Die über den Sommer andauernde Erholung der Industrieproduktion ist ins Stocken geraten. Zulieferprobleme werden keine Rückverlagerungswelle auslösen. (Stand: 15. Januar 2021)
Anders als den Unternehmen in den meisten Ländern wurden der schwedischen Industrie 2020 keine Werkschließungen oder ähnlich schwerwiegende Maßnahmen aufgezwungen. Die Regierung appellierte lediglich an die Betriebe, so viele Mitarbeiter wie möglich von zu Hause aus arbeiten zu lassen. Außer den Kfz-Produzenten entschloss sich keine weitere Branche für breitangelegte Produktionsstopps.
Entsprechend ist das größte Problem der Firmen die niedrige Nachfrage. Im April und Mai 2020 meldeten auch zahlreiche Unternehmen Engpässe beim Personal. Dies dürfte auf die Appelle zurückzuführen sein, bei jeglichen Krankheitssymptomen zu Hause zu bleiben. Die durchaus präsenten Probleme mit Zulieferungen verringern sich kontinuierlich. Eine Ausnahme bilden Produzenten von Verbrauchsgütern. Hierfür könnte auch das Ausbleiben von Saisonarbeitern in der Landwirtschaft eine Rolle spielen.
Rückverlagerung unwahrscheinlich
Unter schwedischen Klein- und Mittelständlern wurden im Laufe der Krise drei Viertel der Unternehmen mit Unterbrechungen in den Lieferketten konfrontiert, ergab eine Umfrage der schwedischen Exportkreditagentur EKN. Jeder fünfte Unternehmer hatte laut eigenen Angaben sogar "massive Probleme". Dabei spielte die regionale Komponente eine untergeordnete Rolle. So kam es im Vergleich zu asiatischen Lieferanten bei europäischen Lieferanten nur unwesentlich seltener zu Lieferkettenengpässen. Eine breite Neuausrichtung von Lieferketten haben die Lieferschwierigkeiten nicht verursacht - nur jeweils etwa 5 Prozent der Befragten schwenkten auf schwedische Alternativen um oder sind auf der Suche nach solchen.
Die Kostenfrage dürfte der primäre Faktor sein, warum größere Veränderungen nicht zu erwarten sind, meint EKN's Chefvolkswirt Stefan Karlsson. "Selbst wenn die Lieferprobleme während der Coronapandemie groß waren, wird es meiner Meinung nach nicht zur Rückverlagerung der Produktion führen. Die schwedische Alternative ist selten wettbewerbsfähig, wenn überhaupt", sagte er. Die dortigen Exportunternehmen generierten viel größeren Mehrwert über Marke, Technologien und Standards, als die Herstellung selbst.
Nachfrage steigt nur langsam
Laut Angaben des schwedischen Statistikamtes SCB erholt sich die Auftragslage zunehmend. Nachdem das Produktionsvolumen der verarbeitenden Industrie im 2. Quartal 2020 etwa ein Sechstel unter dem Niveau des entsprechenden Vorjahreszeitraums lag, wiesen die Zahlen von September bis November annähernd Vorjahresniveau auf.
Prognose der Produktionsentwicklung (Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent *))
| 2020 | 2021 | 2022 |
---|
Unternehmenssektor | -3,2 | 3,6 | 4,1 |
Verarbeitende Industrie | -5,5 | 6,9 | 3,9 |
sonstige Warenindustrien | 0,8 | 1,1 | 3,0 |
Bauwirtschaft | 1,4 | 0,3 | 2,9 |
Dienstleistungssektor | -3,5 | 3,2 | 4,5 |
*) zu kostanten PreisenQuelle: Konjunkturinstitutet 2020
Die Kapazitätsauslastung der Industrie, die im 2. Quartal 2020 mit 82 Prozent den niedrigsten Wert seit über zehn Jahren erreichte, stieg im 3. Quartal auf knapp 87 Prozent. Damit blieb sie allerdings über 4 Prozentpunkte unter dem Wert des gleichen Vorjahreszeitraums. Einzig bei Schnelldrehern wurde von Jahr zu Jahr ein Zuwachs verzeichnet.
