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Tschechische RepublikKonjunktur / Coronavirus
Wirtschaftsumfeld
Special | Tschechien | Coronavirus
Tschechien stehen an der Virusfront die härtesten Wochen bevor. Bewegungen sind massiv reduziert, Geschäfte zu. Die Industrie darf arbeiten, muss aber testen. (Stand: 3. März 2021)
Von Miriam Neubert | Prag
Trotz eines seit Oktober 2020 anhaltenden Lockdown, der nur vor Weihnachten kurz unterbrochen worden war, steht das Land bei der 14-Tage-Inzidenz der Neuinfizierten in der Europäischen Union (EU) weiter an der Spitze. Neben der britischen Mutation des Virus verbreiten neue Varianten Unsicherheit. Der ununterbrochene Druck erschöpft das Gesundheitssystem. Es gibt zu wenig Personal und kaum noch freie Intensivbetten in den Krankenhäusern. Täglich informiert das Gesundheitsministerium über die Entwicklung in einer Übersicht zu den Covid-19-Erkrankungen in Tschechien.
Der seit dem 5. Oktober 2020 geltende Notstand musste wegen zunehmenden Widerstands im Parlament von der Regierung zweimal neu ausgerufen werden. Zuletzt war das am 26. Februar 2021 in buchstäblich letzter Minute der Fall, sodass die Antikrisenmaßnahmen aufrecht erhalten werden konnten. Um den drohenden Kollaps des Gesundheitssystems abzuwenden, gilt seit dem 1. März ein neues Aufgebot an mobilitätsreduzierenden Maßnahmen. Die Menschen sollen in ihrem Bezirk und am besten zu Hause bleiben. Läden, Restaurants, Dienstleister mit Ausnahme der Anbieter des definierten Grundbedarfs haben seit Weihnachten zu. Weitere mussten zum 1. März schließen (darunter Papierwaren-, Kinderkleidungs-, Nähbedarfhandel). Die aktuellen Regeln beschreibt die Regierungsverordnung 217 vom 26. Februar.
Obwohl sich Rufe nach einer befristeten Schließung der bislang nicht betroffenen Industriebetriebe mehren, hofft die Regierung, auf diesen Schritt verzichten zu können. Stattdessen müssen generell alle funktionierenden Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten ihre Belegschaft regelmäßig testen und Infizierte melden. Ob das logistisch klappt, wenn wöchentlich zusätzlich rund 2 Millionen Antigenschnelltests anfallen, bleibt abzuwarten. Erlaubt sind aber auch Selbsttests. Masken sind am Arbeitsplatz Pflicht. Aktuelle Maßnahmen zu den Tests und neue Entscheidungen finden sich beim Gesundheitsministerium.
Direkt und schwer getroffen haben der erste Lockdown im Frühjahr und der anhaltende zweite Lockdown seit Herbst das Dienstleistungsgewerbe. Dessen Umsätze sanken 2020 im Vergleich zum Vorjahr real und kalenderbereinigt um 12 Prozent. Besonders litten Luftfahrt (-69 Prozent), Reisebranche (-75 Prozent), Hotel- und Gaststättenwesen (-40 Prozent), Transport und Logistik (-13 Prozent). Vielen Unternehmen droht im nicht enden wollenden Lockdown die Luft auszugehen. Der Staat hält mit Hilfsprogrammen dagegen. Zu den Ausnahmen gehören angesichts des überbordenden E-Commerce die Post- und Kurierdienstleistungen (+13 Prozent). Die Umsätze bei den Informations- und Kommunikationsdienstleistungen (IKT) stagnierten.
