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USALieferketten / Coronavirus
Wirtschaftsumfeld
Special USA Lieferketten
Die Krise hat US-Unternehmen zum Umdenken beim Lieferketten-Management gezwungen. Neue Technologien spielen dabei eine wichtige Rolle. (Stand: 11. Februar 2021)
Von Heiko Steinacher | San Francisco
Schon vor Ausbruch der Coronakrise ächzten viele US-Firmenkunden unter den Schutzzöllen Washingtons auf chinesische Bauteile und Komponenten. Nicht immer ließen sich die Mehrkosten auf die Endkunden komplett übertragen. Viele US-Elektronikfirmen haben bereits ihre Lieferketten aus China verlagert, meist nach Südostasien (siehe Artikel "Lachende Dritte?" Markets 1/20). Jedoch bezieht das US-Verarbeitungsgewerbe weiterhin viele Güter mittlerer Wertschöpfung aus China. Und auch der neue US-Präsident Joe Biden behält die unter seinem Vorgänger eingeführten Schutzzölle auf Produkte aus China vorerst bei.
Ihre Logistikketten und womöglich gar Produktionsstandorte hinterfragen Unternehmen seit Krisenausbruch erneut. Für neue Lösungen werden womöglich nicht vorrangig Kosten ausschlaggebend sein. Denn die Covid-19 Pandemie verursacht massive Verwerfungen, global wie regional. Kleine, stark spezialisierte Unternehmen, wie Produzenten komplexer, kritischer Industrieteile, spüren das am meisten.
Viele Unternehmen wollen ihre Sicherheitsbestände in den USA deutlich ausbauen: auf vier bis acht Wochen. Solche, die mit starken Nachfrageschwankungen zu kämpfen haben, suchen nach Möglichkeiten, Lagerraum mit anderen Kunden zu teilen, um dadurch Kosten zu reduzieren. Neue Lagerkapazitäten wollen die Unternehmen vor allem näher bei ihren Kunden aufbauen; große Zentrallager weit außerhalb städtischer Gebiete stehen weniger im Fokus.
Bei größeren Unternehmen wäre vorstellbar, dass sie die Produktion von Elektronik- und Kfz-Teilen künftig verstärkt in Länder wie Mexiko und Brasilien verlagern, je nachdem ob die Endmärkte in Nord- oder Südamerika liegen. Als Zentren für eine mögliche Rückverlagerung in die USA werden die Bundesstaaten Pennsylvania, Texas und Wisconsin genannt. Die Rolle des am 1. Juli 2020 in Kraft getretenen NAFTA-Nachfolgeabkommens USMCA (United States-Mexico-Canada-Agreement) hierbei speziell für die Kfz-Industrie hat GTAI in einem Webinar analysiert.
Für die Autobranche ist das neuartige Coronavirus ein besonders harter Einschnitt. Denn im Gegensatz zu früheren Krisen werden diesmal alle drei Weltmärkte – in rascher Folge erst China, dann Europa und die USA – stark erschüttert. Autokonzerne versuchen in dieser Situation, mehr Fahrzeuge per Direktvertrieb über das Internet zu verkaufen. Mit Auto-Konfiguratoren auf den Internetseiten der Hersteller lassen sich Wunschausstattungen bereits heute individuell zusammenstellen, sodass nur ein Zahlungsweg und ein Verfahren zur kontaktlosen Auslieferung gefunden werden muss.
Zwar unterbinden einige US-Bundesstaaten den Direktvertrieb von Autos bisher gesetzlich. Doch das Marktpotenzial ist groß. Darauf deuten zumindest neue, seit Ausbruch der Coronakrise gestartete, Online-Verkaufsprogramme hin, zum Beispiel bei Fiat Chrysler. Auch zusätzlich gewährte Anreize für Händler, die mehr Autos auf digitalem Wege verkaufen, und der Erfolg der Direktverkaufsplattform Carvana sprechen dafür.
Zwar setzen Reedereien seit September wieder mehr Schiffe ein. Doch entspannen sich die Seefrachtpreise wegen der parallel stark wachsenden Containernachfrage bislang nicht. Die Wartezeiten können in manchen US-Seehäfen durchaus zwei bis vier Wochen betragen. Ferner ist mit der Einstellung der Passagierdienste ein Großteil der Luftfrachtkapazität weggefallen. Auch wenn Airlines wieder mehr Frachtflüge aufnehmen, gibt es auf vielen immer noch nicht genug Platz, sodass die Preise für Luftfracht weiterhin deutlich höher sind als vor der Coronakrise. Stark betroffen ist davon neben der Computer- und Haushaltsgeräteindustrie auch der Maschinenbau.
Eine wesentlich größere Rolle als früher spielen seit der Krise Informationen, mit denen sich frühzeitig Störungen oder schwache Glieder in Lieferketten aufspüren lassen; oder Echtzeitdaten zu Land-, See- und Luftfracht, um Lagerbestände besser kontrollieren zu können. Daher ist zu erwarten, dass Unternehmen mit globalen Logistikketten stärker auf linguistische Datenverarbeitung und Algorithmen für maschinelles Lernen setzen. Konzerne der Kfz-, Elektro- und Textilindustrie arbeiten dazu mit Softwareentwicklern zusammen. Das eröffnet auch neue Einfallstore für Cyberkriminalität.
In der Coronakrise sind die USA mehr denn je auf chinesische Lieferungen angewiesen, auf die seit Juli 2018 zum Teil US-Schutzzölle erhoben werden. Betroffen sind davon unter anderem Bestrahlungs- und elektromedizinische Geräte. Für besonders dringende Medizinprodukte – vor allem solche, die zur Behandlung von Corona-Patienten benötigt werden – stellt die Food and Drug Administration (FDA) Sondergenehmigungen (Emergency Use Authorizations - EUA) aus. Über aktuelle Sondermaßnahmen für Medizinprodukte und Arzneimittel informiert die FDA in einem News-Service. Mitte November haben wir gemeinsam mit unserem US-Partner Alira Health über Herausforderungen und Chancen in der US-Gesundheitswirtschaft gesprochen: hier der Link zum Webinarmitschnitt.
Das Infektionsgeschehen hat sich in den USA zwar verlangsamt, doch bereiten die Virusmutationen den Gesundheitsbehörden große Sorgen. Viele US-Bundesstaaten haben längst damit begonnen, ihre Ausgangsbeschränkungen wieder zu lockern. So dürfen Geschäfte, Fabriken und Restaurants mancherorts unter Auflagen öffnen. Neben der Gefahr, dass das Virus in einem der Werke ausbrechen könnte (was seither auch bereits geschah und zu erneuten Produktionsstopps führte), muss die US-Industrie auch auf Unterbrechungen in der Teileversorgung gefasst sein, vor allem aus Mexiko.
Beruhigend für US-Verbraucher ist die weitgehend robuste Lebensmittelversorgung: Läden, denen an einem Tag Nahrungsmittel ausgehen, haben ein bis zwei Tage später wieder volle Regale.
Informationen zum Wirtschaftsstandort und zu den allgemeinen Rahmenbedingungen in den USA bieten unter anderem die folgenden GTAI-Publikationen: |