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Lateinamerika ist globaler Vorreiter bei erneuerbarer Energie
Dank Wasserkraft ist der Strom in vielen Ländern der Region schon heute sehr grün. Die Bedingungen für Wind- und Solarenergie sind ausgezeichnet. Doch es gibt auch Hürden. (Stand: 17.10.2025)
Von Gloria Rose | São Paulo
- Brasilien, Chile und Guatemala als Top-Investitionsstandorte für Erneuerbare
- Solarenergie wächst rasant, aber auch Windkraft bietet Chancen
- Dezentrale Erzeugung nimmt an Fahrt auf
- Übertragungsnetz als Nadelöhr für den Ausbau
- Startschuss für Speichertechnologien
- Hilfe beim Markteinstieg: Unternehmerreisen nach Lateinamerika 2026
Bei der Energiewende nimmt Lateinamerika die Poleposition ein. Keine andere Region weltweit verfügt bereits heute über einen so grünen Strommix. Im Jahr 2023 erzeugte der Subkontinent 63 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen, so die Internationale Energieagentur (IEA). Einen Anteil in dieser Höhe wird Europa voraussichtlich erst 2030 erreichen. Einige Länder sind sogar noch weiter. Paraguay, Costa Rica, Uruguay und Brasilien erzeugen ihren Strom schon heute zu 90 Prozent aus erneuerbaren Energien.
Ein weiterer Pluspunkt für die CO2-Bilanz von lateinamerikanischem Strom: Unter den fossilen Energieträgern kommt nicht Kohle, sondern Erdgas zum Einsatz. Viele Länder der Region wollen ihre Wettbewerbsvorteile bei grünem Strom nutzen, sei es zum Aufbau der Wasserstoffwirtschaft und von Rechenzentren oder, um mehr Wertschöpfung in der Industrie zu erzielen. Das Stichwort lautet "Powershoring".
Somit steht der Ausbau der Erneuerbaren auf der Agenda fast aller Regierungen. Dazu sollen private Infrastrukturinvestitionen beitragen. Mexikos Strommarktreform öffnet privaten Investoren neue Chancen. Dennoch steht das Land genauso wie Argentinien angesichts der hohen Unsicherheit der vergangenen Jahre vor besonders großen Herausforderungen, verlässliche Verträge zu strukturieren und Investoren zu mobilisieren.
Brasilien, Chile und Guatemala als Top-Investitionsstandorte für Erneuerbare
Laut Prognose der IEA wird die Region ihre Stromerzeugungskapazität im Bereich der Erneuerbaren bis 2030 um 190 Gigawatt erweitern. Das ist vergleichsweise moderat im weltweiten Vergleich. Laut IEA-Prognose entfällt der erwartete Zubau zu 58 Prozent auf Brasilien, gefolgt von Chile (14 Prozent), Mexiko (10 Prozent), Kolumbien (6 Prozent) und Argentinien (4 Prozent). Alle weiteren Staaten kommen auf einen Anteil von 8 Prozent.
Die guten Bedingungen für Erneuerbare in Lateinamerika spiegeln sich auch im Ranking Climatescope 2024 des Finanzdienstleisters Bloomberg wider. Drei der Top-10-Investitionsziele für erneuerbare Energien unter Schwellenländern liegen auf dem Subkontinent: Brasilien, Chile und Guatemala. Dabei konnten zuletzt besonders Guatemala, Nicaragua, Costa Rica, Jamaika, Panama und Paraguay ihre Einstufung verbessern.
Lateinamerikas wichtigste Stromquelle setzt neue Impulse
Über Wasserkraft erzeugt Lateinamerika 45 Prozent seines Stroms. Rund die Hälfte der Kraftwerke ist älter als 30 Jahre. Allein durch Modernisierungen kann beispielsweise Brasilien seine Kapazitäten um 18,4 Gigawatt erweitern. Neben der Überholung bietet auch die Aufrüstung auf Hybridkraftwerke, die Wasserkraft mit Solarenergie kombinieren oder als Speichertechnologie nutzen, interessante Geschäftschancen für deutsche Unternehmen.
Neue Großprojekte konzentrieren sich auf die Andenstaaten, insbesondere Peru. Doch der Neubau geht tendenziell zurück. Gegen neue Wasserkraftwerke sprechen die relativ hohen Kosten und die zunehmende Ablehnung der Bevölkerung. Außerdem birgt Wasserkraft im fortschreitenden Klimawandel immer höhere Versorgungsrisiken. Im Jahr 2024 führte Trockenheit in Kolumbien und Ecuador zu Stromrationierungen.
In Brasilien steigen bei niedrigen Wasserpegeln die Tarife, weil kurzfristig Gaskraftwerke die Stromnachfrage decken müssen. In Paraguay ist die Abhängigkeit von Wasserkraft am höchsten, allen voran wegen des Megakraftwerks Itaipu, das das Land zusammen mit Brasilien betreibt. Aber auch Costa Rica, Venezuela, Panama und Guatemala müssen ihre Stromversorgung diversifizieren.
Solarenergie wächst rasant, aber auch Windkraft bietet Chancen
Solarenergie wird immer preisgünstiger und dürfte fast drei Viertel der Kapazitäten stellen, die bis 2030 neu errichtet werden. Wind soll immerhin knapp 20 Prozent ausmachen, prognostiziert die IEA. In Brasilien und Mexiko sowie teilweise auch in Argentinien und Chile schließen immer mehr Großverbraucher bilaterale Abnahmeverträge ab und treiben die Investitionen in große Parks voran. Auch in Kolumbien und Peru beschleunigt sich der Zubau und es entstehen immer größere Projekte.
