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Nachhaltigkeit in der Chemieindustrie
Chinas Chemiebranche muss dekarbonisieren und gleichzeitig neue Trends wie erneuerbare Energien oder Elektroautos bedienen. Das schafft Chancen, aber auch Druck.
11.11.2025
Von Corinne Abele | Shanghai
China verfolgt ambitionierte Klimaziele: Die Emissionen von Kohlendioxid (CO₂) sollen bis 2030 ihren Höhepunkt erreichen, bis 2060 strebt das Land Klimaneutralität an. Eine Schlüsselrolle spielen die petrochemische und die chemische Industrien, die nicht nur selbst dekarbonisieren müssen, sondern auch Ausgangsprodukte für grüne Technologien liefern sollen. So betont Chinas Umsetzungsplan für Innovation und Entwicklung der Feinchemie 2024 bis 2027 bereits die "grüne" Entwicklung dieser Sparte.
Chinas Petrochemie und Chemie sind zentral für die Umsetzung einer Kreislaufwirtschaft, die im 15. Fünfjahresplan ab 2026 eine stärkere Rolle spielen dürfte. Der Druck auf den Gesamtsektor durch Klimaziele, Marktveränderungen und internationale Handelskonflikte wächst. Doch die Anpassung an Dekarbonisierung und grüne Nachfragetrends ist komplex und häufig kostenintensiv.
Integration in den Emissionshandel steht noch aus
Seit Juli 2021 existiert in China ein landesweites Emissionshandelssystem (ETS), das zunächst nur Energieproduzenten erfasste. Chemieunternehmen waren nur betroffen, wenn sie eigene Kraftwerke betrieben. Im März 2025 wurde das ETS auf die Stahl-, Zement- und Aluminiumindustrie ausgeweitet. Experten zufolge werden damit rund 60 Prozent der nationalen CO₂-Emissionen erfasst. Petrochemie und Chemie sind bislang nicht integriert, sie dürften aber künftig eingeschlossen werden. Laut Reuters plant die Regierung ab 2027 absolute Emissionsobergrenzen für einzelne Sektoren. Bis 2030 soll das ETS vollständig etabliert sein.
Bei Exporten in die EU können ab 2026 unter dem CO2-Grenzausgleichsmechanismus der EU (CBAM) Ausgleichszahlungen fällig werden. Diese sind vom Importeur in der EU zu leisten, wenn Produkte außerhalb der EU mit höheren CO₂-Emissionen hergestellt wurden – etwa Düngemittel, Salpetersäure, Ammoniak und Wasserstoff.
Kohlechemie treibt CO₂-Ausstoß nach oben
Chinas Chemieindustrie verursacht über 10 Prozent der nationalen Emissionen – vor allem durch energieintensive Prozesse und den Ausbau der Kohlechemie. Technologien zur Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2 (CCUS) könnten den Ausstoß pro Einheit um bis zu 65 Prozent senken, sind aber teuer und schwer flächendeckend umzusetzen. Laut Carbon Briefing stiegen die Emissionen der Branche im 1. Halbjahr 2025 um 47 Prozent gegenüber dem Vorjahr; der Ausbau der Kohlechemie dürfte maßgeblich dazu beigetragen haben.
Grüne Produkte im Fokus
Die Branche reagiert auf die wachsende Nachfrage nach grünem Wasserstoff, Methanol, Batteriespeichern und Komponenten für Fahrzeuge mit alternativem Antrieb (NEV). Der Ausbau erneuerbarer Energien schreitet rasant voran: Im 1. Halbjahr 2025 wurden Solarkapazitäten mit 212 Gigawatt neu installiert – mehr als doppelt so viel wie im Vorjahreszeitraum. Auch die Windkraft legte angesichts neuer Anlagen mit rund 50 Gigawatt deutlich zu. Durch Änderungen beim Preisregime für Solar- und Windstrom wird im 2. Halbjahr 2025 mit einer schwächeren Inlandsnachfrage gerechnet.
Ruinöser Preiswettbewerb
Dies dürfte den ruinösen Preiskampf in der Solarbranche weiter verschärfen. Die Preise für Solarzellen und -module sind zuletzt stark gefallen, fast alle Unternehmen schreiben rote Zahlen. Die Regierung fordert daher, Produktionskapazitäten zu reduzieren und Fusionen voranzutreiben. Die Konsolidierung bleibt jedoch herausfordernd. China dominiert den Weltmarkt: 18 der 20 größten Solarunternehmen sind chinesisch, 80 Prozent der Modulproduktion und bis zu 95 Prozent einzelner Komponenten wie Ingots und Wafer kamen 2024 laut Fraunhofer ISE aus China.
