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Großbritanniens Nahrungsmittelindustrie will raus aus der Krise

Steigende Kosten und der Brexit machen der britischen Ernährungswirtschaft zu schaffen. Investitionen in Automatisierung und Nachhaltigkeit könnten den Weg in die Zukunft ebnen.

Von Leonie Schneiderhöhn | Bonn

Trotz hoher Umsätze steht die britische Nahrungsmittelbranche vor großen Hürden. Grund dafür sind neben dem Brexit die noch immer hohe Inflation, steigende Lohnkosten und die Energiepreiskrise. Im März 2023 wuchs die Inflationsrate für Nahrungsmittel und Getränke auf 19,2 Prozent im Vergleich zur Vorjahresperiode. So hoch war sie seit 45 Jahren nicht mehr. Zu den Produktgruppen, die besonders betroffen waren, zählten Milchprodukte, Mehl und andere Zerealien, sowie Öl und Zucker. Für Olivenöl stieg die Teuerungsrate sogar auf einen kurzzeitigen Höchstwert von 49,2 Prozent. 

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Es ist zu erwarten, dass für 2023 der Preisdruck für britische Verbraucher hoch bleibt, eine gesamtwirtschaftliche Rezession aber vermieden wird. Der Höhepunkt der Lebensmittelinflation sollte überschritten sein und sich nun verlangsamen. Die Nachwirkungen des Brexits und die gestiegenen Kosten machen sich jedoch inzwischen in der Stimmung der Unternehmen bemerkbar. Laut dem Fachverband für britische Lebensmittel- und Getränkehersteller FDF blicken die Produzenten überwiegend pessimistisch in die Zukunft.

Laut dem Office for National Statistics ist die Branche die am stärksten betroffene von Lieferkettenschwierigkeiten und den Preiserhöhungen. Mehr als 80 Prozent der Produzenten absorbieren einen Teil der Preiserhöhungen, um sie nicht an ihre Kunden weitergeben zu müssen. Karen Betts, CEO von FDF, erläutert dazu: "Dies wirkt sich auf die Gewinnspannen der Unternehmen und die Widerstandsfähigkeit unseres Sektors aus. Ein Rückgang der Investitionen ist die Folge und deutet auf eine besorgniserregende wirtschaftliche Entwicklung hin." Gemäß FDF ist die britische Ernährungswirtschaft der wichtigste Akteur in der verarbeitenden Industrie Großbritanniens.

Mehr Unterstützung durch die Regierung gewünscht

Zur Förderung der Industrie wurde von der britischen Regierung 2022 das "Energy Bill Relief Scheme" lanciert. Mit ihren relativ hohen Energiekosten war die Nahrungsmittelbranche ein wichtiger Profiteur dieser Initiative. So wurde das Programm auch von den Unternehmen positiv aufgenommen, erklärt Kate Nicholls, CEO vom Verband UK Hospitality. Die Subventionierung endete jedoch schon im März 2023 nach nur sechs Monaten Laufzeit.

Nach einem Report von FDF wünscht sich die Branche noch weitere Anschlussmaßnahmen, etwa in Form von Steuererleichterungen oder vergünstigter Kredite. Um in dem aktuell sehr schwierigen Marktumfeld zu bestehen, müsste sie eigentlich viel stärker in die Produktion investieren. Bedarf wird hier vor allem in den Bereichen Automation, effiziente Energienutzung und Produktentwicklung gesehen. Tatsächlich hat aber nach dem Bericht fast die Hälfte der Mitgliedsunternehmen ihre Investitionsprojekte infolge des Kostenanstiegs gekürzt oder auf Eis gelegt. Dies schmälert derzeit auch die Marktchancen für deutsche Lieferanten geeigneter Fertigungstechnik.

Drängender Fachkräftemangel in Nahrungsmittelindustrie

Der Mangel an Personal ist eine der größten Bremsen der Produktivität in der Branche. Im Sektor fehlen überwiegend hochqualifizierte Arbeitskräfte (z.B. Ingenieure, Wissenschaftler), technische Spezialisten (z.B. Lebensmitteltechniker) und Fertigungskräfte. Mit Blick auf den zunehmenden digitalen Wandel sind speziell geschulte Fachkräfte erforderlich. Auf der anderen Seite stellt dieser eine Chance dar, die durch Investitionen in Automatisierung genutzt werden könnte. 

Noch offene Fragen im Handel mit der EU

Das Investitionsklima im Nahrungsmittelsektor wird darüber hinaus auch durch politische Unsicherheiten und offene Fragen im Zusammenhang mit dem Brexit beeinträchtigt. Verbandsvertreter fordern die Regierung auf, endlich eine langfristige Strategie für den Handel mit der EU festzulegen. Diese ist für die örtlichen Produzenten nach wie vor der wichtigste Exportmarkt. So wollen laut einer Studie der britischen Unternehmensberatungsgesellschaft BDO immerhin 28 Prozent der befragten Unternehmen in den Märkten der EU expandieren.

Deutsche Exporte ins Königreich profitieren derweil vom neuen "Border Target Operating Model". Es soll die Einfuhr von Lebensmitteln nach Großbritannien ab Oktober 2023  vereinfachen. Im Jahr 2022 importierten die Briten Branchenwaren im Umfang von rund 65,2 Milliarden Euro - das sind 30 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Deutschland war dabei mit Lieferungen im Wert von etwa 4,6 Milliarden Euro das fünftwichtigste Bezugsland. Im Vergleich zum Vorjahr nahm das deutsche Exportvolumen nach Großbritannien in britischen Pfund Sterling um 26 Prozent zu.

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Unternehmen wollen nachhaltiger werden

Ein wichtiger Trend in der britischen Nahrungsmittelindustrie ist die stärkere Ausrichtung der Unternehmen auf Nachhaltigkeit. Laut einer Umfrage von BDO haben mehr als 55 Prozent der befragten Unternehmen angegeben, eine Strategie und Ziele für mehr Nachhaltigkeit beim Einkauf und Verkauf zu verfolgen. Sie sehen darin einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil.

Die zunehmende Bedeutung dieses Themas wurde auch auf der nationalen Messe IFE 2023 bestätigt, wo verschiedene Strategien in diesem Bereich vorgestellt wurden. Die Dekarbonisierung, der Umgang mit Plastik und Lebensmittelabfällen und die Optimierung der Kreislaufwirtschaft sind besonders wichtige Aktionsfelder, denen sich die britischen Nahrungsmittelproduzenten zukünftig widmen möchten. Tatsächlich ist fast ein Viertel der gesamten CO₂-Emissionen auf der Insel auf die Verschwendung von Lebensmitteln zurückzuführen. Der britische Verband für Tiefkühlprodukte, British Frozen Food Federation, betont die wachsende Bedeutung von Tiefkühlprodukten als Lösung für dieses Problem. 

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