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Special Israel Coronavirus
Dass Israels Gesundheitswesen überholungsbedürftig ist, wurde lange ignoriert. Jetzt steht ein Investitionsschub ins Haus. Daraus könnten auch deutsche Unternehmen Nutzen ziehen. (Stand 11. Mai 2020)
Von Wladimir Struminski | Jerusalem
Das israelische Gesundheitswesen leidet seit vielen Jahren an ungenügenden Kapazitäten. Die Folgen sind überbelegte Krankenhausstationen, Patienten in den Korridoren, lange Wartezeiten auf einen Termin beim Facharzt, mangelnde staatliche Finanzierung für lebensrettende oder leidlindernde Medikamente. All das wird in der Öffentlichkeit immer wieder kritisiert, doch hat der Staat bisher für keinen angemessenen Ausbau des Gesundheitswesens gesorgt.
Auch die spezifischen Vorbereitungen auf eine Epidemie waren unzureichend. Zwar hat das Gesundheitsministerium bereits 2005 einen Plan für die Vorbereitung auf eine Pandemie unterbreitet, realisiert wurde er aber nicht.
Bei dem akuten Mangel an Krankenhausbetten – mit drei Betten je tausend Einwohner liegt Israel weit unter dem OECD-Durchschnitt – würde auch schon ein mittelstarker Zufluss hospitalisierungsbedürftiger Corona-Patienten die Krankenhäuser vor ein unlösbares Problem stellen. Das gilt auch für Betten auf Intensivstationen. Wie der Leiter der Intensivstation des Rambam-Krankenhauses in Haifa, Yaron Bar-Lavie gegenüber der Wirtschaftszeitung Globes erklärte, brauche Israel auch ohne die Betreuung von Corona-Kranken mindestens 600 Betten für die Intensivmedizin – statt der 300, die tatsächlich vorhanden seien.
So löste der Ausbruch der Corona-Krise erst einmal Panik aus. Für leichter Erkrankte wurden Hotels in Lazarette umfunktioniert. Krankenhäuser errichteten behelfsmäßige Corona-Stationen. Über allem schwebte die Angst, eine große Zahl von Schwerekrankten würde die Krankenhäuser überfordern.
Dazu kam es letztendlich nicht, jedenfalls nicht in der ersten Ansteckungswelle. Allerdings wurde dieser Erfolg mit enormen, aus den rigorosen Abschottungsmaßnahmen resultierenden Wirtschaftsschäden erkauft.
Wie ein israelischer Kommentator formulierte, verliere die Wirtschaft binnen kurzer Zeit Zehnmilliarden von Schekel (NIS, 1 US-Dollar = 3,60 NIS), weil die Regierung bisher mehrere Hundertmillionen Schekel pro Jahr an Etats für das Gesundheitswesen eingespart habe.
Erst einmal startete die Regierung Ende März ein Notbeschaffungsprogramm zur Bekämpfung der Corona-Krise. Dabei handelt es sich allerdings um Sofortmaßnahmen und nicht um eine grundlegende Aufwertung des Gesundheitswesens. Längerfristig ist aber davon auszugehen, dass die Krise dem Gesundheitswesen zu einer weitaus höheren politischen Priorität als bisher und deshalb auch längerfristig zu weitaus höheren staatlichen Investitionsmitteln verhelfen wird.
Nicht zuletzt müssen im ganzen Lande die bestehenden Krankenhäuser ausgebaut und in peripheren Regionen auch neue Hospitäler gebaut werden. Eine zu kurze Personaldecke behindert zudem die Arbeit der medizinischen Labors.
Große Defizite bestehen bei der Beschaffung von Medizintechnik und Medikamenten. Ihre Behebung hängt ebenfalls von der staatlichen Budgetierung ab, finanziert doch der Staat eine Palette von Arzneimitteln und Behandlungen, die jedem Einwohner zur Verfügung steht. Dieser sogenannte „Gesundheitskorb“ wird zwar jährlich erweitert, hält aber mit dem Bevölkerungswachstum, dem steigenden Seniorenanteil und der medizintechnologischen Entwicklung nicht Schritt. In der Folge erhalten Patienten ohne private Zusatzversicherung oft keine adäquate Betreuung.
Zudem hat Israel nicht nur zu wenige Ärzte; vielmehr ist deren Zahl auch rückläufig. Hinzu kommt eine Überalterung der Ärzteschaft. Ein Ausbau medizinischer Hochschulen ist deshalb dringend erforderlich.
Nach der Überwindung der Corona-Krise wird sich Israel erst einmal wirtschaftlich sortieren müssen. Die hohen Wirtschaftsverluste werden die Haushaltslage der Regierung zusätzlich erschweren. Indessen darf als sicher gelten, dass die Ausgaben für das Gesundheitswesen in den kommenden Jahren deutlich zunehmen werden.
Dabei würden sich auch ausländischen Partnern neue Geschäftsmöglichkeiten bieten, zumal sich der israelische Markt für Medizintechnik ebenso wie für Pharmaerzeugnisse größtenteils über die Einfuhr versorgt. Die Pharmaimporte lagen 2019 bei 2,8 Milliarden US-Dollar (US$), gegenüber 2,4 Milliarden US$ im Vorjahr, während sich die Einfuhr von Medizintechnik nach den jüngsten verfügbaren Angaben 2018 auf 900 Millionen US$ belief.
Deutsche Firmen sind auf dem israelischen Medizinmarkt gut aufgestellt. Im Jahr 2018 – so die jüngste Aufschlüsselung der Importe – entfielen auf Lieferungen aus der Bundesrepublik 471 Millionen US$ beziehungsweise 19,3 Prozent der israelischen Pharmaeinfuhr. Die Importe deutscher Produkte der Medizintechnik lagen 2018 bei 117 Millionen US$, was einem Importmarktanteil von 13 Prozent entsprach.
Noch ist nicht abzusehen, inwieweit Israel nach der Krise versuchen wird, seine Abhängigkeit von medizinischen Importen aus China abzubauen. Sollte es dazu kommen, würden sich anderen Lieferanten Chancen bieten, die dadurch entstehende Marktlücke für sich zu nutzen: Im Jahr 2018 lag der chinesische Anteil an Israels Importen von Medizintechnik bei 15,6 Prozent.
Weniger bedeutend wäre der Ersatz chinesischer Pharmaprodukte, da Israel diese kaum aus China bezieht. Im Jahr 2018 belief sich der chinesische Anteil am israelischen Importmarkt für Pharma auf lediglich 0,6 Prozent.