Brasilien ist der mit Abstand wichtigste Windenergiemarkt der Region. Nach dem Rekordjahr 2023 ist der Ausbau jedoch drastisch zurückgegangen. Die Krise trifft die im Inland entstandene Lieferkette hart. Deshalb versuchen die Hersteller, in andere Märkte der Region wie Chile, Argentinien und Uruguay zu exportieren. Ein möglicher Ausweg aus der Krise sind auch Hybridparks, die Windkraft und Solarenergie nutzen.
In Mexiko ist Windkraft seit 2020 kaum gewachsen. Doch Mexikos neue Präsidentin Claudia Sheinbaum hat es sich auf die Fahne geschrieben, die privaten Investitionen in erneuerbare Energien zu beleben.
Erste Offshore-Wind-Projekte kommen in Brasilien auf. Kolumbien führt die erste lateinamerikanische Energieauktion für Offshore-Windkraft durch, doch regulatorische Unsicherheit und langwierige Verfahren drohen die Umsetzung zu behindern.
Dezentrale Erzeugung nimmt an Fahrt auf
In Brasilien wächst die Kapazität dezentraler Photovoltaikanlagen deutlich schneller als die großer Solarparks. Selbst die Mitte November 2024 eingeführten Zollerhöhungen auf Solarmodule haben den Ausbau nicht gebremst. Dagegen tragen in den anderen Ländern der Region dezentrale Solaranlagen noch kaum zur Stromversorgung bei. In Peru fehlt noch immer die Regulierung, in Kolumbien und Chile lohnten sich die Investitionen bislang nicht.
Doch die fallenden Technologiepreise verändern die Märkte. Der dezentrale Solarmarkt in Mexiko entwickelt sich gerade. Für deutsche Anbieter mit innovativen Technologien bieten sich hier attraktive First-Mover-Vorteile.
Übertragungsnetz als Nadelöhr für den Ausbau
Der steigende Anteil variabler erneuerbarer Energie stellt neue Anforderungen an das Einspeisemanagement und die Infrastruktur. Wenn das Verbundnetz nicht rechtzeitig modernisiert und erweitert wird, geht immer mehr Strom durch Abregelung verloren. Die Verluste durch die sogenannte Ausfallarbeit treffen die Anlagenbetreiber in Chile und mittlerweile auch in Brasilien hart. Das sorgt für Verunsicherung und bremst den Zubau.
Die Erweiterung der Stromnetze drängt. Chronische Unterinvestitionen belasten die Versorgungssysteme und verursachen Stromausfälle. Dazu kommen die Zerstörungen durch Hurrikane in der Karibik. Auch in der Megametropole São Paulo sorgten Stürme und umfallende Bäume 2024 mehrfach für Blackouts. Brasilien baut sein Stromnetz bereits über private Konzessionen aus und dient anderen Ländern der Region als Referenz.
Startschuss für Speichertechnologien
Angesichts der steigenden variablen Stromerzeugung aus Wind- und Solarkraft und dem unzureichenden Netzausbau lohnen sich Investitionen in Stromspeicher. Am höchsten ist der Anteil variabler erneuerbarer Energien an der Gesamtleistung in Chile mit 46 Prozent, gefolgt von Brasilien und Uruguay mit jeweils rund 35 Prozent. Zunehmende Verluste durch Abregelung (Curtailment) und die wachsende Gefahr von Blackouts erhöhen die Attraktivität von Investitionen in Batteriespeichersysteme (BESS).
Chile wird voraussichtlich schon Anfang 2026 die bis 2030 angesetzte Zielmarke von 2 Gigawatt Speicherkapazität erreichen. Immer mehr Länder setzen auf Speichertechnologien – darunter gerade auch kleinere Staaten wie El Salvador, Guatemala, Costa Rica, Panama und Honduras. Brasilien plant für 2026 eine erste Auktion für Stromspeicher. Nach dem brasilianischen Batterie- und Akkuhersteller Moura investieren auch UCB Power und WEG in die lokale Produktion von BESS.
Hilfe beim Markteinstieg: Unternehmerreisen nach Lateinamerika 2026
Über die Exportinitiative Energie unterstützt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie deutsche Unternehmen auf ihrem Weg nach Lateinamerika. Für 2026 sind folgende Geschäftsreisen geplant:
1. Quartal 2026
- Argentinien, Paraguay und Uruguay: Energieinfrastruktur, Netzintegration, Smart Grids und Energiespeicher
- Chile: Dezentrale Energieversorgung und Speicher
2. Quartal 2026
- Ecuador: Eigenenergieversorgung und Speicherlösungen für Industrie und Gewerbe; im Vorfeld: Webinar geplant im 1. Quartal
- Costa Rica, Panama und Dominikanische Republik: Nachhaltige Energieerzeugung durch energetische Verwertung von Reststoffen und Abfallstoffen
3. Quartal 2026
- Brasilien: Biogaslösungen für die Agrarindustrie
- Mexiko: Energieinfrastruktur - Intelligente Netze und Energiespeichertechnologien
- Peru: Eigenversorgung und Energieeffizienz für die Industrie; im Vorfeld: Webinar geplant im 2. Quartal
4. Quartal 2026
- Brasilien: Energiespeicherlösungen und intelligente Energiemanagementsysteme
- Kolumbien: Biogas und Photovoltaik - Dezentrale Energiequellen für Industrie und Agrarsektor; im Vorfeld: Webinar geplant im 3. Quartal
- Guatemala, Honduras und El Salvador: Lösungen zur Energieeffizienz und Eigenversorgung für industrielle und gewerbliche Anwendungen
- Aruba, Bonaire und Curaçao: Nachhaltige Energielösungen für Inselstaaten