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Chile kann bald leichter in der NATO einkaufen

Abkommen mit Deutschland, Dänemark und den USA ebnen den Weg zum NATO Codification System. Umgekehrt macht Chiles komplexe Geografie das Land als Übungsgelände interessant.

Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile

Chile steht kurz davor, im Katalogisierungssystem des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses (North Atlantic Treaty Organization; NATO) von Stufe 1 auf Stufe 2 aufzusteigen. Damit verbunden ist ein deutlich verbesserter Zugang zum Beschaffungsmarkt der NATO-Länder.

Ein wichtiger Schritt hierfür war die Unterzeichnung eines entsprechenden technischen Abkommens zwischen dem Nicht-NATO-Mitglied Chile und Deutschland durch Verteidigungsministerin Adriana Delpiano Ende Juli 2025. Das Dokument muss noch in Berlin gegengezeichnet werden.

Nach Informationen des chilenischen Verteidigungsministeriums hat der Andenstaat inzwischen ähnliche Abkommen mit Dänemark und den USA geschlossen, ein weiteres mit Italien stehe bevor. Diese bilateralen Abkommen sind Voraussetzung für den offiziellen Antrag auf Aufnahme in Stufe 2. Dem muss die zuständige NATO-Kommission einstimmig zustimmen. Dies sollte jedoch nur eine Formsache sein.

Was ist das NATO Codification System?

Das NATO Codification System ist ein für alle NATO-Mitgliedsländer einheitliches System zur Benennung, Beschreibung und Klassifizierung von militärischen Versorgungs- und Ausrüstungsgütern.  

Das Katalogisierungssystem hilft einem Land, den eigenen Bedarf zu erkennen und zu benennen. Im Anschluss lassen sich die benötigten Produkte viel einfacher in NATO-Beständen auffinden, austauschen oder direkt vom Hersteller erwerben. Umgekehrt können die Staaten – in diesem Fall bald auch Chile – ihre eigenen Bestände entsprechend katalogisieren und selbst international anbieten.

Tatsächlich ist dies keine lapidare Angelegenheit. Denn von der kleinsten Mutter bis hin zum komplizierten Waffensystem ist jedes militärische, in der NATO verwendete Produkt kodifiziert; allein ein Panzer besteht aus Tausenden von Teilen, wobei jeder einzelnen Schraube, jedem Ventil, jeder Dichtung ein eigener Code zugewiesen ist.

Starkes politisches Signal an den Westen

De facto wird das Abkommen wenig an der Beschaffungspraxis Chiles ändern. Denn schon jetzt nutzt das Land zum größten Teil Waffen und -systeme aus NATO-Ländern. Zusammen mit Brasilien nimmt das Land in der Region technologisch eine Spitzenposition ein. Beides macht es als Abnehmer für deutsche Branchenanbieter grundsätzlich interessant.

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Aus Sicht des Militärattachés an der deutschen Botschaft in Santiago de Chile ist das chilenisch-deutsche Abkommen aber de facto vor allem ein politisches Signal. Chile zeige, dass es weiterhin vertrauensvoll mit der NATO – und speziell den europäischen Mitgliedstaaten – zusammenarbeiten wolle. 

Ähnlich urteilt Militärexperte Fernando Wilson, Dozent an der Universidad Adolfo Ibáñez: "Chile sieht sich als westlich ausgerichtetes demokratisches Land und will deshalb mit gleichgesinnten Ländern kooperieren."

Chile vor allem Kunde für Rüstungsgüter

Waffen und Rüstungsgüter produziert der Andenstaat bisher nur in sehr kleinem Umfang. Die wenigen lokalen Branchenfirmen befassen sich in erster Linie mit der Instandhaltung des vorhandenen Materials. Diese sind:

  • für die Luftwaffe die "Empresa Nacional de Aeronáutica de Chile" (ENAER),
  • für das Heer die "Fábricas y Maestranzas del Ejército" (FAMAE), beide mit Hauptsitz in Santiago und
  • für die Marine die "Astilleros y Maestranzas de la Armada" (ASMAR) in Valparaíso.

Zumindest im Schiffbau soll sich das allerdings ändern. Anfang 2025 ratifizierte Chile eine nationale Schiffbaustrategie (Política Nacional de Construcción Naval 2025-2040). Danach sollen in den nächsten Jahren in der ASMAR-Werft in Talcahuano Kriegsschiffe wie Fregatten vom Stapel laufen.

ASMAR hat Erfahrung mit internationalen Kooperationen. So hat das Unternehmen aus Valparaíso gemeinsam mit Kanada bereits einen Eisbrecher gebaut. Derzeit bemühen sich verschiedene Firmen aus NATO-Ländern um eine Kooperation, darunter auch ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS).

Deutschland könnte mit Kooperation für die Marine punkten

"Chile will jedoch nicht nur einen technischen Entwurf aus dem Ausland zukaufen und nachbauen, sondern sucht eine strategische Allianz zum Bau von Fregatten", sagt Wilson. Außerdem sei mit einer neuen Ausschreibung für U-Boote zu rechnen; bei dieser hätte Deutschland gute Chancen, stünde allerdings vermutlich im Wettbewerb mit Schweden und Frankreich.

