China dürfte als einziges G20-Land das Corona-Jahr mit einem Wirtschaftsplus abschließen. Es gibt aber Zweifel an den offiziellen Daten und die Verschuldung wächst. (Stand: 4. November 2020)
In China erholt sich die Wirtschaft schneller als erwartet und hat im 3. Quartal 2020 wieder stark an Fahrt aufgenommen. Nach dem Prinzip "First in – first out" ist China eines der wenigen Länder weltweit, dessen Wirtschaft im Corona-Krisenjahr 2020 wachsen dürfte.
Erstmals waren in der chinesischen Stadt Wuhan Ende 2019 Krankheitsfälle der bis dato unbekannten Lungenkrankheit Covid-19 aufgetreten. Von dort aus hatte sich der dafür verantwortliche Virus SARS-CoV-2 zunächst rasant in China sowie in den Folgemonaten weltweit ausgebreitet.
Mittlerweile hat sich das Epizentrum der Corona-Pandemie in die USA, nach Europa, Indien und Lateinamerika verlagert. Dagegen gelang es in China, die Zahl der Neuinfektionen mithilfe rigider Maßnahmen erfolgreich nach unten zu drücken. Inzwischen verzeichnet das Land nur noch wenige, lokal beschränkte Ausbrüche (wie zuletzt in Shandong und in Xinjiang im Oktober 2020).
Öffentliches Leben wieder fast wie vor Corona
Zu den ergriffenen Maßnahmen zählten drastische Quarantänebestimmungen im Verbund mit massiven Reise- und Transportbeschränkungen sowie die Schließung von Schulen und Universitäten, von Sport-, Kultur- und Freizeiteinrichtungen, von Restaurants und Geschäften. Während eine Reihe von Präventionsmaßnahmen weiterhin befolgt werden, hat sich der Alltag inzwischen vielfach wieder Vor-Corona-Zeiten angenähert. Präventionsmaßnahmen sind unter anderem Maskentragen in geschlossenen öffentlichen Räumen oder Transportmitteln, regelmäßiges Fiebermessen und die konsequente Nutzung von Gesundheits-Tracking-Apps per Mobiltelefon.
Mit anderen Worten: Schule findet wieder offline statt, die Restaurants sind voll und es wird auch wieder gerne gereist – zumindest im Inland, denn wer aus dem Ausland einreist, unterliegt einer strikten 14tägigen Quarantänepflicht.
Für die chinesische Regierung hing viel davon ab, die Krise zu meistern. Denn die wirtschaftliche und soziale Stabilität im Land zu erhalten, ist oberster Fokus ihrer Politik. Zwar spannte sie nach Erfahrungen aus der Weltfinanzkrise nicht den "großen Rettungsschirm für alle" auf, doch ergriff sie eine Vielzahl gezielter Einzelmaßnahmen, um Unternehmen und Konsum zu unterstützen.
Chinas Wirtschaft erholt sich schneller als erwartet
In der Folge wuchs das chinesische Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach dem historischen Einbruch zu Jahresbeginn im 3. Quartal 2020 um real 4,9 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode. Für die ersten drei Quartale 2020 ergibt sich ein Plus von 0,7 Prozent. Während die Weltwirtschaft 2020 laut Internationalem Währungsfonds IMF (International Monetary Fund) um 4,4 Prozent schrumpfen dürfte, ist China das einzige G20-Land, dass 2020 mit einem Zuwachs abschließt. Die Prognosen reichen von 1,9 Prozent (IWF) über 2,0 Prozent (Weltbank) bis 2,1 Prozent (UBS).
In China wird dieser Erfolg in erster Linie auf die Pandemiebekämpfung der Kommunistischen Partei und auf ihre Wirtschaftspolitik zurückgeführt. Im Jahr 2021 feiert diese ihren 100. Geburtstages. Analysten erwarten dann sogar ein Wirtschaftsplus (aufgrund der niedrigeren Basis 2020) von 7,5 Prozent (UBS) bis 8,2 Prozent (IWF).
Attraktivität Chinas für Auslandsinvestoren wächst
Vor diesem Hintergrund sehen viele ausländische Investoren China als sicheren Hafen – nicht allein die Nachfrage nach chinesischen Staatsanleihen hat stark zugenommen und dieser Trend dürfte weiter anhalten.
Darüber hinaus legten die ausländischen Direktinvestitionen laut chinesischen Handelsministerium MOFCOM (Ministry of Commerce) in den ersten neun Monaten 2020 um 5,2 Prozent im Jahresvergleich zu. Die gestiegene Nachfrage nach chinesischer Währung führte dazu, dass diese gegenüber dem US-Dollar seit dem Tiefpunkt am 27. Mai 2020 um 7 Prozent aufwertete. Es wird erwartet, dass sich auch dieser Trend weiter fortsetzt.
Statistische Tricks und steigende Verschuldung trüben das Bild
Doch wie immer lohnt sich der zweite Blick: Trotz aller Erfolge bei der Virusbekämpfung und dem offensichtlich gelungenen "Wiederanstoßen" der Wirtschaft wären die Zahlen etwas weniger rosig, hätte das nationale Statistikamt NBS (National Bureau of Statistics) nicht ein wenig "nachgeholfen".
Nach Recherchen der South China Morning Post bewirkte etwa eine Revision älterer Daten, dass die Investitionen in Anlagevermögen im September 2020 – anstelle eines Minus von 30 Prozent – ein Plus von 0,8 Prozent für die ersten neun Monate aufwiesen. Mit ähnlichem Effekt wurden die historischen Einzelhandelszahlen revidiert. Dem Bericht zufolge hätte das BIP bei Beibehaltung der alten Zahlen nicht ein Plus von 4,9 Prozent, sondern ein Minus von rund 5 Prozent aufgewiesen.
Darüber hinaus ist die Entwicklung in großem Umfang staatlichen Ausgaben – etwa für den Ausbau der Infrastruktur ("neue Infrastruktur") - zu verdanken. Auf Bruttoanlageinvestitionen entfielen im 3. Quartal 2020 über die Hälfte (52 Prozent) des Wachstums. Hiervon sowie von den weiterhin steigenden Immobilieninvestitionen profitierten speziell der Bausektor und ihm nachgelagerte Bereiche, so stieg der Stahlausstoß im September um 12,3 Prozent, die Zementproduktion legte um 6,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat zu.
Dabei geht es den Verantwortlichen oft in erster Linie um die kurzfristige Steigerung der aktuellen Wirtschaftszahlen, weniger um einen langfristig effizienten Mitteleinsatz. Mit anderen Worten: Die Produktivität solcher Investitionen ist rückläufig; zugleich hat die Verschuldung des öffentlichen Bereichs stark zugenommen – Tendenz steigend.
Ähnliches gilt für die Zunahme der Investitionen staatlicher Unternehmen. Durch ihren leichteren Zugang zu Finanzmitteln steigerten sie ihre Investitionen in den ersten neun Monaten 2020 um 4 Prozent; dagegen waren die Investitionen der Privatwirtschaft um 1,5 Prozent rückläufig.
Von Stefanie Schmitt
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Beijing