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Wirtschaftsumfeld
Special Russland Coronavirus
Die Viruspandemie bringt das russische Gesundheitswesen an seine Belastungsgrenze. Die Regierung erhöht die Gelder für Bettenkapazitäten, Medizintechnik und Personal. (Stand: 13. Januar 2021)
14.01.2021
Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau
Viele medizinische Einrichtungen in Russland waren schon vor Ausbruch der Coronavirus-Pandemie unterversorgt und überlastet, vor allem in den Regionen. Seit 2013 fielen rund 6.200 Stellen für Infektionsärzte und mehr als 100.000 Pflegestellen dem Rotstift zum Opfer. Viele Mediziner haben sich bei der Behandlung von Patienten selbst mit dem Coronavirus infiziert, weil geeignete Schutzausrüstung fehlt. Über 170 sind bereits verstorben. Um das Pflegepersonal zu unterstützen, müssen Medizinstudierende seit Ende April 2020 ein einmonatiges Pflichtpraktikum in Coronavirus-Krankenhäusern absolvieren.
Indikator | 2019 |
---|---|
Bevölkerungsgröße (in Mio.) | 146,7 |
Anteil der Bevölkerung über 65 Jahre (in Prozent) | 15 |
Anzahl Ärzte pro 1.000 Einwohner | 3,74 |
Anzahl Krankenhausbetten pro 1.000 Einwohner | 8,6 |
Gesundheitsausgaben pro Kopf (in Euro) | 356,5 |
Russland startet 2021 ein Programm zur Modernisierung der medizinischen Grundversorgung (Polikliniken, Notaufnahmen, Erste Hilfe-Stellen) für 800 Milliarden Rubel oder etwa 8,9 Milliarden Euro. Darüber hinaus beschloss die russische Regierung am 1. Dezember 2020 eine fünfjährige Strategie zur Entwicklung des Gesundheitswesens.
Die Coronavirus-Pandemie hat gezeigt, welche zusätzlichen Maßnahmen erforderlich sind, um die Qualität und Effizienz der medizinischen Versorgung in Russland zu verbessern und sicherzustellen, dass jeder Bürger rechtzeitig die erforderliche Behandlung erhält. Premierminister Michail Mischustin forderte die Regionen auf, die notwendigen Maßnahmen entschlossener zu ergreifen.
Bei Ausbruch der Coronapandemie hatte Präsident Putin am 8. April 2020 dem Gesundheitswesen Soforthilfen zugesagt - 412 Millionen Euro für die Erweiterung der Bettenzahl in Krankenhäusern und Infektionsstationen, 162 Millionen Euro für den Kauf von Medizintechnik, 125 Millionen Euro für zusätzliche Zahlungen an medizinisches Personal. Die Zahl der Krankenhausbetten für Coronavirus-Patienten konnte so 2020 mehr als vervierfacht werden - von 29.000 auf 130.000.
Zudem hatte die Regierung Ende April 2020 neun Hersteller von Medizintechnik und Medizinprodukten auf die Liste systemrelevanter Unternehmen genommen. Sie erhalten günstige Kredite zur Aufrechterhaltung ihres Geschäftsbetriebs.
Unternehmen | Schwerpunkte / Produkte | Region |
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Radiologie | Gebiet Belgorod | |
Röntgendiagnostik | Gebiet Moskau | |
Röntgendiagnostik | Moskau | |
Endoskopie- und Röntgengeräte | Gebiet Leningrad | |
Blutzuckermessgeräte | Moskau | |
Schutzmasken | Gebiet Iwanowo | |
Beatmungsgeräte, Pulsoximeter | Gebiet Swerdlowsk | |
Instrumente und Reagenzienkits für PCR-Studien | Moskau | |
Traumatologie, Orthopädie | Moskau |
Wegen der dramatisch steigenden Zahl von Infektionen mit dem Coronavirus wurden in Moskau neue Krankenhäuser errichtet. Mitte Mai 2020 waren bereits mehr als 40 temporäre Krankenhäuser mit mehr als 60.000 Betten fertiggestellt. Im März 2020 nahm in Kommunarka in Neu-Moskau eine neue Infektionsabteilung den Betrieb auf. Im April 2020 eröffnete in Woronowskoje im Gebiet Moskau ein in Schnellbauweise errichtetes Krankenhaus für Covid-19-Infizierte. Auch auf dem Ausstellungsgelände WDNCh, dem Messegelände Expocentre und im Kongresszentrum Sokolniki entstanden provisorische Kliniken. Daneben wurden Einkaufszentren, Ausstellungspavillons und Sporthallen zu Corona-Krankenhäusern umgebaut.
Russlands Industriebetriebe werden verstärkt zur Herstellung von medizinischer Schutzausrüstung herangezogen. Die Tagesproduktion von Schutzmasken konnte 2020 verzehnfacht werden - von 800.000 Stück zu Jahresbeginn auf 21 Millionen Stück bis Jahresende, so Manturow. Inzwischen reicht die heimische Produktion von Schutzmasken nahezu aus, um den Bedarf in Russland zu decken. Deshalb hat die russische Regierung bei öffentlichen Beschaffungen den Kauf von medizinischen Masken aus anderen Ländern als denen der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) bis zum 31. Dezember 2021 verboten.
