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Branchen | Chile | Abfallentsorgung, Recycling

Chile läuft sehenden Auges in den Müllnotstand

Trotz des großen Bedarfs sind neue Deponien oder Waste-to-Energy-Anlagen kurzfristig nicht realisierbar. Private Investoren scheitern an der Politik. Recycling reicht nicht aus.

Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile

In Chile laufen die Deponien in den nächsten Jahren über. Müllverbrennungsanlagen für Siedlungsabfälle gibt es nicht – und politisch ist ihr Bau derzeit kaum durchsetzbar. Gleichzeitig liegt die Wiederverwertungsquote bei lediglich rund 20 Prozent, bei städtischen Siedlungsabfällen sogar nur bei 2 bis 3 Prozent. Zwar hat der Gesetzgeber mit dem Ley REP einen Rahmen geschaffen, die Kreislaufwirtschaft voranzutreiben. Doch ob die Ergebnisse ausreichen, um das Land vor dem Müllnotstand zu bewahren, ist zumindest zweifelhaft.

Der Kampf gegen den Müll ist ein Rennen gegen die Zeit

Dabei wäre es angesichts der jahrelangen Planungs- und Genehmigungsprozesse höchste Zeit, neue Anlagen – seien es Deponien oder Waste-to-Energy-Projekte – in Angriff zu nehmen. Denn trotz großer Pläne und erster Erfolge steht die Wiederverwertung von Abfällen vielfach erst am Anfang. 

Selbst in Ländern, die jahrzehntelange Erfahrung mit der Genehmigung, der Planung und dem Bau von Müllverbrennungsanlagen haben, braucht es sechs bis acht Jahre, ehe eine neue Anlage in Betrieb gehen kann. Doch der Widerstand in der Bevölkerung ist überall groß. Niemand will eine Deponie oder eine Müllverbrennungsanlage in der Nachbarschaft haben. Allerdings hat dies viel mit Unkenntnis über die modernen technischen Möglichkeiten zu tun.

Branchenvertretern zufolge wird es zudem immer schwerer technisch anspruchsvolle Themen an die Gesellschaft heranzutragen. Häufig heizen Nichtregierungsorganisationen mit realitätsfernen Forderungen wie einem 100-prozentigen Abfallrecycling zusätzlich die Debatte an. Generell wird der öffentliche Diskurs zu Investitionsprojekten in Chile zunehmend emotionaler geführt. 

Investitionspläne beschränken sich auf Schließungsmaßnahmen

Hinzu kommt, dass allein die Umweltverträglichkeitsprüfung bis zu fünf Jahre dauern kann. Und selbst ein positiver Bescheid ist keine Garantie dafür, dass das Projekt nicht doch politisch gestoppt wird. Für private Investoren ist diese Unsicherheit ein großes Risiko. In der Folge beschränken sich die aktuellen Investitionspläne in der Abfallwirtschaft vor allem auf die Schließung überfüllter und unsachgemäßer Deponien, ohne wirkliche Alternativen für die Zukunft zu schaffen, berichtet ein frustrierter Branchenbeobachter.

Deponien für Santiago arbeiten höchstens noch bis 2040

Mit rund 3 Millionen Tonnen entsteht fast die Hälfte des chilenischen Aufkommens an Haushaltsmüll in der Metropolregion Santiago. Etwa die Hälfte davon geht in die etwa 70 Kilometer von der Hauptstadt entfernte Deponie Loma Los Colorados bei Til Til. Betrieben wird die Anlage von KDM, einer Tochter von Urbaser Danner, die wiederum ein Gemeinschaftsunternehmen der spanischen Urbaser und der US-amerikanischen The Danner Company ist.

Laut KDM ist die Mülldeponie nicht nur die größte Chiles, sondern ganz Südamerikas. Rund 8 Prozent der Siedlungsabfälle werden über ein vorgelagertes Recyclingwerk aufbereitet und können teilweise in die Industrie als Rohstoff zurückgeführt werden. In die Anlage integriert ist außerdem eine Deponiegasanlage sowie eine Anlage zur Abwasserbehandlung. Aus heutiger Sicht dürfte Loma Los Colorados noch bis 2035 oder 2040 arbeiten.

