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Wirtschaftsumfeld
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Wirtschaftsausblick I Armenien
Die armenische Wirtschaft wird ihr Wachstum wahrscheinlich auch im Jahr 2024 fortsetzen. Haupttreiber sind Konsum und Investitionen. Für deutsche Unternehmen tun sich Nischen auf.
30.10.2023
Von Uwe Strohbach | Eriwan
Armenien ist zum Ziel zehntausender Russen geworden, die die Kassen der Händler und Dienstleister im Land klingeln lassen. Der Nettozufluss privater Geldtransfers nach Armenien summierte sich 2022 auf 2,6 Milliarden US-Dollar (US$). Das entspricht fast einem Fünftel der Wirtschaftsleistung des Landes, sodass die Gelder mittlerweile zu einem entscheidenden Wirtschaftsfaktor geworden sind. Im 1. Halbjahr 2023 flossen weitere 900 Millionen US$ nach Armenien.
Die meisten Überweisungen stammen aus Russland. Im Jahr 2022 wurden rund 2.500 Firmen mit russischem Kapital gegründet und circa 4.000 russische individuelle Unternehmer registriert. Ein Teil der Steuermehreinnahmen fließt in öffentliche Investitionen, mit denen die Infrastruktur modernisiert und ausgebaut wird.
Die Regierung Armeniens erwartet für 2024 ein Wirtschaftswachstum von bis zu 7 Prozent. Geberbanken wie die Weltbank, die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und die Eurasische Entwicklungsbank sind in ihren Prognosen vorsichtiger und rechnen mit einer Zunahme um 5 Prozent. Die Konjunkturaussichten können sich angesichts hoher Zuwächse in den Vorjahren sehen lassen. Angetrieben wird der Wirtschaftsmotor durch:
Schwierig bleibt das geopolitische Umfeld des Landes. Nachdem Aserbaidschan die Konfliktregion Berg-Karabach erobert hatte, floh fast die gesamte angestammte Bevölkerung nach Armenien. Das stellt eine große Herausforderung für das kleine Land dar. Die weiterhin geschlossene Grenze zur Türkei behindert Armenien zudem, sich als attraktiver Wirtschaftspartner im Südkaukasus zu positionieren.
Bild vergrößernDie Investitionsbereitschaft steigt 2023 und 2024 durch Mehrausgaben für die öffentlichen Sektoren Straßen, Wasser/Bewässerung, Bildung und Gesundheit sowie eine verstärkte Förderung kleiner und mittlerer privater Unternehmen sowie des Agrarsektors. Damit setzt sich der Trend bei den Bruttoanlageinvestitionen fort, die zwischen 2020 und 2022 auf 4 Milliarden US$ anwuchsen und sich damit fast verdoppelten.
Der Anteil der Investitionen am Bruttoinlandsprodukt insgesamt soll bis 2025 um mehrere Prozentpunkte auf 25 Prozent steigen. Die Investitionsbelebung fußt zu einem erheblichen Teil auch auf mehr internationalen Finanzierungen und ausländischen Direktinvestitionen. Letztere betrugen zwischen Januar und September 2023 etwa 783 Millionen US$ und damit 43 Prozent mehr als in der Vorjahresperiode.
Ohne Berücksichtigung der konsumfreudigen russischen Touristen und Exilanten verharrt der Privatverbrauch im Land weiterhin auf einem recht geringen Niveau. Hauptgründe hierfür sind die anhaltend hohe Armutsrate (circa 25 Prozent, inoffiziell bis zu 40 Prozent) und Arbeitslosenrate (circa 13 Prozent, inoffiziell bis zu 25 Prozent).
Die meisten Haushalte müssen bis zu zwei Drittel ihrer Einnahmen für Lebensmittel und weitere 25 Prozent für kommunale Dienste ausgeben. Für den Kauf von Nonfood-Gütern und die Inanspruchnahme von Dienstleistungen bleibt wenig Geld übrig. Das Dienstleistungsgewerbe, einschließlich des Einzelhandels, verspricht sich vor allem vom anziehenden Incoming-Tourismus zukünftig mehr Einnahmen. Im Jahr 2023 werden mehr als 2 Millionen Touristen erwartet, gegenüber 1,6 Millionen im Vor-Corona-Jahr 2019.
Ein- und Ausfuhren werden laut vorläufigen Zahlen im Jahr 2023 jeweils nominal um mehr als 50 Prozent zulegen. Treiber der breit gefächerten Einfuhren sind eine steigende Binnennachfrage, einschließlich wachsender Investitionen, sowie Mehrbezüge für den Reexport nach Russland. Die Aufwertung des armenischen Dram gegenüber dem US-Dollar verleiht dem Importgeschäft zusätzlichen Rückenwind. Hauptbezugsland war im Zeitraum Januar bis August 2023 Russland mit einem Importanteil von 26 Prozent. Danach folgten China, die USA und Georgien (vorwiegende georgische Reexporte) mit einem Anteil von jeweils 8 Prozent.
Hinter dem boomenden Exportgeschäft stehen in erster Linie Reexporte nach Russland, darunter vor allem Lieferungen von Fahrzeugen (Gebrauchtwagen), Maschinen und Ausrüstungen aller Art. Ein erheblicher Teil davon kommt aus den VAE. Auf den Reexport entfallen 2023 etwa 30 Prozent der Gesamtausfuhren, nach 25 Prozent im Vorjahr. Die Exporte einheimischer Güter weisen nur ein marginales Wachstum auf. Auf diese Ausfuhren schlägt der starke Armenische Dram durch. Hauptausfuhrländer waren im Zeitraum Januar bis August 2023 Russland (Exportanteil: 52 Prozent); die VAE (13 Prozent) und China (6 Prozent).
Bild vergrößernUngeachtet seiner kleinen Marktgröße lohnt sich für deutsche Firmen ein Blick auf das Geschäfts- und Kooperationspotenzial in Armenien. So strebt die Regierung an, den jährlichen Anteil von Solarstrom an der Stromerzeugung bis 2030 auf 15 Prozent (1,8 Milliarden Kilowattstunden) auszuweiten. Noch liegt dieser bei weniger als 1 Prozent.
Geschäftschancen ergeben sich auch bei einigen Großprojekten. Dazu gehört der Ausbau der Nord-Süd-Autobahn und des Kaukasus-Energieverbundes, in dessen Rahmen der Stromaustausch zwischen Armenien und Georgien verbessert werden soll. Zudem ist geplant, einen Bürokomplex der World Trade Centers Association in Eriwan zu errichten.
Die Entwicklung kundenspezifischer und exportorientierter Softwareprodukte für ausländische Kunden bleibt das attraktivste Geschäftsfeld in der IKT-Branche. Bei der Projektierung geplanter neuer Wasserspeicher ist das Land auf ausländisches Know-how angewiesen.
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