Wirtschaftsumfeld | Polen | Parlamentswahlen
Polen bleibt auch nach der Wahl ein wichtiger Partner
Vor der Wahl in Polen ist kein klarer Favorit erkennbar. Unternehmen formulieren deutliche Wünsche an die nächste Regierung. Für deutsche Exporteure gibt es eine gute Nachricht.
12.10.2023
Von Christopher Fuß | Warschau
Polens politische Zukunft ist wenige Tage vor der Parlamentswahl am 15. Oktober 2023 offen. Umfragen sehen die nationalkonservative Regierungspartei PiS (Prawo i Sprawiedliwość) vorne. Die drei verbündeten Oppositionsparteien kommen zusammen aber auf mehr Stimmen. Es handelt sich um die liberalkonservative Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska), den bürgerlich-konservativen Dritten Weg (Trzecia Droga) und die sozialdemokratische Neue Linke (Nowa Lewica).
Laut Prognosen des Umfrageportals ewybory.eu besteht die Möglichkeit, dass weder die Regierungspartei noch der Oppositionsblock genügend Sitze für eine gesetzgebende Mehrheit erhalten. Dann käme der nationalistischen und politisch isolierten Partei Konföderation (Konfederacja) eine Schlüsselrolle zu.
Wunsch nach mehr Stabilität
Unabhängig davon, wer die Wahl gewinnt, hoffen Unternehmen auf eine stabilere Rechtslage. Arbeitgeberverbände werfen der aktuellen Regierung vor, sie habe Gesetze kurzfristig und ohne Rücksicht auf die Interessen der Firmen verabschiedet. Auch die Mitgliedsunternehmen der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer (AHK Polen) bewerten die Wirtschaftspolitik Polens als schwer vorhersehbar. Fehlende Planungssicherheit gilt mittlerweile als das größte Geschäftshindernis.
Vor diesem Hintergrund schlagen die Bürgerkoalition und der Dritte Weg vor, dass neue Steuergesetze frühestens sechs Monate nach Bekanntgabe in Kraft treten dürfen. Beide Parteien versprechen außerdem, die Sozialabgaben von Unternehmen zu reduzieren.
Finanzielle Leistungen für Familien und Rentner gelten als ein Markenkern der PiS. Die Bürgerkoalition setzt auf höhere Steuerfreibeträge. Die Neue Linke plädiert dafür, Sozialleistungen an die Inflation zu koppeln. Der unter der PiS-Regierung gewachsene Sozialstaat sorgt bis heute für Diskussionen bei Ökonomen. Deutsche Exporteure konnten sich über steigende Konsumausgaben in Polen freuen. Wichtig für Hersteller von Pharmazeutika und Medizintechnik: Fast alle politischen Gruppierungen setzen auf höhere öffentliche Gesundheitsausgaben.
Konflikt um Kohle
Ein weiteres Wahlkampfthema ist der Umbau des Energiesektors. Alle Parteien attestieren der Atomkraft eine wichtige Rolle im künftigen Strommix. Hier enden die Gemeinsamkeiten. PiS und die Konföderation wollen so lange wie möglich an der Kohle festhalten. Die drei verbündeten Oppositionsparteien sprechen sich dafür aus, die Kohleverstromung schrittweise zu reduzieren. Der Ausbau der erneuerbaren Energien stößt nur bei der Konföderation auf Widerspruch.
Der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft bewertet die Zukunft des Energiesektors als das wichtigste wirtschaftliche Thema der nächsten Regierung: "Hier bestehen große Chancen für den Ausbau der deutsch-polnischen Zusammenarbeit, zum Beispiel im Bereich der Windkraft. Für das verarbeitende Gewerbe in Polen - und darunter sind ja auch viele deutsche Unternehmen - wird die Frage immer wichtiger, wie und zu welchem Preis man auf grünen Strom zurückgreifen kann", sagt Adrian Stadnicki, Regionaldirektor Mittelosteuropa beim Ost-Ausschuss.
Keine EU-Mittel ohne Reformen
EU-Gelder halfen in der Vergangenheit bei der Finanzierung unterschiedlicher Projekte. Aktuell hält die Europäische Kommission Fördermittel zurück, weil Polen eine vereinbarte Justizreform nicht umsetzt. Staatliche Förderinstitutionen müssen in Vorleistung gehen. Die nächste Regierung soll schnellstmöglich eine Lösung finden, fordern Unternehmerverbände in der Tageszeitung Rzeczpospolita.
Firmen warten gespannt auf europäische Gelder, bestätigt Przemysław Sulich, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens A1 Europe: "Das Interesse ist groß, denn es gab eine mehrjährige Lücke bei den Mitteln. Im Mai 2023 endete die Antragsfrist für ein Förderprogramm mit einem Budget von knapp 1 Milliarde Euro. Mittelständische Firmen beantragten mehr als das Dreifache." Allein Sulichs Unternehmen arbeitet an Anträgen im Umfang von 55 Millionen Euro.
Neben den EU-Mitteln spielen staatseigene Firmen eine wichtige Rolle in Polens Industrie. Sie sind Impulsgeber für wichtige Investitionen. Auch die öffentliche Hand setzt Akzente. Das zeigen öffentliche Bauvorhaben wie der geplante Großflughafen CPK. Die kooperierenden Oppositionsparteien lassen die Zukunft des Bauvorhabens im Falles eines Wahlsieges offen.
Krisenfeste Beziehungen
Positives Signal für deutsche Unternehmen: Die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Polen entwickelten sich in den vergangenen Jahrzehnten positiv, und zwar unabhängig von der jeweils regierenden Partei. Allein in der aktuellen Legislaturperiode wuchs der Wert deutscher Ausfuhren nach Polen um rund 30 Prozent. Das ist bemerkenswert, weil die regierende PiS sehr kritisch auf Deutschland blickt und auch im aktuellen Wahlkampf nicht mit verbalen Attacken spart.
Deutsche Unternehmen bauen ihre Aktivitäten in Polen trotz aller Schwierigkeiten weiter aus. Die Leiterin des Geschäftsbereiches Außenwirtschaft der IHK Cottbus, Silke Schwabe, stellt fest: "Aktuelle Umfragen der IHK Cottbus belegen das ungebrochene Interesse. Hier rangierte Polen an erster Stelle der genannten Zieldestinationen für die Südbrandenburger Außenwirtschaftstreibenden."
Andere Kammern pflichten bei. Dagmar Enste, Referentin International bei der IHK Neubrandenburg, erklärt: "Unternehmen schicken weiterhin zahlreiche Anfragen an uns und die Kollegen im Haus der Wirtschaft in Szczecin. Das Haus der Wirtschaft berät deutsche und polnische Unternehmen."
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Gleichzeitig warten auf Polens kommende Regierung große wirtschaftliche Herausforderungen. Das Bruttoinlandsprodukt ist in den ersten beiden Quartalen 2023 gesunken, während es im EU-Durchschnitt für ein kleines Plus gereicht hat. Der Produktionsausstoß des verarbeitenden Gewerbes in Polen geht zurück. Die schwierige Konjunkturlage kann für Deutschland und Polen aber eine Chance sein, meint der Geschäftsführer der AHK Polen Lars Gutheil: "Bisher haben herausfordernde Zeiten in der Wirtschaft oft sogar zu einer noch engeren Verflechtung des deutsch-polnischen Tandems geführt."