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Entwicklungen im Gesundheitswesen

Polen gibt mehr für Arzneimittel und Medizintechnik aus. Eigentlich ein Grund zur Freude für die Gesundheitsbranche. Allerdings beunruhigen einige geplante Reformen die Firmen.

Von Christopher Fuß | Warschau

Polens gesetzliche Krankenkasse (Narodowy Fundusz Zdrowia, NFZ) nimmt mehr Geld in die Hand. Ab 2023 klettern die Ausgaben auf rund 30 Milliarden Euro – ein Plus von 27 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die neuen Mittel fließen zu einem großen Teil in die ambulante Versorgung.

Auch die Zuzahlungen für Medikamente und medizinische Geräte steigen. Das Erstattungsbudget der Kasse legt um eine knappe Milliarde Euro auf rund 4,4 Milliarden Euro zu. Effekte sind bereits sichtbar. Allein im September 2022 landeten über 140 neue Präparate auf der Erstattungsliste.

Volle Kassen und Personalmangel

Insgesamt darf sich NFZ über eine gute Finanzlage freuen. Die Gehälter in Polen ziehen an und damit die anteiligen Kassenbeiträge. Auch die Beschäftigtenzahlen steigen. Eine Steuerreform erhöht die Gesundheitsbeiträge von Selbstständigen.

Die Mehrausgaben sind gesetzlich verankert. Polen verpflichtet sich, ab 2023 mindestens 6 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die öffentliche Gesundheitsversorgung zu investieren. Im Jahr 2022 liegen die Ausgaben bei 5,75 Prozent des BIP.

Das Gesundheitsministerium will niedergelassene Fachärzte stärken. Es gibt keine Besuchsobergrenzen mehr. Behandlungen werden besser vergütet. Die Zahl der Facharzt-Visiten kehrt 2022 auf das Vor-Corona-Niveau zurück. Nebeneffekt: Patienten warten wegen Personalmangel länger auf einen Termin.

Das spüren auch die Krankenhäuser. „Mediziner gehen in den Ruhestand, und es gibt keine neuen“, klagt Krankenhausdirektor Krzysztof Zaczek im Zeitungsinterview. Mindestens 71 Stationen mussten im 1. Halbjahr 2022 wegen Personalmangel schließen. Medizinische Fachkräfte protestieren außerdem für höhere Gehälter.

Branchenvertreter kritisieren Erstattungspolitik

Es gibt weitere Reibungspunkte in Polens Gesundheitswesen. Eine Reform des Arzneimittelgesetzes stößt auf wenig Gegenliebe bei den Branchenvertretern. Im Sommer 2022 legte das Gesundheitsministerium einen Entwurf vor. Arzneimittelhersteller sind unzufrieden, dass ein Algorithmus Medikamenten-Höchstpreise festlegt. Wer mehr verlangt, fällt aus der Erstattung heraus. Ein weiterer Streitpunkt sind Obergrenzen für Therapien. Das Gesundheitsministerium will Erstattungen ablehnen, wenn die Therapiekosten 51.000 Euro pro gewonnenem Patienten-Lebensjahr übersteigen.

Positiv bewerten Branchenvertreter, dass die Zuzahlungen für Kombinationspräparate steigen sollen. Apotheken und Großhändler profitieren davon, weil das Gesetz die vorgeschriebenen Margen anhebt. Gleichzeitig verlangt das Gesundheitsministerium, ein Medikament müsse in mindestens 10 Großhandlungen auf Vorrat liegen. Ein Nachteil für ausländische Hersteller ist der Plan Polens, Medikamente aus heimischer Produktion schneller auf die Erstattungsliste zu setzen. Unklar ist, welche Kriterien ein Produkt als polnisch qualifizieren.

Unbestätigten Zeitungsberichten zufolge befindet sich eine jährliche Zuzahlungs-Obergrenze für verschreibungspflichtige Medikamente in Planung. Zahlt ein Patient mehr, übernähme die Kasse die weiteren Kosten.

Gute Nachrichten gibt es für Hersteller bestimmter Medizinprodukte. Ab 2023 will NFZ höhere Zuschüsse für Hörgeräte, Rollstühle und Kompressionsstrümpfe zahlen. Der Branchenverband POLMED hofft, dass für weitere Produkte die Subventionen steigen. Seit April 2022 übernimmt NFZ die Kosten für den Einsatz von Roboterchirurgie bei der Behandlung von Prostatakrebs-Patienten.

