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Nachhaltigkeit in der Chemieindustrie
Der Inflation Reduction Act löste eine Investitionswelle für kohlenstoffarme Projekte aus. Doch Donald Trumps Ansinnen, die Förderung streichen zu wollen, bremst die Euphorie.
02.06.2025
Von Heiko Stumpf | San Francisco
- Emissionsarmer Ammoniak: Viel geplant, aber was wird gebaut?
- Export als lukratives Geschäft – mit einem großen "aber"
- Auch grüner Wasserstoff leidet unter regulatorischer Unsicherheit
- Für deutsche Unternehmen stehen Projekte und Aufträge auf dem Spiel
- Jurist Pohl zur Zukunft des Inflation Reduction Act (IRA)
Wahlen haben Konsequenzen – selten wird das so deutlich wie bei der Dekarbonisierung der Chemieindustrie. Angestoßen durch den Inflation Reduction Act (IRA) setzten die Chemieunternehmen in der Biden-Ära große Anstrengungen in Gang, um ihre Produktionsprozesse emissionsärmer zu gestalten. Mit dem Wiedereinzug von Donald Trump ins Weiße Haus droht das Momentum jedoch ins Stocken zu geraten. "Da viele Förderprogramme auf der Kippe stehen und Investitionsanreize wegfallen könnten, wächst in der Branche die Unsicherheit", sagt Siegmar Pohl, der als Rechtsanwalt der Kanzlei Kilpatrick Townsend in San Francisco zu Fragen des IRA berät. Weiter unten im Text finden Sie das vollständige Interview mit dem Juristen.
Emissionsarmer Ammoniak: Viel geplant, aber was wird gebaut?
Besonders betroffen ist der Boom für emissionsarmen Ammoniak, welcher die USA in den vergangenen Jahren erfasst hat. Der Informationsdienst Oil & Gas Watch meldete Ende 2024 insgesamt 38 geplante Projekte, die bis 2030 eine Produktionsleistung von etwa 60 Millionen Tonnen pro Jahr erreichen könnten. Damit würde sich die derzeitige Kapazität für Ammoniak von jährlich 21 Millionen Tonnen fast vervierfachen. Bei der Herstellung von Ammoniak wird bislang vor allem aus Erdgas gewonnener Wasserstoff verwendet, der mit Stickstoff vermischt wird.
Um diesen Prozess emissionsärmer zu gestalten, setzen rund zwei Drittel der geplanten Anlagen auf die Kohlendioxid(CO2)-Abscheidung und -Speicherung (CCS). Dadurch entsteht blauer Wasserstoff, womit sich diese Technologie als zentrale Säule der Dekarbonisierungsstrategie etabliert. Großzügige Steuergutschriften wirken dabei als entscheidender Anreiz (Section 45Q Tax Credit). Laut IRA beläuft sich der Steuerbonus auf bis zu 85 US-Dollar (US$) für jede Tonne CO2, die durch CCS eingespart wird. Außer für Ammoniak bieten sich dadurch auch Anreize für die Herstellung von blauem Methanol, das als Basis für synthetische Kraftstoffe dient.
Export als lukratives Geschäft – mit einem großen "aber"
Viele Projektentwickler wollen die mit Hilfe von CCS hergestellten Erzeugnisse nach Japan, Südkorea oder Europa verschiffen. Ein Beispiel dafür ist die australische Firma Woodside Energy mit dem bereits fortgeschrittenen Projekt Beaumont New Ammonia in Texas. Die sich im Bau befindliche Anlage soll ab 2026 jährlich rund 1,1 Millionen Tonnen emissionsarmen Ammoniak produzieren. Noch 2026 könnte die finale Investitionsentscheidung für die zweite Phase des Vorhabens fallen, welche eine Verdoppelung der Kapazität vorsieht.
Woodside Energy will von europäischen Emissionsmechanismen profitieren. Dazu zählen das Emission Trading System (ETS) und der EU-Grenzausgleichsmechanismus Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM), der den CO2-Preis zwischen heimischen Produkten und Importen ausgleicht. "Da der CBAM ab 2026 schrittweise eingeführt wird, dürfte die Nachfrage nach kohlenstoffarmen Produkten in Europa steigen", so Siegmar Pohl. Mit einem geschätzten CO2-Fußabdruck von 0,8 Tonnen pro Tonne Ammoniak liegt das Beaumont-Projekt innerhalb der EU-Benchmarks, was den Marktzugang erleichtert.
Der mögliche Exportboom ist jedoch alles andere als sicher. Denn zahlreiche Experten sind sich einig, dass viele geplante Projekte scheitern würden, falls die Förderung durch den IRA wegfällt. Ohne die üppigen Steuergutschriften wäre blauer Ammoniak auf dem internationalen Markt weniger wettbewerbsfähig. Viele Unternehmen lobbyieren deshalb dafür, dass die IRA-Förderung auch unter der Trump-Regierung erhalten bleibt. Da die meisten CCS-Projekte in republikanischen Bundesstaaten wie Texas oder Louisiana angesiedelt sind, wird dabei auch gezielt um die dortigen Gouverneure und Kongressabgeordneten geworben.
Auch grüner Wasserstoff leidet unter regulatorischer Unsicherheit
CCS-Projekte sind eng mit den von Trump bevorzugten fossilen Energien verknüpft, deshalb sind die Chancen für eine Beibehaltung der Förderung noch vergleichsweise gut. Ungewisser ist hingegen die Zukunft der ebenfalls im IRA verankerten Förderung von kohlenstoffarmem Wasserstoff (H2).