Die Erholung stützt sich auf das verarbeitende Gewerbe. Es verzeichnet seit September 2020 im Vergleich zum Vorjahr wieder wachsende Umsätze. Doch konnte dies den Rückgang für das Gesamtjahr nicht wettmachen. Dieser hing vor allem mit dem wochenlangen selbstgewählten Stillstand der Autoindustrie in Tschechien und Europa im Frühjahr zusammen, was weitere Zulieferbranchen in Mitleidenschaft zog. Insgesamt fielen die Umsätze des verarbeitenden Gewerbes in laufenden Preisen um 7,5 Prozent. Nur Lebensmittelerzeuger und Arzneimittelhersteller standen besser da als 2019; die Erlöse der Papierindustrie stagnierten.
Der Eingang neuer Aufträge war im 4. Quartal 2020 in allen zwölf gemessenen Industriebranchen mit Ausnahme des Bekleidungssektors besser als ein Jahr zuvor. Dazu gehören neben der dominierenden Autoindustrie wichtige Branchen wie die Stahlerzeugung, Metallverarbeitung, Chemieindustrie, Elektronik, die Herstellung elektrischer Ausrüstungen und der Maschinenbau.
Im Baugewerbe ging die Produktion zurück. Doch kann sich die Branche 2021 auf ein stattliches Auftragspolster stützen.
Die Unternehmen haben gelernt, sich auf einen Betrieb mit Covid-Maßnahmen einzustellen. Das ergab im November eine Umfrage der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer (AHK Tschechien) unter 100 Mitgliedsunternehmen. Für das Gesamtjahr rechneten 68 Prozent der Unternehmen mit einem Umsatzrückgang. Im Frühjahr waren es noch 92 Prozent gewesen. Ein Teil spürte schon wieder Personalmangel.
Unter dem Anprall des Coronavirus ist das Bruttoinlandsprodukt 2020 um 5,6 Prozent zurückgegangen, wie vorläufige Zahlen des Statistikamtes zeigen. Im 3. Quartal begann die Industrie die Talsohle hinter sich zu lassen, gestützt vor allem durch die Auslandsnachfrage. Die Warenausfuhr nahm im 2. Halbjahr zu im Vergleich zum Vorjahr. Zusammen mit dem Staatsverbrauch unterstützte sie die wirtschaftliche Entwicklung. Hingegen stürzten die Anlageinvestitionen regelrecht ab (3. Quartal: -10,3 Prozent, 4. Quartal: -12,3 Prozent).
Auch das 1. Quartal 2021 steht unter dem Druck der neuen Mutationswelle. Für 2021 rechnet das Finanzministerium in seiner Januarprognose mit einem Zuwachs um real 3,1 Prozent. Die Tschechische Nationalbank geht von 2,2 Prozent aus.
2020 *) | 2021 | 2022 | |
---|---|---|---|
Bruttoinlandsprodukt | -5,6 | 3,1 | 3,4 |
Privater Konsum | -5,2 | 3,3 | 2,9 |
Bruttoanlageinvestitionen | -8,5 | 3,8 | 3,4 |
Exporte von Waren und Dienstleistungen | -6,0 | 4,7 | 5,7 |
Importe von Waren und Dienstleistungen | -6,1 | 5,3 | 5,8 |
Um die Folgen für die Wirtschaft abzufedern, hatte die Zentralbank gleich im Frühjahr 2020 den wichtigsten Leitzins (2-Wochen-Repo) in drei Schritten um 200 Basispunkte auf 0,25 Prozent gesenkt. Sie nahm seither keine weitere Veränderung vor.
Die Ausgangslage auf dem Arbeitsmarkt ist durch den langjährigen Fachkräftemangel geprägt. Kurzarbeitergeld hilft, Entlassungen zu verhindern. Die Erwerbslosenrate ist von 2,3 Prozent im April 2020 auf 3,2 Prozent im Dezember gestiegen.
Die Sonderseite zu Covid-19 der AHK Tschechien bietet Informationen zu allem, was sich im Land ändert und was deutsche Unternehmen beachten müssen. Weitere Informationen zur wirtschaftlichen Lage finden Sie in unserer Publikation Wirtschaftsausblick.
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