Kein Durchbruch bei den Krankenhäusern

Zusammengestrichen hat das Gesundheitsministerium eine Krankenhausreform. Viele öffentliche Einrichtungen sind überschuldet. Zwischen 2018 und 2022 wuchs der Schuldenberg aller Krankenhäuser um 35 Prozent auf 3,8 Milliarden Euro.

Das Gesundheitsministerium wollte einige Niederlassungen unter die Aufsicht einer Restrukturierungs-Agentur stellen. Hintergrund: Laut Experten hat Polen zu viele Krankenhäuser. Hinzu kommt, dass sich die Einrichtungen selten spezialisieren.

Allerdings will keine Gemeinde ihr Krankenhaus verlieren. Nach Protesten ist die Agentur vom Tisch. Entscheidet sich ein Krankenhaus für eine Neuausrichtung, sollen Fördergelder fließen. Eine weitere Herausforderung für Krankenhäuser ist die Inflation. Baumaterialien haben sich verteuert. Das erschwert Renovierungsarbeiten.

Arzneimittelproduktion und Digital-Health sollen wachsen

Das Wirtschaftsministerium beklagt, dass Firmen nur 171 aktive pharmazeutische Wirkstoffe (Active Pharmaceutical Ingredient, API) in Polen herstellen. Gleichzeitig importiere das Land fast 1.400 API. Pharmavertreter erwidern, eine heimische Produktion sei nur mit Fördergeldern möglich.

Polen will auf europäische Töpfe zugreifen, um neue API-Kapazitäten zu schaffen. Polnische Institutionen wie die staatliche Agentur für medizinische Studien (Agencja Badań Medycznych, ABM) stellen Gelder zur Verfügung. ABM unterstützt auch Projekte in der Medizintechnik. Das Wirtschaftsministerium arbeitet seit 2021 an einer Liste mit strategisch wichtigen API. 

Der Digital Health Sektor entwickelt sich ebenfalls sehr dynamisch. Telemedizin gehört in Polen zum Alltag. Das Gesundheitsministerium führt Programme mit E-Stethoskopen und EKG-Pflastern durch. Patienten wenden die Geräte zu Hause an und ein Arzt wertet die Daten aus. Krankenhäuser hingegen haben Schwierigkeiten bei der elektronischen Patientendokumentation, obwohl sie vorgeschrieben ist.

Bis September 2022 berieten Regierung und Branchenexperten Polens E-Health Strategie bis 2027. Themen wie Selbstdiagnose, Fernbehandlung und künstliche Intelligenz gehören zu den Schwerpunkten. Patienten sollen außerdem mehr Behandlungen online buchen können.

Corona spielte in der öffentlichen Wahrnehmung im Herbst 2022 keine Rolle – trotz steigender Fallzahlen. Personen ab 12 Jahren können sich für die zweite Auffrischungsimpfung registrieren. Polen will mit den Impfstoffherstellern neue Lieferbedingungen aushandeln. Viele Präparate verfallen wegen niedriger Impfquoten ungenutzt. Im Gespräch ist, dass Produzenten statt Impfstoffe andere Medikamente liefern.

Eckdaten Gesundheitsmarkt

Indikator

Wert

Einwohnerzahl (2020 in Mio.)

37,8

Bevölkerungswachstum (2020 in % p.a.)

- 0,11

Altersstruktur der Bevölkerung (2020)

  Anteil der unter 14-Jährigen (in %)

15,2

  Anteil der über 65-Jährigen (in %)

18,7

Durchschnittseinkommen (2020 in Euro)

1.155

Gesundheitsausgaben (2020)

  pro Kopf (2020 in Euro)

936

  öffentlich (2020 in Mrd. Euro)

26,0

  privat (2020 in Mrd. Euro)

9,4

Anteil der Gesundheitsausgaben

  am BIP (2020 in %)

6,95

  für Medikamente (2020 in %)

35

Anzahl Krankenhäuser (2020), davon

978

  öffentlich (in %)

51,5

  privat (in %)

48,5

Ärzte/1000 Einwohner (2020)

2,5

Krankenhausbetten/1000 Einwohner (2020)

4,8

Quelle: Fitch Solutions; GUS

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