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Die Lieferketten haben der Krise bisher weitgehend gut widerstanden. Die Rücknahme von Schutzmaßnahmen könnte aber zu einer Pleitewelle führen. (Stand: 24. Januar 2021)
Von Peter Buerstedde | Paris
In einer ersten Phase hatte die Corona-Epidemie bereits im Januar und Februar 2020 zum zeitweisen Ausfall chinesischer Zulieferungen geführt, die vor allem für die Elektronikindustrie wichtig sind. Der Elektronikverband Snese (Syndicat National des Entreprises de Sous-traitance Électronique) hatte Anfang März beklagt, dass 91 Prozent seiner Mitgliedsfirmen unter Versorgungsengpässen bei Mikrochips zu leiden hätten.
In einer zweiten Phase mit der Schließung nicht lebenswichtiger Geschäfte und einer Ausgangssperre ab Mitte März 2020 konnten systemrelevante Unternehmen, die den Betrieb in der Krise weitergeführt hatten, ihre Lieferketten weitgehend aufrechterhalten. Mit dem Stillstand anderer Wirtschaftsbereiche brachen aber hier die Lieferketten auseinander. Gleichzeitig kam es zu starken Engpässen bei Schutzmasken und -bekleidung für den Gesundheitssektor sowie bei bestimmten Medikamenten.
Mit Lockerungsmaßnahmen ab Mai 2020 hatten die meisten Betriebe die Arbeit wieder aufgenommen, allerdings meist mit geringerer Auslastung als vor der Krise. Lieferketten konnten vielfach wieder aufgenommen werden, da in wichtigen europäischen Partnerländern die Industrie ebenfalls wieder in Gang kam und staatliche Unterstützung wie Kreditgarantien und Kurzarbeit Pleitewellen verhindert hatten. Der Transportverband FNTR (Fédération nationale des transports routiers) hatte Mitte März 2020 ermittelt, dass 41 Prozent der Lkw seiner Mitgliedsfirmen im Einsatz waren. Ende Mai waren es 79 Prozent und im Juli 95 Prozent.
Zeitlich versetzte Schutzmaßnahmen in verschiedenen Ländern und die kräftige Erholung in Ostasien haben in der zweiten Jahreshälfte 2020 mitunter zu Verwerfungen in den Lieferketten geführt. So beklagten Verbände in Frankreich unter anderem Engpässe bei Kunststoffvorprodukten wie Granulaten oder bei Kfz-Teilen. Engpässe bei Elektronikchips für die Kfz-Industrie im Januar 2021, von denen die französischen Hersteller nach eigenen Angaben zunächst weitgehend verschont geblieben sind, gehen nicht direkt auf die Coronakrise, sondern auf den Handelskonflikt zwischen den USA und China zurück. Sie hängen aber auch zum Teil mit Engpässen im Containertransport zusammen, die wiederum in der starken wirtschaftlichen Erholung in Asien nach einem krisenbedingten Einbruch ihren Ursprung haben.
Die Unterstützungsmaßnahmen der Regierung haben in Frankreich wie in anderen Ländern Insolvenzen weitgehend verhindert. Deren Anzahl fiel 2020 um 38 Prozent gegenüber 2019. Allerdings sind Insolvenzen unter größeren Firmen in Frankreich (mit mehr als 50 Millionen Euro Jahresumsatz) 2020 angestiegen. Dies geht vor allem auf einige Modehäuser zurück, die bereits vor der Krise durch monatelange Streiks geschwächt waren, und 2020 in Konkurs gegangen sind.
Das Risiko besteht, dass es mit dem langsamen Auslaufen der Coronahilfen ab 2021 zu einer Pleitewelle kommt, die sich auch auf internationale Lieferketten auswirken könnte. Nach Analysen von Euler Hermes haben französische Firmen traditionell ein geringeres Gewinn- und Finanzpolster als andere europäische Firmen. Daher haben sie in der Krise auch in höherem Maße staatlich garantierte Kredite aufgenommen. Die ohnehin höhere Verschuldungsrate der Unternehmen mit Ausnahme des Finanzsektors stieg infolge der Krise von 73,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im 4. Quartal 2019 auf 84,8 Prozent im 2. Quartal 2020 und damit stärker als in anderen großen EU-Ländern. Die Regierung geht von einem Ausfall von 4 bis 7 Prozent der staatlich garantierten Kredite aus, obwohl die Rückzahlung bis auf sechs Jahre gestreckt werden kann.
In der Krise sind durch Lieferengpässe bei Schutzmaterial, Beatmungsgeräten und Medikamenten Themen wie die Relokalisierung von Industrien nach Frankreich in der öffentlichen Wahrnehmung wieder akut geworden. Als Teil der Konjunkturmaßnahmen versucht die Regierung in einigen Sektoren Wertschöpfungsketten im Inland zu bewahren und fördert auch aktiv Ansiedlungen von Industriebetrieben. Die Hilfspakete für die Automobilindustrie und den Luftfahrtsektor umfassen Fonds, um notleidende Zulieferer mit Liquidität zu versorgen.
Gleichzeitig hat der Staat 2020 als Teil des Konjunkturpakets France Relance über zahlreiche Projektaufrufe 710 Millionen Euro an Subventionen für den Aufbau von Produktionskapazitäten in Frankreich oder deren Digitalisierung und Robotisierung gewährt. Er nutzt dabei den befristeten Rahmen für Staatsbeihilfen der EU, der bis Ende Juni 2021 verlängert worden ist. Weitere Projektaufrufe sind geplant.
Anreize für eine Rückführung von Produktionskapazitäten könnten auch von Einkäufern ausgehen. In Umfragen des Beratungsunternehmens AgileBuyer gibt ein wachsender Anteil befragter Einkaufsmanager in Frankreich an, aufgrund der Coronakrise das Herkunftsland eines Teils ihrer Beschaffungen ändern zu wollen. Im Januar 2021 waren es 30 Prozent. Allerdings ist mit 77 Prozent Anfang 2021 auch der Anteil der Firmen wieder gestiegen, die eine Kostensenkung als oberste Priorität betrachten.
Als bevorzugte Herkunftsregionen bei einer möglichen Relokalisierung führen im Januar 2021 jeweils 77 Prozent der Firmen Frankreich oder Europa an, gegenüber 11 Prozent, die den amerikanischen Doppelkontinent angeben. Rund 9 Prozent haben Asien im Blick. Ziele sind bei 93 Prozent eine bessere Versorgungssicherheit, bei 51 Prozent geringere Umweltauswirkungen und bei 47 Prozent eine schnellere Lieferung.
Die AHK in Paris berichtet auf ihrer Internetseite zur Coronakrise über aktuelle Entwicklungen. Die Internetseite des Bundesinnenministeriums bietet Informationen zum Grenz- und Pendelverkehr zwischen Deutschland und Frankreich.