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Wirtschaftsumfeld
Special China Coronavirus
Chinas Wirtschaft produziert wieder über Vorkrisenniveau und profitiert dabei von anziehenden Exporten. Welche Branchen profitieren davon am meisten? (Stand: 12. November 2020)
Von Corinne Abele, Stefanie Schmitt | Shanghai, Beijing
Chinas produzierender Sektor konnte den Stillstand, den das Coronavirus zu Jahresbeginn 2020 verursachte, im 3. Quartal wieder wettmachen: für die ersten neun Monate wurde ein Plus von 1,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum verzeichnet. Überdurchschnittlich legte etwa der Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie zu (+10,1 Prozent), so das chinesische Ministerium für Industrie und Informationstechnologie MIIT (Ministry of Industry and Information Technology). Hierzu trug nicht zuletzt der forcierte Aufbau des 5G-Netzes bei.
Insgesamt profitierten die Hersteller auch vom Anziehen der Exporte. Denn während sich die Welt oft noch im Lockdown befand, standen Chinas Fabriken wieder bereit. Hoch war die Nachfrage aus dem Ausland nach Medizintechnik- und Pharmaprodukten, aber auch Konsumgütern. Zugleich wird das Anziehen der Importe (im September 2020 um unerwartete 13,8 Prozent) als weiteres Zeichen der Erholung der chinesischen Wirtschaft gewertet.
In Folge bewegt sich der Einkaufsmanagerindex (PMI) sowohl für das produzierende wie auch für das Dienstleistungsgewerbe mit 51,4 sowie 55,5 im Oktober 2020 wieder deutlich oberhalb des Wertes von 50. Der PMI gilt als Frühindikator für wirtschaftliche Aktivität und misst die Zuversicht bei Einkaufsmanagern anhand von Neubestellungen oder Produktionszahlen. Ein Wert von über 50 bedeutet eine Verbesserung der Wirtschaftslage im Vergleich zum Vormonat, ein Wert darunter eine Verschlechterung.
Dass der Optimismus dennoch verhalten ist, zeigt sich in der Investitionsentwicklung. Zwar berichten deutsche Maschinenbauer in China von zunächst aufgeschobenen Projekten, die jetzt wieder anliefen, von erhöhter Nachfrage aus der Kfz-Branche und hohem Bedarf nach Automationslösungen. Besonders im Bereich Intralogistik wird rasant modernisiert. Dennoch lagen in den ersten drei Quartalen 2020 die Anlageinvestitionen im Industriesektor um 3,4 Prozent und die Investitionen in Ausrüstungen (als Teil der Anlageinvestitionen) um 10,1 Prozent unter denen im Vorjahreszeitraum.
Einige Segmente weisen Sonderkonjunkturen auf: So bewirkt das Auslaufen der festen Einspeisetarife für Solarprojekte und Onshore-Windanlagen, sowie um ein Jahr verzögert für Offshore-Anlagen, eine erhöhte Nachfrage, um die Projekte noch fristgerecht für den Subventionserhalt ans Stromnetz zu bringen. Ebenfalls sorgte die auf den 1. Januar 2021 verschobene landesweite Einführung des Emissionsstandards 6 für leichte Nutzfahrzeuge für einen Verkaufsboom im Lkw-Segment. Auch staatlicherseits angekurbelte Bauprojekte von Eisenbahn- und U-Bahnstrecken kreieren vor allem seit Sommer 2020 wieder Impulse.
Besonders optimistisch ist derzeit das Dienstleistungsgewerbe, das von den Corona-Lockerungen profitiert und auf Konsum-Großereignisse wie den E-Commerce Singles Day am 11. November setzt.
Bislang hatte sich der Privatkonsum nur zaghaft entwickelt. Angesichts der trotz aller Propaganda unsicheren Zeiten und aufgrund stagnierender oder allenfalls leicht steigender Gehaltsentwicklungen agierten viele Verbraucher lieber vorsichtig. Das gilt speziell für die ärmeren Schichten, die in der Krise möglichst viel sparen. Dagegen sind Luxusmarken – ob im Bekleidungs- oder Automobilbereich – nach wie vor gefragt.
Der Tourismus erholt sich ebenfalls, wenngleich auch die Touristen sparsamer agieren. Während die Zahl der Reisen zum Nationalfeiertag (vom 1. bis 8. Oktober 2020) mit 637 Millionen registrierten Besuchen 82 Prozent des Vorjahresniveaus erreichte, lagen die Ausgaben für touristische Dienstleistungen nur bei 70 Prozent des Vorjahresniveaus, so Daten des chinesischen Ministerium für Kultur und Tourismus MCT (Ministry of Culture and Tourism).
Insgesamt schrauben die Bürger weniger dringliche Ausgaben zurück: So gingen beispielsweise die Ausgaben für Möbel in den ersten neun Monaten 2020 um 0,6 Prozent zurück, für Haushaltsgeräte um 0,5 Prozent und für Elektronikprodukte um 4,6 Prozent. Der Pkw-Absatz liegt sogar um 12,4 Prozent unter Vorjahresniveau, obwohl seit Mai wieder mehr Autos verkauft werden. Überdurchschnittlich gut schneidet das von deutschen Automobilbauern dominierte Premiumsegment ab; für die deutschen Hersteller wird China in der Krise noch wichtiger als zuvor. Das Handelsblatt formulierte daher: „Jetzt mutiert die Volksrepublik sogar zum Rettungsanker für eine ansonsten darbende Branche.“ Dabei geht in China der Umbau hin zur Elektromobilität weiter. Aber erst seit Juli 2020 werden wieder mehr Elektroautos verkauft.
Immerhin wuchsen die Einzelhandelsumsätze im September laut chinesischem Statistikamt NBS (National Bureau of Statistics) im Jahresvergleich wieder um 3,3 Prozent. Für viele Experten ist dies ein wichtiges Indiz, dass sich der Aufschwung etwas mehr ausbalanciert – und nicht allein auf forcierten Staatsausgaben und „auf Halde“ produzierenden Unternehmen fußt, wie dies noch zur Jahresmitte der Fall war.
Für die Nach-Corona-Zeit des Privatkonsums identifiziert Wie Jianguo, Vize-Vorsitzender des chinesischen Thinktanks China Center for International Economic Exchanges folgende Haupttrends: erstens eine stärkere Nachfrage nach Gesundheitswirtschaft (alle Formen körperlicher Ertüchtigung, insbesondere Yoga; Gesundheitsprodukte für Ältere), zweitens Kultur (Museen, Büchereien, Film, Unterhaltung), drittens eine stärker „bequemlichkeitsorientierte“ Nachfrage (Wechsel zwischen On- und Offline-Verkaufskanälen, auch Cross-Border-E-Commerce, mobiles Bezahlen, Big Data) sowie viertens eine stärkere Nachfrage nach individualisierten Erzeugnissen und Dienstleistungen.
Generell hat sich die Corona-Pandemie auf den Dienstleistungssektor sehr unterschiedlich ausgewirkt. Während der Gesamtsektor im 3. Quartal 2020 verglichen zum Vorjahresquartal um 4,3 Prozent wuchs, schrumpfte etwa die Nachfrage nach Gastronomie- und Hoteldiensten (-5,1 Prozent), während der IT-Sektor um starke 18,8 Prozent anzog.
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