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Wirtschaftsumfeld
Special | Tschechien | Coronavirus
Anfängliche Störungen in den Lieferketten haben sich gelegt. Kommt es international zu einer größeren Diversifizierung der Beschaffung, könnte Tschechien profitieren. (Stand: 16. Oktober 2020)
Von Miriam Neubert | Prag
Die Tschechische Republik gehört zu den offensten europäischen Volkswirtschaften. Allein die Summe des Außenhandels mit Waren lag gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2019 bei 122 Prozent. Da die Coronapandemie auf einen Schlag so viele wichtige Handelspartner getroffen hat, kann die international vernetzte tschechische Wirtschaft nur gesunden, wenn sich auch die Lage bei ihren ausländischen Abnehmern und Zulieferern wieder normalisiert. Deutschland steht da als wichtigster Handelspartner an erster Stelle.
Anders als in Spanien, Italien oder Frankreich hatte Tschechiens Regierung keine Corona-induzierten Produktionsverbote erlassen. Mit Ausnahme der Kraftfahrzeugindustrie, die wie in ganz Europa ihre Produktion für einige Wochen aus eigenen Stücken herunterfuhr (Ausnahmen Tatra Trucks, SOR Libchavy, Panav, Schwarzmüller), kamen aus anderen Branchen kaum Stillstandsmeldungen.
Schon Ende April 2020 begannen die Automobilindustrie und ihre Zulieferer wieder zu arbeiten. Vor dem zeitweisen Stillstand hatten viele Werke ihre Lager noch gefüllt, um bei neuen Abrufen gleich reagieren zu können. Ende Juni hieß es beim Verband der Automobilindustrie AutoSAP, dass die tschechischen Zulieferer ausgeglichen arbeiteten und auf die Produktionsausweitung der Endfertiger normal reagierten, ähnlich wie in der Situation vor der Krise.
Seither sind die Lieferketten kein Thema mehr. Die Beziehungen scheinen sich im Zuge der Normalisierung in China und in der Europäischen Union (EU) wieder einzuspielen. Kommt es zu einer Insolvenzwelle, könnte sich das punktuell ändern. Auch bleibt abzuwarten, wie sich die zweite Infektionswelle auswirkt, die Tschechien seit September besonders herausfordert.
Im Frühjahr aber war ein Teil der Firmen mit Lieferproblemen bei Teilen, Komponenten oder Rohstoffen und mit Logistikproblemen konfrontiert gewesen. Noch ist nicht klar, welche Lehren die Unternehmen aus dieser Zeit ziehen werden, ob sie Lieferketten verkürzen, gar Produktion zurückverlagern oder das Kostenargument überwiegen wird. Doch selbst wenn der Einkauf nur geografisch breiter aufgestellt wird, könnten Tschechiens Zulieferer davon profitieren.
Die tschechische Industriestruktur hat ihren Schwerpunkt in der Kraftfahrzeugproduktion, der Herstellung von Elektronik und Elektrotechnik sowie Metallherstellung und -verarbeitung. In diesen Branchen haben sich über die Jahre viele leistungsfähige Zulieferer angesiedelt, darunter ausländische Direktinvestoren. Sie hängen von Zulieferungen ab und sind selbst wichtige Zulieferer. Der Kreditversicherer Coface sieht im Fall einer Produktionsverlagerung nach Europa für die Tschechische Republik Potenzial in der elektrotechnischen Industrie, im Maschinenbau, der Chemieindustrie und der Logistik.
Die weltweiten Reaktionen auf das Virus haben gezeigt, wie schnell gewachsene Lieferbeziehungen gestört werden können. Geht es nach der Handelsbilanz des 1. Halbjahrs 2020, so ist China als zweitwichtigstes Lieferland bislang unbeschadet aus dem Coronastrudel hervorgegangen. Die tschechischen Einfuhren aus China nahmen nominal nach vorläufigen Angaben des Tschechischen Statistikamtes um 4,4 Prozent auf 12,1 Milliarden Euro zu. Das hat nur zum Teil mit den Schutzmaskeneinkäufen zu tun, die Tschechien dort tätigte und die vermutlich die Kategorie SITC 65893 (andere konfektionierte Waren aus Spinnstoffen) um 1.400 Prozent auf fast 300 Millionen Euro trieben. Auch die alles dominierende Kategorie Maschinen und Transportmittel blieb im Plus. Im selben Zeitraum sanken die Einfuhren aus Deutschland um über 15 Prozent auf 16,5 Milliarden Euro, darunter bei Maschinen und Transportmitteln um -15,8 Prozent.
Bezüglich des Ursprungslands der Ware war China laut dem Tschechischen Statistikamt 2019 zweitwichtigstes Lieferland nach Deutschland und vor Polen und der Slowakei. Der Großteil der Importe aus China betrifft mit 62 Prozent Informations- und Kommunikationstechnik und Teile. Auch elektrische Ausrüstungen, Maschinen und Vorerzeugnisse spielen eine große Rolle. Die Einfuhr von Spielzeug und Sportartikeln aus China war 2019 mit 508 Millionen Euro vom Wert her höher als die von Kraftfahrzeugen und Teilen. Letztere machten 356 Millionen Euro aus - davon knapp 220 Millionen Euro für Kfz-Teile und Zubehör. Dies entsprach 2 Prozent der insgesamt von Tschechien importierten Kfz-Teile.
Italien ist das fünftwichtigste Lieferland für Tschechien, Frankreich folgt auf Rang sechs. Während beide bei den Teilen für die Elektronikindustrie bei weitem nicht so wesentlich sind wie China, ist ihre Bedeutung bei Kfz-Teilen größer. Wichtigstes Lieferland von Kfz-Teilen bleibt Deutschland mit 4,1 Milliarden Euro und großem Abstand vor Polen (1,2 Milliarden Euro), Südkorea (0,9 Milliarden Euro) und der Slowakei (0,6 Milliarden Euro). Im 1. Halbjahr 2020 rutschten die Einkäufe aus allen wichtigen Lieferländern in der Kategorie um 30 und mehr Prozent ab.
Besonders eng sind Tschechiens Investitions- und Handelsbeziehungen mit Deutschland, das fast ein Drittel (2019: 32 Prozent) des tschechischen Güterexportwerts abnimmt. Entscheidend ist daher, dass dieser große Nachbarmarkt wieder zu sich kommt und in Tschechien gefertigte Komponenten nachfragt.
Hauptexportgüter nach Deutschland waren 2019 Kraftfahrzeuge und -teile der Kategorie SITC 78 (11,2 Milliarden Euro), wobei die Hälfte Komponenten und Teile betraf. Aus keinem Land importiert Deutschland so viele Kfz-Teile (SITC 784) wie aus der Tschechischen Republik. Unter den tschechischen Exporten folgen Vorerzeugnisse und Fertigerzeugnisse mit jeweils 7,9 Milliarden Euro, elektrische Ausrüstungen (6,5 Milliarden Euro), Datenverarbeitungsgeräte und Telekommunikationstechnik (je 4,6 Milliarden Euro) sowie Maschinen (SITC 71 bis 74: 7,4 Milliarden Euro).
Informationen zum Wirtschaftsstandort und zu den Rahmenbedingungen in der Tschechischen Republik bieten unter anderem die folgenden GTAI-Publikationen: |