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Wirtschaftsumfeld
Special Polen Wege aus der Coronakrise
Wege aus der CoronakriseDie negativen Auswirkungen der Coronakrise sind im Jahr 2020 geringer ausgefallen als ursprünglich befürchtet. (Stand: 17. März 2021)
Von Niklas Becker | Warschau
Das Infektionsgeschehen in Polen entwickelt sich im Frühjahr 2021 erneut sehr dynamisch, die Fallzahlen steigen wieder. Bereits im Herbst und Winter 2020 hatte Polen einer heftigen zweiten Infektionswelle mit Einschränkungen des Alltags- und Wirtschaftslebens begegnen müssen.
Die im Februar 2021 veröffentlichte Winterprognose der Kommission der Europäischen Union (EU) hat die Aussichten für Polens Wirtschaftswachstum 2021 gedämpft. Die Kommission erwartet ein reales Plus des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 3,1 Prozent, im Sommer war sie noch von 4,3 Prozent ausgegangen. Für 2022 prognostiziert die Kommission aber einen Zuwachs von 5,1 Prozent.
Aufgrund steigender Fallzahlen im Herbst 2020 und der damit verbundenen Einschränkungen hat Polens Wirtschaftsleistung im 4. Quartal 2020 erneut abgenommen. Laut einer ersten Schätzung des nationalen Statistikamtes GUS erwirtschaftete die polnische Volkswirtschaft im letzten Jahresviertel 2020 rund 2,8 Prozent weniger als im 4. Quartal 2019. Verschiedene Finanzinstitute hatten einen deutlich größeren Einbruch prognostiziert. Sie erwarteten einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von 4 bis 5 Prozent im 4. Quartal 2020.
Für das Gesamtjahr 2020 fielen die negativen wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise in Polen indes schwächer aus, als noch im Sommer befürchtet. GUS beziffert den Rückgang des polnischen BIP im Jahr 2020 in einer ersten Schätzung auf 2,8 Prozent. Im Sommer 2020 war die Europäische Kommission beispielsweise noch von einem Minus von 4,6 Prozent ausgegangen.
Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit hat sich vor allem auf den Dienstleistungssektor ausgewirkt. Geschäfte in den Einkaufszentren mussten vom 14. März bis zum 3. Mai 2020 schließen. Ausnahmen waren Lebensmittelläden, Drogerien und Apotheken. Wie GUS meldet, sind die Umsätze im Einzelhandel im April 2020 im Vergleich zum Vorjahr um fast 23 Prozent gefallen. Auch im Mai und Juni 2020 verzeichneten die Einzelhändler geringere Umsätze als im Vorjahreszeitraum.
Nachdem das 3. Quartal 2020 wieder Zuwächse im Vergleich zum Vorjahr beschert hatte, haben die Entwicklungen im Herbst und Winter 2020 die Branche abermals vor Herausforderungen gestellt. Zwischen dem 7. und 27. November 2020 galten für die in Polen so populären Einkaufszentren erneut Einschränkungen. Nur Lebensmittelgeschäfte, Drogerien, Apotheken, Baumärkte, Tierhandlungen und Zeitschriftenläden sowie Servicedienstleister durften öffnen.
Vom 28. Dezember 2020 bis zum 31. Januar 2021 musste sie ihre Türen ein drittes Mal schließen. Im März 2021 folgten dann wieder Einschränkungen. Nachdem davon zunächst nur Geschäfte in Woiwodschaften mit hohem Inzidenzwerten betroffen waren, müssen ab dem 20. März 2021 mit wenigen Ausnahmen wieder alle Einzelhändler in Einkaufszentren schließen.
Im Gesamtjahr 2020 setzte der polnische Einzelhandel 3,1 Prozent weniger um als 2019. Vor allem die Verkäufer von Textilien und Kleidung vermeldeten deutliche Rückgänge. Nur Geschäfte mit langlebigen Konsumgütern wie Möbel und elektronischen Geräten konnten 2020 einen Umsatzzuwachs im Vergleich zum Vorjahr verzeichnen.
Auch die Industrie im Land leidet unter der Coronakrise. Rund ein Viertel der Bruttowertschöpfung in Polen entfällt auf das verarbeitende Gewerbe. Im Frühjahr 2020 hatten einige Hersteller zeitweise ihre Produktion gestoppt. Die Industrieunternehmen verzeichneten im April 2020 einen Rückgang der verkauften Produktion im Vergleich zum Vorjahr um 24,6 Prozent.
In den Folgemonaten verbesserte sich die Situation schrittweise. Im Dezember 2020 registrierte GUS einen Zuwachs der Industrieproduktion im Jahresvergleich um 11,2 Prozent. Laut der Bank Pekao lag die Produktion damit exakt auf dem Vorkrisentrend.
Besonders stark getroffen hat die Coronakrise Polens Kfz-Sektor. Im April 2020 verzeichnete die Branche einen Produktionseinbruch von fast 80 Prozent. Bei Volkswagen in Poznań standen die Bänder beispielsweise für fünf Wochen still. Neben dem Schutz der Mitarbeiter haben das unsichere Absatzumfeld sowie volatile Lieferketten zu der Entscheidung geführt, berichtete der Autohersteller. Auch die vielen Kfz-Zulieferbetriebe waren vom Produktionsstopp betroffen.
Gemessen am Umsatz ist die Nahrungsmittelindustrie der größte Sektor des verarbeitenden Gewerbes in Polen. Er hat die Auswirkungen der Krise ebenfalls zu spüren bekommen. Ein Grund dafür sind die Schließungen von Restaurants - fast überall in Europa. Im Vergleich zu anderen Branchen zeigte sich die Nahrungsmittelindustrie aber bislang resistenter. Abzuwarten bleibt allerdings, wie sich die aktuellen Entwicklungen der Coronainfektionszahlen in Europa auf die Branche auswirken.
In der Chemieindustrie haben einige Hersteller von Chemikalien und chemischen Erzeugnissen sowie die Produzenten von Erdölraffinerieprodukten in den ersten neun Monaten 2020 trotz Krise ihre Investitionsausgaben deutlich gesteigert. Insbesondere einige staatliche Mineralölkonzerne führen große Investitionsvorhaben durch. Für 2021 haben die Firmen einen weiteren Zuwachs der Investitionsausgaben angekündigt.
Informationen zu weiteren Branchen in Polen finden Sie in unserem Branchencheck.
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