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Neue Wasserstoffpipelines für die nordische und baltische Region

Die Anrainerstaaten der Ostsee verfügen über großes Potenzial für erneuerbare Energie. Das macht sie zu potenziellen Wasserstoffexporteuren.

Von Niklas Becker, Christopher Fuß | Helsinki, Warschau

Finnland will ein bedeutender Wasserstoffakteur in Europa werden und hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: 2030 soll 10 Prozent des in der EU hergestellten emissionsfreien Wasserstoffs aus Finnland stammen. Die Voraussetzungen dafür sind gut, denn die finnischen Strompreise für Unternehmen zählen zu den niedrigsten in der EU. 

Anders als in Deutschland denkt man in Finnland beim Wort emissionsfrei aber nicht nur an erneuerbare Energien, sondern auch an Kernkraft. Doch auch die Erneuerbaren spielen in Finnland eine immer größere Rolle. Die Windenergie hat in den vergangenen Jahren einen Boom erlebt und so die Strompreise weiter gesenkt. Großen Anteil an diesem Erfolg haben deutsche Firmen, die in Finnland Windparks entwickeln. 

Finnischer Wasserstoff für Deutschland

Finnland wird künftig mehr Wasserstoff herstellen, als es selbst braucht, geht aus Berechnungen des finnischen Gasnetzbetreibers Gasgrid hervor. Je nach Szenario könnten 2030 zwischen 16 und 23 Terawattstunden exportiert werden. Finnland ist deshalb ein potenzieller Lieferant von Wasserstoff für Deutschland. Das nordische Land will jedoch keine reine Exportnation werden, sondern den Wasserstoff auch selbst – beispielsweise zur Herstellung von grünem Stahl – einsetzen. Wie das finnische Ministerium für Arbeit und Wirtschaft im Dezember 2023 erklärte, schließt das aber den "reichlichen Export von Wasserstoff – beispielsweise an die deutsche Industrie explizit nicht aus. 

Die European Hydrogen Backbone (EHB) will einen grenzüberschreitenden, europäischen Wasserstoffmarkt schaffen. Dafür hat die Initiative fünf Korridore ("A“ bis "E“) ausgearbeitet. Über diese soll Wasserstoff via Pipeline aus Ländern mit überschüssiger Energie zu Ländern mit einem Energieimportbedarf geliefert werden. Deutschland zählt zu den Importeuren, Finnland zu den Exporteuren. Die Wasserstofflieferung von Finnland nach Deutschland soll über den D-Korridor erfolgen. Derzeit zählen drei Pipelines zum Korridor: die Nordic Hydrogen Route, der Nordic-Baltic Hydrogen Corridor und der Baltic Sea Hydrogen Collector (BHC). 

Finnland setzt auf deutsche Technologien

Um aus Strom Wasserstoff herzustellen, benötigt es eine entscheidende Komponente: Elektrolyseure. Im Februar 2024 wurde in Finnland der erste im industriellen Maßstab installiert. Das Dresdener Unternehmen Sunfire hat die 20-Megawatt-Anlage im finnischen Harjavalta für den Projektentwickler P2X Solutions installiert. Sie soll ab der zweiten Jahreshälfte 2024 grünen Wasserstoff herstellen. 

Vorbereitungen für den D-Korridor angelaufen

Um die Lieferung von Wasserstoff per Pipeline über den D-Korridor zu ermöglichen, laufen derzeit zwei Projekte. Der Baltic Sea Hydrogen Collector ist eine bidirektionale Offshore-Wasserstoffpipeline, die das finnische Festland, die finnischen Äland Inseln, Schweden und Deutschland verbinden soll. Auch Verbindungen zu Energieinseln in den schwedischen Region Gotland und Bornholm sowie Dänemark sind möglich. 

Die 1.250 Kilometer lange Pipeline zählt zu den Kernprojekten der Backbone Initiative und wird neu gebaut. Der BHC soll bis 2030 fertig werden und dann eine jährliche Kapazität von fast 300 Terrawattstunden haben. Entwickelt wird das Projekt von Gasgrid und dem schwedischen Energieinfrastrukturbetreiber Nordion Energi. Finanziert wird es vom schwedischen Investor OX2 und dem dänischen Investor Copenhagen Infrastructure Partners. 

