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Die Digitalisierung des Gesundheitssystems ist bisher nur langsam vorangekommen. In der Coronakrise will die Regierung mit zusätzlichen Mitteln die Entwicklung beschleunigen.
29.09.2020
Von Peter Buerstedde | Paris
In Frankreich hat die Regierung mit einem Gesetz zur Umstrukturierung des Gesundheitssystems 2019 auch eine umfassende Strategie zur Digitalisierung des Gesundheitssystems und von Gesundheitsleistungen angenommen. Die Entwicklung war bisher aber erst langsam und uneinheitlich. Trotz Stärken in der Forschung und in der Verfügbarkeit zentralisierter Datensätze gibt es starke Datenschutzbedenken und Widerstände in der Ärzteschaft und in Gesundheitseinrichtungen.
Indikator | 2018 |
---|---|
Bevölkerungsgröße (Anfang 2020; in Mio.) | 67,1 |
Anzahl Ärzte pro 1.000 Einwohner | 3,4 |
Anzahl Krankenhausbetten pro 1.000 Einwohner (2017) | 6,0 |
Gesundheitsausgaben pro Kopf (in US$) | 4.965 |
Anteil der Haushalte mit Internetzugang (in %) | 82,4 |
Mobilfunknutzer/100 Einwohner (2019) | 95,0 |
Eine erste staatliche E-Health-Strategie war noch am Ende der vorangegangenen Amtsperiode 2016 lanciert worden. Darauf aufbauend hatte die Regierung unter Präsident Emmanuel Macron die Digitalisierung als eine von drei Hauptachsen in ihren Umstrukturierungsplan für den Gesundheitssektor ("Ma Santé 2022") aufgenommen. Der Plan ist im Juli 2019 als Gesetz verabschiedet worden.
Speziell für die Digitalisierung hat die Regierung im April 2019 einen Umsetzungsplan (Feuille de route "Accélérer le virage numérique") angenommen. Der Staat gibt den Rahmen (doctrine technique) vor für Interoperabilität, Sicherheit und Ethik digitaler Dienstleistungen und stellt Basisplattformen und -instrumente bereit. Diese umfassen die elektronische Patientenakte, das elektronische Rezept sowie sichere Plattformen für die Kommunikation zwischen Patient und Ärzten sowie für die Bereitstellung privater Angebote und den Zugang zu staatlichen Datenbanken. Die verschiedenen Elemente sind unterschiedlich weit entwickelt und verbreitet und zum Teil werden derzeit noch die Standards definiert.
Federführend ist das Gesundheitsministerium (Ministère des Solidarités et de la Santé) und dessen Arbeitsstab für Digitalisierung im Gesundheitswesen DNS (Délégation ministérielle du numérique en santé). Er ist für die Definition der Strategie zuständig und soll dem Ministerium jährlich einen Umsetzungsplan mit Budget präsentieren. Die DNS stellt einen digitalen Fragebogen (outil convergence) zur Verfügung, anhand dessen Firmen überprüfen können, inwiefern ihre Produkte mit den staatlichen Vorgaben übereinstimmen.
Die DNS überwacht die Arbeit der Digitalisierungsagentur im Gesundheitswesen ANS (Agence du numérique en santé), die für die technische Umsetzung der Plattformen verantwortlich ist. Sie definiert die technischen Standards für die oben genannten digitalen Plattformen und ihre Architektur. Für die Zulassung digitaler Dienste kommen wieder andere Akteure ins Spiel, wie die Oberste Gesundheitsbehörde HAS (Haute autorité de santé) oder die Sozialkasse Cnam (Caisse nationale de l'assurance maladie).
Vor der Coronakrise hatte die Regierung insgesamt 500 Millionen Euro für die Digitalisierung des staatlichen Gesundheitssektors bis 2022 veranschlagt. Mitte Juli 2020 präsentierte sie ein Maßnahmenpaket (Segur de la Santé) über 6 Milliarden Euro an Investitionsmitteln für Krankenhäuser. Davon sollen 2 Milliarden Euro über drei bis fünf Jahre für die Digitalisierung eingesetzt werden. Dabei werden 600 Millionen Euro über fünf Jahre in die digitale Ausrüstung von Pflegeeinrichtungen fließen und 1,4 Milliarden Euro in die Modernisierung und den Ausbau der verschiedenen digitalen Plattformen und Instrumente sowie deren Vernetzung.
