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Special | Brasilien | Wasserstoff
Brasiliens Industrieverbände begrüßen den Trend. Neben Power-to-X spielt Bioenergie eine wichtige Rolle bei der Entkarbonisierung.
21.10.2021
Von Gloria Rose | São Paulo
Durch die breitaufgestellte Industrie verfügt Brasilien bereits über eine etablierte Wertschöpfungskette. Wasserstoff kommt im Öl- und Gassektor und bei Industrieprozessen zum Einsatz, hauptsächlich in Verfahren der Stahl- und Glasproduktion sowie in der Nahrungsmittelindustrie und in Heizkraftwerken. Brasiliens größter Produzent von grauem Wasserstoff ist Petrobras. Der halbstaatliche Erdölkonzern produziert fast ausschließlich für den Eigenbedarf. Den brasilianischen Markt teilen sich somit die vier Industriegasproduzenten White Martins der Linde Group (mittlerweile mit Sitz im Vereinigten Königreich), US-Konzern Air Products, die französische Gruppe Air Liquide und die deutsche Messer Group. Marktführer mit einem Anteil von 40 Prozent ist Air Products. Der US-Konzern sieht das größte Potenzial im Nordosten des Landes und schätzt, dass der brasilianische Markt für grünen Wasserstoff im Jahr 2040 bis zu 20 Milliarden US-Dollar (US$) pro Jahr umsetzen wird. Weitere 5 Milliarden US$ könnten über den Export erwirtschaftet werden.
Fast alle Mitgliedsunternehmen der Lobbyorganisation Global Hydrogen Council und etwa 60 Prozent der deutschen Unternehmen mit Aktivitäten im Bereich grüner Wasserstoff sind in Brasilien mit Tochterfirmen vertreten. Deutsche Technologieanbieter wie Siemens Energy und thyssenkrupp erwarten sehr gute Absatzchancen und engagieren sich in der Deutsch-Brasilianischen Allianz für grünen Wasserstoff, die die Auslandshandelskammern São Paulo und Rio de Janeiro im August 2020 ins Leben riefen. In Kooperation mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) fördert die Allianz das Innovationsumfeld und den Austausch der Stakeholder, unter anderem über das Informationsportal hidrogênio verde. Auch Norwegen sucht die Partnerschaft mit Brasilien. Die norwegische Beratungsgesellschaft DNV sieht zudem Chancen für die Produktion von blauem Wasserstoff und Ammoniak.
Im beschleunigten globalen Wandel zur Klimaneutralität kann Brasilien als Industriestandort für energieintensive Branchen wie Stahl, Aluminium und Chemie an Bedeutung gewinnen. Zur Minderung der CO2-Emissionen investieren energieintensive Industrie wie Stahl und Zement bislang in Energieeffizienz und in Bioenergieträger wie Holzkohle aus schnellwachsenden Eukalyptusbäumen. Brasilianische Konzerne wie Vale, Braskem und Votorantim sowie multinationale Hersteller, die bis 2050 klimaneutral werden wollen, dürften die Entwicklung und Nutzung von Power-to-X Anwendungen in Brasilien vorantreiben.
Siemens Energy verhandelt bereits erste Pilotprojekte mit Pionierunternehmen, gab Brasilien-Chef André Clark bekannt. Der deutsche Technologieanbieter schloss zudem eine strategische Partnerschaft mit dem größten Stromkonzern Brasiliens, Eletrobras, und seinem Technologie-Tochterunternehmen Cepel. Geplant sind Wirtschaftlichkeitsstudien und eine Pilotanlage, die den Weg für zukünftige kommerzielle Anlagen ebnen und auch die Regulierung der Technologie in Brasilien vorantreiben können. Letztere ist eine grundlegende Voraussetzung für Investitionen wie das Beispiel Offshore-Windenergie verdeutlicht. Große Energiekonzerne wie Neoenergia, Engie, Equinor und Shell warten seit Jahren auf die Verabschiedung eines adäquaten Rechtsrahmens, der bis Ende des Jahres endlich verabschiedet werden soll.
Brasiliens Chemieindustrie klagt seit Jahrzehnten über zu hohe Produktionskosten und verliert im internationalen Wettbewerb zunehmend an Bedeutung. Infolge der relativ hohen Erdgaspreise, die an den US-Dollar gekoppelt sind, importiert das Land mehr als drei Viertel der Stickstoffverbindungen für Düngemittel, essenzielle Vorprodukte für den wichtigen Agrarsektor. Nun soll ein Förderprogramm die hohe Importabhängigkeit zurückfahren. Der Plano Nacional de Fertilizantes wird im November 2021 veröffentlicht und kann Investitionsanreize für grünen Ammoniak setzen.
