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Mittlerer Korridor: "Nichts spricht dafür, außer Resilienz"

Die Betreiber des Mittleren Korridors sehen diesen als Alternative zu etablierten Routen zwischen Asien und Europa. Doch westliche Firmen erleben ihn als langsam und unzuverlässig. (Stand: 31.07.2023)

Von Edda Schlager | Berlin

Seit dem Ausfall von Transportrouten über Russland im Zuge des Ukrainekriegs fassen Logistikunternehmen die Route des Mittleren Korridors über das Schwarze und das Kaspische Meer stärker ins Auge. Heinrich Kerstgens tut dies als Direktor Vorstandsprojekte für die deutsche Rhenus-Gruppe.

Güterabfertigung ist ineffektiv und langsam

"Der politische Wille, die Route auszubauen, ist bei den Regierungen da", so Kerstgens. "In der Realität aber ist der multimodale Transport mit Bahn, Lkw und Schiff durch mehrere Länder noch langsam und unzuverlässig." Die Häfen am Kaspischen und Schwarzen Meer sowie die Bahnstrecken in Kirgisistan, Usbekistan, Kasachstan, Aserbaidschan, Georgien und in der Türkei seien technisch so unterschiedlich ausgestattet, dass Güterkapazitäten nicht in einem durchgehend schnellen Tempo bewältigt werden könnten. "Wesentliche Engstellen sind geringe Umschlagskapazitäten und Umschlagsgeschwindigkeiten in den Häfen, Schnittstellen zwischen den verschiedenen Spurbreiten sowie die mangelnde Verfügbarkeit von Containern, Waggons und Lokomotiven in einigen Ländern für den Landweg", so Kerstgens.

Poti, der größte Hafen Georgiens beispielsweise, wurde durch APM Terminals (APMT), einer 100-prozentigen Tochter der dänischen Logistikgruppe A. P. Moller-Maersk, seit 2011 für 335 Millionen US-Dollar (US$) modernisiert und auf eine Umschlagkapazität von 1 Million 20-Fuß-Standardcontainern (TEU) erweitert. Doch die eigene Ware verladen zu bekommen, so Kerstgens, sei eine Art Glücksspiel. "Die Züge werden außerhalb des Hafens entladen, die Waren verteilt und dann mit Lkw in den Hafen zugestellt. Das ist arbeitskraftintensiv und fehleranfällig. Zudem braucht man möglichst konkrete Ansprechpartner vor Ort, die die eigenen Container durchleiten." Theoretisch dauert der Transport von China nach Europa über die transkaspische Route nur 15 bis 20 Tage. "Realistisch sind es heute eher 50 bis 60", so Kerstgens. "Mit vernünftiger Prozesssteuerung könnte man die Abläufe deutlich beschleunigen."

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Nachfrage fehlt

Martin Voetmann, Gründer und CEO von Tolkun Logistics aus Istanbul sagt: "Die Kapazitäten in den Häfen sind nicht das Problem – sie sind da. Aber es gibt keine Nachfrage, weder aus China noch aus Europa."

Seit dem Ende der Coronapandemie habe der Seehandel über den Suezkanal wieder stark angezogen. "Für den Transport eines 40-Fuß-Containers von China nach Europa sind die Kosten von rund 15.000 US$ im Jahr 2022 auf nur noch 2.500 US$ in diesem Jahr gesunken," so Voetmann. "Niemand will mehr per Bahn transportieren, weil es per Schiff so günstig geworden ist."

Mangel an Transparenz und Service

Voetmann sieht zudem einen Mangel an Transparenz und Dienstleistungsqualität. Zuständig dafür seien die staatlichen Eisenbahnunternehmen, die als Monopolisten Häfen und Bahnlinien betrieben. "Doch dort fehlt es an Service-Denken im Sinne des Kunden, um die Ware so günstig und schnell wie möglich weiterzuleiten." Voetmann wünscht sich einen einzigen Betreiber für die transkaspische Route, der mit den Eisenbahngesellschaften Dienstleistungen vereinbart und als Ansprechpartner für Logistiker fungiert. "Das würde die Transparenz erhöhen und könnte Mehrwert schaffen, ohne große Investitionen in die Hardware zu stecken." Um flexibel und unabhängig von den Bahngesellschaften zu sein, setzt Voetmanns Unternehmen deshalb insbesondere in Georgien und Aserbaidschan überwiegend auf Lkw. 

