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Ukrainischer Einzelhandel stemmt sich gegen Kriegsfolgen

Der ukrainische Einzelhandel muss sich in Kriegszeiten immensen Herausforderungen stellen. Importierte Waren sollen helfen, Lücken im Sortiment zu schließen.  

Von Hans-Jürgen Wittmann | Berlin

Zerstörte Filialen, ein eingeschränktes Sortiment und steigende Preise - in den ersten Wochen nach Kriegsbeginn konnte die Versorgung der ukrainischen Bevölkerung mit Lebensmitteln und Haushaltswaren nur unter größten Schwierigkeiten aufrechterhalten werden. Vor allem in den umkämpften Gebieten im Osten und Süden und den befreiten Orten im Norden des Landes hat sich das Warenangebot halbiert. 

Die russische Armee greift scheinbar gezielt Verkaufs- und Distributionsflächen an, um die Versorgungslage der Bevölkerung zu verschärfen. Alleine in den ersten zwei Kriegsmonaten beliefen sich die Verluste von rund 300 Einzelhändlern an Immobilien, Ausrüstung und Lagerbeständen auf rund 1,6 Milliarden US-Dollar (US$), ermittelte der Verband der ukrainischen Einzelhändler. Darin nicht enthalten sind entgangene Gewinne. Sollte der Krieg bis zum Jahresende 2022 beendet sein, wird der ukrainische Einzelhandel in zwei bis fünf Jahren wieder an das Vorkriegsniveau anknüpfen können, erwartet Verbandschef Andriy Zhuk.

Wiederaufbau von Filialen leidet unter Liquiditätsengpässen

Ukrainische Einzelhändler erwägen den Wiederaufbau beschädigter oder zerstörter Filialen nur dann, wenn ausreichend Kundschaft vorhanden ist, die Logistik reorganisiert werden kann und ausreichend Finanzmittel zur Verfügung stehen. Doch die Branche leidet massiv unter Liquiditätsengpässen. Zahlreiche Händler schreiben rote Zahlen. Zudem bestehen viele Lieferanten auf Vorkasse. Einzelhändler setzen daher nur auf kostengünstige Reparaturen beschädigter Verkaufs- und Lagerflächen statt auf deren Neubau.

Der Handel muss sich der veränderten Bevölkerungsverteilung anpassen. Zahlreiche Geflüchtete verließen die umkämpften Gebiete im Osten und Süden und siedeln sich in westlichen Landesteilen an. Einzelhandelsketten ziehen ihren Kunden hinterher. Für die Verlagerung der Geschäfte stehen jedoch nur geringe Mittel bereit. Der Discounter ATB-Market eröffnete im Juni 2022 im Westen der Ukraine zehn neue Geschäfte. Zudem verlegte die mit landesweit rund 1.250 Filialen größte Einzelhandelskette des Landes ihre Zentrale von Dnipro nach Lwiw.

Personalengpässe kommen erschwerend hinzu. Seit Kriegsbeginn musste ATB einen Teil seiner rund 70.000 Mitarbeiter entlassen, gab Firmenchef Boris Markow bekannt. Darüber hinaus sind rund 2.000 Mitarbeiter zur Landesverteidigung abkommandiert. Weitere 4.500 Mitarbeiter kündigten, weil sie ins Ausland geflohen sind.

Logistikengpässe führen zu Preissteigerungen

Trotz der Blockade der Schwarzmeerhäfen und zerstörter Lagerkapazitäten blieben die Lieferketten des ukrainischen Einzelhandels größtenteils intakt. Allerdings versuchen Unternehmen keine Verteilzentren für den Transport ihrer Waren zu nutzen, sondern diese direkt in die Filialen zu liefern. Dadurch wird der Transport langsamer und bestimmte Artikel fehlen im Sortiment. Seit Kriegsbeginn sind die Logistikkosten um rund ein Fünftel gestiegen.

Liste defizitärer Waren
  • Backwaren (Brot, Toastbrot, Croissants)
  • Milchprodukte (Butter, Käse, Milch, Joghurt und Dessertmilchprodukte, fermentierte Milchprodukte, Sahne)
  • Gekühlter und gefrorener Fisch, Meeresfrüchte
  • Fleischkonserven
  • Gemüse und Salate
  • Alkoholische Getränke, Bier
  • Schokoladenpasten
  • Zahnpasten, Shampoos, Waschpulver
  • Besteck und Geschirr
  • Bau-, Reparatur- und Heimwerkerwaren

Regierung vereinfacht Einfuhr von Lebensmitteln

Um die Lücken im Sortiment zu schließen, importieren Einzelhandelsketten verstärkt ausländische Produkte. Seit Kriegsbeginn stieg die Importmenge um rund 10 Prozentpunkte auf etwa 20 Prozent des Gesamtsortiments. Vor allem osteuropäische Marken tauchen in den Verkaufsregalen auf. ATB bezieht Lebensmittel und Haushaltswaren vor allem aus Polen, dem Baltikum und der Türkei. Die französische Großhandelskette Auchan setzt auf Lieferungen aus Polen, Rumänien, Ungarn und Tschechien.

Die Regierung vereinfacht die Einfuhr von Lebensmitteln. Zum 1. Juli 2022 wurden Zölle und Mehrwertsteuer auf importierte Lebensmittel gestrichen. Zudem können eingeführte Produkte in Fremdwährung bezahlt werden. War vor dem Krieg nach Grenzübertritt das Anbringen eines ukrainischen Etiketts Pflicht, ist nun eine Einfuhr ohne Aufdruck in ukrainischer Sprache möglich.

Ausländische Produkte können allerdings nur begrenzt auf dem ukrainischen Einzelhandelsmarkt Fuß fassen. Importierte Waren sind um bis zu 20 Prozent teurer als einheimische Lebensmittel und Haushaltswaren. Die Abwertung der Landeswährung Hrywnja lässt die Preise ebenfalls weiter steigen. Viele Ukrainer müssen den Gürtel enger schnallen und kaufen vor allem lebensnotwendige Produkte. Zudem ist der Bekanntheitsgrad ausländischer Marken unter ukrainischen Käufern noch gering. 

Konsum leidet unter gesunkener Kaufkraft

Der ukrainische Einzelhandel muss sich auf magere Jahre einstellen. Der Rückgang der Kundschaft, die sinkende Kaufkraft, sowie eine hohe Inflation drücken den Konsum. Der private Verbrauch wird 2022 um 45 Prozent im Vergleich zum Vorjahr sinken, schätzt das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Nur rund jeder dritte Arbeitnehmer erhält seinen vollen Lohn, ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts InfoSapiens.

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