Branche kompakt | Türkei | Chemische Industrie
Markttrends
Eine schwache Inlandsnachfrage und Exportrisiken dämpfen die Perspektiven der türkischen Chemieindustrie. Unternehmen wollen den Fokus beim Export auf andere Länder richten.
14.05.2025
Von Katrin Pasvantis | Istanbul
Ein geringeres Wirtschaftswachstum und hohe Inflation dämpfen im Inland die Nachfrage nach chemischen Produkten. Für 2025 gelten volatile Rohstoff- und Energiepreise, anhaltend hohe Zinsen sowie eine mögliche Konjunkturverschlechterung im In- und Ausland als zentrale Risiken. Der Wechselkurs der Türkischen Lira wird das Branchenwachstum maßgeblich beeinflussen: Eine schwache Lira stärkt die Exporte, verteuert jedoch Importe. Etwa 70 Prozent der eingesetzten Rohstoffe werden importiert. Ein beträchtlicher Teil der türkischen Chemieproduktion wird exportiert, verlässliche Zahlen zum Exportanteil liegen jedoch nicht vor.
Viele Unternehmen arbeiten bereits an Lösungen zur Dekarbonisierung. Ab 2026 müssen EU-Importeure CBAM-Zertifikate für emissionsintensive Produkte erwerben. Das könnte türkische Chemieexporte – besonders Düngemittel – verteuern und schwächen. Die Branche ist bisher nicht vollständig erfasst, doch die EU prüft eine Ausweitung. Verbindliche Reduktionsziele gibt es in der Türkei noch nicht, aber ein nationales Emissionshandelssystem steht kurz vor der Einführung.
ist der Exportwert der türkischen Chemieindustrie im Jahr 2024.
Hersteller wollen Exporte verlagern
Trotz bestehender Herausforderungen rechnet der Istanbuler Fachverband der Exporteure von Chemie und chemischen Erzeugnissen İKMİB (İstanbul Kimyevi Maddeler ve Mamulleri İhracatçıları Birliği) für 2025 mit einem Anstieg der Ausfuhren auf 35 Milliarden US-Dollar (US$) – ein Ziel, das bereits 2024 verfehlt wurde. Bis 2028 rechnet der İKMİB mit weiterem Wachstum auf 48 Milliarden US$. Laut Aussagen des Verbandes strebt die Branche eine stärkere Exportausrichtung auf die USA, China und Italien an. Zu den wichtigsten Abnehmerländern von chemischen Erzeugnissen der SITC-Warengruppe 5 im Jahr 2024 gehörten jedoch Russland und der Irak, mit Abstand gefolgt von Italien, den USA, Deutschland und Spanien. Insgesamt blieben die Exporte chemischer Erzeugnisse 2024 auf dem Niveau des Vorjahres.
Die wachsende Konkurrenz chinesischer Anbieter auf dem EU-Markt bereitet türkischen Chemieherstellern zunehmend Sorgen. Verstärkt wird diese Entwicklung durch chinesische Investitionen in zentrale europäische Hafenstandorte, die den Marktzugang und die Transportlogistik verbessern.
Produktgruppe (SITC) | 2023 | 2024 | Veränderung 2024/2023 |
---|---|---|---|
Organische chemische Erzeugnisse (51) | 632 | 596 | -5,7 |
Anorganische chemische Erzeugnisse (52) | 1.981 | 1.804 | -8,9 |
Farbmittel, Gerbstoffe, Farben (53) | 1.419 | 1.431 | 0,8 |
Medizinische und pharmazeutische Erzeugnisse (54) | 2.005 | 2.098 | 4,6 |
Ätherische Öle, Körperpflege-, Putz- und Reinigungsmittel (55) | 2.699 | 2.944 | 9,1 |
Düngemittel (56) | 261 | 358 | 37,2 |
Kunststoffe in Primärformen (57) | 2.486 | 2.596 | 4,4 |
Kunststoffe in anderen Formen als Primärformen (58) | 3.634 | 3.744 | 3,0 |
Andere chemische Erzeugnisse und Waren (59) | 1.838 | 1.952 | 6,2 |
Kunststoff- und Pharmasegment stehen unter Druck
Die Kunststoffindustrie, Zulieferer für nahezu alle Branchen, blickt angesichts der erwarteten Konjunkturabkühlung in der Türkei einem schwierigen Jahr 2025 entgegen. Bereits im Vorjahr stagnierte die Inlandsnachfrage mengenmäßig, 2025 könnte sie weiter nachlassen. Hinzu kommen Herausforderungen durch steigende Arbeitskosten und der eingeschränkte Zugang zu Finanzierungen. Dies bremst auch die Investitionstätigkeit: Laut dem türkischen Kunststofffachverband PAGEV sanken die Maschineninvestitionen 2024 um 8 Prozent im Vorjahresvergleich auf 1,6 Milliarden US$ und konnten damit nicht an die kräftigen Zuwächse des Vorjahres anknüpfen. Die Kunststoffproduktion stieg 2024 mengenmäßig im Vorjahresvergleich um 8 Prozent auf 10 Millionen Tonnen.