"Noch wird die Mehrheit der Güter zwischen Zentralasien und Europa mit dem Lkw gefahren", bestätigt auch Tabea Klang, Geschäftsführerin von DB Cargo Eurasia. "Jede Tonne, die auf der Schiene transportiert wird, spart demgegenüber 80 Prozent CO2", so Klang. Deshalb sei der Mittlere Korridor mittel- und langfristig eine gute Chance, um Transporte klimafreundlich per Bahn aus und nach Asien zu organisieren.

Betreiberunternehmen für Mittleren Korridor vor Gründung

Im Juni 2023 haben die staatlichen Eisenbahnunternehmen von Kasachstan (Kazakhstan Temir Zholy, KTZh), Aserbaidschan (Azərbaycan Dəmir Yolları, ADY) und Georgien (Georgian Railway) ein trilaterales Abkommen unterzeichnet, mit dem sie bekunden, ein Joint Venture gründen zu wollen. Das Unternehmen soll künftig der Betreiber der Transkaspischen Internationalen Transportroute (TITR), des so genannten Mittleren Korridors, sein. Zu den geplanten Aufgaben wird gehören, die TITR zu entwickeln, ihr Transportaufkommen auszubauen und den Güterverkehr zu beschleunigen. Das Unternehmen soll noch im Jahr 2023 gegründet werden und zum Ende des Jahres seine Arbeit aufnehmen.

Verzollung und Grenzabfertigung nicht aufeinander abgestimmt

Viele auf der Route tätige Logistiker bemängeln Defizite bei Verzollung und Grenzabfertigung. Dort setzt das Projekt "Promoting Green Ports and Connectivity" der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) an. Dessen Ziel sei es, so Johan Boelts von der OSZE, Sicherheit, Nachhaltigkeit und Konnektivität der Handelsströme zu verbessern. Boelts kennt die Schwachstellen: "Bereits verzollte Waren werden an der Grenze oft nochmals in Augenschein genommen, und das löst lange Staus aus." Mit Projektpartnern sollen deshalb Umschlagpunkte abseits der Grenzen entwickelt werden, um die Zollformalitäten schon im Landesinnern zu erledigen und die Abfertigung an der Grenze zu beschleunigen.

OSZE fördert Konnektivität zwischen Europa und Zentralasien

Mit dem Projekt "Promoting Green Ports and Connectivity" will die OSZE Handelsströme auf dem Mittleren Korridor von Kasachstan in Zentralasien bis nach Rumänien in Europa durch technische Lösungen vereinfachen sowie sicherer und nachhaltiger machen. Beteiligt sind mehr als 80 Akteure, unter anderem die Häfen Aktau, Kuryk, Turkmenbashi und Baku am Kaspischen Meer, die Schwarzmeerhäfen Batumi, Poti und Constanta sowie Logistikzentren wie Khorgos an der kasachisch-chinesischen Grenze.

Fehlendes Vertrauen in Sicherheit und digitale Daten

Auch Sicherheitsbedenken stünden schnellem Handel entgegen, so Boelts. "Drogen- oder Waffenschmuggel, auch Menschenhandel sind Themen, mit denen sich die beteiligten Länder konfrontiert sehen, insbesondere nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021." Vor allem Nachbarländer Afghanistans haben ein großes Interesse an verstärkten Grenzkontrollen.

Für mehr Sicherheit und Transparenz baut die OSZE deshalb eine gemeinsame digitale Plattform zum Austausch von Handelsdaten auf. Gesetzlich vorgeschriebene Informationen zur Güterbeförderung sollen so künftig nicht mehr in Papierform übermittelt werden. Doch obwohl digitale Technik in Häfen und an Ländergrenzen teilweise bereits bereitsteht, werde dem digitalen Datenaustausch laut Boelts häufig noch Papier vorgezogen. Vertrauen zwischen den Ländern zu schaffen, sei eine der Kernaufgaben der auf Sicherheitspolitik ausgerichteten OSZE, so Boelts.

Heinrich Kerstgens von der deutschen Rhenus-Gruppe zufolge wird der Mittlere Korridor in den kommenden Jahren keine maßgebliche Rolle im globalen Handel spielen. "Nichts spricht dafür, außer größere Resilienz für Handelsströme."

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