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Polen: Rüstungsindustrie sucht nach Technologiepartnern
Polnische Unternehmen aus dem Verteidigungssektor müssen investieren. Derzeit bestellt das Land Artillerie, Flugzeuge, Hubschrauber und Panzer vorwiegend im Ausland.
05.09.2025
Von Christopher Fuß | Warschau
Im Verhältnis zur Wirtschaftskraft gibt kein Mitgliedsland der North Atlantic Treaty Organization (NATO) so viel für Verteidigung aus wie Polen – im Jahr 2025 voraussichtlich 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Der Rüstungsetat bleibt auch in Zukunft beachtlich. Die Beratungsagentur Deloitte schätzt, dass Polens Verteidigungsausgaben zwischen 2025 und 2035 mehr als doppelt so hoch sein werden wie in den zehn Jahren zuvor.
Dabei wandert viel Geld ins Ausland: Internationale Rüstungskonzerne erhalten laut Tageszeitung Rzeczpospolita bis zu 80 Prozent der Mittel aus dem Budget für neue Ausrüstung. Zu den wichtigsten Lieferländern gehören die USA und Südkorea. Polen bestellt im Ausland, weil bestimmte Systeme nur von wenigen Konzernen geliefert werden oder weil die einheimische Industrie keine Kapazitäten hat. Das soll sich ändern: Das dortige Verteidigungsministerium (Ministerstwo Obrony Narodowej, MON) will langfristig 50 Prozent der Rüstungsausgaben an die polnische Industrie vergeben.
Mehr Fertigungstiefe dank Joint Ventures
Das private Rüstungsunternehmen WB will Boden-zu-Boden-Raketen gemeinsam mit dem südkoreanischen Hersteller Hanwha produzieren. Die Partner haben ein vorläufiges Abkommen unterzeichnet. Demnach wird WB eine Fabrik bauen, die 2028 ihren Betrieb aufnimmt. Hanwha stellt die Technologie zur Verfügung.
Auch der größte polnische Rüstungskonzern, das staatliche Unternehmen PGZ, sucht die Nähe zu Südkorea. Im August 2025 unterzeichneten das MON und Hyundai Rotem einen Liefervertrag für 180 Kampfpanzer K2. Die PGZ-Tochterfirma Bumar-Łabędy soll davon 61 Stück in Polen montieren. Das Unternehmen erhält rund 190 Millionen Euro von der Regierung, um die eigenen Anlagen auf das Projekt vorzubereiten.
Größtes Branchenevent in Mittel- und Osteuropa
Alljährlich finden Vertreter der Verteidigungsindustrie und verwandter Branchen im polnischen Kielce zusammen. Die International Defence Industry Exhibition bietet mit über 750 Ausstellern und knapp 30.000 Besuchern eine Möglichkeit sich mit Stakeholdern aus der ganzen Region zu vernetzen und auszutauschen.
Darüber hinaus wird Bumar-Łabędy auch Begleitfahrzeuge für die Panzer herstellen. Polen hofft, den K2 in andere europäische Länder exportieren zu können. Gespräche laufen unter anderem mit der Slowakei.
Für Bumar-Łabędy ist es nicht die erste internationale Zusammenarbeit. In der Vergangenheit hatte das Unternehmen zusammen mit Rheinmetall mehrere Leopard 2 Panzer für die polnische Armee modernisiert.
Neue Fabriken für Artilleriegeschosse entstehen
PGZ will nicht nur mehr Panzer, sondern auch mehr Artilleriemunition produzieren. Der Krieg in der Ukraine zeigt, wie wichtig diese Geschosse sein können. Ab 2028 soll PGZ jährlich bis zu 180.000 Stück fertigen. Das wäre fast das Neunfache der aktuellen Jahresproduktion. Für den Ausbau der Werke der Konzerntöchter Dezamet, Mesko, Nitro-Chem und Gamrat stellt ein staatlicher Fonds 570 Millionen Euro zur Verfügung. Parallel dazu plant PGZ gemeinsam mit dem polnischen Chemiekonzern Azoty den Aufbau einer neuen Schießpulverfabrik. Das Konsortium, dessen Finanzierungsantrag noch aussteht, wird Treibladungen für großkalibrige Munition herstellen.
So finden Sie potenzielle Partner in Polen
Das polnische Verteidigungsministerium veröffentlicht zusammen mit dem Nationalen Sicherheitsbüro einen Katalog mit allen großen Rüstungsunternehmen Polens in englischer Sprache. Mehr Infos auf der Webseite des Sicherheitsbüros.
