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Investitionen in dezentrale Energie nehmen zu
Russische Angriffe zwingen ukrainische Unternehmen zu hohen Investitionen in dezentrale Energieversorgung. Das eröffnet Geschäftsmöglichkeiten für deutsche Technologieanbieter.
10.11.2025
Von Waldemar Lichter | Warschau
Russische Angriffe auf das Energiesystem verursachen große Schäden und häufige Versorgungsunterbrechungen. Doch kaum sind die Lichter aus, springen die Generatoren an und das Leben nimmt schnell wieder Fahrt auf: Geschäfte öffnen, Föhne surren in den Friseursalons, und in den Cafés wird Kaffee ausgeschenkt.
Das Land hat sich auf die Bedrohung eingestellt. "Im November 2022 hatten wir nach einem Angriff mit 115 Drohnen und Raketen einen landesweiten Blackout. Bei dem massiven Angriff im Oktober 2025 waren es 500 Raketen und Drohnen, aber die Situation war unter Kontrolle. Das zeigt, dass das Energiesystem besser auf Angriffe vorbereitet ist", erklärte Oleksandr Harchenko, Direktor des Zentrums für Energieforschung, gegenüber dem Portal Suspilne.
Kleine Generatoren sorgen dafür, dass Strom wieder da ist, auch wenn die großen Kraftwerke beschädigt wurden und die Leitungsnetze erst repariert werden müssen. Die Nachfrage nach solchen Geräten ist stark gestiegen, ebenso die Preise.
Industrie investiert in dezentrale Lösungen
Nunmehr konzentrieren sich die Investitionen auf energieintensive Branchen und kritische Infrastruktur. Seit Kriegsbeginn hatten 20 große ukrainische Unternehmen für rund 660 Millionen Euro eine Erzeugungskapazität von mehr als 1 Gigawatt aufgebaut. "Eine einzige russische Iskander-Rakete kann ein Kohlekraftwerk zerstören. Doch Russland würde mindestens 50 Raketen benötigen, um die gleiche Leistungskapazität zu vernichten, wenn diese auf dezentrale Erzeugungsanlagen wie Windparks verteilt ist", erklärte der Chef des größten privaten Energieunternehmens in der Ukraine DTEK Maxim Timchenko gegenüber der französischen Tageszeitung L'Express. Er unterstreicht: "Wir starten deshalb neue Projekte, schützen sie so gut wir können und verbessern damit die Resilienz unseres Energiesystems."
"Eine einzige russische Iskander-Rakete kann ein Kohlekraftwerk zerstören."
Auf Dezentralisierung setzt sogar die Schwerindustrie. Metinvest, der landesgrößte Stahlkonzern, investiert beispielsweise in Dieselgeneratoren, die Modernisierung bestehender Dampfkraftwerke sowie den Bau von Gaskraftwerken und Solaranlagen. Solarprojekte mit 37 Megawatt werden bis Ende 2026 fertiggestellt. Ziel ist, einen großen Teil des eigenen Energiebedarfs mittelfristig auch aus eigener Erzeugung zu decken.
Rasch reagierten auch Telekommunikationsanbieter und der Handel. Der führende Mobilfunkanbieter Kyivstar hat seit 2022 rund 51 Millionen Euro in Backup-Energielösungen investiert und sichert somit über 68 Prozent seines Netzes mit einer mindestens vierstündigen Notstromversorgung. Die Baumarktkette Epicentr hat 15 Megawatt Solarleistung auf Dächern seiner Niederlassungen installiert und plant einen Ausbau auf 108 Megawatt bis 2030. Noch größer sind die Pläne der Tankstellenkette OKKO: Bis 2030 sollen Erzeugerkapazitäten von 600 Megawatt entstehen. Ergänzend hat OKKO bereits 244 Tankstellen mit kleinen Solaranlagen mit je 6 Megawatt ausgestattet.
Welche Technologien sind besonders gefragt?