Den größten Mangel gab es bei Beatmungsgeräten, in einigen Regionen besteht er bis heute fort. Der Industrieminister hatte die Herstellerfirmen angewiesen, die Produktion von monatlich 1.500 Einheiten im April 2020 auf 3.000 Stück bis Juni 2020 zu verdoppeln.
Ende März 2020 stellte die Regierung 87 Millionen Euro für den Kauf von 5.700 Geräten zur künstlichen Beatmung und zur extrakorporalen Membranoxygenisierung (ECMO) bereit. Im August 2020 erhielt Philips hat ein vorläufiges Roszdravnadzor-Registrierungszertifikat, das bis zum 1. Januar 2021 für den Import und den Betrieb von insgesamt 1300 CPAP-basierten Beatmungsgeräten in der Russischen Föderation galt.
Russland ist bei einer Reihe medizinischer Produkte auf Importe aus dem Ausland angewiesen. Bei Ausbruch der Coronapandemie im Frühjahr 2020 hatte die Regierung, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, die Einfuhrzölle für Arzneimittel und Medizinprodukte wie Beatmungsgeräte, Schutzanzüge und Covid-19-Tests bis zum 30. September 2020 auf Null gesetzt. Ein „grüner Korridor“ gewährleistete eine schnelle Zollabwicklung.
Zudem vereinfachte die russische Regierung im April 2020 das Registrierungsverfahren für 36 Medizinprodukte wie Beatmungsgeräte, Covid-19-Tests, Thermometer und Bypass-Systeme.
Auch die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) befreite wichtige medizinische Güter vom Einfuhrzoll. So konnten bis 30. Juni 2020 Waren von der „Liste kritischer Importgüter“ zollfrei importiert werden, darunter Arzneimittel und Medizinprodukte wie Endoskope, berührungslose Thermometer und mobile Desinfektionsgeräte. Außerdem erhob die EAWU bis 30. September 2020 keinen Einfuhrzoll auf Produkte, die zur Herstellung von Arzneimitteln oder für andere medizinische Zwecke verwendet werden, beispielsweise individuelle Schutzausrüstung, Thermobeutel, Folien zum hermetischen Verschließen von Fläschchen oder medizinische Gefriergeräte.
Mit den Erleichterungen ist es 2021 vorbei. Ab 1. Januar 2021 ist für alle importierten Medizinprodukte - mit Ausnahme von Software - eine Genehmigung der Aufsichtsbehörde Roszdravnadzor erforderlich. Eine Einfuhrgenehmigung von Roszdravnadzor ist auch erforderlich, wenn der Antragsteller registriert ist und sich in Russland befindet, aber die Medizinprodukte im Ausland hergestellt werden. Die Genehmigungen können nur elektronisch via Online-Formular beantragt werden. Dabei sind Details wie der Namen des Herstellers, Informationen zu den geplanten klinischen und technischen Studien sowie Kopien der erforderlichen Dokumente anzugeben.
Zwei neue Verordnungen vom 29. August 2020 geben der russischen Regierung das Recht, Preisobergrenzen für Arzneimittel und Medizinprodukte festzulegen im "Notfall oder wenn die Gefahr der Ausbreitung einer für andere gefährlichen Krankheit besteht" (drohende Epidemie) und bei einem "Preisanstieg um 30 Prozent oder mehr". Nach den neuen Vorschriften kann die Regierung maximale Verkaufspreise für Medizinprodukte und Arzneimittel festlegen, die nicht in der Liste der lebenswichtigen und -notwendigen Produkte enthalten sind, und in zwei Fällen die Aufschläge für Groß- und Einzelhandel für solche Waren begrenzen.
Die Regierung hat Anfang Mai 2020 das ursprünglich bis 1. Juni 2020 geltende Exportverbot für medizinische Schutzausrüstung aufgehoben. Dies betrifft allerdings nur Lieferungen in die Mitgliedstaaten der EAWU. Das EAWU-weite Ausfuhrverbot für Medizinprodukte in Drittländer bleibt weiterhin bestehen. Davon betroffen sind Hand- und Überschuhe, Desinfektionsmittel, Schutzanzüge, Atemschutzmasken, Schutzbrillen, medizinische Kittel, Bandagen und Watte.
Die landesweite Selbstquarantäne hat das Interesse an Telemedizin steigen lassen. Der Telemedizinanbieter DocDoc (gehört mehrheitlich der Sberbank) bietet seit Anfang April 2020 kostenlose Konsultationen zum Coronavirus für Patienten und Ärzte an. Auch der Versicherungsanbieter BestDoctor hat einen kostenlosen Telemedizindienst eingerichtet. Die staatliche Entwicklungsbank VEB.RF investiert rund 12,6 Millionen Euro in den Medizindienstleister "Doktor Rjadom", der neben der Behandlung in Kliniken auch Konsultationen über das Internet anbietet. Die Applikation "Lifetime+" ermöglicht es, Testergebnisse aus dem Labor online zu beziehen und mit einem Arzt zu besprechen. Mehr Informationen lesen Sie in den GTAI-Berichten "Nachfrage nach Telemedizin in Russland steigt" und "Digital Health in Russland".
Im April 2020 erlaubte die Regierung den Onlinehandel mit Arzneimitteln. Das gilt für rezeptfreie und zum Teil auch für verschreibungspflichtige Medikamente. Ausgenommen sind Narkotika, Psychopharmaka und bestimmte alkoholhaltige Mittel.
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