Die internationale Konkurrenz reagiert mit Schutzmaßnahmen. Neben bestehenden Anti-Dumpingzöllen auf chinesische Produkte hat US-Präsident Trump weitere reziproke Strafzölle eingeführt, die nicht WTO-konform sind. Auch in der EU läuft erneut die Diskussion über mögliche, WTO-konforme Strafzölle gegen chinesische Solar-Billigimporte. Zudem hat die EU im Sommer 2025 eine Auslaufüberprüfung zu Antidumping- und Antisubventionsmaßnahmen auf Solarglas aus China eingeleitet.
Auch im Akku-Sektor zeigt sich ein ähnliches Bild: Die Nachfrage nach Batteriespeichern stieg im 1. Halbjahr 2025 um 69 Prozent, die NEV-Produktion um über 41 Prozent auf knapp 7 Millionen Fahrzeuge. Dennoch sinken die Akkupreise weiter – verursacht durch massive Überkapazitäten. Unternehmen wie Sinopec und CATL planen den Aufbau eines landesweiten Netzes von insgesamt 10.000 Batteriewechselstationen. Die ersten 500 Stationen sollen noch 2025 gebaut werden.
Wasserstoff und Methanol: Ausbau mit Herausforderungen
Unterdessen treibt China ebenfalls den Ausbau seiner Wasserstoffinfrastruktur voran, allerdings langsamer als erwartet. Der erste mittelfristige Entwicklungsplan bis 2035 für die Wasserstoffwirtschaft wurde bereits 2021 veröffentlicht. Doch bislang stammen nur etwa 2 Prozent des Wasserstoffs aus erneuerbaren Quellen. Laut dem Informationsdienst Independent Commodity Intelligent Services (ICIS) werden 56 Prozent des Wasserstoffs aus Kohle, 21 Prozent aus Erdgas und 21 Prozent aus industriellen Nebenprodukten gewonnen. Erst nach und nach soll dieser wenig umweltfreundliche Wasserstoff durch grünen und blauen Wasserstoff ersetzt werden. Gemeinsam mit weiteren Ressorts erließ das Ministerium für Industrie und Informationstechnologie (MIIT) im Dezember 2024 einen Plan zur Förderung des Einsatzes von mit geringen CO2-Emissionen hergestellten Wasserstoffs in der Industrie.
Auch bei der Produktion von umweltfreundlichem Methanol ist China mit führend. Die Hong Kong and China Gas Company (Towngas) erhielt als erstes chinesisches Unternehmen die ISCC EU- und ISCC PLUS-Zertifizierung und plant 2025 eine Jahresproduktion von 150.000 Tonnen in Ordos (Autonome Region Innere Mongolei). Der Windturbinenhersteller Goldwind Green Energy Chemicals vereinbarte mit der dänischen Reederei Maersk langfristig die Lieferung von jährlich 500.000 Tonnen Bio- und E-Methanol ab 2026.
| Projekt/Akteur (Standort) | Investitionssumme *) | Projektstand | Produktionskapazität pro Jahr |
|---|---|---|---|
| Projekt zur Herstellung und Verflüssigung grünen Wasserstoffs mit Wind- und Solarenergie/Jiangsu GUOFUHEE (Ulanqab, Autonome Region Innere Mongolei) | 704 | Unterzeichnung des Abkommens Ende August 2025 | 40.000 t verflüssigter Wasserstoff |
| Projekt zur Herstellung grünen Wasserstoffs und Methanol mit Wind- und Solarenergie/Pengfei Qingmei (Chifeng, Autonome Region Innere Mongolei) | 442 | Projektgenehmigung des Windenergieteils am 2. September 2025 | 8.600 t grüner Wasserstoff |
| Herstellung von grünem Methanol und Sustainable Aviation Fuel (SAF)/CEEC (Shuangyashan, Provinz Heilongjiang) | 2.928 | Ingenieurtechnische Planungsphase bis zum 28 August 2025 | Phase I: 200.000 t grünes Methanol, 100.000 t SAF, 800.000 t Biomasse-Presslingen, 9.163 t grüner Wasserstoff |
| Hochwertiges Recyclingprojekt für Altreifen/Mianyang Ruiyang New Material (Mianyang, Provinz Sichuan) | 817 | Projektgenehmigung am 3. September 2025; geplante Fertigstellung: 2028 | 600.000 t 200-Mesh-feines Gummipulver aus Altreifen |