Zudem verhandelt PGZ mit internationalen Partnern, wie die deutsch-französischen KNDS-Gruppe, über Technologie-Lizenzen für großkalibrige Munition. Die Bedingung: Polen will bei der Produktion autonom entscheiden können.
Neue Fahrzeugfabrik vor Baubeginn
Nicht immer ist Polen auf internationale Unterstützung angewiesen. Beim Schützenpanzer Borsuk handelt es sich um eine Eigenentwicklung der PGZ-Tochtergesellschaft HSW. Im März 2025 bestellte Polen 111 Fahrzeuge. Die polnische Armee will mehr Fahrzeuge, doch dafür müsste HSW laut Ministeriumsangaben die Kapazitäten erweitern.
Andere Fahrzeugwerke des PGZ-Konzerns sind einen Schritt weiter. Der Hersteller Jelcz baut eine neue Fabrik für rund 167 Millionen Euro. Die zusätzlichen Kapazitäten müssen den Bedarf an Fahrgestellen für hunderte Luftabwehrsysteme und Mehrfachraketenwerfer, die Polen im Ausland bestellt hat, decken.
Chancen für deutsche Zulieferer
Die meisten Rüstungsunternehmen in Polen produzieren für den einheimischen Bedarf. Es gibt eine Handvoll Ausnahmen. Die PGZ-Tochter Nitro-Chem ist europaweit größter Hersteller von TNT. Steigt die weltweite Nachfrage weiter an, dann muss Nitro-Chem ausbauen. Das tragbare Raketensystem Piorun ist ein weiterer polnischer Exportschlager. Der Piorun-Hersteller Mesko hat die Produktion seit 2022 verdreifacht. Das private Unternehmen Mista produziert in Lizenz das gepanzerte Fahrzeug Oncilla fast ausschließlich für die Ukraine.
Hinweise zur Kontaktaufnahme
Zu den wichtigsten Ansprechpartnern für interessierte deutsche Firmen gehören die Deutsche Botschaft in Warschau und die AHK Polen. Polnische Unternehmen organisieren sich in der Kammer der nationalen Rüstungshersteller PIPnROK.
Auch PGZ will mehr Produkte exportieren, darunter die Panzerhaubitze Krab und den Radpanzer Rosomak. Sollten internationale Bestellungen eintreffen, dann sind Erweiterungen der Fabriken nicht ausgeschlossen. Auch deutsche Zulieferer könnten profitieren. In polnischen Militärfahrzeugen werden Motoren der in Friedrichshafen ansässigen Rolls-Royce-Tochter MTU Solutions oder Getriebe von ZF verbaut.
Polen hofft auf zusätzliche EU-Mittel
Polen investiert nicht nur in Rüstungsunternehmen, sondern auch in Infrastruktur. Entlang der Grenze zu Belarus entstehen im Rahmen des Programms Ostschild (Tarcza Wschód) neue Verteidigungsanlagen. Bis 2028 will das MON rund 2,3 Milliarden Euro investieren. Ein Gesetz vom Juli 2025 soll den Bau sicherheitsrelevanter Infrastruktur, etwa des Ostschilds, beschleunigen. Die Reform vereinfacht bestimmte Genehmigungsverfahren oder setzt sie außer Kraft.
Die hohen Ausgaben belasten allerdings die Staatskasse. Im Jahr 2024 hatte Polen ein Haushaltsloch von 6,6 Prozent des BIP – der zweithöchste Wert in der EU. Das Ministerium für EU-Fonds hat daher rund 7,1 Milliarden Euro aus dem europäischen Wiederaufbaufonds für Verteidigungsprojekte umgewidmet – mit Zustimmung der Europäischen Kommission. Der Wiederaufbaufonds hatte bereits in der Vergangenheit den Kauf neuer Anlagen für den polnischen Gewehrhersteller Fabryka Broni Łucznik kofinanziert.
Offen ist, ob Polen das Programm SAFE der EU nutzen wird. Wenn zwei Mitgliedsländer bei einem Rüstungsprojekt zusammenarbeiten, erhalten sie Niedrigzins-Kredite. Es ist möglich, dass Polen mit den Geldern neue U-Boote finanzieren wird. Firmen aus Deutschland, Italien und Schweden buhlen um den Auftrag.
2-in-1: Naturschutz und Verteidigung
Im Herbst 2025 starten in Polen Konsultationen über eine neue Strategie zum Schutz von Feuchtgebieten. Die Maßnahmen zu Renaturierung, Wiedervernässung von Mooren und Wiederherstellung von Sumpfgebieten sind keine rein ökologische Überlegung. Die entlang der Ostgrenze geplanten Überschwemmungsgebiete sollen den Vormarsch feindlicher Truppen stoppen.