- Windkraft weist die höchsten Investitionsvolumina auf
- zahlreiche Gaskraftwerke werden gebaut
- die größte Batteriespeicheranlage Osteuropas nahm DTEK im September 2025 in Betrieb
- Solarenergie entwickelt sich zur Wachstumsstory
- Biomasse- und Biogasprojekte ergänzen das Dezentralisierungsportfolio
Kommunen als Vorreiter der Energieautonomie
Nicht nur Unternehmen, auch die Gemeinden investieren in dezentrale Versorgungssysteme. Die Stadt Dubno in der Region Rivne stattete 2023 ihr Krankenhaus mit einer 44 Kilowatt Solaranlage aus. "Das Krankenhaus muss sicherstellen, dass die Geräte in kritischen Situationen immer funktionieren. Die Solaranlage wird dies zuverlässiger und günstiger leisten als ein Generator", erklärte damals Viktor Krasovsky, medizinischer Direktor des Krankenhauses, im Interview mit dem EcoClub Hrivne, einer auch durch die Bundesregierung unterstützten Nichtregierungsorganisation.
Die Region Charkiw setzt auf mobile Blockheizkraftwerke. Das deutsche Unternehmen Sokratherm lieferte im Winter 2022 fünf solcher mobilen Anlagen – finanziert vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Anlagen versorgen Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Verwaltungsgebäude.
“Der Aufbau eines dezentralen Energiesystems ist in Kriegszeiten eine Priorität der Regierung.”
Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Seit Juli 2025 wurden über 117 Megawatt dezentrale Kapazitäten in Betrieb genommen, so Energieministerin Svitlana Grinchuk. Bis Ende 2025 sollen weitere 180 Megawatt hinzukommen. Großunternehmen wie Ukrnafta und DTEK sowie private Investoren wie der Agrarkonzern Kernel gehen dabei mit Großprojekten voran. “Der Aufbau eines dezentralen Energiesystems ist in Kriegszeiten eine Priorität der Regierung”, betont auch die Energieministerin.
Nachfrage nach Energieausrüstung wächst
Die Investitionswelle hat die Nachfrage nach Energieausrüstungen steigen lassen. Besonders gefragt sind Batteriespeicher, Solarmodule und Transformatoren. Die ukrainische Regierung hat bereits 2022 kritische Energieausrüstungen von Zoll und Mehrwertsteuer befreit. Diese Regelung gilt bis zum Ende des Kriegsrechts oder aber zunächst bis Ende 2025. Das und die gestiegene Nachfrage haben zu einem Anstieg der Importe geführt.
Deutsche Unternehmen sind traditionell starke Anbieter von Energietechnik, ihre Präsenz auf diesem Markt hat sich seit 2022 verstärkt. Siemens Energy ist führender Lieferant für Transformatoren, Gasturbinen und Retrofit-Lösungen für beschädigte Umspannwerke. SMA Solar und KACO new energy liefern Wechseltrichter und PV-Systemlösungen; Nordex ist insbesondere bei Windenergieprojekten präsent. Auch kleinere und mittelständische deutsche Firmen – etwa Spezialanbieter für Kraft-Wärme-Kopplung oder Batteriespeicher – haben ihren Vertrieb intensiviert. Allerdings drängen immer mehr Anbieter aus anderen Ländern auf den Markt. Chinesische Anbieter sind in allen Segmenten stark präsent.
Förderprogramme | Leistungen |
|---|---|
Nationale Programme | |
Kredite bis zu 5 Millionen Hrywnja (UAH; etwa 103.400 Euro; 1 Euro = 48,3329 UAH; Stand: 5.11.25) für fünf Jahre zu 7 Prozent p.a., unter anderem für Solaranlagen, Wechselrichter und Batterien | |
Kompensiert bis zu 70 Prozent der Ausrüstungskosten: bis zu 1 Million UAH (etwa 20.700 Euro) für Solaranlagen, bis zu 2 Millionen UAH (etwa 41.400 Euro) für Wärmepumpen, bis zu 3 Millionen UAH (etwa 62.100 Euro) für kombinierte Lösungen | |
Internationale Programme | |
Mittel für Energiesicherheit, Infrastruktur und KMU-Förderung | |
Kredite für Investitionsprojekte im Energiesektor und erneuerbare Energien | |
Verfügt derzeit über 500 Millionen Euro; unterstützt wird die Beschaffung von Ausrüstung, Kraftstoffen und Notstromaggregaten | |
| ENERCOM - Europäischer Fonds für Energiegemeinschaften und Programm Horizon Europe | Unterstützung von Energiegemeinschaften, 45.000 Euro pro Einmal-Grant pro Projekt |
| Nansen Programm (Norwegen) | 430.000 Euro pro Projekt, Kostenzuschuss bis zu 60 Prozent der Ausgaben, Projekte für lokale Energielösungen, darunter kleine Biogasanlagen, Nahwärmenetze und Modernisierung lokaler Energieinfrastruktur |