Die Umsätze in konstanten Preisen lagen nach elf Monaten 2020 um 6 Prozent unter dem Niveau des gleichen Vorjahreszeitraums. Besonders hart getroffen hat es die Kfz-Industrie, die nahezu ein Fünftel weniger einnahm. Umsatzeinbußen im zweistelligen Prozentbereich mussten ferner der Maschinenbau sowie Produzenten sonstiger Transportmittel verkraften.
Ungeachtet der Pandemie konnte der Chemie- und Pharmasektor nahezu 12 Prozent mehr umsetzen als im Vorjahreszeitraum. Der Bergbau legte in ähnlicher Größenordnung zu. Von dem Weg in Richtung "fossilfreies Schweden" und dem coronabedingten "Renovierungs- und Bastelsommer" profitierte auch die Holzindustrie, deren Umsatz in den ersten elf Monaten 2020 um nahezu 4 Prozent zulegte.
Dank kaum existierender Einschränkungen im täglichen Leben kamen auch große Teile des Einzelhandels gut durch das erste Coronajahr. Herbe Verluste gab es in zwei Bereichen: Laut dem Branchenverband Bil Sweden gingen die Pkw-Neuzulassungen im Jahr 2020 um 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. Der Anteil von Elektroautos hat sich im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht. Der Absatz von Nutzfahrzeugen sank um 40 Prozent. Einzig die Hersteller von Bussen konnten ihre Umsätze um 25 Prozent erhöhen.
Noch härter getroffen hat es die Modebranche, berichtet der Handelsverband Svensk Handel. Trotz gestiegener Onlineumsätze konnte die Branche kaum mehr als Vierfünftel ihrer 2019er Umsätze realisieren. Schuhverkäufe sanken sogar um 32 Prozent.
Investitionsrückgang kleiner als erwartet
Der noch Mitte 2020 prognostizierte Einbruch der Investitionen im zweistelligen Prozentbereich scheint laut neuesten Prognosen nicht ganz so stark auszufallen. Die Europäische Kommission beziffert in ihrer Herbstprognose den Rückgang der Bruttoanlageinvestitionen auf 3,4 Prozent, bei Maschinen- und Gerätekäufen liegt das Minus gar bei 11,5 Prozent.
Aus der vom SCB durchgeführten Investitionsumfrage geht hervor, dass sich 2020 vor allem die Petrochemie, der Metallsektor sowie der Groß- und Einzelhandel mit Investitionen zurückgehalten haben. In diesen Bereichen sind die Investitionen im Vergleich zum Vorjahr um 10 bis 25 Prozent gesunken. Deutlich mehr als 2019 haben der Umfrage zufolge der Bergbau, die Mode- und Möbelbranche sowie die Hersteller von Fahrzeugen jeglicher Art investiert, was angesichts des "grünen Wandels" in diesen Sektoren nachvollziehbar erscheint. Mehr investiert haben auch Kurier- und Lieferdienste, die Informations- und Kommunikationstechnologie sowie die Pharma- und die Nahrungsmittelbranche, dies zumindest teilweise coronabedingt.
Insgesamt gehen die meisten Wirtschaftsexperten davon aus, dass das Vorkrisenniveau bei den Bruttoanlageinvestitionen frühestens in der ersten Jahreshälfte 2022 erreicht werden kann. Maschinenkäufe dürften erst gegen Ende 2022 zu alter Stärke zurückfinden. Vielleicht wird hier aber eine von der Regierung angekündigte Steuerentlastung helfen können.
Einen Kurzausblick zu ausgewählten Branchen finden Sie in unserem Branchencheck.
Von Michał Woźniak
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Stockholm