Grundsätzlich gilt: Erreicht Chile Stufe 2, können auch deutsche Zulieferer und Branchenunternehmen durch die gezieltere Nachfrage profitieren – stehen dabei allerdings in direkter Konkurrenz mit Lieferanten aus anderen NATO-Staaten.

Chiles Marine zeigt Interesse an Tsunami-Warnsystem aus Deutschland

Eine weitere Zusammenarbeit könnte sich mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickeln. Das DLR betreibt seit 2022 auf dem Gelände der Europäischen Südsternwarte (ESO) im Norden Chiles den Pilot-Container OASIS (Observations of Airglow with Spectrometer and Imager Systems) zur Messung des atmosphärischen Nachtleuchtens/Luftleuchtens (englisch: Airglow).

Dieses Leuchten in der Erdatmosphäre könnte zur Vorhersage von durch Seebeben hervorgerufene Tsunami-Wellen genutzt werden. Bislang funktioniert das Warnsystem über wartungsintensive Bojen, welche vor der chilenischen Küste verteilt sind und die in die Zuständigkeit der chilenischen Marine fallen. Viel einfacher und damit kostengünstiger ginge es, wenn mögliche Tsunami-Gefahren von Land aus ermittelt werden könnten.

Guter technologischer Ruf allein reicht nicht

Zwar hat deutsche Technik einen ausgezeichneten Ruf. Doch der allein reiche nicht, betont Wilson und verweist darauf, dass manches Angebot in der Vergangenheit nicht den Kundenspezifikationen entsprochen habe. So habe ein U-Boot-Auftrag in den 1990er-Jahren bei den Zuständigen in Chile den Eindruck "schlechter Kommunikation" hinterlassen. Durchgesetzt hatte sich damals letztlich die französische Naval-Gruppe.

Heer und Luftwaffe nur bedingt interessant für deutsche Firmen

Etwas anders ist die Situation beim Heer. Realistischerweise rechnen Branchenkenner wegen der in Europa bestehenden gewaltigen Nachfrage nach Rüstungsgütern nicht mit großem Interesse deutscher Firmen an Ausschreibungen in Chile. Denn diese sind relativ klein und damit wenig rentabel. Auch die Preise seien unattraktiv. Nicht zuletzt deshalb gewann die türkische Aselsan, wie im Januar 2025 in den Medien berichtet wurde, die Ausschreibung zur Modernisierung der chilenischen Leopard-2A4-Panzer – und nicht der deutsche Hersteller.

Im Bereich Luftwaffe verlässt sich Chile auf nur einen Flugzeuganbieter: den US-Hersteller Lockheed Martin. Doch bei Helikoptern ist Airbus gut im Geschäft. Zubehör wie Sichtsysteme beispielsweise werden dagegen extern zugekauft – hier könnten deutsche Zulieferer mehr Präsenz zeigen. 

Messehinweis

Alle zwei Jahre finden die beiden Leitmessen der Branche statt:

  • FIDAE (nächster Termin: 7. bis 12. April 2026): Luftfahrt sowie Raumfahrt-/Satellitentechnik
  • Exponaval (1. bis 3. Dezember 2026): Schiffbau sowie Häfen, Transport und Logistik

Chile nicht nur eine Option für Mondlandungen

Doch nicht nur als Absatzmarkt ist Chile interessant. Auch um Produkte unter extremen, aber geostrategisch sicheren Bedingungen zu testen, bietet das Land Chancen, etwa in den Höhenlagen der Atacama-Wüste mit ihren extremen Temperaturschwankungen. Speziell die Staubpartikelbelastung sei ein Albtraum für jeden Filterhersteller, weiß Wilson. Auch die Pazifikküste mit dem kalten, salzhaltigen Humboldtstrom in Verbindung mit hohen Lufttemperaturen birgt ihre Herausforderungen. 

Chile könnte damit zu einem 'Showcase' für deutsche Technologie im Pazifikraum werden.

Fernando Wilson Dozent an der Universidad Adolfo Ibáñez

Chiles militärische Position in Lateinamerika

Chile investierte 2024 knapp 1,6 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die Landesverteidigung und lag damit hinter Kolumbien, Uruguay und Ecuador auf Rang 4 in Lateinamerika. In absoluten Zahlen betrugen die Verteidigungsausgaben 5,1 Milliarden US-Dollar, auch dies Rang 4 in der Region nach Brasilien, Mexiko und Kolumbien, so das Stockholmer Internationale Friedensforschungsinstitut (SIPRI).

Chile in Lateinamerika auf Rang 4 bei VerteidigungsausgabenAnteil des Verteidigungsbudgets am BIP, Angaben in Prozent
Land

Verteidigungsausgaben 2024

Kolumbien

3,4

Uruguay

2,3

Ecuador

2,2

Chile

1,6

Brasilien

1,0

Mexiko

0.9

Peru

0,9

Argentinien

0,6

Zum Vergleich: Deutschland

1,9

Quelle: Stockholmer Internationales Friedensforschungsinstitut (Stockholm International Peace Research Institute, SIPRI)

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