Dagegen stehen die beiden anderen größeren Deponien Santa Marta und Santiago Poniente aus Umwelt- und Kapazitätsgründen kurz vor der Schließung. Erwartet wird diese 2024 respektive 2026. Sollte es eine Betriebsverlängerung geben, wäre dies aus Umweltgründen sehr kritisch zu sehen.

In der Folge dürfte künftig der gesamte Hausmüll der Metropolregion nach Til Til gefahren werden. Dass dies langfristig keine Lösung ist, ist absehbar – denn der lokale Widerstand wächst, eine Erweiterung erscheint aus heutiger Sicht ausgeschlossen oder zumindest sehr schwierig. Vielen Menschen ist noch das Feuer in der nahegelegenen Deponie Santa Marta 2016 in Erinnerung. Damals verbreiteten sich giftige Dämpfe über die gesamte Region. 

Unsachgemäße oder offene Müllhalden

Generell ist das Niveau der Deponien in der Metropolregion aber durchaus mit europäischen Standards vergleichbar. Doch mit zunehmender Entfernung zur Hauptstadt ändert sich dies. Von Deponien ausgelöste Umweltprobleme, etwa Infiltrationen ins Grundwasser durch fehlende oder unsachgemäße Abdichtungen, sind keine Seltenheit. Nachrüstungen sind aufgrund der unsachgemäßen Ausgangssituation kaum durchführbar.

Abgesehen davon gibt es landesweit (und selbst in Santiago) zahllose kleinere ("microbasurales") und größere illegale Mülllagerstätten mit entsprechend negativen Folgen für die ansässige Bevölkerung und die dortigen Ökosysteme. Nicht selten wird Müll einfach am Straßenrand verbrannt.

Warum landet der Abfall auf der Deponie?

Dass die Abfälle in Chile – wie in allen sich entwickelnden Ländern – auf Deponien entsorgt werden, hat finanzielle und technologische Gründe: Es ist die billigste und einfachste Variante, sich des Mülls zu entledigen. Bis heute spielen Kostenerwägungen eine wichtige Rolle. Der Annahmepreis der Halden liegt Branchenangaben zufolge zwischen 10 und 15 US-Dollar (US$) pro Tonne. Bei einer Müllverbrennungsanlage dagegen schlügen zwischen 80 und 90 US$ zu Buche. "Das ist ein großes Starthindernis", weiß Branchenexperte Marc Thiele, leitender Projektmanager bei WTE Araucanía. 

Der Druck, Alternativen zur Deponielagerung zu suchen, steigt jedoch, wenn die Transportkosten stärker ins Gewicht fallen. Auch sich verschärfende Umweltauflagen verteuern die Deponielagerung – und können letztlich sogar zur Schließung von nicht mehr zeitgemäßen oder illegalen Anlagen führen.

Deponieengpässe erfordern lange Transportwege 

Darüber hinaus haben die Kommunen wachsende Schwierigkeiten, einen Platz zu finden, um ihren Abfall legal zu entsorgen. So wird der Müll der Insel Chiloé (Región de los Lagos) nach Schließung der dortigen Deponie inzwischen 1.000 Kilometer weit bis zu einer Deponie in der Region Biobío gefahren. Die Müllfahrzeuge brauchen dafür hin und zurück vier Tage.

In der Region Araucanía muss etwa die Hälfte des Aufkommens in die Nachbarregion Biobío gebracht werden, die andere landet auf Halden, die schon lange ihre Kapazitätsgrenzen überschritten haben und deren Betriebsgenehmigungen abgelaufen sind. Die Politik duldet dies, um unliebsamen Auseinandersetzungen mit der Bevölkerung aus dem Weg zu gehen.

Trotzdem ist der Druck noch nicht groß genug, um sich zu grundlegenden Schritten zu entschließen. So versucht das private Konsortium Waste to Energy Araucanía (WTE Araucanía) seit etwa acht Jahren vergeblich, die Genehmigung zum Bau einer Müllverbrennungsanlage zu erhalten – und dies, obwohl die Umweltprüfungen positiv ausgefallen sind. Inzwischen liegt der Fall bei Gericht. Die Anlage von WTE Araucanía soll in Temuco, der regionalen Hauptstadt, entstehen.

 

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