Für jedes produzierte Kilogramm H2 kann eine Steuergutschrift von bis zu 3 US$ (Section 45V Tax Credit) gewährt werden. Die maximale Förderung gibt es, wenn pro Kilogramm H2 weniger als 0,45 kg an CO2-Emissionen anfallen. "Die Förderung ist technologieneutral, aufgrund der Ausgestaltung aber vor allem für Erzeuger von grünem Wasserstoff attraktiv", so Siegmar Pohl. Dabei setzen diese Projekte auf erneuerbare Energie, um H2 durch Elektrolyse zu erzeugen.
Laut dem U.S. Department of Energy (DOE) sind derzeit Projekte mit einer Elektrolysekapazität von mehr als 4,5 Gigawatt in Planung. Doch die Unsicherheit fordert ihren Preis. So hat Woodside Energy wegen unklarer Rahmenbedingungen für die Section 45V Tax Credits ihr H2OK-Projekt in Oklahoma vorerst auf Eis gelegt.
Und auch der unter der Biden-Regierung initiierte Aufbau von sieben großen H2-Hubs ist betroffen. Zwar haben alle Hubs eine feste Finanzierungszusage in Höhe von jeweils knapp 1 Milliarde US$ erhalten, doch bislang wurden nur erste Tranchen ausgezahlt. Wie viel von den zugesagten Mitteln unter Trump tatsächlich fließt, bleibt abzuwarten.
Für deutsche Unternehmen stehen Projekte und Aufträge auf dem Spiel
Wie sich die Rahmenbedingungen für Dekarbonisierungsvorhaben in der Chemie künftig gestalten, ist auch für deutsche Unternehmen von großer Bedeutung. Mit BASF und RWE sind zwei deutsche Größen selbst als Projektentwickler aktiv. BASF beispielsweise evaluiert gemeinsam mit Yara International aus Norwegen die Produktion von blauem Ammoniak an der US-Golfküste (geplante Kapazität: 1,4 Millionen Tonnen pro Jahr). RWE aus Essen ist zusammen mit der japanischen Mitsubishi (und Lotte Chemical aus Südkorea an einem vergleichbaren Projekt in Corpus Christi beteiligt.
Bei anderen Vorhaben sind deutsche Unternehmen Ausrüstungslieferanten. ThyssenKrupp Uhde ist Technologiepartner für das CCS-Projekt Blue Point Complex von CF Industries in Louisiana. MAN Energy Solutions erhielt den Auftrag für sechs Luftkompressorstränge für den Clean Energy Complex von Air Products ebenfalls in Louisiana. Siemens Energy soll Elektrolyseure mit einer Gesamtleistung von 1,8 Gigawatt für das Methanol-Projekt von HIF Global in Texas liefern.
Jurist Pohl zur Zukunft des Inflation Reduction Act (IRA)

Siegmar Pohl ist Partner bei der Kanzlei Kilpatrick Townsend in San Francisco. Der auf das transatlantische Geschäft spezialisierte Rechtsanwalt berät regelmäßig Unternehmen aus Sektoren wie Climate-Tech, Clean-Tech und erneuerbare Energien, wobei insbesondere auch Fragen zum IRA im Mittelpunkt stehen.
Der IRA hat viele klimafreundliche Investitionen angestoßen. Auf was müssen sich Unternehmen jetzt gefasst machen?
Viele Zuschussprogramme werden voraussichtlich entweder ganz zurückgenommen oder umgewidmet. Oft milliardenschwere staatliche Darlehensbürgschaften, wie sie beispielsweise das Loan Programs Office (LPO) des US-Energieministeriums (DOE) vergibt, werden wahrscheinlich umstrukturiert, dürften aber fortbestehen. Bestimmte Steuergutschriften für Investitionen in erneuerbare Energien könnten dagegen wegfallen, in der Laufzeit verkürzt oder restrukturiert werden. Insofern gibt es aktuell in der Branche viel Unsicherheit. Wir helfen deutschen Unternehmen derzeit damit, sich in Washington mit Hochdruck für den Erhalt einzelner Programme einzusetzen. Wir erwarten, dass sich die Aufregung in den nächsten Monaten legen wird. Die Budget and Tax Reconciliation Bills, welche der amerikanische Kongress im Frühjahr 2025 verabschieden will, dürften mehr Klarheit über den künftigen Rahmen der verschiedenen Förderprogramme schaffen.
Gibt es auch Teile des IRA, die relativ sicher sind?
Ja, unter anderem gilt der Teil der Section 45Q Tax Credit als vergleichsweise sicher, der Unternehmen Steuergutschriften für die Abscheidung und Nutzung von CO₂ gewährt (Carbon Capture and Usage, CCU). Die Regelung ist zu unterscheiden von der dauerhaften Speicherung von CO2 (CCS), sie wurde ursprünglich 2008 eingeführt und 2018 unter der ersten Trump-Regierung ausgeweitet. Mit dem Inflation Reduction Act von 2022 wurden die Anreize weiter erhöht – auf bis zu 60 US$ pro Tonne für die kommerzielle Nutzung von abgeschiedenem CO₂. Da diese Förderung über Parteigrenzen hinweg breite Unterstützung findet, ist eine vollständige Abschaffung eher unwahrscheinlich.