 

Zweite Leitung geht über Land

Das zweite Projekt, das den Export von Wasserstoff über den D-Korridor nach Deutschland ermöglichen soll, ist der Nordic-Baltic Hydrogen Corridor (NBHC). Geplant ist eine aus Finnland über Estland, Lettland, Litauen und Polen nach Deutschland führende Leitung. Der NBHC würde den in der nordischen und baltischen Region produzierten grünen Wasserstoff nach Mitteleuropa und in die Industriezentren entlang des Korridors bringen. Der Großteil der Pipeline muss neu gebaut werden. Nur für wenige Abschnitte können vorhandene Gasleistungen umfunktioniert werden. 

Zum Start des Jahres 2024 meldeten die Projektpartner des NBHC - zu denen auch der deutsche Gasfernleitungsnetzbetreiber Ontras zählt - weitere erfreuliche Entwicklungen: Sie unterzeichneten mit dem britische Unternehmen AFRY Management Consulting einen Vertrag für eine Vormachbarkeitsstudie. Geplante Fertigstellung der Studie ist Mitte 2024.  

Der Nordic-Baltic Hydrogen Corridor und der Baltic Sea Hydrogen Collector haben im November 2023 den Status als EU-Vorhaben von gemeinsamem Interesse (Projects of common interest, PCI) erhalten. Dies erleichtert den Genehmigungsprozess und ermöglicht den Zugang zu neuen EU-Fördermitteln.

Nicht nur Finnland könnte liefern 

Dass der Nordic-Baltic Hydrogen Corridor durch Estland, Lettland, Litauen und Polen laufen soll, ist kein Zufall: Auch diese vier Länder könnten in Zukunft Wasserstoff produzieren und nach Deutschland exportieren. Auch sie sind Teil des sogenannten D-Korridors. Die Entwicklungen im Bereich Wasserstoff sind in diesen Ländern jedoch noch nicht so weit fortgeschritten wie in Finnland. 

Die baltischen Staaten müssen ihre erneuerbaren Stromkapazitäten ausbauen, bevor sie überschüssige Energie beispielsweise in Form von Wasserstoff exportieren können. Derzeit decken die drei Länder einen Teil ihres Strombedarfs über Importe ab. Experten erwarten deshalb hohe Investitionen im Energiebereich, den Ausbau des estnischen, lettischen und litauischen Stromnetzes inkludiert. 

Staaten wollen Offshore-Potenzial stärker nutzen

Das Potenzial der EU-Ostseeanrainerstaaten für Offshore-Windenergie ist riesig. Es wird auf 90 Gigawatt geschätzt. Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Polen und Schweden wollen dieses Potenzial besser nutzen. Das unterstreichen sie in der Vilnius Declaration on Offshore Wind Development in the Baltic Sea. Diese Erklärung sieht einen Ausbau der Offshore-Windenergie im Ostseeraum bis 2030 auf 26,7 Gigawatt vor. Bis 2040 sollen es 45 Gigawatt und bis 2050 dann 70 Gigawatt sein

Polens Wasserstoffwirtschaft konzentriert sich auf heimischen Markt

In Polen macht der Ausbau der erneuerbaren Energien deutliche Fortschritte. So stieg ihr Anteil an der polnischen Stromproduktion zwischen 2019 und 2023 von 15 Prozent auf 27 Prozent. Besonders Solaranlagen sind gefragt. Bei Onshore-Windkraftanlagen bremsen vorgeschriebene Abstandsbegrenzungen. Die Vorbereitungen für Offshore-Parks sind in vollem Gange.

Wasserstoff spielt im Rahmen der polnischen Offshore-Strategie eine Rolle. Das staatliche Unternehmen Orlen möchte Teile des Stroms aus seinen geplanten Offshore-Windenergieanlagen für die Produktion von grünem Wasserstoff nutzen. Die Parks werden voraussichtlich ab 2026 Elektrizität liefern. Wann Orlen aus diesem Offshore-Strom auch Wasserstoff produziert, ist offen. Erste Elektrolyseurprojekte sind angelaufen. Bisher sind diese Projekte hauptsächlich für den polnischen Bedarf gedacht. 

Konkurrenzpipeline in Nordfinnland

Die dritte geplante Pipeline für den D-Korridor ist die Nordic Hydrogen Route. Sie soll die Wasserstoffwirtschaft im Bothnian Bay, also Nordfinnland und Nordschweden, miteinander verbinden. Auch sie hat im November 2023 den PCI-Status erhalten. Durch die deutsche Brille betrachtet eine Konkurrenzpipeline. Denn die nordschwedische Industrie – vor allem die Stahlindustrie – hat einen großen Bedarf an Wasserstoff und könnte mit deutschen Abnehmern um finnischen Wasserstoff konkurrieren. 

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