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Wirtschaftsumfeld
Special Norwegen Coronavirus
Die norwegische Wirtschaft schwächelt. Die Industrieinvestitionen sind deutlich zurückgegangen. Eine Trendumkehr ist nicht vor 2022 zu erwarten. (Stand: 25. Januar 2021)
Von Michał Woźniak | Stockholm
Von den drei skandinavischen Ländern meldet Norwegen die wenigsten Infektionsfälle und die niedrigste Sterberate in Verbindung mit dem Coronavirus. Der breite Lockdown im Frühjahr sowie der globale Wirtschaftsabschwung sorgten jedoch dafür, dass die Wirtschaft ins Stottern geriet.
Vor allem die ersten beiden Monate der Pandemie - März und April 2020 - sorgten laut dem norwegischen Statistikamt SSB für einen starken Einbruch der Wirtschaftsleistung. In den darauffolgenden Monaten konnte sich die norwegische Wirtschaft wieder fangen.
Nach einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 4 Prozent im 2. Quartal 2020 gegenüber dem gleichen Zeitraum 2019 wurde zwischen Juli und September 2020 nach Angaben des norwegischen Statistikamtes SSB nahezu das Niveau des Vorjahres erreicht. Berücksichtigt man nur die Festlandwirtschaft, ergibt sich allerdings ein nicht ganz so positives Bild: nach knapp -7 Prozent im 2. Quartal folgten -3 Prozent in den darauffolgenden drei Monaten. Ob der prognostizierte Zuwachs im letzten Quartal 2020 erreicht werden konnte, bleibt angesichts der seit November wieder strengeren Beschränkungen fraglich. Entsprechend wird der Rückgang der Wirtschaftsleistung im Gesamtjahr mehr als 3 Prozent betragen.
Immer ungewisser wird auch die noch im Frühherbst erwartete Erholung des BIP auf das Vorkrisenniveau von 2019. Die am 23. Januar 2021 eingeführten Maßnahmen im Zusammenhang mit der britischen Covid-19-Mutation hatte kaum ein Analyst auf der Rechnung. "Dies wird sich viel stärker auf die norwegische Wirtschaft auswirken als die Maßnahmen, die wir Anfang November gesehen haben. Jetzt ist es wahrscheinlich, dass wir einen schlechteren Start in das Jahr erleben werden, als wir es uns vor zwei Tagen vorgestellt hatten", kommentierte Kjersti Haugland, Chefvolkswirtin von DNB Markets gegenüber dem Wirtschaftsblatt Dagens Næringsliv. Immerhin: Die Wirtschaft und Unternehmen seien jetzt besser vorbereitet und ein Einbruch wie im Frühjahr des Vorjahres sollte sich nicht wiederholen.
Die wieder geltenden Schließungen im Handel und Freizeitbereich werden auf jeden Fall den Konsum weiter bremsen. Der nach dem Sommer 2020 sichtbar gewordene positive Trend drehte bereits im November wieder. Nach elf Monaten 2020 lagen die Konsumausgaben der Haushalte laut SSB nominell knapp 7 Prozent unter dem Niveau des gleichen Vorjahreszeitraums. Reduziert wurden Ausgaben für Dienstleistungen und Kraftfahrzeuge sowie die damit zusammenhängenden Kosten. Dagegen floriert der Nahrungsmittel-, Getränke- und Tabakhandel, der um etwa ein Zehntel mehr Umsatz gemacht hat als im Vorjahr.
Die Situation auf dem Arbeitsmarkt könnte den Privatverbrauch längerfristiger belasten als die Beschränkungen. "Wir haben 2020 im Durchschnitt pro Minute einen Antrag auf Arbeitslosenhilfe erhalten. Dies bedeutet, dass wir im vergangenen Jahr viermal so viele Anträge wie 2019 erhalten haben", sagt Hans Christian Holte, Chef der Behörde für Arbeit und Soziales NAV. Die Arbeitslosenquote lag im Dezember 2020 bei knapp unter 4 Prozent - über 1,5 Prozentpunkte über dem Wert des gleichen Vorjahresmonats.
Die norwegische Festlandindustrie musste ihre Arbeitsplätze nicht ganz so stark reduzieren. Zwischen Januar und November 2020 büßte die verarbeitende Industrie laut SSB 3,6 Prozent ihrer Vorjahresumsätze ein. Die Verluste betrafen ausschließlich das Auslandsgeschäft. Der Absatz auf dem Heimatmarkt blieb im Jahresvergleich unverändert.
Die größten Leidtragenden sind neben Erdgasförderern die Petrochemie, Straßen- und Luftfahrzeuganbieter, Druckereien und Maschinenbauer. Gut liefen zwischen Januar und November 2020 die Geschäfte mit Mode, Informations- und Kommunikationstechnologie sowie Nahrungsmitteln und Getränken.
Vor diesem Hintergrund überrascht die Entwicklung der Konkurse. Diese sanken in den ersten elf Monaten 2020 gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum um 11 Prozent. Einen Anstieg stellte SSB nur in der Hotel- und Gastwirtschaft, bei Finanzdienstleistern und Versicherungen sowie bei Bildungseinrichtungen fest. Finanzielle Engpässe scheinen durch die Hilfsmaßnahmen der Regierung bis jetzt also erfolgreich aufgefangen worden zu sein.
Allerdings befürchten einige Experten, dass das Konkursrecht, das öffentliche Schulden zuerst tilgt, sowie die umfangreichen Steuerstundungen, das Bild verzerren könnten. Laut Knut Ro, Anwalt und Vorsitzender des staatlichen Insolvenzrates, könnten sich private Gläubiger mit Insolvenzanträgen zurückhalten. "Jetzt während Corona und mit den Unternehmen, die einen großen Teil ihrer Einkommensbasis verloren haben, ist vielleicht der schlechteste Zeitpunkt, um Insolvenz anzumelden", sagte er gegenüber dem öffentlichen Medienkonsortium NRK.
Zumindest die verarbeitende Industrie scheint auch einen anderen Weg der Konkursvermeidung gefunden zu haben: Laut SSB hat sie im 2. und 3. Quartal ihre Investitionsausgaben im Vergleich zum gleichen Vorjahreszeitraum um nahezu 20 Prozent reduziert. Die Pläne für die letzten drei Monate des Jahres liegen um eine ähnliche Größenordnung unter dem Vorjahresniveau. Für das Gesamtjahr gehen sowohl die SSB-Experten, als auch die Norwegische Zentralbank von einem Investitionsrückgang in der Industrie im unteren zweistelligen Prozentbereich aus. Eine positive Entwicklung wird demnach nicht vor 2022 einsetzen.
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