstätten im Jahr 2006 verworfen wurde. Forschung zu Wasserstofftechnologien und Brennstoffzellen förderte das Land zunächst über das Programm ProCaC und ab 2005 über das Folgeprogramm ProH2.
Angetrieben durch die Pläne der wichtigsten Handelspartner China, USA und EU wendet sich die brasilianische Energiepolitik verstärkt der Thematik zu. In den Plano Nacional de Energia 2050 (PNE 2050) führte das brasilianische Energieforschungsunternehmen EPE Wasserstoff als Schlüsselelement zur Entkarbonisierung auf. In dem nächsten Zehnjahresplan PDE 2031 werde Wasserstoff ausführlicher behandelt, kündigte EPE-Chef Thiago Barral an.
Im Februar 2021 veröffentlichte EPE technische Grundlagen zur Erarbeitung einer nationalen Wasserstoffstrategie. Nach öffentlichen Anhörungen legte der Rat der Energieplanung CNPE unter der Leitung des Energieministeriums im August 2021 erste Leitlinien für das Programa Nacional do Hidrogênio (PNH2) fest. Ein technisches Komitee soll nun im Austausch mit Unternehmen, Wirtschaftsverbänden und Behörden das Programm definieren. Laut Angaben der Stakeholder stellen die Politik und mangelnde Investitionsanreize die größten Hürden für die brasilianische Wasserstoffwirtschaft dar.
Umso bedeutender sind das Stiftungsmodell H2Global und die neue Förderrichtlinie zur finanziellen Unterstützung von Wasserstoffprojekten in Energiepartnerschaftsländern wie Brasilien, über die die deutsche Bundesregierung den internationalen Markthochlauf von grünem Wasserstoff fördert.
Ohne staatliche Förderung ist die CO2-freie Herstellung von Wasserstoff und dessen Weiterverwendung noch nicht wirtschaftlich. Doch die Aussicht auf Absatzchancen am europäischen Markt belebt bereits erste Projekte für grünen Wasserstoff und grünen Ammoniak an Petrochemie- und Hafenkomplexen mit Zollfreigebieten - sogenannte Zonas de Processamento de Exportação (ZPE), darunter insbesondere Pecem im Bundesstaat Ceará, Suape in Pernambuco und Açu in Rio de Janeiro.
Der nordöstliche Staat Ceará will sich als Pionier profilieren. Am Standort Pecem treibt die Regierung des Bundesstaats den ersten Hub für grünen Wasserstoff in Brasilien voran und bringt dafür Marktakteure, Forschungseinrichtungen und Investoren zusammen. Bis September 2021 unterzeichnete der Bundesstaat Absichtserklärungen mit sieben Unternehmen, darunter der portugiesische Energiekonzern EDP und Neoenergia. Die Tochterfirma der spanischen Gruppe Iberdrola will Fortaleza, die mit 2,7 Millionen Einwohnern fünftgrößte Stadt Brasiliens, mit Brennstoffzellen-Linienbussen ausstatten. Wenigstens zehn weitere Unternehmen hätten Interesse angemeldet und würden ihre Projekte in Kürze veröffentlichen, verkündeten Sprecher des Industrieverbands FIEC Ende September. Im Austausch mit australischen Investoren und einer niederländischen Kanzlei, die die Partnerschaft zwischen Pecem und dem Hafen Rotterdam betreut, entwickelt der Bundesstaat zurzeit Fördermaßnahmen für den Wasserstoffhub. Angedacht sind steuerliche Vorteile für den Import von Technologie, für den Bau zusätzlicher Wind- und Solarparks sowie für den Konsum von Wasserstoff als Treibstoff.
Unternehmen aus dem Bereich erneuerbarer Energien setzen sich für starke Anreize ein und fordern die Befreiung von der bundesstaatlichen Umsatzsteuer ICMS für Elektrolysestrom. Eine derartige Maßnahme erwägt der Staat Minas Gerais. Zusammen mit dem Industrieverband FIEMG und Vertretern des brasilianischen Energieministeriums kündigte die Regierung des Bundesstaats im August 2021 das Förderprogramm Minas do Hidrogênio an. Eines der Hauptziele ist die Emissionsreduzierung in lokalen Industrieaktivitäten insbesondere Bergbau und Stahlindustrie sowie im Agrobusiness und Schienenverkehr.
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