Ein Großteil der Bevölkerung in Polen ist pflichtversichert. Die gesetzliche Krankenkasse gilt dennoch als unterfinanziert. Das Erstattungssystem befindet sich im Umbruch.
Die Finanzierung der öffentlichen Gesundheitsversorgung übernimmt in wesentlichen Teilen die gesetzliche Einheitskrankenkasse Nationaler Gesundheitsfonds (Narodowy Fundusz Zdrowia; NFZ). Arbeitnehmer zahlen einen Versicherungsbeitrag von 9 Prozent ihres Bruttogehalts an den NFZ. Einen Arbeitgeberanteil gibt es nicht. Abweichende Regelungen gelten unter anderem für Selbstständige, für Menschen mit niedrigem Einkommen und für Familien.
Zusätzlich zum NFZ legen Regierung und Gesundheitsministerium steuerfinanzierte Förderprogramme auf. Staatliche Versicherungssysteme und Pflichtversicherungen decken laut Eurostat rund 72 Prozent aller Gesundheitsausgaben in Polen. Der Durchschnitt in der Europäischen Union (EU) beträgt etwa 80 Prozent. Auch der Anteil der öffentlichen und privaten Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) fällt in Polen mit 6,3 Prozent im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich aus.
Ein vollständiger Wechsel zu einem nicht-gesetzlichen Versicherungsanbieter ist in Polen nicht möglich. Allerdings gewinnen private Zusatzversicherungen an Bedeutung. Im 2. Quartal 2021 hielten 3,5 Millionen Personen eine solche Police, ein Plus von 14,8 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Private Versicherer wie Luxmed oder Medicover betreiben ein Netz aus Gemeinschaftspraxen. Mitglieder können die Einrichtungen teils kostenfrei besuchen. Operative Eingriffe werden in der Regel über NFZ-Gelder finanziert.
Knappe Ressourcen bereiten Probleme
Neben hohen Eigenbeiträgen für Arzneimittel stellt der Personalmangel die medizinische Versorgung in Polen vor Herausforderungen. Auf 1.000 Einwohner kommen laut Eurostat gerade einmal 2,4 Ärzte. In Deutschland liegt der Wert bei 4,3. Die knappe Personaldecke führt zu langen Wartezeiten.
Hinzu kommt die angespannte Finanzlage vieler Kliniken. Seit 2017 sind die Schulden der öffentlichen Krankenhäuser um 50 Prozent gestiegen. Generell steigen die Ausgaben für stationäre Behandlungen. Das Gesundheitsministerium will ambulante Therapien stärken.
Erstattungspolitik berücksichtigt mittlerweile auch innovative Medikamente
Die Marktforschungsfirma Fitch Solutions konstatiert, dass die Erstattung von Arzneimitteln in den vergangenen Jahren ausgebaut wurde. Senioren und Schwangere erhalten bestimmte verschreibungspflichtige Medikamente mittlerweile kostenlos. Dennoch ist Polen noch deutlich vom selbstgesteckten Ziel entfernt, rund 17 Prozent der öffentlichen Gesundheitsausgaben in die Arzneimittelerstattung zu investieren. Laut NFZ-Budgetplanung wird der Anteil im Jahr 2022 etwa 14 Prozent betragen.
Der NFZ erstattet hauptsächlich Generika. Der Anteil generischer Produkte unter den verschreibungspflichtigen Medikamenten gehört zu den höchsten in ganz Europa. Laut Fitch Solutions wird die Bedeutung patentgeschützter Arzneimittel mittelfristig wachsen. Als Grund führen die Experten Pläne der Regierung an, die Gesundheitsausgaben bis 2027 schrittweise auf 7 Prozent des BIP zu erhöhen.
Im September 2021 erklärte das polnische Gesundheitsministerium, CAR-T-Zell-Therapien gegen Krebserkrankungen auf die Erstattungsliste aufzunehmen. Es handelt sich dabei um eines der teuersten Behandlungsverfahren der Welt. Entgegen früherer Ankündigungen werden gentherapeutische Behandlungen für Patienten mit Spinaler Muskelatrophie (SMA) vorerst nicht erstattet. Gesundheitsministerium und Medikamentenhersteller konnten sich nicht auf einen Preis einigen.
Arzneimittelmarkt wird trotz Schwierigkeiten wachsen
Arzneimittel und medizinische Produkte sind in vier Erstattungsgruppen unterteilt. Die Selbstbeteiligungsquote für Patienten kann bis zu 50 Prozent betragen. Darüber hinaus existiert ein Finanzierungslimit. Es orientiert sich am Großhandelspreis für bestimmte Arzneimittelgruppen.
Zwar hat die Regierung eine Reform der Erstattungspolitik angekündigt. Ein erster Gesetzesentwurf vom Juli 2021 stößt jedoch auf Kritik. Insbesondere die neuen Kostengrenzen sorgen für Diskussionen. Erstattet werden demnach keine Produkte mehr, deren Preis um mehr als 50 Prozent über den Kosten des billigsten Artikels mit ähnlicher Wirkung liegt.
Trotzdem könnte der Pharmamarkt in Polen nach Einschätzung von Fitch Solutions von 12,3 Milliarden Euro im Jahr 2020 auf 19,2 Milliarden Euro im Jahr 2025 anwachsen. Treiber sind laut Fitch Solutions die alternde Bevölkerung, ein dank EU-Mitgliedschaft robustes regulatorisches Umfeld und die steigende Kaufkraft der Bevölkerung.
Besonders gute Wachstumschancen von jährlich 6 Prozent sieht das Analyseunternehmen PMR bei frei verkäuflichen Mitteln (Over The Counter; OTC). Hierunter fallen auch Nahrungsergänzungsmittel. Gründe für die steigende Beliebtheit sind laut PMR das wachsende Interesse an gesundheitsfördernden Mitteln und die Zunahme bestimmter Krankheitsbilder wie Kreislauf-Erkrankungen.
Fitch Solutions sieht auch Potenzial für rezeptpflichtige Medikamente. Die Krankenkasse würde einen immer größeren Anteil der Kosten für Arzneimittel übernehmen. Sinken die Eigenbeiträge der Patienten, sei man als Betroffener eher geneigt, ein verschriebenes Medikament auch tatsächlich einzukaufen.
Polen ist bei Medizintechnik auf Importe angewiesen
Polen investiert pro Kopf deutlich weniger in medizinische Geräte, als Nachbarländer wie Tschechien. Immerhin: Experten prognostizieren ein deutliches Wachstum. Fitch Solutions schätzt den Wert des Marktes für Medizintechnik in Polen auf 2,6 Milliarden Euro. Bis 2025 soll das Volumen auf 3,6 Milliarden Euro steigen.
Dazu tragen nationale und europäische Förderprogramme bei. Das Gesundheitsministerium will beispielsweise 1,6 Milliarden Euro in die Modernisierung der Krankenhäuser investieren. Polnische Hersteller werden ihre Marktposition Analysten zufolge ausbauen. Einen Großteil des Bedarfs an medizinischen Geräten deckt das Land aber auch künftig über Importe.
Gerade bei Spitzentechnik gibt es nach Ansicht des Europäischen Industrieverbandes Medizingeräte (European Medical Devices Industry Group; EMDIG) Ausbaupotenzial. Polen verfügt über vergleichsweise wenige Computertomografen und Mammografiegeräte. Zudem gelten viele Magnetresonanztomografen mittlerweile als veraltet.
Von Christopher Fuß
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Warschau