Messgröße | Menge (in Mio. t) | Veränderung 2024/2023 | Wert (in Mrd. US$) | Veränderung 2024/2023 |
---|---|---|---|---|
Produktion | 9,9 | 8,8 | 40,9 | 7,6 |
Inlandsabsatz | 7,9 | 8,2 | 37,5 | 8,1 |
Import | 7,4 | -2,6 | 4,1 | -2,4 |
Export | 2,7 | 3,8 | 7,5 | 1,4 |
Steigende Kosten belasten auch die türkische Pharmabranche. Die starke Abhängigkeit von teuren importierten Rohstoffen verschärft die Situation. Die lokale Produktion ist vor allem für den Inlandsmarkt gedacht.
| Menge (in Mio. Stück Verpackungen) | Veränderung 2023/2022 | Wert (in Mio. US$) *) | Veränderung 2023/2022 |
---|---|---|---|---|
Pharmazeutika | 2.670 | 4,7 | 8.878 | 33,8 |
Generika | 1.700 | 9,0 | 3.366 | 45,3 |
Original | 970 | -2,0 | 5.512 | 28,0 |
Biotechnologie | 31 | -5,2 | 1.565 | 29,4 |
Generika | 20 | -9,1 | 1356 | 28,7 |
Original | 11 | 0 | 209 | 34,1 |
Düngemittelindustrie könnte EU-Kunden verlieren
Preissteigerungen durch höhere Herstellungskosten infolge einer schwachen Lira dämpfen die Inlandsnachfrage nach Düngemitteln. Gleichzeitig verzeichneten die Exporte 2024 ein Plus von fast 40 Prozent. Die wichtigsten Abnehmer waren die Ukraine – mit deutlichem Abstand gefolgt von Rumänien, Kenia, Italien, Irak und Iran.
Die Einführung der CO₂-Bepreisung auf Düngemittelimporte in die EU ab 2026 wird türkische Lieferungen verteuern. Daher könnten türkische Unternehmen künftig alternative Absatzmärkte außerhalb der EU anstreben.
Farben und Lacke könnten vom erwarteten Wachstum der Bauwirtschaft profitieren
Für lokale Hersteller bleibt der türkische Markt mit Abstand der wichtigste Absatzmarkt. Die Produktion von Farben und Lacken für die Bauwirtschaft könnte 2025 zulegen, gestützt auf das erwartete Wachstum der Bauwirtschaft um 5 Prozent. Auch die Kfz-Industrie ist ein bedeutender Abnehmer. Die Nachfrage aus diesem Bereich dürfte 2025 jedoch nachlassen, da die türkische Kfz-Zulieferindustrie stark exportorientiert ist und ein Rückgang der Automobilproduktion in der EU die Nachfrage dämpfen könnte. Die EU ist der wichtigste Exportmarkt. Insgesamt blieben die Exporte von Farben und Lacken 2024 wertmäßig mit 1,4 Milliarden US$ in etwa auf dem Niveau des Vorjahres. Die größten Abnehmer waren Russland, Irak, Usbekistan und Iran.
Kosmetikbranche bleibt auf Wachstumskurs
Der türkische Kosmetikmarkt erreichte 2024 einen Wert von umgerechnet 661 Millionen US$ und soll 2025 auf 685 Millionen US$ steigen. Auf Lira-Basis wuchs der Absatz in den letzten Jahren stetig um rund 10 Prozent pro Jahr, während der Wert umgerechnet in US$ wegen der schwachen Lira nach unten zeigte. Shampoos machen 59 Prozent der Kosmetikverkäufe aus. Naturkosmetik gewinnt an Bedeutung, ihr Marktanteil liegt jedoch noch nur bei rund 5 Prozent. Die Branche exportierte 2024 Produkte im Wert von 3 Milliarden US$, das Ziel für 2025 liegt bei 3,2 Milliarden bis 3,3 Milliarden US$. Wichtigste Abnehmerländer waren laut dem Fachverband KÜAD (Kozmetik Üreticileri ve Araştırmacıları Derneği) Russland, Irak und die USA. Die Türkei entwickelt sich zunehmend zu einer Produktionsbasis für internationale Ketten.
Projekte scheitern oft an der Finanzierung
Die restriktive Geldpolitik der türkischen Zentralbank zur Bekämpfung der hohen Inflation erschwert die Finanzierung von Projekten. Hohe Zinsen und ein eingeschränkter Zugang zu Krediten treffen insbesondere kleine und mittlere Unternehmen. Zudem behindert die Wechselkursvolatilität die Preis- und Kostenkalkulation sowie eine verlässliche langfristige Planung.
Akteur / Projekt | Investitionssumme | Anmerkungen |
---|---|---|
Bayegan Gruppe / Produktion von Polypropylen in der Provinz Hatay | 1.900 | Geplante jährliche Produktion: 450.000 t Polypropylen. Das Projekt erhält staatliche Förderung. |
Santa Farma / Produktion von Arzneimitteln in der Provinz Kocaeli | 100 | Geplante jährliche Arzneimittelproduktion: 831 t Tabletten, 384 t Pulver, 140 t Kapseln und 8,4 t flüssige Arzneimittel. Das Projekt erhält staatliche Förderung. |
Evly Pharma Cosmetics Industry / Produktion von Körperpflegeprodukten | 15 | Geplante jährliche Produktion: 12,2 t Körperpflegemittel. |
Bianca Boya Lack Industry / Produktion von Farben und Lacken | 6 | Dem Vernehmen nach werden folgende Standorte geprüft: Gebze, Düzce, Bursa. |