Power-to-Ammonia-Technologien verbessern die CO2-Bilanz des Agrarsektors und können die Düngerproduktion in Brasilien wirtschaftlicher machen. Darauf sowie auf Exportchancen setzt Unigel mit dem Elektrolyseprojekt in Bahia (siehe Tabelle). Mit der Pacht von zwei Petrobras-Verarbeitungsanlagen 2020 stieg Unigel zum wichtigsten Hersteller von Stickstoffdünger auf. Die brasilianische Chemiegruppe ist zudem der landesweit einzige Fabrikant von Harnstoff. Dahingegen bleibt der norwegische Düngerkonzern Yara in Brasilien vorerst bei dem Verfahren der Dampfreformierung und reduziert die CO2-Emissionen über einen langfristigen Abnahmevertrag von Biomethan.
Projekt-bezeichnung (Technologie) | Projekt- | Unternehmen | Status | Investitions- |
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Pilotanlage zur Wasserelektrolyse in Pecem (Ceará) | Elektrolyseur-Kapazität von 250 Normkubikmeter (Nm³) pro Tag | EDP | Inbetriebnahme bis Ende 2022 | 8 |
Elektrolyse-Hub für grünen Wasserstoff in Pecem (Ceará) | Windpark mit installierter Leistung von 2 GW und entsprechende Elektrolyseur-Kapazität | Engie (MoU1) 10/2021) Fortescue Future Industries (FFI) (MoU 07/2021), Qair Brasil (MoU 07/2021), Enegix Energy (MoU 02/2021), White Martins (MoU 04/2021) | Inbetriebnahme ab 2024/25 | 6.000 - 7.000 |
Pilotanlage zur Wasserelektrolyse in Suape (Pernambuco) | k.A. | Neoenergia der spanischen Gruppe Iberdrola | MoU1) mit der Regierung des Staats Pernambuco 06/2021 | k.A. |
k.A. | Qair Brasil | Technische und wirtschaftliche Machbarkeitsstudien, Projekt in 4 Etappen, Inbetriebnahme der ersten Anlage ab 2023 | 3.800 | |
Installierte Leistung 300 MW / 250.000 t Ammoniak | Fortescue Future Industries (FFI) | MoU1) mit Porto do Açu (Prumo Logística) 03/2021; Açu unterzeichnete in 02/2021 MoU mit Equinor zum Bau eines Solarparks | k.A. | |
Produktion von grünem Ammoniak in Camaçari (Bahia) | k.A. | Unigel | Inbetriebnahme Ende 2022; PPA ab 2024 über Onshore-Windpark Babilônia Sul/Casa dos Ventos | k.A. |
Biomethan-Abnahmevertrag mit Raízen (JV Cosan+Shell) zur Produktion von grünem Ammoniak und Wasserstoff in Cubatão (São Paulo) | 5-Jahres-Vertrag für 20.000 m3 por Tag | Yara Brasil Fertilizantes | Vertragsabschluss 09/2021, Laufzeit ab 2023 | k.A. |
k.A. | AmmPower Corp | MoU1) 07/2021 | k.A. |
Brasilien nahm 2020 den Handel mit den sogenannten Créditos de Descarbonização por Biocombustíveis (CBIOs) auf. Die CO2-Zertifikate für den Kraftstoffmarkt fördern Biokraftstoffe, die in Brasilien schon seit Jahrzehnten die Emissionen im Straßenverkehr reduzieren. In Kleinstanlagen kann das handelsübliche Bioethanol relativ unkompliziert an der bestehenden Tankstelleninfrastruktur in Wasserstoff umgewandelt werden. Darüber hinaus bringen Toyota und zukünftig auch Volkswagen zunehmend Hybrid-Modelle mit Bioethanol-Verbrenner auf den brasilianischen Markt. Die Hersteller errechnen sich zudem Exportchancen in Indien und anderen Schwellenländern. Nissan geht noch einen Schritt weiter und plant die Markteinführung von Modellen mit Bioethanol-Brennstoffzellen, die in Brasilien bereits seit 2016 getestet werden. Somit sieht die Ethanolindustrie in Brasilien trotz der weltweiten Abkehr vom Verbrennungsmotor einer aussichtsreichen Zukunft entgegen.
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