Die Voraussetzungen für die Digitalisierung im Gesundheitssektor sind gut. Frankreich verfügt über eine gute Telekommunikationsinfrastruktur, auch wenn einige ländliche Gebiete noch über geringere Bandbreiten und eine zum Teil schlechte Abdeckung im Mobilfunk und im Festnetzinternet verfügen. Staatliche Förderprogramme sollen diese weißen Flecken in den kommenden Jahren zurückdrängen. 2019 verfügten 95 Prozent der Einwohner über ein Mobiltelefon (74 Prozent mit mobilem Internetzugang) und 86 Prozent über einen Festnetzzugang zum Internet. Nach Erhebungen des Statistikamts Insee von 2019 sehen sich 16,5 Prozent der Bevölkerung außer Stande, digitale Lösungen zu nutzen (illectronisme).
Bestimmungen zu Digital Health finden sich im Gesetzbuch zum öffentlichen Gesundheitswesen (Code de la santé publique), modifiziert durch das Gesetz zur Transformation des Gesundheitssektors "Ma Santé 2022" (Loi n° 2019-774) und vor allem dessen Titel III. Unternehmen oder Personen, die Gesundheitsdaten digital speichern wollen, müssen dafür eine Zertifizierung HDS (Hébergeurs de données de santé) erlangen.
insgesamt | Policy-Aktivität | Digital Health Readiness | tatsächliche Datennutzung |
---|---|---|---|
31,6 | 39,9 | 33,2 | 21,7 |
Die Digitale Patientenakte DMP (dossier médical partagé) und das digitale Rezept werden vom Staat als einheitliche Instrumente bereitgestellt. Nach einem Neustart Ende 2018 hat sich die Anzahl von DMP auf 9,3 Millionen mehr als vervierfacht.
Die DMP-Datenbank und -Plattform werden von einem Konsortium der französischen Firmen Atos und La Poste betrieben. Um den Health Data Hub schnell für KI-Anwendungen nutzbar zu machen, war Microsoft 2019 als Cloudanbieter ausgewählt worden. Nach Protesten aus dem französischen Cloudsektor hat die Regierung eine Ausschreibung angekündigt. Mittelfristig könnte die europäische Dateninfrastruktur Gaia-X eine Lösung bieten.
Plattformen | Erklärung | Stand/Umsetzungsfrist |
Espace Numérique de Santé (ENS) | Plattform für Patienten für Zugang zu digitalen auch privaten Gesundheitsangeboten | Januar 2022 |
Plateforme de bouquets de services comunicants | Plattform für Mitarbeiter im Gesundheitssektor für Zugang zu digitalen auch privaten Gesundheitsangeboten | Ende 2022 |
Health Data Hub | Plattform für staatliche Gesundheitsdatenbanken | Soll Zugang zu Daten für Anwendungen der Künstlichen Intelligenz (KI) ermöglichen; Im Aufbau |
Instrumente | Erklärung | Stand/Umsetzungsfrist |
Dossier Médical Partagé (DMP) | Elektronische Patientenakte | Nutzung seit 2018 forciert, Ziele 20 Mio. noch 2020 und 40 Mio. bis 2022 |
Messagerie sécurisée de santé (MSSanté) | Kommunikationssystem für den Austausch unter Mitarbeitern im Gesundheitssektor | In Nutzung. Einsatz wird ausgebaut. |
E-prescription | Elektronisches Rezept | Soll ab 2020 schrittweise bis 2022 Standard werden. Bisher Piloteinsatz in drei Départements. |
Services numériques territoriaux de coordinations de parcours (E-parcours) | Elektronische Behandlungsleitfäden zur Koordinierung unter verschiedenen Ärzten und Kliniken | Ende 2022 |
Eine große Herausforderung besteht darin, die Interoperabilität der Plattformen und Instrumente untereinander und mit der Vielzahl von Softwarelösungen, die in Krankenhäusern im Einsatz sind, sicherzustellen. Erschwerend kommt hinzu, dass Patienten und ihre Daten derzeit noch unter verschiedenen Identifikationsnummern erfasst werden. Ab Januar 2021 soll der Identifiant National de Santé (INS) genutzt werden, um eine eindeutige Zuordnung zu errmöglichen.
Als Hindernisse für die Digitalisierung gelten starke Datenschutzbedenken unter medizinischen Fachkräften und in der Bevölkerung sowie Probleme bei der Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten.
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