Vietnams Wirtschaft legt trotz Corona leicht zu. Die IKT- und auch die Elektronik-Branche könnten von der Krise profitieren. Der Tourismus leidet stark. (Stand: 8. Oktober 2020)
Die Covid-19-Pandemie führt in Vietnam trotz niedriger Infektionszahlen branchenübergreifend zu Umwälzungen. Die Wirtschaft des Landes konnte in den ersten drei Quartalen 2020 lediglich ein für vietnamesische Verhältnisse vergleichsweise niedriges Wirtschaftswachstum von 2,1 Prozent erzielen. Immerhin aber fiel das Land nicht wie andere Länder in eine Rezession.
Nach der zweiten Corona-Welle macht sich seit September 2020 wieder Optimismus breit. Im Juli und August war der Purchasing Managers Index (PMI) nach einem kurzen Aufschwung im Mai wieder unter die 50-Prozent-Marke in den Bereich der Kontraktion gefallen. Mit 52,2 Punkten aber erreichte der PMI-Index im September den besten Wert seit Juli 2019. Unternehmen berichten über steigende Auftragseingänge aus dem In- und Ausland und vertrauen auf die Beherrschbarkeit des Virus im Land.
Dennoch bleibt das Geschäftsumfeld schwierig. Eine nach wie vor schwache internationale Nachfrage und praktische Einschränkungen wie die Unmöglichkeit internationaler Geschäftsreisen erschweren die Gewinnung neuer, vor allem internationaler Aufträge.
Dienstleistungssektor kämpft mit Corona
Während die herstellende Industrie im Land wieder weitestgehend im Normalmodus arbeitet, leiden weite Bereiche des Dienstleistungssektors.
Die Tourismusindustrie ist hart getroffen. Reisedienstleistungen brachen in den ersten neun Monaten des Jahres 2020 nach Angaben des vietnamesischen Statistikamtes um 56 Prozent ein. Ausländische Touristen dürfen nicht nach Vietnam einreisen. Zwar zog zumindest der inländische Reiseverkehr seit Anfang Mai wieder an. Der erneute Corona-Ausbruch Ende Juli aber traf mit Danang, einer aufstrebenden Ferienregion am südchinesischem Meer, ausgerechnet ein Zentrum des vietnamesischen Tourismus. 80.000 Urlauber wurden in einer Hauruck-Aktion zwischen dem 25. und 27. Juli aus der Millionenstadt in ihre Wohnorte zurückgebracht. Damit fand auch die inländische Hauptreisesaison ein plötzliches Ende. Viele gerade der kleineren Tourismusunternehmen, die auf Erholung hofften, stehen erneut vor dem Nichts.
Der Sektor, der 2018 dem Kulturministerium zufolge gut 8 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beitrug, wird wohl erst wieder Vorkrisenniveau erreichen, wenn die Pandemie - sei es aufgrund eines Impfstoffes oder wirksamer Medikamente - beherrschbar wird. Nur in diesem Fall werden ausländische Touristen, insbesondere aus Korea und China, wieder das Land bereisen können und auch wollen.
Der Einzelhandel hat sich nach dem Lockdown-bedingten Einbruch im April wieder erholt. In den ersten drei Quartalen 2020 legte der Einzelhandelsumsatz sogar um nominal 4,8 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu.
Textilunternehmen satteln um
Der Produktionsbereich ist bislang weniger von der Krise betroffen. Nach Aufhebung des Lockdowns hat ein Großteil der Unternehmen die Produktion wieder hochgefahren, soweit es die Auftragslage gestattet.
Insbesondere Unternehmen der Schuh- und Bekleidungsindustrie aber klagen über bedeutende Umsatzeinbußen und Auftragsausfälle. Textilunternehmen erweitern die Produktion um die Herstellung von weltweit dringend nachgefragten Schutzmasken und versuchen so, ausbleibende oder stornierte Aufträge zu kompensieren. Laut Zeitungsberichten rechnet allein das größte Textilunternehmen des Landes, Vinatex, mit der Kündigung von 50.000 Mitarbeitern. In der Schuhproduktion kam es bereits zu den ersten großen Entlassungswellen.
Mittelfristig erwarten Branchenbeobachter eine Konsolidierungswelle in Sektoren, die in der Wertschöpfungskette eher am unteren Ende angesiedelt sind. Unternehmen in der Plastik- und Kautschukindustrie, aber auch in der Textilbranche sowie der Holz- und Möbelverarbeitung beginnen zu straucheln. Gerade kleine, wenig effizient arbeitende und finanziell schwach aufgestellte Unternehmen werden Schwierigkeiten haben, eine sinkende nationale und internationale Nachfrage zu kompensieren. Dies dürfte den Weg frei machen für technologisch, finanziell und unternehmerisch besser aufgestellte Unternehmen.
Ausländische Elektronikunternehmen erwägen Umsiedlung nach Vietnam
Die Elektronik- und Zulieferindustrie des Landes könnte einer der Gewinner der Krise werden. Vertreter von Industrieparks im Norden Vietnams berichten, dass große internationale Unternehmen und deren Zulieferer sich mit Hochdruck neue Standbeine jenseits ihrer Produktion in China suchen.
Für japanische Unternehmen, bereits jetzt einer der wichtigsten Investoren im Land, ist eine Auslagerung der Produktion aus China heraus eine besonders attraktive Option. So kündigte die japanische Regierung Anfang April 2020 an, Umsiedlungen japanischer Unternehmen zurück nach Japan oder in einen der zehn Staaten der ASEAN-Staatengemeinschaft finanziell zu unterstützen. Am 17. Juli veröffentlichte die Japan External Trade Organization (JETRO) eine Liste der ersten 30 für eine Förderung ausgewählten Unternehmen. Genau die Hälfte plant eine Ansiedlung in Vietnam, darunter Unternehmen aus den Bereichen Elektronik, Automobilzulieferung, Medizintechnik und Chemie.
Der IKT- Bereich hat durch die Krise an Dynamik gewonnen. Home Office, Sicherheitsabstände in der Produktion und Reisebeschränkungen machen Internet of Things und Industrie 4.0-Lösungen wie Fernwartung, flexible Produktion und 3D-Druck von Ersatzteilen und Komponenten auch attraktiv für Unternehmen, die bislang entsprechende Investitionen scheuten.
Einige große und mittlere Unternehmen, so berichten Brancheninsider, denken über eine Digitalisierung von Unternehmensprozessen wie Personalverwaltung, Einkauf und Vertrieb nach, um mittelfristig kostenoptimierter arbeiten zu können. Inwieweit sich eine Digitalisierung von Unternehmensverwaltung und Produktion durchsetzen kann, wird aber erheblich davon abhängen, wie die Unternehmen es finanziell durch die Krise schaffen.
Von Frauke Schmitz-Bauerdick
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