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Wirtschaftsumfeld
Special | Ungarn | Coronavirus
Unterfinanzierung und Fachkräfteflucht belasten Ungarns Gesundheitssystem. Die Regierung sieht sich für die Bekämpfung der Pandemie dennoch gut gerüstet. (Stand: 19. Januar 2021)
Von Waldemar Lichter | Budapest
Im internationalen Vergleich bekommt Ungarns Gesundheitssystem keine guten Noten. In Mittel- und Osteuropa liegt das Land in den meisten Ratings im untersten Bereich. Noch schlechter ist die Meinung der ungarischen Bürger über die Versorgung im öffentlichen Gesundheitssektor. Lange Wartezeiten, Korruption und ein steigender Anteil privat zu zahlender Behandlungskosten sorgen für schlechte Stimmung.
Indikator | Wert |
---|---|
Bevölkerungsgröße (2019; in Mio. Einwohner) | 9,7 |
Anteil der Bevölkerung über 65 Jahre (2019; in %) | 19,7 |
Anzahl Ärzte pro 1.000 Einwohner (2018) | 3,38 |
Anzahl Krankenhausbetten pro 1.000 Einwohner (2018) | 7,0 |
Gesundheitsausgaben pro Kopf (2019; in Euro) | 939 |
Im Ranking europäischer Gesundheitssysteme Euro Health Consumer Index (EHCI) belegte Ungarn 2018 den 33. Platz - von 35 Ländern. Dahinter rangieren nur Rumänien und Albanien. Ähnlich schnitt Ungarn beim Health Care Efficiency Rating von Bloomberg ab, wo es den letzten Platz in Mittel- und Osteuropa belegte. Schließlich platzierte auch die Bloomberg-Rangliste der gesündesten Länder der Welt Ungarn auf dem 48. Rang - im regionalen Vergleich ebenfalls einer der hintersten Tabellenplätze.
Auch die Europäische Kommission bewertet das ungarische Gesundheitssystem kritisch. Trotz einiger positiver Entwicklungen in den vergangenen Jahren gebe es noch viel zu beanstanden. Bei den Gesundheitsausgaben gemessen als Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) liege Ungarn unter dem Durchschnitt der Europäischen Union (EU). Es würden zu wenig Anstrengungen in Bezug auf Prävention und Vorsorge unternommen, heißt es.
Das System sei außerdem zu stark an Krankenhäusern orientiert. Bei einer Verringerung der Klinikstandorte hätten die verbliebenen Krankenhäuser besser finanziert und mit medizinischen Geräten ausgestattet werden können. So ist etwa die Ausstattung der ungarischen Gesundheitseinrichtungen mit hochwertiger Medizintechnik wie Magnetresonanzgeräten oder Computertomografen pro Kopf der Bevölkerung auf einem der niedrigsten Niveaus in der EU.
Insgesamt gilt Ungarns Gesundheitssystem als unterfinanziert. Viele Krankenhäuser sind chronisch verschuldet, das medizinische Personal unterbezahlt. Abwanderung ins Ausland macht dem Sektor schwer zu schaffen. Viele Ungarn müssen die Kosten ihrer Behandlungen selber tragen.
Ungeachtet der Schwächen - Premierminister Viktor Orbán sieht Ungarn gut auf eine Verschärfung der Pandemie vorbereitet. Die Materialbestände seien ausreichend, so Orbán. Zusätzliche Geräte und Ausrüstungen wurden beschafft.
Auch Orbáns Kanzleramtsminister Gergely Gulyás versicherte, dass das Gesundheitssystem auf einen Anstieg der Patientenzahlen vorbereitet sei. Ungarn verfüge schließlich über die höchste Zahl von Beatmungsgeräten pro 1 Million Einwohner in der EU und die dritthöchste Zahl von Krankenhaus- und Intensivbetten, so der Politiker. Auf die zweite Corona-Welle sei das Land deutlich besser vorbereitet gewesen, so sein Fazit.
Aus der Fachwelt waren dagegen kritische Stimmen zu vernehmen. Der Präsident der Ungarischen Ärztekammer (MOK), Gyula Kincses, beklagte im Frühjahr 2020, dass es kaum Ausrüstung zum Schutz der Beschäftigten des Gesundheitswesens gebe. Hinzu kommt auch das hohe Alter der Hausärzte, von denen mehr als die Hälfte über 60 Jahre alt ist. Es seien nicht die fehlenden Geräte, die das Gesundheitssystem zum Kollaps bringen könnten, sondern der Ausfall der Mitarbeiter, so der MOK-Experte.
Allerdings hat sich die Regierung bemüht, so viel Ressourcen im Kampf gegen das Virus zu mobilisieren, wie nur möglich. Dazu gehörte auch der Einsatz militärischer „Steuerungsgruppen“, also Vertreter der Streitkräfte in „lebenswichtigen Unternehmen“. Ihre Aufgabe war, diese zu beaufsichtigen und ihren reibungslosen Betrieb sicherzustellen. Solche Steuerungsgruppen wurden auch in Krankenhäuser entsandt.
Zu den rasch ergriffenen Maßnahmen gehörte der Bau eines Krankenhauses für Covid-19-Patienten in Kiskunhalas, das mit Ausrüstungen für künstliche Beatmung ausgestattet worden ist. Ein weiteres provisorisches Krankenhaus für 330 Patienten wurde auf dem Budapester Messegelände Hungexpo errichtet.
Um die Versorgung mit medizinischem Material zu sichern, hat die Regierung zusätzliche Gelder für die Beschaffung von Beatmungsgeräten, Masken, Gummihandschuhen und anderem medizinischen Bedarf zur Verfügung gestellt. Zahlreiche Sonderlieferungen, auch von Beatmungsgeräten, kamen aus China.
Mit dem Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 haben einige Unternehmen ihre Produktion teilweise auf medizinischen Bedarf ausgerichtet. So hat beispielsweise der Öl- und Gaskonzern MOL seine Schmierstoffanlage Mol Lub umgestellt und dort mit der Fertigung von täglich 50.000 Litern Desinfektionsmittel begonnen. Andere haben die Produktion von Schutzmasken aufgenommen.
Um das Land mit Ausrüstungen und medizinischem Verbrauchsmaterial besser zu versorgen und mittelfristig autarker zu werden, hat die Regierung ein Sonderprogramm zur Förderung einer entsprechenden Produktion in Ungarn selbst aufgelegt. Insgesamt stehen im Rahmen des Programms Fördermittel von umgerechnet über 140 Millionen Euro zur Verfügung. Zuschüsse wurden bereits für Vorhaben zur Produktion von Beatmungsgeräten, medizinischen Instrumenten, Luftfilteranlagen und Desinfektionsmitteln erteilt. Im Herbst 2020 hat die Firma Celitron Medical Technologies Kft. in Vác die Fertigung von Beatmungsgeräten aufgenommen.
Gefördert werden auch Forschung und Entwicklung sowie die Produktion von Medikamenten und Impfstoffen. Remdesivir, das bei Covid-19-Erkrankungen eingesetzt werden soll, wird vom Pharmakonzern Gedeon Richter hergestellt. Ein eigener Corona-Impfstoff soll von der Universität Debrecen und dem Nationalen Zentrum für öffentliche Gesundheit entwickelt werden. Beteiligt ist der einzige Impfstoffhersteller im Land, Fluart Innovative Vaccines Kft. (Pilisborosjenő).
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